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Den Widerspruch begrüßen: Warum wir neue Kompetenzen für die Zukunft der Arbeit brauchen

Ein Hooverboard wäre klasse. Man könnte damit einfach zur Arbeit fliegen. Pech für die Autoindustrie – und Chance für einen neuen Industriezweig. Alte Autoindustrie-Jobs würden wegfallen und neue entstehen, zum Beispiel der Hooverboard-Mechaniker. Die Filmtrilogie „Zurück in die Zukunft“ aus den Jahren 1985, 1989 und 1990 zeigt das Hooverboard in der zweiten Folge. In dieser machen Marty McFly und Doc Brown einen Ausflug in das Jahr 2015, genauer zum 21.10.2015.
Der Film zeigt, wie man sich damals die Welt 2015 vorstellte. Hooverboards kommen vor, aber auch Videokonferenzen. Immerhin: Die Videokonferenzen wurden wirklich erfunden, die Hooverboards leider nicht. Die Kündigung von McFlights Arbeitgeber 2015 kam uninspiriert keineswegs per SMS, sondern per Fax. Damals, in den 1980er, noch eine revolutionäre Erfindung. Unvorstellbar, dass es Smartphones und Internet geben würde. Ich gehe davon aus, dass Drehbuchautoren Menschen mit großer Fantasie sind. Aber selbst für solche fantasievollen Menschen lag manches, etwa ein Smartphone, außerhalb ihrer sicher überdurchschnittlichen Vorstellungswelt.
Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Ersetzen uns Maschinen? Hat der heutige Arbeitsplatz ausgedient? Das sind die Leitfragen der BITKOM-Blogparade zur Zukunft der Arbeit, deren letzter Tag heute anbricht (#knt15). So wie die Drehbuchautoren bei aller Fantasie nur eine vage Vorstellung hatten, so geht es uns allen: Vermutlich können wir uns nur einen sehr kleinen Teil vorstellen und dieser kleine Teil ist normalerweise eine Fortschreibung des Wissensstands von Jetzt. Je mehr wir wissen, etwa über 3D-Drucker und Industrie 4.0, desto mehr können wir uns vorstellen. Was noch nicht da ist, ist aber jenseits dieser Ideenwelt. Unsere Hauptaufgabe im Umgang mit der Zukunft der Arbeit ist deshalb nicht, diese vorherzusehen, sondern eine andere: Wir müssen damit umgehen lernen, dass wir nichts wissen. Es geht am Ende um Kompetenzen, die uns erlauben, mit der Zukunft zurechtzukommen, nicht um Wissen über technische Möglichkeiten.
VUCA: Methode für den Umgang mit Nichtwissen
Für den Umgang mit Nichtwissen gibt es eine Methode namens VUCA (deutsch manchmal auch VUKA). VUCA-Management haben Militärexperten aus den USA entwickelt, bevor es das Management für sich entdeckt hat. VUCA steht für Volatility (Unberechenbarkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz). VUCA-Management versucht eine Lösung für das Handeln in diesen vier unterschiedlichen VUCA-Situationen zu liefern. Diese Lösung folgt zwei Parametern:
- Wie sehr lassen sich Situationen voraussehen? (sehr/wenig)
- Wie viel Informationen über die Situation sind verfügbar? (viel/wenig)
Daraus ergeben sich vier Quadranten und Handlungsempfehlungen. Über die Zukunft der Arbeit weiß man u.a. folgendes, jedenfalls sind dazu reichlich Informationen verfügbar:
- Es gibt einen demografischen Wandel.
- Der Fachkräftemangel wird drängender.
- Die Abiturienten- und Studiertenquoten explodieren.
- Digitalisierung erfasst alle Bereiche des Lebens.
