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Work-Life-Bullshit: Müssen wir unser Leben vor der Arbeit schützen?

Veröffentlicht: 23. November 2013Kategorien: Führung & Organisation

Ist es nicht ein wunderbares Glück, das tun zu können, was man wirklich liebt?Erreichen wir so nicht den Gipfel der Zufriedenheit? Ich muss Sie leider enttäuschen. Arbeit kann anstrengend sein, man kann eine Überdosis davon bekommen und daran krank werden. Da geht es mir wie der netto-Verkäuferin. Leistungsorientierte Menschen neigen zudem dazu, sich in dieses zweifelhafte Vergnügen namens Arbeit hineinzusteigern. Prioritäten verschieben sich dann unverhältnismäßig auf das eine, die Arbeit wird zur großen Liebe einiger Menschen – und manchmal zum Ersatz für anderes.

hamsterradDas Buch „Work-Life-Bullshit“ von Thomas Vasek stellt die These auf, dass es Unsinn ist, Arbeit vom Leben trennen zu wollen. Ich gebe zu, ich habe es nicht ganz gelesen: etwas vorne, viel in der Mitte und am meisten hinten. Besonders interessiert haben mich die Interviews, die Vasek mit ganz normalen Leuten führte. Ich fand sie etwas blass. Das Buch löst einen Zwiespalt in mir aus. Es ist toll geschrieben, sehr intelligent, überaus kenntnisreich. Deshalb schreibe ich hier darüber, während ich bei den letzten 10 Büchern, die mir zugeschickt wurden, einfach immer nur sagen musste: da steht ja gar nichts drin, das ist ja reine Autorenverkaufe.  Noch mal dies, das oder jenes Thema neu gedreht, aber für mich ohne Gewinn gelesen.

In diesem Buch steht schon was drin. Es ist vom Cover her toll umgesetzt und ein Intellektuellen-Schmankerl, so wie die meisten Bücher des Riemann-Verlags. Aber der Inhalt löst trotzdem keinen Aha-Effekt aus, sondern Widerstände gegen die These.

Drei Gründe  führen mich dazu, überzeugt zu sein, dass die Trennung von Job und Leben eben doch sinnvoll ist -und dass man den Mensch vor zu viel Arbeit  schützen muss, er schafft es manchmal nicht selbst:

a.)    Menschen, die ihr ganzes Augenmerk auf die Arbeit legen, geraten allzu leicht in einen süchtig machenden Kreislauf. Was auch immer sie treibt, Neugier, Intellekt, Disziplin, Anerkennung, all das zusammen – ohne ausreichendes Gegengewicht ist das nicht gesund. Das wusste schon Hilarion Petzold. Das ist der mit den “fünf Säulen der Identität” (siehe mein Tool-Buch und meine Work-Life-Bilanz).

b.)    Nicht jeder kann gute -im Sinne von zu etwa 80% zum Potenzial und zur Persönlichkeit sowie den Präferenzen und Werten passende – Arbeit bekommen. Das gibt unser derzeitiger Arbeitsmarkt gar nicht her und das ganze System der Organisationen und des Managements, dessen Strukturen immer noch in den 1980ern festhängen, während viele Menschen im Kopf schon 20 Jahre weiter sind.  Die Arbeit ist anders geworden, die Art sie zu managen gleich geblieben, folglich der Stress größer…ergo die Trennung wichtiger.

c.)     Die Persönlichkeit der meisten Menschen ist: normal. Und ziemlich normal ist nie überdurchschnittlich erfolgreich, weil überdurchschnittlich erfolgreich immer auch ein bisschen verrückt ist. Normale schreiben keine Bücher und finden auch nicht (dauerhaft) den Weg auf die Bühne. Normale sind den neuen Arbeitsbedingungen erst recht ausgeliefert, weil sie nicht  egoistisch oder selbstbewusst genug sind, ihr eigenes Ding zu machen.

