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Der Arbeitsmarkt für Akademiker: Mehr Stellenzugänge für Geisteswissenschaftler und weniger für Ingenieure?

Veröffentlicht: 11. September 2014Kategorien: Führung & Organisation

Spiel mit dem Feuer: Explosiv!Wie bitte? Mehr Stellenzugänge für Geisteswissenschaftler als für Ingenieure? Wie kann das sein? Ein Screenshot, den ich bei Facebook hochlud, zeigte genau das an. Er stammt aus dem Bericht zur Akademiker-Arbeitslosenstatistik „Gute Bildung – gute Chancen: Der Arbeitsmarkt für Akademiker und Akademikerinnen“. Die rund 100 Seiten, die sich überwiegend auf das Jahr 2013 und teils mangels Daten noch auf 2012 beziehen, enthalten Zündstoff.

Zündstoff für Diskussionen 1: Höhere Arbeitslosigkeit unter Akademikern

Im Bericht sind zwei Aussagen, die auffallen. Die eine lautet:

“Die Zahl Arbeitsloser mit akademischem Abschluss ist 2013 auf durchschnittlich 191.100 Personen gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies ein Plus von 21.400 Personen bzw. 13 Prozent. Das verwundert zunächst, ist doch die Arbeitslosenzahl insgesamt im gleichen Zeitraum nur um knapp zwei Prozent gestiegen.“

Heißt: Die Arbeitslosigkeit unter Akademikern stieg stärker an als die aller Arbeitnehmer. Das hat Brisanz.  Auch wenn die Zahlen im Vergleich zu 2005 deutlich günstiger ausfallen.

Es folgt die Erklärung, die Beschäftigung ja generell gestiegen sei und dies nicht so verwunderlich. Wirklich?
Die größte akademische Arbeitslosengruppe stellt übrigens Marketing und Werbung – noch hinter den Historikern. Die Zuordnung folgt dabei nicht nach Studium, sondern nach ausgeübtem Job.

Zündstoff für Diskussionen 2: Weniger Zuwachs bei den Stellen für Ingenieuren, mehr bei den Geisteswissenschaftlern

Man höre und staune:

„Ein Nachfrageplus zeigt sich nicht in allen, aber in den meisten akademischen Berufsgruppen, wenngleich erhebliche Unterschiede auszumachen sind. Mit 80 Prozent sehr deutlich fiel das Plus im Feld der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften aus, allerdings ausgehend von einem niedrigen Niveau.“

Weiter geht es:

„Deutlich gestiegen ist auch der gemeldete Bedarf in der Sozialarbeit sowie in Redaktion und Journalismus. Bei Informatikern gab es nur einen kleinen Zuwachs. Hingegen sind bei Ingenieuren und Medizinern deutliche Rückgänge zu verzeichnen.“

stellenPAUSE. Bitte mal sacken lassen. Die Verfasser des Berichts der Bundesagentur scheinen selbst überrascht ob eines Stellenminus „auf der falschen Seite“ – schließlich erwartet es jeder bei den Ingenieuren. Sie vermuten, dass Arbeitgeber die Hoffnung verloren haben könnten, noch Ingenieure via Arbeitsagentur zu finden. Eine These, die nicht belegt werden kann. Immerhin sind Ingenieure typischerweise im Mittelstand beschäftigt – und der arbeitet gern mit der BA zusammen. Plötzliche Desillusionierung erscheint mir unwahrscheinlich. Was also ist passiert?

Stellen die Firmen jetzt vermehrt Geisteswissenschaftler ein, wo sie keine Ingenieure bekommen? Das kann ich nur in sehr geringem Maße feststellen. Gebe ich bei Kimeta Maschinenbauingenieur ein, bekomme ich etwa 2.500 Stellen, bei Politologe zwei, für Geisteswissenschaftler ebenso zwei, macht vier. Sind also die Stellen jetzt alle beim Arbeitsamt zu finden? Ich gehe also zur Jobbörse des Arbeitsamts, um mir die Sache vor Ort anzuschauen. Nix da. Drei Geisteswissenschafler.

boxspringEiner soll Boxspring-Betten verkaufen. Na, das ist ja ein Traumjob. Ich suche nach Politologe…. Und Treffer. Immerhin 23 Ergebnisse. Und dann probiere ich noch Philosoph. So einen sucht das Bundespräsidialamt. Insgesamt sind die Stellen in diesem Bereich weniger bei Wirtschaftsunternehmen als vielmehr bei Institutionen, von der Linken bis zu den Gewerkschaften über die Verbraucherzentralen.

