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The Great Return: Verliert man die Freigeister durch die Begrenzung von Homeoffice?

Veröffentlicht: 21. Mai 2022Kategorien: Allgemein, Führung & Organisation

Ian Goodfellow ist medial berühmt geworden. Der Grund ist weniger seine Expertise als AI-Experte und seine Position als Director of Machine Learning als vielmehr seine Weigerung, für seinen Arbeitgeber Apple aus dem Homeoffice zurückzukehren. Also kehrte er Apple den Rücken und heuerte bei Googles Alphabet an, für den er schon früher tätig war.

Ja, das Homeoffice. Es spaltet. Es schafft sogar eine neue Hierarchie, wenn man diese im ursprünglichen Wortsinn als “Rangordnung” versteht. Apple scheint sich dem bewusst zu sein und diesem Machtwechsel vorbeugen zu wollen.

ich weiß, dass das Thema derzeit unglaublich viele Organisationen beschäftigt: Und auch mich selbst. Gibt man eine Strategie aus? Lässt man alles offen? Was machen individuelle Bereichslösungen mit der Belegschaft? Was muss “harter Pol” sein, was darf offen bleiben? Keine leichte Antwort. Denn Homeoffice ist für viele bequem. Vor allem Freigeister fühlen sich dort eher wohl. Kann man sie zügeln und zäumen? Sollte man das sogar?

Verliert man die besonders kreativen und Freigeistigen?

Ich fühle mich selbst angesprochen. Inzwischen bin ich seltener Gast in unserem Büro am Jungfernstieg in Hamburg. „Och nö, warum“, denke ich mir oft, wenn ich eigentlich auch mal wieder vor Ort arbeiten könnte. Das hat mit mehreren Entwicklungen in meinem Leben zu tun. Zum Beispiel mit meiner Neigung zu Workations in Spanien. Workations sind nicht nur bei mir ein Trend. Schauen Sie sich die Foren bei Facebook an. Immer mehr mieten sich Villen im Süden zum Arbeiten, besonders im Trend liegt derzeit die Algarve und die griechischen Inseln. Naja, und im Ernst: Wer das mal erfahren hat, lässt sich auch vom tollsten Design nicht mehr locken. Das versuchen derzeit viele Unternehmen. Sie investieren in Räume. Ich zweifle, dass das auf Dauer reicht.

Überhaupt: Ich denke, bei den meisten Menschen spielen mehrere Entwicklungen eine Rolle. Corona war ein wirkungsvoller Booster für die neue Arbeitswelt. Aber wirkt dieser Booster für alle gleich? Ich sehe eine zunehmende Differenzierung.

Auch bei unseren Mitarbeitern bei Teamworks machen wir Unterschiede. Es fühlt sich nicht immer gut an. Aber auch so: Es geht auch nicht anders. Das Büro ist eben widersprüchlich: Kontrollstätte und Klebezentrale. Hier werden Bindungen erzeugt und erneuert. Man ist den Menschen nahe, die man oft sieht. Sieht man sich nicht, lebt man sich auseinander. Das ist bekannt aus jeder Fernbeziehung. Und davor hat Apple Angst – und nicht nur Apple.

Büros sind Kontrollstätte und Klebezentrale.

Ich lebe selbst auch im und mit dem Widerspruch. Auf der einen Seite bin ich freiberufliche Wissensarbeiterin – und auf der anderen Unternehmerin mit einem Team. Als Freiberuflerin denke ich: Vortragsskizzen machst du überall und zu jeder Uhrzeit. Am Meer gelingen sie sogar besser. Onlinevorträge brauchen auch kein Büro.

Als Unternehmerin hadere ich mit einer Doppelrolle: Mit Blick auf die alte Arbeitswelt, die uns gerade ernährt, müsste ich mit gutem Beispiel vorangehen. Also selbst vorleben, wie wir arbeiten wollen. Aber viele, auch ich, haben keine ausschließlich guten Erfahrungen mit zu viel Homeoffice gemacht. Auch Apple wird diese Entscheidung vermutlich evidenzbasiert und nicht aus dem hohlen Bauch getroffen haben.

Mitarbeitende können sich nicht alle gleich gut organisieren. Das heißt nicht, dass sie es nicht könnten, würden sie es von der Pike auf lernen.

