Kategorien
Nichts wie weg hier: Die Flucht aus Deutschland
Als ich Anfang des Jahres das erste Mal über die Flucht aus Deutschland sprach, wunderte ich mich noch über die ungewöhnlich große Resonanz, die mein Beitrag auf allen Plattformen bekam.
Ich hatte eine Replik auf eine WELT-Kolumne mit dem Titel „Wie froh ich bin, nicht mehr in Deutschland zu leben“ geschrieben. Sie war mir aufgrund der außergewöhnlichen Zahl an Kommentaren aufgefallen. Mein Newsletter No. 35 erschien dann unter dem Titel “Nichts wie weg hier” am 15.1.2023 hier. Da weilte ich gerade … auf einer südlichen Insel.
Weggehen ist für immer mehr mehr als eine Option
Seitdem überschlagen sich die Nachrichten von einer zunehmenden Zahl deutscher Auswanderer. Es scheint, als fände von der Politik unbemerkt ein Braindrain statt, der sich jetzt – Mitte des Jahres – auch in offiziellen Zahlen spiegelt. Immer mehr hoch qualifizierte Menschen verlassen Deutschland. Ich kenne selbst nicht wenige, die auf dem Sprung sind. Die Alternative „Ausland“ taucht immer öfter auch als Fragestellung im Coaching auf. Sie ist besonders interessant für Menschen wie mich, die auch digital arbeiten können. Und die sich bezogen auf Präsenztermine sagen: Vom Flughafen Malaga (oder anderen) sind es auch nur 2,5 Stunden nach Köln oder München…
Die Gründe fürs Weggehen sind vielfältig: Es sind wie bei mir oft schlicht die Möglichkeiten. Es ist auch die Lebensphase – in meinem Fall ist der Sohn aus dem Haus. Menschen in früheren Lebensphasen berichten von unbefriedigenden Arbeitsbedingungen, größeren Karrierechancen und höherer Lebensqualität im Süden Immer wieder genannt werden gesellschaftliche Fehlentwicklungen, eine wachsende Bildungsschere und die Angst, dass wir als Industrieland unseren Wohlstand verlieren. Da fragen sich nicht wenige, ob sie besser woanders mit der Familie Wurzeln schlagen.
Da fragen sich nicht wenige, ob sie hier oder besser woanders Wurzeln schlagen.
Derweil mehren sich die negativen wirtschaftlichen Zeichen. Für die meisten wahrnehmbar ist eine sich verschlechternde medizinische Versorgung, eine aufgebauschte Bürokratie mit einer Staatsquote über 50% und essentielle Fragen wie die, ob die Energiewende so wirklich geschafft werden kann – oder wir im globalen Wettbewerb auch hier verlieren.
Digitalisierung ist auch so ein Thema: Aus eigener Erfahrung mit Zweitwohnung bei Malaga kann ich sagen: Dort habe ich Glasfaser und meine Videos sind ruckzuck online, weshalb ich lieber dort arbeite. Bei uns vor den Toren Hamburgs sind keine Steckplätze frei… alles geht langsamer.
Und selbst wenn es uns Bundesbürgerinnen immer noch besser geht als vielen anderen: Inzwischen sollte klar sein, dass die Zukunft nicht notwendig eine Fortsetzung der Vergangenheit ist. Erst recht nicht in einer Zeit unüberschaubar zahlreicher Wenden und unklarer Wechselwirkungen.
Geht es mit uns weiter bergab?
Wie schafft man den Turnaround? Durch ein Heizungsgesetz auf 170 Seiten, das seit Monaten immer wieder aufs Neue verunsichert? Durch den Verbot des Baus von Einfamlienhäusern? Durch immer mehr Regeln?
Ich möchte nicht in der Haut von Politikern stecken, die durch das politische System begrenzt sind – aber so ist nun mal Demokatie. Heikel wird’s, wenn Politik sich als Unternehmer versucht… Die wichtigere Kunst wäre, eine gesellschaftliche Mitte zu schaffen, doch derzeit fransen Ränder aus.
Auswanderung ist ein Kontinuum
Nun gut, andere Länder. Ein Pedro Sanchez in Spanien ist weiß Gott kein Leuchtturm. Aber in südlichen Ländern kann man leichter weggucken, da etwas Entschiedenes in Klima und Kultur verankert ist: Lebensqualität.
Das Nachbarland ist nah und viele werben um Deutsche. Seit Jahren steigt deshalb die Anzahl der offiziellen Auswanderer. Allein die Corona-Pandemie sorgte für eine kleine Delle. Die Delle wird, schaut man sich Zahlen des Statistischen Bundesamtes an, gerade wieder aufgeholt.
Abschied auf Raten
Und überhaupt: Nicht alles spiegelt sich in der Statistik. Denn Auswanderung heißt eben nicht gleich alle Zelte abbrechen – und die Wohnung in Deutschland ganz aufgeben. Auswanderung ist vielleicht schlicht mehr Homeoffice woanders, ist ein Kontinuum. Ich brauche nur an die Costa del Sol zu schauen. Da leben viele nicht ganz, aber auch nicht gar nicht. Teilzeitauswanderer sind mal ein paar Monate weg, mal ein Jahr, nehmen unbezahlten Urlaub oder kaufen Tiny Houses und Boote. Die 4 Tage-Woche ist bis in meinen Friseursalon durchgebrochen und kaum jemand in meiner Bubble arbeitet noch Nine2Five.
In der deutschen Politik wird derweil das “Normalarbeitsverhältnis” nach wie vor hochgehalten und mit seiner Weiterexistenz gerechnet. Aber ist das wahrscheinlich bei all diesen Entwicklungen?
Beitrag Newsletter 035 zum Hören:
Foto von Johannes Plenio: https://www.pexels.com/de-de/foto/flug-dammerung-himmel-sonnenuntergang-1126384/
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.