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Der Aufstieg einer dritten Klasse: Geschichte und Zukunft der Freelancer (Teil 1)

Veröffentlicht: 21. März 2013Kategorien: Führung & Organisation

„Es ist so langweilig. Alle interessanten Tätigkeiten macht jetzt die Unternehmensberatung“, klagte eine Bankerin. „Ich organisiere nur noch. Ich beneide die Freelancer“, meint ein Manager.

Das ist die schöne neue Arbeitswelt aus Sicht der Angestellten: Jobs in Unternehmen werden Schritt für Schritt professionalisiert, effizienter gemacht, Schritte automatisiert, Freiräume beschnitten. Wer in einem großen Unternehmen arbeitet, wird irgendwann nur noch Hebel drücken – übertragen im Sinn oder direkt an der Maschine. Organisieren  und koordinieren, kalkulieren und verhandeln bleibt das Los der Angestellten – da geht es dann zum Beispiel um den Einsatz der Freelancer und deren Kosten. Einzig vor der Forschung & Entwicklung macht Outsourcing halt, aber auch hier gibt es Tendenzen, Arbeitsschritte auszulagern.

Matthias Horx prognostizierte einst im Spiegel-Interview für das Jahr 2050 30-40% Selbstständige.  In den USA sind wir da schon: „According to the Freelancers Union, one in three workers are now toiling as freelancers, temps, “permalancers”, perma-temps, contractors, contingent workers, etc.”   Womit wir auch gleich ein paar Begriffe haben, die neu sind. Permalancer zum Beispiel.

Wann fing das alles an? Wohin steuern wir? Um das zu sehen, sollten wir uns anschauen, was bisher passiert ist.

Entstehung einer Dreiklassen-Freiberuflerschaft

Copyright: Svenja Hofert

Bei uns in Deutschland und auch in Österreich werden Freelancer in einen Topf mit Freiberuflern – also den Angehörigen der freien Berufe – geworfen, doch hier brutzelt im gleichen Öl, was  nicht zusammen gehört.

Während es freie Berufe laut Gelehrtenmeinung schon im alten Rom gab und der Bund Freier Berufe gerade über deren Ursprung forscht, sind jene Freelancer, die die Freelancers Union im Zitat meint, ein Phänomen, das erst in den 1990er Jahren richtig Fahrt aufnahm. Es handelt sich bei ihnen nicht um  Freiberufler im Sinne einer gesellschaftlichen Elite, sondern vielmehr um Solounternehmer, die in der positiven Definition unabhängig arbeiten und in der negativen bar jeder Sozialversicherungsrechte sind.

„Die freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt“, schreibt das deutsche Partnerschaftsgesellschaftsgesetz,  nach dem sich Freiberufler etwa in Sozietäten zusammenschließen.

Die Orientiertheit am “höheren Wissen” rechtfertigt in Deutschland die Gewerbesteuerfreiheit und besondere Honorarordnungen. Diese allerdings gelten nur für den verkammerten Teil der freien Berufe, was der EU schon länger ein Dorn im Auge ist, da die Honorarordnungen Wettbewerb einschränken.

Noch jedoch sind diese verkammerten Freiberufler Zugehörige einer bevorzugten Klasse, die – auch wenn Ärzte immer wieder jammern – im allgemeinen gut verdient.  Zur zweiten Klasse gehört eine Gruppe von Freiberuflern, die zunächst überwiegend Gewerbetreibende waren, bis sie nach und nach als Freiberufler identifiziert wurden: die Informatiker oder jene, die informatiknah arbeiteten. Ab den 1990er Jahren strömten sie reihenweise in die Unternehmen und arbeiteten dort in Formen, die man im angloamerikanischen Sprachraum „Contractor“ nennt. Diese Freiberufler, die zunächst steuer- und standesrechtlich keine waren, bekamen Projektverträge. Das war seit den 1970erJahren etwa auch im Bauingenieurwesen verbreitet, vor allem auf internationalen Baustellen. Wann sich erstmals „Zwischenhändler“ einschalteten, also Agenturen, die solche Freelancer in Projekte „stafften“? Das konnte ich bisher nicht ohne einen längeren Bibliotheksaufenthalt herausfinden.

Wie die erste Klasse, arbeitet auch die zweite mit ihrem Wissen. Doch kein Staat reglementiert sie, wie das bei Ärzten und Architekten der Fall ist. Diese zweite Klasse ist keine Elite im Steuer- und Standessinn, besitzt aber zwei Merkmale, die die erste nicht hat:

  • Sie arbeitet IN Unternehmen, und dort vorwiegend in Projekten.
  • Sie verdient gut, zwischen 70 und 150 EUR/Stunde.
  • Sie hat Dienst-Verträge MIT Unternehmen oder Mittlern, die zeitlich befristet sind und dadurch eine gewisse zeitliche Sicherheit bieten.