Stellenzuwachs für Geisteswissenschaftler, überall nur nicht im Maschinenbau…

Der Stellenzuwachs ist offensichtlich nicht darauf zurückzuführen, dass wir uns endlich angloamerikanische Flexibilität aneignen und erkennen, dass auch Philosophen Banken leiten können. Er bezieht sich auf den institutionellen Bereich. Möglicherweise gibt es ein paar mehr Möbelhäuser, die jetzt Akademiker einstellen und dabei auch die in Kauf nehmen, die etwas mit weniger Berufsbezug studiert haben. Nur werden die Betroffenen das mögen? Meine Erfahrung: Nein. Viele studieren mit der Hoffnung auf Aufstieg, vor dem Hintergrund der gebetsmühlenartigen Predigt von niedriger Akademikerarbeitslosigkeit. Dass die Akademisierung auch dazu führt, dass Aufstieg immer unwahrscheinlicher wird, sagt ihnen keiner.

Droht ein Schweinezyklus bei den Ingenieuren?

Schauen wir auf die andere Seite, bei den Ingenieuren nach. „Mittlerweile legt jeder fünfte Absolvent sein Examen in den Ingenieurwissenschaften ab. Mit 77.800 Ingenieuren gab es zwölf Prozent mehr als im Vorjahr.“ Der Ingenieurmangel ist auf die geringe Absolventenzahl in den 1990er Jahren zurückzuführen. Seit 2002 steigt die Zahl der Ingenieure. Doch die Zahl der offenen Stellen nahm, siehe oben, 2013 ab. Gilt das nur für die Arbeitsagentur? Nein, auch der Engineering-Index von Hays zeigt Einbrüche. 2014 steigt er bei Hays wieder leicht an.

Schon im Bericht 2011 verzeichneten Ingenieure nur ein Plus von 8 Prozent, in anderen Bereichen fiel dieses deutlich höher aus, etwa bei den Naturwissenschaften. Was macht die Digitalisierung mit dem Produktionsstandort Deutschland? Wohin gehen all die Ingenieure, wenn es nichts mehr zu produzieren gibt, selbstfahrende Taxis durch die Straßen kurven und keiner mehr Autos kauft? Werden sie Drohnen konstruieren? Oder: Werden wir wie Großbritannien in 20 Jahren doch noch zu einer reinen Dienstleistungsgesellschaft? Was machen dann Ingenieure und vor allem Konstrukteure? Und sind analytisch ausgebildete Mathematiker und Physiker möglicherweise den Herausforderungen des Digitalen besser gewappnet?

Als Praktikerin erkenne  ich im Moment keinen wirklichen Ingenieurmangel, dafür sind Einstellungsprozesse zu zäh, die Übergangszeiten von Job zu Job zu lang und die Bewerberquoten zu hoch. Und dafür sind auch die Angebote zu schlecht: Boxspring-Betten sollen Ingenieure zwar nicht verkaufen, aber leichter zugängliche Jobs finden sich auch für sie immer öfter als Leiharbeiter in der Arbeitnehmerüberlassung oder in unattraktiven Regionen. Wenn all die neuen Ingenieure auf den Markt strömen, verjüngt sich diese Berufsgruppe in den nächsten Jahren erheblich. Dass es in absehbarer Zeit dann ein Überangebot gibt, ist auch ohne komplettes Dienstleistungsszenario wahrscheinlich – Schweinezyklus. „Mit Karacho in den Schweineyzklus“ titelte Matthias Kaufmann in Spiegel Online schon 2011. Mein Beitrag „der Große Bluff mit MINT-Geruch“ schlug in eine ähnliche Kerbe.

Was steckt also hinter dem zurückgegangenen Stellenzuwachs – außer einem ersten Zeichen der Sättigung und eine Verlagerung auf Naturwissenschaften? In die Statistik gehen beim Arbeitsamt gemeldete Stellen ein. Das sind nicht unbedingt die, die wir auch bei Stepstone finden. Sie werden eher von kleineren Unternehmen geschaltet oder von Institutionen. Zudem kündigte sich schon 2013 der konjunkturelle Umschwung an, der jetzt langsam deutlich wird. Im vierten Quartal stagniert die Produktion.

