Gestern nach einem Vortrag in der Buchhandlung Hugendubel in Frankfurt erzählte mir die Mitarbeiterin einer Kommunikationsagentur, sie habe neulich von einem Experiment in den USA gehört: Fünfjährigen Kindern wurden Kinderbücher in die Hand gedrückt. Die konnten damit nichts mehr anfangen. Die Kleinen bewegten die Finger auf dem Buchrücken nach oben und unten – wie auf einem Iphone. Im Film über die Zukunft von Microsoft kommen auch keine Bücher mehr vor. Ich frage mich wie das wohl sein wird, wenn das Buch geht.

2030. Es gibt nur noch einen großen Verlag und viele kleine, die aber alle keinen Gewinn mehr machen. Dieser eine große Verlag hat kürzlich mit Amazon fusioniert. Sie vermarkten Texte gemeinsam im Internet und auf Lesegeräten, die inzwischen nicht mehr aus Plastik sind, sondern beweglich und in jeder Position lesbar, auch im Bett (was derzeit bei dem Kindle etwas ungemütlich ist). Man liest nicht mehr einzelne Bücher, sondern stellt sich Inhalte nach Stichwort zusammen. Experten aus allen möglichen Bereichen werfen den Anbietern ihren Content hinterher, das Wissen ist unendlich. Seitdem sich gedruckte Bücher nicht mehr verkaufen, produziert jeder seine Bücher selbst. Als neuer Trend hat sich das Etikett „geprüfte Inhalte“ durchgesetzt. Denn weil Experten mit ihrem Content eigentlich nur ihre Dienstleistung verkaufen möchten, ist die Recherche vollkommen auf der Strecke geblieben. Immer mehr Autoren haben auf Belege vollkommen verzichtet. Die Lektoren haben ihnen gesagt „ihr seid doch Experten, da braucht ihr keine Belege“. Die Ehrenamtisierung, die ich in einem weiteren Artikel beschrieben werde, hat sich in den Medien und der Kultur durchgesetzt. Wer gute Inhalte liefern will, macht das pro bono – einige haben sich eine Riesen-Fangemeinde aufgebaut. Es haben sich auch einige Stiftungen gegründet, die diese Ehrenamtlichen Inhaltslieferanten finanziell unterstützen. Gottseidank hat sich inzwischen das Grundeinkommen für alle durchgesetzt. Deshalb wird die Qualität langsam wieder besser.

Heute brechen die Verkäufe sowohl bei Zeitungen als auch bei Büchern ein – wie viel Minus am Ende dieses Jahres stehen wird, ist unklar. Es gibt nur noch  wenige Bastionen. Gekauft wird, was die Verlage gut positionieren – es ist ihr letztes Aufbäumen. Früher haben belesene Buchhändler ihre Titel für den Kunden ausgewählt und empfohlen. Sowas ist nicht mehr gefragt. Empfehlungen bekommt man bei Amazon. Verlage bekommen von Filialisten wie Thalia Geld oder geldwerte Vorteile für ein gutes visuelles Marketing bestimmter Bücher. Die Leser lassen sich gern manipulieren von den Haufen, die extra für sie aufgebaut werden. Die dick gestapelten Bücher kommen in die Spiegel-Bestsellerliste und werden fortan noch zentraler aufgebaut. Deshalb konzentrieren sich Verkäufe auf einige wenige Bücher. Ohne Namen ist man ein No Name. Deshalb kann Daniela Katzenberger eigentlich schreiben was sie will, ein Cover hätte gereicht, um aus ihrem Buch einen Bestseller zu machen.  So werden Bücher gemacht: Großer Name, aufmerksamkeitsstarker Titel  und ein dicker Tritt in die Vermarktungsmaschine. Auf dem Bahnsteig gestern war Werbung von Campus eingelassen, clever: Ich gehe über ein Buch.  „Nach dem Weihnachtsgeschäft wird es Überraschungen auf dem Buchmarkt geben“, orakelte ein Filialleiter, mit dem ich über Bücher sprach. Neulich hörte ich im Radio, dass Thalia Geschäfte in mittleren Lagen zumachen würde. Endlich: Vielleicht eine Chance für die kleine Buchhandlung, vielleicht hält es sich doch, das gedruckte Buch.

Ich habe gestern drei Bücher gekauft – seit drei Jahren das erste Mal in einer Präsenzbuchhandlung. Ich kaufe nur noch bei Amazon. Zum ersten Mal habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich bin so auch Mitschuld daran, dass das Buch ausstirbt. Kommt man in unsere Wohnung oder mein Büro, so stehen dort viele, viele Bücher. Ich liebe das Buch – das gute Buch, das mir Erkenntnisse liefert – abgöttisch. Im Keller liegen nie veröffentlichte Werke meines philosophierenden Großvaters und vergilben neben anderen Kisten mit Büchern, die Teil meines Denkens geworden sind wie die Werke von Alice Miller. Ich kann das nicht wegwerfen.