Wie sehr ist die Zukunft der Arbeit vorhersehbar? Hier muss man für VUCA kleinteiliger werden, und zum Beispiel fragen “wie bestimmt der Fachkräftemangel die Arbeit der Zukunft bzw. wie bestimmt er unser Recruiting.” Dazu gehört die Frage „wie sehr ist der Fachkräftemangel vorhersehbar“? Antwort auf letztere vermutlich: Relativ gut. Es sind ja reichlich Informationen verfügbar. Allerdings muss man diese ständig updaten. Und das ist nicht einfach. Für das Update sind nämlich derzeit nicht alle Daten verfügbar, da zum Beispiel offene Stellen doppelt gezählt werden und die Flüchtlinge aktuell eine unberechenbare, ungewisse und komplexe Größe sind, um in VUCA-risch zu sprechen.
Die Wirkung eines Ereignisses wie “Flüchtlingswelle” auf den Fachkräftemangel sind ungewiss
Wenn sich nach einem Ereignis – etwa der Flüchtlingswelle – nicht voraussehen lässt, wie dieses wirkt, so herrscht Ungewissheit (Uncertainty). Was wird konkret passieren? Wenn zu viele Informationen aus unterschiedlichen Disziplinen notwendig sind, um das Ereignis zu verstehen, spricht man dagegen von Unberechenbarkeit (Volatibiliy). Verschiedene Experten zeichnen verschiedene Szenarien, arbeiten aber oft nicht zusammen und widersprechen sich sogar. Es gibt keinen Schnittstellenkoordinator, der weiß, wie alles zusammenspielt und die richtigen Schlüsse ziehen kann. Insgesamt spielen viele Variablen rein, die kein einzelner Experte sehen, geschweige denn interpretieren kann. Das erklärt, warum man ein Ereignis wie das Ankommen der Flüchtlinge nicht vorhergesehen hat. Einzelne haben es, aber es gab keinen Koordinator, der das Wissen zusammengeführt hat oder niemanden, der wichtig genug gewesen wäre, dass man ihn/sie erhörte.
Die Wirkung der Flüchtlingswelle auf den Fachkräftemangel ist also nicht nur unberechenbar und ungewiss, sie ist auch noch hochkomplex. Keiner weiß, wie viele Flüchtlinge noch kommen, wie viele bei veränderter Weltlage letztendlich bleiben (angenommen die Ursachen vor Ort würden behoben werden können), wie sie sich integrieren und was das mit dem Fachkräftemangel macht. Alles hat Auswirkungen auf alles, und am unberechenbarsten sind gesellschaftliche und weltweite Entwicklungen. Was tun? In komplexen Situationen empfiehlt VUCA-Management sich möglichst für alle Situationen zu wappnen. Das ist teuer, sei aber die einzige Chance.
Dasselbe Ereignis kann hier positiv und da negativ wirken
Es geht jedoch bei VUCA nicht nur um Unberechenbarkeit, Komplexität und Ungewissheit, sondern auch um Ambiguität. Gestern hat Finnland als erstes Land ein bedingungsloses Grundeinkommen beschlossen. Was macht ein Grundeinkommen mit den Menschen? Ist es – würde man es für alle Länder dieser Welt festlegen – generell Befreiung oder eine Gefahr? Ich vermute: Es würde beides sein. So ein Vorhaben kann in einem Land scheitern und dem anderen gelingen, weil es mit ganz vielen Dingen – kleinen unverbundenden Punkten – zusammenhängt. Und weil dieselbe Sache, dasselbe Ereignis im Zusammenspiel zwei Seiten zeigen kann. Die Welt ist voller multipler Wahrheiten.
Ambiguität bedeutet, dass es Widersprüche gibt, die nicht aufzulösen sind. Es gibt das eine und das andere. Die Wahrheit ist ein sowohl als auch. Dass es das eine UND das andere gibt – das können nicht alle Menschen sehen und noch viel weniger aushalten. Wer verschiedenen Wahrheiten eine Existenzberechtigung einräumt, diese gar in sein Leben integriert, kann auch politisch schwer überleben. Die Medien, auf entweder-oder gepolt, würden Schwäche interpretieren. Die Menschen wollen eigene Unsicherheiten durch klare Ansagen und Führung kompensieren. Wie kann es sein, dass es keine Lösung gibt? Dass es niemanden gibt, der weiß, was die Zukunft der Arbeit am Ende wirklich bringen wird – außer Widersprüchen?