Auf den Arbeitsmarkt wird das nur geringe Auswirkungen haben, sagen die Experten. Aber möglicherweise gibt es indirekte Folgen, in dem der Trend zur Leiharbeit weiter zunimmt und eben immer mehr Akademiker trifft. Schon jetzt sind 10 Prozent aller Leiharbeiter „mit Studium“. Leiharbeit ist ganz sicher nichts, was sich die Menschen erträumt haben, die mit viel Hoffnung in ein Studium starteten.

Akademiker sein, ist nichts Besonderes mehr.

Kommen wir zu den weniger brisanten Punkten: Das Studium wird zum Regelabschluss. Jeder fünfte Erwerbstätige hat inzwischen einen akademischen Abschluss. In der Gesamtbetrachtung fallen die Akademiker indes kaum ins Gewicht. Wie dazu allerdings die Aussage passt „Der Anteil von Personen mit tertiärer Ausbildung zwischen 25 und 64 Jahren belief sich im Jahr 2013 in Deutschland auf 2,4 Prozent“ ist mir nicht klar – Tertiär ist Bildungskauderwelsch und heißt – vereinfacht – Studium. Es würde ja bedeuten, dass unter den Nicht-Erwerbstätigen der Anteil extrem gering sein muss (20% Erwerbstätige mit Hochschulabschluss vs. 2,4% Personen mit tertiärer Bildung). Wer hier Licht reinbringen kann, Kommentare willkommen.

Mit Abstand die meisten Akademiker sind im Bereich Wirtschaftswissenschaften verzeichnet, danach kommen Ingenieure, wenn man auch Naturwissenschaftler und Informatiker dazu zählt. Es folgen Lehrer und Sozis (Sozialpädagogen). Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler haben quasi Exotenstatus. Wo sind die mit den doppelten und dreifachen Studienabschlüssen von denen es immer mehr gibt? Und ist nun ein Psychologe mit MBA ein Wirtschaftswissenschaftler? Viele Unklarheiten im Bericht.

Teilweise 57% Selbstständige

Selbstständige Akademiker sind in einigen Berufsgruppen über- und in anderen unterrepräsentiert. Die Selbstständigkeit ist höchst ungleich verteilt: Unter künstlerischen und journalistischen Tätigkeiten ist sie mit 57% dominierend, auch Zahnärzte und Psychologen sind zu über 40% selbstständig, dürften aber finanziell ungleich besser da stehen, vor allem die Zahnärzte. Unter Ingenieuren ist die Quote mit 8% unter dem Durchschnitt aller selbstständigen Akademiker, der im Bericht nicht explizit genannt ist. Ganz anders sieht es bei den Architekten aus, hier arbeiten gut die Hälfte auf eigene Rechnung.

ba_selbststaendigWarum machen sich Ingenieure so selten selbstständig? Die Antwort ist wohl: Es lohnt sich nicht, ein Ingenieurbüro zu betreiben, derzeitige Inhaber finden keinen Nachwuchs. In der freien Wirtschaft verdienen Ingenieure mehr. Dort ist das Leben im Moment bequemer.

 

Frauen suchen sich mies bezahlten Akademikerjobs

Unter den Sozis sind 3 von 4 Frauen, unter den Ingenieuren nur 10 von 100. Hier zementiert sich der Gender Pay Gap, der aktuell bei 22% liegt. Verglichen werden indes nur Bruttolöhne von Männern und Frauen – und zwar auf Stundenbasis. Der finanzielle Nachteil von Frauen durch familienbedingte Ausfallzeiten und Teilzeit ist also viel größer, wenn man bedenkt dass etwa im Bereich der Sozialarbeit und Sozialpädagogik Teilzeit viel verbreiteter ist und durchaus nicht immer nur selbst gewählt.

In einem zweiten Teil werde ich mir die einzelnen Bereiche näher ansehen. Dank für den Hinweis auf den Bericht und seine – doch durchaus – hohe Brisanz an Bildungsexperte Lars Hahn.