Die These von Herrn Vasek, dass Arbeit = Leben ist, lässt sich deshalb nicht halten. Er kann, so finde ich, nicht von sich auf andere schließen, was er explizit auch nicht tut… aber… dann doch… Der Autor ist kein Sozialversicherungsfachangestellter und keine Schleckerverkäuferin. Dieser Mann ist Chefredakteur einer Philosophiezeitschrift. Das ist vielleicht ein ähnlicher Traumjob wie Moderator oder Coach, halt für Intellektuelle. Er gehört damit zu den oberen fünf bis zehn Prozent derer, die sich ein Arbeitsleben geschaffen haben, das sich an persönlichen Präferenzen und/oder Kompetenzen orientiert (das zu tun setzt eine gewisse Abweichung in der Persönlichkeit vom Gauß-Glockenmuster voraus, siehe verrückt).  Wenn jemand aus so einer Perspektive verallgemeinert, finde ich es besonders heikel  – erst recht wenn der Autor sich nicht auf Studien und Experimente (also Wissenschaft) oder praktische Erfahrungen berufen kann.

Herr Vasek kommt aus dem Journalismus und so liefert er die richtige Bezugsbranche. Auf einen erfolgreichen Journalisten kommen 10, die kaum über die Runden kommen. „Die sind soooo billig zu haben, diese Journalisten“, sagte ein Unternehmer-Bekannter aus der PR-Branche mit Dollarzeichen in den Augen. Und ja, stimmt, mir treibt es die Tränen in die Augen, wenn ich die Honorarforderungen von Dienstleistern aus der Verlags- oder Journalistenbranche sehe. Ich weiß, Liebe ist bedingungslos, auch oder gerade die zur Arbeit, unconditionally. Muss das sein?

Es geht in dem Buch nicht um Geld und auch nicht um die Verlierer am Arbeitsmarkt. Es geht darum, dass Leben und Arbeit  nicht zu trennen sind. Für die, die der Beruf weitgehend erfüllt, für die er sinnstiftend ist. Und hier kommt das nächste Thema, für a, b und c: Man kann keinen Sinn in der Arbeit suchen, man braucht  einen schon bevor man einen Job macht oder sich für einen Weg entscheidet. Da irren sich viele, und das ist der eigentliche Bullshit. So lange die Arbeit vor dem Sinn kommt wird das nichts werden. Kann es gar nicht. Vaseks Vergleich mit der Liebe und Partnersuche gefällt mir im ganzen Buch am besten, weil die Belastungen von beidem – Arbeit und Partnerschaft  – letztendlich ein eigenes Sinnverständnis brauchen. Hier ein Zitat:

“Nach meiner Auffassung hat Arbeit einige strukturelle Gemeinsamkeiten mit Liebe und Partnerschaft… Genau wie Arbeitsbeziehungen schaffen auch Partnerschaften wunschunabhängig Gründe, also gewisse Verpflichtungen, Standards und Routinen. Auch in einer Partnerschaft muss ich gewisse Dinge tun, auch wenn ich nicht unbedingt Lust dazu verspüre.”

Ja, aber genau wie zu einer Partnerschaft kann man auch sein Verhältnis zur Arbeit umgestalten. Muss man rotieren? Am Wochenende arbeiten? Der Disziplin verfallen? Mails um 24 Uhr beantworten? Mit dem Laptop vor der Nase in einem Seminar sitzen? Muss man immer mehr verdienen?

„Was denkst du, wie viele der bekannten Trainer und Speaker ausgebrannt sind?“ fragte mich jemand. Es solle sehr viele sein, also viele der vermeintlichen Traumjobinhaber. Manche sind dauernd online, andere für ihre 8.000 oder 10.000 am Tag nur im Flugzeug und ständig unterwegs, viele sind alles zusammen. Und zurückentwickeln können Sie sich nicht. Da steckt man ruckzuck in einem Rad, das dreht und dreht und dreht.

MS Office

MS Office

Mich hat der konsequente Rücktritt der WDR-Intendantin Monika Piel sehr beeindruckt und das, was sie dazu in Interviews gesagt hat. Gesundheit – bei allem Work-Life-Bullshit geht es doch auch um Ihre, um unsere Gesundheit. Ich selbst hatte einige Jahre viel zu hohen Blutdruck, klar stressbedingt. Ich wollte keine lebenslange Medikamentenabhängigkeit. Ich lerne immer noch, klar zu trennen. Sport ist für mich wichtiger als Geldverdienen. Arbeite ich einmal Samstags, genehmige ich mir einen Ausgleichstag. Und ich bin auch nicht ständig zu erreichen, im Gegenteil. Die Trennung von Work und Life  hat sich bewährt. Mein Blutdruck ist ohne Medikamente seit einem Jahr wieder im Normalbereich. Er wäre es nicht, wenn ich allen Arbeitsimpulsen und allen Job-Verlockungen folgen würde.