Unterschiedliche Jobs bieten verschiedene Anreize

Konzeption ist nicht Kundenkommunikation. Koordinierende Tätigkeiten brauchen viel mehr Absprachen und Kontakte als konzentrationsorientierte. Aber es geht nicht nur um Arbeitsinhalte: Wer gewohnt ist, dass die Arbeit von oben (vom Chef) kommt, holt sie sich nicht von einem Jahr auf das andere unternehmerisch denkend selbst.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Homeofficereife mit Erfahrung, aber auch Persönlichkeit zu tun hat. Eine nicht kleine Amzahl Menschen spürt sich ohne Feedback nicht. Andere können sich ohne äußere Strukturen nicht selbst organisieren. Und wieder andere könnten abheben, wenn sie sich weitgehend außerhalb organisationaler Normen entfalten.

Auf 40 Quadratmetern ist Homeoffice anders als auf 100

Und da ist noch all die Ungerechtigkeit, die sich gerade verstärkt: Ich war diese Woche in Athen, ein heisser Kessel und Moloch. Homeoffice im Juli – undenkbar! In der 40-Quadratmeter-Bude mit wenig Licht ist Homeoffice etwas ganz anderes als im Haus mit Garten. Und wenn dann noch Einsamkeit dazukommt … Freuds Couch lässt dann bald grüßen, wenn man dort noch einen Platz findet. Denn die Praxen sind überfüllt.

Wir sind es auch arbeitsrechtlich nicht gewohnt, zu differenzieren. Das bedeutet nämlich, dass wir Unterschiede machen müssen zwischen einzelnen Mitarbeitenden und sogar Bereichen. Wir müssen Arbeitsverträge individualisieren. Wenn wir nur auf Eigenverantwortung setzen, fallen ganz viele raus und in ein tiefes Loch. Wenn wir andere nach ihrer Homeoffice-Tauglichkeit beurteilen, sind wir wieder bei Command & Control. Wie sehr braucht unsere Organisation einen absoluten Top-Experten? Jemand, der sich viel besser als alle anderen mit maschinellem Lernen auskennt?

Da entbrennt ein Wettkampf. Vor allem die Experten dürfen sich wohl künftig aussuchen, wo und wie sie arbeiten wollen. Im Homeoffice ist fast gleich für wen ich den Laptop einschalte. Es geht mehr um Inhalte. Faszinieren die mich nicht, bin ich weg. Es wird dann egal, für welchen Namen man arbeitet. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum soviel Manager jetzt zurückbeordern. Sie wissen das.

Abwarten und Tee trinken – vielleicht wirklich sinnvoll

Welche Folgen das haben wird? Das Büro wird nicht mehr sein was es war.

Wir müssen Menschen schon viel früher zu selbstständiger Arbeit befähigen. Zu jeder selbstständigen Wissensarbeit gehören Netzwerke und Beziehungen. Die muss jeder aufbauen und pflegen. Das geht nun mal gerade am Anfang sehr viel besser vor Ort. So toll Onlinekonferenzen und virtuelle Räume sind: Beziehungskraft entsteht in echten Räumen. Deshalb finde ich Lösungen charmant, bei denen Mitarbeitende die ersten ein, zwei, drei Jahre vor Ort arbeiten und dann ins Homeoffice gehen dürfen.

Es gibt keine einfache Lösung. Derzeit warten viele Firmen ab. Ich erlebe, dass die Entscheidung an mittlere und untere Führungskräfte delegiert wird. Nun kann man sagen, dass sei feige, und das obere Management drücke sich vor Entscheidungen. Oder aber: Das ist ein gar nicht so dummes Abwarten, welche Erfahrungen an der Basis gemacht werden.

Wenn der eine Bereich Homeoffice anordnet und der andere nicht, entsteht auch Wettbewerb. Man kann messen, wie hoch die Fluktuation ist oder die Leistung vergleichen.

Neue Hierarchien werden kommen

Derweil gilt es, die Widersprüche auszuhalten. Authentische und begründende Kommunikation wird wichtiger. Wir müssen annehmen, dass sich unweigerlich eine neue Hierarchie ausbilden wird. Ja, das Top-down-Management des Industriezeitalters wird ersetzt. An seine Stelle treten unternehmerähnliche Expertennetzwerke, die Entscheidungen auch datenbasiert treffen. Diese brauchen gar keine Vorstandsetage oder Hinterzimmerentscheidungen mehr. Das ist die eigentliche, die wirkliche stille Revolution.

Sie interessiert das Thema? In meinem Buch “Business Showdown” erhalten Sie Denkansätze, wie Sie die digitale Transformation sinnvoll und produktiv gestalten. In meiner Summer School bei Teamworks steht das Thema New Work und Home Office / Hybridoffice im Zentrum. Sie bekommen verschiedene Ansätze, Entscheidungen dazu vorzubereiten.

Foto: Stock – Fscafeine

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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