Genau das ist aber die Antwort auf alle Fragen der Bitkom: Es kann sein, dass der Computer viele Jobs überflüssig macht. Aber es ist genauso wahrscheinlich, dass zahlreiche neue entstehen. Wie wäre es, neben dem Hooverboard-Mechaniker mit Integrationsberatern, Bildungsbegleitern, Kultur-Konnektoren, Wissensschnittstellen-Koordinatoren, um ein paar nicht-digitale Jobs aufzuzählen?
Ich weiß, dass ich nur eins weiß
Eins weiß ich über die Zukunft, auch wenn ich im Detail nichts weiß: Die Welt wird mehrdeutiger. Und wenn eine Kompetenz in Zukunft für alle Menschen wirklich wichtig werden wird, dann ist es das Vermögen, verschiedene Wahrheiten und Widersprüche zu akzeptieren und nebeneinander stehen zu lassen. Das nennt sich Ambiguitätstoleranz. Ambiguitätstoleranz verurteilt nicht zum Nicht-Handeln. VUCA empfiehlt bei Ambiguität: Man solle Hypothesen aufstellen und dann begründet experimentieren. Schnelle Learnings zu integrieren sei wichtig. Das fordert Experimentierbereitschaft. Die ist eigentlich so ganz und gar nicht Deutsch. Denn wer experimentiert, kann nicht perfekt sein.
Mehr echte Ambiguitätstoleranz und Experimentierfreudigkeit würde uns allen jetzt und in Zukunft enorm helfen, aktuelle und kommende Krisen zu überwinden. Egal, was die Zukunft der Arbeit bringt. Weil wir uns dann darauf konzentrieren können, Lösungen für das Jetzt zu finden. Denn die Zukunft gestalten wir hier und heute und selbst.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
Liebe Frau Hofert,
danke für diesen Beitrag, der mich persönlich fröhlich stimmt – in meiner VUCA-Glaskugel sehe ich bald das Ende der Gelingsicher-Rezepte und des linearen Ursache-Wirkungs-Denkens, das meiner Meinung nach viele Probleme erst schafft.
Wie schön wäre eine (Arbeits-)Welt, in der man verschiedene Wahrnehmungen respektiert und integriert!
Grüße nach Hamburg,
Dagmar Dörner
Hallo Frau Hoffert,
ja mal wieder ein aufschlußreicher Artikel.
In meiner Glaskugel hab ich auch Interessantes gefunden. Fachkräftemangel steigt ins Unermessliche. Grund dafür schlechte Schulische Bildung. Qualität gibts nur gegen Geld ein Monat auf einer Eliteschule kostet ein Jahresgehalt eines Durchschnittnormalverdieners, wer es sich nicht leisten kann ist auf die staatliche Vierjahresausbildung angewiesen. Mehr kann sich die deutsch-amerikanische Kollonie Deutschland GmbH leider nicht mehr leisten. Für Berufsausbildung und Studium sind vier bis zehnfache Kosten anzunehmen. Auch der Demographische Wandel hat entsetzliche Auswirkungen aufgezeigt. Wegen der abgewanderten Industrie versuchen nun die Jungen Leute Ihr Glück in der Flucht und hoffen auf Asyl in den Zielländern China und Russland wo die Wirtschaft seit den D und EU geschürten Wirtschaftssanktionen nun auf Rekordniveau produzieren. Aber wegen dem zu geringen Bildungsstand der dt Einwanderer haben Sie auf dem russischen und chinesischen Markt kaum eine Chance. Die BRICS-Staaten sind nun der weltwirtschaftliche Motor.
Schöne Grüße aus meiner Glaskugel!
Kai
[…] “Wenn eine Kompetenz in Zukunft für alle Menschen wirklich wichtig werden wird, dann ist es d… […]
[…] nicht als unfehlbar zu begreifen. Oder, wie es Karrierecoach Svenja Hofert in ihrem Blogbeitrag „Den Widerspruch begrüßen“ […]