Viele meiner Klienten gehören zu dieser Klasse. Kaum einer davon würde je angestellt arbeiten. Sie schätzen vor allem, dass sie als freie Projektmitarbeiter mit der Firmenpolitik wenig zu tun haben. Geld gegen Wissen – das ist ihr Deal.

Damit unterscheidet sich diese Gruppe von der dritten Klasse, die in der Regel im Home Office tätig ist oder in einem Co-Working-Space. Deren Merkmal ist:

  • Sie arbeitet FÜR Unternehmen oder Institutionen.
  • Sie verdient schlecht, zwischen 15 und 80 EUR/Stunde.
  • Sie hat wenig Sicherheit im Sinne eines Dauereinkommens.
  • …allerdings hohe Flexibilität durch die Möglichkeit zu Hause oder in Bürogemeinschaften und im Co-Working zu arbeiten.

Die dritte Klasse ist in sich gespalten wie keine der anderen Klassen: Ein Teil, meist der, der geringer verdient,  hat diese Existenzform nicht selbst gewählt und kämpft mit den schlechter werdenden Marktbedingungen und mit der zwingenden Notwendigkeit, sich unternehmerisch zu verhalten. Ein anderer Teil, meist der, der diese Form der Unabhängigkeit wollte, verteidigt sie als ideale Lebensform, da sie maximal flexibel ist. Alle Klassen wachsen, doch die zweite und dritte Klasse in den letzten Jahren ganz extrem. Inzwischen sind es 1,2 Millionen Freiberufler. Jedes Jahr steigt die Zahl um mehr als 4%. Nun ist das Problem, das diese Zahl in Deutschland der Verband freier Berufe erhebt und wie wir festgestellt haben, Freiberufler nicht gleich Freelancer ist. Es könnten also mehr sein, wenn man bei den gewerblichen Solounternehmern reinschaut. Auch hier die klare Tendenz zu immer mehr Individualgründungen.

Ich bin mit Mitarbeitern und verschiedenen Einzelunternehmen kein Freelancer, weder im Sinne des Freiberflers noch des gewerblichen Solounternehmertums, aber ich habe als Freelancerin begonnen. Das war 1999, ganz selbstverständlich habe ich damals einen Rahmenvertrag für freie Mitarbeit gefordert, es kann also damals nichts Neues gewesen sein, obwohl ich mich rückblickend über die Selbstverständlichkeit wundere.

Wie bin ich darauf gekommen? Ich versuche mich zu erinnern, wann ich Menschen, die auf eigene Rechnung arbeiten, das erste Mal wahrgenommen habe. Während des Studiums habe ich es selbst getan; ich schrieb Artikel auf Auftragsbasis. Anfang der 1990er engagierte ich als Angestellte selbst Freiberufler, etwa für den Entwurf. Da muss das schon selbstverständlich gewesen sein.

Ich lese nach, wie sich meine Beobachtungen wissenschaftlich abbilden. Drei Wellen der Virtualisierung erkennt Lynda Gratton, Managementprofessorin an der London Business School. Mit der ersten, in den 1980er Jahren wird es attraktiv, Aufträge mit nach Hause zu nehmen, die von mir so benannte Klasse drei breitet sich aus, denn die aufkommende E-Mail Anfang der 1990er Jahre macht anspruchsvollere Homework möglich. Ich erinnere mich an eine Kollegin, die Mitte der 1990er in den Süden ging, um von dort frei zu arbeiten. Das war ein bißchen ungewöhnlich. Die zweite Welle der Virtualiserung erkennt Gratton in der verstärkten virtuellen Teamarbeit nach dem 11. September, die Angestellte und Freelancer verbindet. Die dritte im Co-Working, sie ist gerade im Gang mit einer Steigerung von 250% im letzten Jahr – so viel mehr Co-Working-Officees gab es da im Vergleich zum Jahr davor, weltweit.

Unabhängig davon verbreitete sich seit den 1980er die Projektarbeit vor allem in der Informatik, die eine weitere Erklärung  für wachsende Freelancerzahlen liefert und vor allem Klasse Zwei füttert. Warum jemand einstellen, wenn man nur zeitweise Fachwissen braucht? Dieser Gedanke verbreitet sich seitdem. Womit wir beim Ausgang sind: Für Angestellte fallen damit viele interessante fachliche Aufgaben weg.

Wie wird es weitergehen? Wohin führt dieser Weg außer zu einem in 2050 vermutlich ausgeglichenen Verhältnis zwischen Angestellten und Freiberuflern. Darüber schreibe ich im zweiten Teil.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

One Comment

  1. Freiberufler 29. Oktober 2016 at 21:33 - Antworten

    Hilfeicher Artikel. Viele Informationen zur Geschichte der Freiberufler waren mir unbekannt.

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