Sachbücher müssen Thesen verkaufen, wenn sie nicht Real-Life-Einblicke bieten. Mit der von mir hier vertretenen Ansicht hätte der Autor keinen Vertrag bekommen. Zu normal: Arbeit und Leben trennen.Das ist Mainstream. Muss auch nicht immer falsch sein.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. Andreas Brinker 25. November 2013 at 10:55 - Antworten

    Toller Artikel! Erfrischend anders mal nicht das übliche Mainstream-BlaBla

  2. Kerstin Lundström 25. November 2013 at 16:40 - Antworten

    Das ist die Krux der Intelligenten und Intellektuellen: Gerade, weil man sich einen Job sucht, der die “Erfüllung” aller Jobwünsche ist, weil er dem eigenen Persönlichkeitsprofil entspricht und die Aufgaben für diese Person “Sinn” machen, ist die Gefahr so groß. Die Verpflichtung bei solchen Jobs ist viel höher, denn die Mitarbeiterin ist unabkömmlich. Jeder Urlaub verursacht nur eine längere To-Do-Liste.
    Das hohe Maß an Selbstständigkeit bedingt ein ständig schlechtes Gewissen und so gerät man leicht in einen Kreislauf, wo die Arbeit nicht mehr positiv ist, obgleich die Aufgaben durchaus dem Ideal der Mitarbeiterin entsprechen… Wer den Kopf nicht mehr abschalten kann, wird auf Dauer krank. Ich stimme also dieser Buchkritik voll zu.

  3. Sonja Rieder 27. November 2013 at 12:54 - Antworten

    Ein Blick in das Innenleben erfolgreicher Menschen – und das sind idR Leute, die Arbeit und Beruf nicht trennen – rät zur Vorsicht: Viele sind getrieben von der (bewusst oft gar nicht spürbaren) Angst, nicht gut genug zu sein (Angst ist einer der stärksten Karrieremotoren, die ich kenne); und das führt oft unweigerlich ins Ausbrennen. Privatleben verlangt heute oft einen Schutz, sonst findet es schlicht nicht mehr statt. Danke Frau Hofert für Ihren ehrlichen Kommentar!

  4. xipulli 30. März 2014 at 18:07 - Antworten

    So sehr mich Ihre Ausführungen hier beeindruckt haben möchte ich doch anmerken: es wäre besser gewesen, Sie hätten das ganze Buch gelesen. Es geht mitnichten darum, sich das Leben einfach zu machen, zu postulieren: “Macht, was Euch Spaß macht und alles wird gut!”. Dann hätte sich Vasek nämlich nicht mit dem Thema bedingungsloses Gundeinkommen beschäftigen müssen, von dem er findet, dass es den Wert guter Arbeit vermindert. Dann hätte sich Vasek auch nicht mit eben jenen Schleckerverkäufern beschäftigen müssen, die Sie oben nennen. Mit Menschen, die “Scheiß-Jobs” haben. Wobei das bei einem Schleckerverkäufer mal dahingestellt ist, denn ja auch Kunden machen einen Job im Handel mistig, da sind die Rahmenbedingungen nur noch einen ein anderer Parameter, den man im Auge haben sollte und ja, manche Leute sind gern Verkäufer, aber das zu glauben fällt vor allem denen schwer, die auf solche Leute nur mit Mitleid herabschauen können. Vasek beschäftigt sich auch sehr wohl mit Beschäftigungen, die heute dem Präkariat zuzurechnen sind, mit Jobs, in denen man schlecht und/oder unregelmäßig verdient, die gesellschaftlich geächtet sind, in denen man gerade so über die Runden kommt. Im Endeffekt ist eines der Hauptargumente des Autors die Verantwortung des Einzelnen der Gesellschaft gegenüber indem er der Beschäftigung nachgeht, die ihm zusagt. Dazu gehört sovieles, was sie anscheinend nicht gelesen haben, dass ich es hier nicht wiedergeben will. Nur der leise Hinweis: Lesen Sie es bitte noch einmal, wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt.

    freundliche Grüße

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