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Geschichte der Führung: Wie die zunehmende Komplexität Führung verändert

Nichts mehr ist wie es war. Auch die Führung nicht. Nur dass es bei vielen noch nicht durchgedrungen ist, worum es wirklich gehen wird. Nicht um noch mehr Augenhöhe: um Systembewusstsein. Es geht um Diversität – aber manchmal auch darum, einheitlicher zu sein wie die Frauen auf dem Bild.
Die Geschichte der Führung habe ich erstmals ausführlich in “Agiler führen” als einen Prozess zunehmenden Komplexitätsbewusstseins beschrieben. Das war 2015. Inzwischen hat sich wiederum viel verändert. Ich möchte anknüpfen und den Weg mit den wichtigsten Eckpunkten – und auch Missverständnissen – noch einmal übersichtlich darstellen.
Great Man-Theorien: ER ist der Grösse
Die Great Man-Theorien betonten die Idee, dass Führung eine angeborene Qualität ist und dass herausragende Persönlichkeiten von Natur aus die Fähigkeit besitzen, effektive Führer zu sein. Diese Theorien hatten ihren Ursprung im 19. Jahrhundert und stellten die Führungspersönlichkeit in den Mittelpunkt. Man ging davon aus, dass es überlegene Eigenschaften gibt. Dem war sicher auch so, dass es setzten sich die durch, die in das erwartete Eigenschaftsmuster passten. Das Denken passte in die Zeit, die Zeit formte das Denken.
Das Entstehen & Vergehen des typischen Managers
Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden verschiedene Führungsmodelle, die sich auf die Effizienz und Hierarchie innerhalb von Organisationen konzentrierten. Ein prominentes Beispiel ist das Taylorismus-Modell, das auf wissenschaftlicher Arbeitsorganisation basierte und klare Rollenverteilungen und Effizienzsteigerung durch Arbeitsteilung betonte. Der “große Mann” ist also der, der Effizienz steuern kann – hier ist es ein Manager. Die Great-Man-Idee wird mit wirtschaftlichem Erfolg verquickt. Das funktionierte solange wie die Märkte berechenbar blieben.
Parallel entstand übrigens der Gedanke des effektiven Verwalters. Die unterschiedlichen Logiken von Verwaltung und Wirtschaft kristallisierten sich heraus.
He, es gibt ja den Menschen…
In den 1960er Jahren entstanden Führungsmodelle, die den Fokus auf die menschliche Seite der Arbeit legten und die Bedeutung von Motivation und Mitarbeiterbeteiligung hervorhoben. Das Blake-Mouton-Managementraster, das den Stil der Führungskräfte anhand von Aufgabenorientierung und Mitarbeiterorientierung klassifiziert, ist ein Beispiel für ein Modell dieser Zeit. Das Bild von Führung beginnt komplexer zu werden, aber immer noch ist der Fokus auf dem Individuum. In die Zeit fällt auch die zunehmende Unterscheidung von Management und Leadership. Warren Bennis prägte dann den Begriff “Manager vs. Leader”. Der Leader war mehr für die Menschen zuständig.
Die Idee der Reife
In den 1980er Jahren entstanden Führungsmodelle, die sich mit dem Wandel und der Anpassungsfähigkeit von Organisationen befassten. Das Situative Führungsmodell von Hersey und Blanchard betonte die Anpassung der Führung an die Reife und Bedürfnisse der Mitarbeiter und die Kontingenztheorie von Fiedler betonte die Anpassung des Führungsstils an die spezifische Situation. Reife wurde hier als Ausdruck verwendet, um Entwicklung von Kompetenz und Fähigkeiten zu beschreiben.
Auch hier ist eine weitere Komplexitätssteigerung zu beobachten. Der Blick fällt nun auf Aufgabe, Mitarbeiter und Situation. Die Idee der Reife ist heute sehr umstritten… den hier schließt sie den systemischen Blick noch aus.
Die Führungskraft als großer Transformator
Die Führungsideen der 1980er sind oft mit dem von James MacGregor Burns geprägten Begriff der transformationalen Führung verbunden, der bereits 1978 entstand (aber bekanntlich braucht alles Zeit…). Burns beschrieb transformationale Führung als einen Führungsstil, bei dem Führungskräfte die Motivation und das Engagement ihrer Mitarbeiter steigern, indem sie deren Werte und Bedürfnisse ansprechen und eine Vision für die Zukunft vermitteln. Transformationale Führung zeichnet sich durch inspirierendes und charismatisches Verhalten aus, das Veränderungen und Innovationen fördert und positive Veränderungen in den Mitarbeitern und der Organisation bewirkt.