Auf meinem Computer lagern Dateien, wild herum. Brauche ich einen neuen PC,  mache ich ein Backup. In dieses werde ich nie mehr reinschauen. Und wenn ich die DVD mit dem Backup anschaue, kommen auch keine Erinnerungen hoch. Ich stelle mir das Ganze in der Cloud vor. Ich stelle mir vor, dass Microsoft demnächst Möbel produziert, in denen Bücher eingeblendet sind. Ich denke, diese Datei soll sich öffnen, und sie tut es und ein Buch kommt raus, vielleicht ein Film. Ich bin ein Kinästhet. Und dieese Vision hat nichts, aber auch gar nichts Emotionales. Aber ich bin ja auch nicht fünf Jahre alt und kenne nur digitale Bücher.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

7 Kommentare

  1. Dr. Eva Reichmann 6. November 2011 at 12:20 - Antworten

    Da kann ich nur mit einem Aufruf antworten: runter vom Sofa, bessergesagt: weg vom online-bestellen! Gute Lektüre ist wie gutes Essen – man sollte es vorm Kauf schmecken, riechen, anfassen, sehen, hören (Bücher machen Geräusche!) können und dementsprechend auswählen. Ich kaufe prinzipiell zu 95 % bei meinem kleinen Buchhändler ums Eck; die Mitarbeiter dort dind in der Lage noch selbst zu lesen und Urteile über Gelesenes in Worte zu fassen. Ich hab noch nie eine Empfehlung bei amazon gelesen – ich kauf dort ja auch maximal 1 Buch alle 3 Jahre. Und bei Einrichtungen wie Thalia vielleicht einmal im Jhr ein heruntergeramschtes Kochbuch, das mein Buchhändler definitiv zu dem preis nicht beschaffen könnte. So, wie man “mein Weinhändler”, “mein Kaffeeröster” oder “mein Bäcker” sagt – so selbstverständlich müsste “mein Buchhändler” werden. Es sind nicht die Unbelesenen oder weniger gebildete Schichten Schuld am Niedergang des Buchs (wenn er denn kommt) – es sind die bequemen und hypernetzaktiven Onlinemenschen!

  2. Svenja Hofert 6. November 2011 at 13:15 - Antworten

    Ja, liebe Frau Reichmann, das stimmt, wir internetaffinen Netzaktivisten sind schuld. Amazon ist natürlich bequem. Und als Autor sind Sie in einer Art Abhängigkeitsverhältnis. Läuft das Buch dort gut, läuft es auch im Buchhandel, das gilt für Sach- und Fachbücher noch mehr als für Belletristik. Insofern laufen auch meine Links auf Amazon. Blöder Kreislauf 😉 Aber Ihrem Aufruf kann ich mich anschließen: Kauft Bücher! LG SH

  3. Dr. Eva Reichmann 6. November 2011 at 17:06 - Antworten

    Was ich viel schlimmer finde ist die Macht der Barsortimenter – das ist nämlich der Tod kleiner Verlage, deren Bücher ohne Sortimenter erst gar nicht bei amazon gekauft werden können (und von Thalia und Co. nicht ins Programm genommen werden). Die Schuld verteilt sich also etwas!
    Leider treffe ich immer mehr Menschen die Bücher nicht mehr nach Inhalt sondern nach “cover sieht hip aus” oder “reißerischer Titel” auswählen. Also noch mehr Schuldige gefunden. 😉

  4. Svenja Hofert 6. November 2011 at 17:22 - Antworten

    Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den Sie ansprechen. Einige Bücher sind eher Statusprodukte, die gar nicht gelesen werden. Da reicht eigentlich das schicke, stylishe Cover, im Grunde könnten die Bücher auch leere Seiten enthalten…. wäre das nicht so auffällig. LG Svenja Hofert

  5. Wilhelm Zorem 6. November 2011 at 17:35 - Antworten

    Dem Buchhandel ist es egal, was gekauft oder gelesen wird. Es zählt der Umsatz. Der Verlag braucht Auflage. Am besten ist es, wenn der Autor die erste Auflage selbst verkauft oder einen Druckkostenzuschuss bezahlt. Die Auflage stimmt, wenn Multiplikatoren an Fans verkaufen.

  6. Burkhard Reddel 6. November 2011 at 19:16 - Antworten

    Guten Abend Frau Hofert,
    ja ich muß es sagen: “Ich habe einen Buchhändler, der mir gehört” Also meinen Buchhändler, wo ich persönlich begrüßt und gekannt werde. Und Ihre Links sind für mich nur dazu gut in Amazon die ISBN zu recherchieren und dann bei “Meinem ” Buchhändler zu bestellen. Ich liebe einfach persönlichen Service manchmal mehr als Internetanonymität. Nicht immer, aber immer öfter 😉
    lg B.RE

  7. Enrico Briegert 7. November 2011 at 6:00 - Antworten

    Es gibt heute auch noch Plattenläden, also wird es übermorgen auch noch Buchhändler geben. Nur nicht mehr in der Anzahl. Und ich oute mich: Ich genieße es seit 2 Wochen meine Tageszeitung bereits um 0430 auf meinem E-Book-Reader zu lesen und finde es praktisch meine “Bücher” gebündelt verfügbar zu haben. Laut dem Ökoinstitut Freiburg kippt die Ökobilanz bei mehr als 10 Büchern zugunsten des E-Books. Wenn man jetzt zusätzlich noch Zeitungen substituiert… (Quelle: http://www.swr.de/kultur/buch/-/id=3260/nid=3260/did=8721456/1lnpaip/index.html)

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