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

8 Kommentare

  1. Heiko Stein 11. September 2014 at 13:37 - Antworten

    “Mehr Stellen für Geisteswissenschaftler als für Ingenieure?” bringt beides in einen Zusammenhang, der in der Grafik nicht gegeben ist und legt den Fehlschluss einer Verschiebung nahe. Dabei geht es in der Grafik um die Zuwächse der gemeldeten offenen Stellen. Der sagt nichts über die tatsächliche Zahl, sondern nur etwas über die Veränderung der beiden Segmente Geisteswissenschaftler und Ingenieure unabhängig voneinander in einem bestimmten Zeitraum aus.

    • Svenja Hofert 11. September 2014 at 13:45 - Antworten

      das stimmt, es geht um den Zuwachs in 2013 – ich hab das noch mal deutlicher in der Headline gemacht. LG SH

  2. Kai G. Werzner 11. September 2014 at 14:35 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert,

    ich weis grad nicht wie ich auf diesen Artikel reagieren soll! Habe ihn nun zum 5.Mal durchgelesen auch die Arbeitsamtsstatistik.
    Ich schwanke grad so zwischen herzhaftem sarkastischem Lachen und einem Wutausbruch. Ok da hat sich die letzten Tage mal wieder etwas angestaut an Absagen die reingeflattert sind oder die doch so hilfreichen Gespräche im Jobcenter und ihren Maßnahmen um die doch so niedrig Qualifizierten weiter zu demütigen mit Trainingsmaßnahmen um sie für den Niedriglohnsektor willig zu prügeln.
    Schaut man sich auch noch die geopolitischen Entwicklungen an, dann – nun ja dies möcht ich hier nicht runterschreiben ich sag einfach einmal – sieht es echt düster aus mit unserem jetzigen Wirtschaftssystem.
    Nach den Prognosen von Gunter Dueck wird sich der präkäre Arbeitsmarkt auch für Akademiker – und dieser Ansicht schließe ich mich auch an – in den nächsten Jahren massiv erhöhen. Da es ja anscheinend zu einer Akademisierung auch der normalen Arbeitsplätze kommt.
    Aber was sagt noch die letzte OECD-Studie in bezug auf den deutschen Bildungsgrad aus – es sind immer noch zu wenige Akademiker!
    Ich hab einfach nur noch ein verzweifeltes Krinsen im Gesicht bei so vielen Akademikern aus meinem Bekannten- und Freundeskreis im Hartz IV-bezug die sich überlegen, welchen Studienabschluß sie denn nun jetzt noch machen könnten, so wie auch ich.
    Natürlich freuen wir uns über jede Prophezeiung es könnten in Zukunft mehr Geisteswissenschaftler eingestellt werden.
    Wir fragen uns nur wo diese Arbeitsplätze zu finden sein werden.
    Mit freundlichen Grüßen
    Kai G. Werzner

    • Svenja Hofert 11. September 2014 at 15:01 - Antworten

      Hallo Herr W, kann die Wut total nachvollziehen, das empfinde ich oft auch. Was hinter den Zahlen genau steckt ist ganz schwer zu analysieren, aber der Verkaufsberater für Boxspring-Betten zeigt schon ein wenig an, was ich auch öfter sehe: Da werden Stellen zunehmend akademisiert, ich denke, das wird bis ins Friseurhandwerk gehen. Nicht aufgeben, es gibt doch Lichtblicke und so ein kleiner ist in der Statistik ja dann doch drin. LG SH

  3. Heiko Stein 12. September 2014 at 10:07 - Antworten

    Für ein klein wenig Licht im Zahlendschungel: http://bit.ly/1tFOLd3

  4. Susanne Gamm 14. September 2014 at 15:25 - Antworten

    Wie ist denn das mit den Juristen, auch sie sind Geisteswissenschaftler? Hier gab und gibt es schon immer mehr Arbeitssuchende als offene Stellen.
    Gibt es für diesen Arbeitsmarkt auch eine Statistik?

    • Svenja Hofert 14. September 2014 at 15:28 - Antworten

      Bei den Juristen sieht es im Moment ganz gut aus. Ich mache dazu noch eine Detailübersicht nach Berufsgruppen. LG SH

  5. FE 26. Februar 2015 at 14:58 - Antworten

    Ich stimme voll und ganz zu – Dipl.-Kfm. & MBA, ehem. Invenstment Banker, jetzt kurz vor Hartz IV…

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