Der Paradigmenwechsel
Etwa seit Ende der 1990er wurde die traditionelle hierarchische Führung zunehmend in Frage gestellt und alternative Ansätze wie agile Führung und verteilte Führung entwickelt. Agile Führung und verteilte Führung kamen etwa ab 2012 auf. Im Scrum-Framework teilen sich Scrum Master und Product Ownerin auch Führungsverantwortung – wenn man Führung in ihrer psychologischen und effektiven Dimension betrachtet.
Quellen für Inspiration sind aber auch die VUKA-Ansätze der späten 1990er oder die Team-of-Teams Gedanken. Diese Ansätze wurden gern verbunden mit Gedanken aus dem Servant Leadership oder der transformationalen Führung. Und vermixten sich mit einem aufkommenden Rollendenken, das aus meiner Sicht einen wesentlich Punkt vermissen lässt: Die Funktion von Führung. Diese ist gekoppelt an die Positionsmacht, an Effizienz hinsichtlich der Zielerreichuung der Organisation und hat auch eine psychologische Funktion. Diese psychologische Funktion wurde plötzlich überbetont.
Das Agile kommt in meinem Erleben oft normativ und nicht selten eindimensional daher. Das zeigt sich etwa in dem Gedanken, dass es Vertreter zu geben scheint, die Servant Leadership für besser und überlegen halten. Das ist ein Rückfall in ein Denken, dass die Komplexität außen vorlässt. Und es ist normativ…
Wir können uns natürlich individuell für eine Servant Leadership-Haltung entscheiden – das löst aber nicht alle Führungsherausforderungen gleichermaßen. Was, wenn die anderen es gar nicht verstehen? Das ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, es ist auch ein Spiegel westlichen Denkens.
Wir müssen in einer globalen Welt verstehen, dass wir nicht das Recht haben, anderen unsere Werte aufzustülpen, schon gar nicht als Führungskraft. Das heißt nicht, dass wir sie nicht haben. Aber Führen heißt auch verstehen, wo der andere steht und in wessen Auftrag man agiert.
Und nie vergessen: Dass geführt worden ist, zeigt sich am Ergebnis und nicht an einem bestimmten Verhalten.
Und jetzt? Postagile oder Systemische Führung!
Nachdem sich langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass agile Führung nicht immer und überall die Lösung sind, kommt endlich ein weiterer Aspekt dazu: Der Kontext, vielmehr Kontexte. Postagile oder systemische Führung basiert auf der Annahme, dass Organisationen komplexe soziale Systeme sind, in denen alle Elemente miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Der Fokus liegt darauf, die Wechselwirkungen und Muster in diesen Systemen zu verstehen und im Führungsverhalten, aber auch in den Strukturen zu berücksichtigen.
Systemisch oder auch kybernetisch orientierte Führungskräfte betrachten das gesamte System und nicht nur einzelne Teile. Sie berücksichtigen die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Handlungen auf das gesamte System und erkennen die Interessen und Bedürfnisse aller beteiligten Akteure. Systemische Führung beinhaltet auch die Fähigkeit, Muster zu erkennen, Hypothesen zu bilden und flexible Lösungen zu finden, um den Komplexität Spielräume zu verschaffen.
Multirationales Management
In diesen Ansatz fügen sich verschiedene weitere, etwa das multirationale Management. Multirationales Management zielt darauf ab, verschiedene Denkweisen und Perspektiven zu integrieren, um eine ganzheitlichere und umfassendere Sicht auf die Organisation und ihre Herausforderungen zu gewinnen. Es erkennt an, dass Menschen unterschiedliche Erfahrungen, Hintergründe und Denkmuster haben und dass diese Vielfalt zu kreativeren und fundierteren Entscheidungen führen kann. Dies ist vor allem in einer Welt unglaublich wichtig, in der wir immer multikultureller agieren.
Und die Erwartungen von Mitarbeitenden an Führung sind überall auf der Welt höchst unterschiedlich. Manchmal ist es besser ihnen einheitlich und manchmal ist es besser ihnen vielfältig zu begegnen. Denn es gibt kein einheitliches Muster mehr.
Foto von Tima Miroshnichenko: https://www.pexels.com/de-de/foto/menschen-frauen-stehen-schwarz-7202784/
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.