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Digitalsklaven oder: Warum digitale Berufe oft nicht human sind

Veröffentlicht: 14. März 2015Kategorien: Führung & Organisation

WirtschaftdeliktePeter hat einen Job der sich wirklich cool anhört. Einen Beruf mit Zukunft? Creative Ad System Technology Engineer. Ich hab das jetzt erfunden. In Wahrheit heißt der Job nur so ähnlich. Wie viele dieser Art. Jobs aus einem Zeitalter, das seine Berufe verloren hat. Peter wird kündigen. Das weiß ich, aber sein Arbeitgeber noch nicht. Er hat geerbt. Das macht ihn unabhängig. An seinen Job hat er schon lange keine Bindung mehr.

Lieber wird er etwas Soziales machen, ohne dafür Geld zu bekommen. Etwas, bei dem er sich bewegen kann. Etwas, das bleibt. Peter ist das, was ich einen Digitalsklaven nenne. In seinem gut klingenden Job verbringt er die Tage vor dem PC. Neue Berufe mit Zukunft sehen oft so aus: 90-100% Bildschirmarbeit. Im Großraumbüro.  Man kann die Arbeit nicht selbst gestalten, die Produktionsmittel weder besitzen noch auswählen und ist Gefangener von Effizienzvorgaben.

Man könnte sagen: Was für eine inhumane Aufgabe, und so gar nicht zukunftsorientiert. Titel-Blenderei, Digitalhype, Technikgläubigkeit: Viele erwarten von der New Work eine Wende zum Humanen. Manche sehen die Wirklichkeit. Thomas Sattelberger sprach heute auf dem von Xing mitorganisierten New Work Day im Rahmen des „Work in Progress“  auf Kampnagel über das „Maschinenmodell der Führung“. Er meint damit, dass es nur noch um die Ausführung von Befehlen geht, die alle nur eine Marschrichtung kennen: Effizienz.

Ich beobachte, dass wir uns in den letzten Jahren immer weiter von einer humanen Arbeitsgestaltung entfernen, und die Technologie hat das verursacht. Nicht die teilautonomen, kooperativen Arbeitsgruppen der skandinavischen Länder, in den 1970ern initiiert durch Volvo und Saab, haben sich durchgesetzt, sondern Lean Management und Business Process Engineering. Sie sind effizienter. Menschen leisten mehr, wenn sie so arbeiten. Zufriedener sind sie in selbstorganisierten Gruppen mit hohem Gestaltungsfreiraum, doch das zählt heute wenig. Motivationstheoretischen Konzepten der Arbeitsgestaltung widerspricht die Art, wie wir heute arbeiten…. wenn wir keine Innovationsschmiede oder Berater sind.

Legen wir das Job Diagnostics Survey (JDS) von Hackman und Oldham zugrunde, das eine motivationsfördernde Aufgabe durch acht Eckpunkte definiert. Wie schneidet bei der Betrachtung durch diesen Ansatz Peters Tätigkeit ab?

1. Ganzheitlichkeit

Viele Digitalsklaven arbeiten nicht ganzheitlich. Die einen kümmern sich um den Linkaufbau, die nächsten machen nichts anderes als GoogleAds zu optimieren oder sogar Teilbereiche. Dies ist nicht motivationsfördernd, weil das „Rad“, das hierbei zu drehen ist, oft viel zu klein ist.

Der erfundene, aber nichtsdestotrotz real existierende  Creative Ad Technology Engineer muss Werbeanzeigen im Internet hinsichtlich der Klick- und Konversionsraten optimieren. Wie das zu geschehen hat, ist vorgeschrieben. Um Inhalte geht es dabei nicht.

Das ist ein großer qualitativer Unterschied zur Konzeption einer Werbekampagne in einer klassischen Werbeagentur. Es ist eindeutig weniger ganzheitlich.

2. Denk- und Planungserfordernisse

Trotz toller Titel, sind die Denk- und Planungserfordernisse der Digitalsklaven oft moderat. Sobald ein gewisses Wissen aufgebaut ist, wird die Arbeit zur reinen Routine, zum Abarbeiten von Vorgaben. Die intellektuelle Ebene wird nicht angesprochen. Gerade diese ist aber wichtig für Arbeitszufriedenheit. Vor allem für Akademiker, und nur solche werden auf diese Jobs gesetzt, ist diese mangelnde intellektuelle Ansprache frustrierend.

Für Peter gilt: Die Planung der eigenen Arbeit ist kaum möglich. Es ist alles vorgeschrieben, auch zeitlich.

3. Kommunikation

Ich habe Digitalsklaven gesprochen, die kaum 5 Prozent des Tages mit „Menschen“ reden, und damit meine ich nicht E-Mail, Messenger etc. nutzen, sondern sprechen, reden, interagieren. Kommunikation ist ein Überlebenselixir. E-Mail kann sie nicht ersetzen.

Peter soll nicht mit Kunden sprechen – oder rausgehen und sich vorher beim System abmelden. Telefonieren geht im Großraumbüro ohnehin schlecht. Der Geräuschpegel. Die Programmierer lieben ihre Ruhe.

4. Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten

Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten gibt es in vielen dieser Jobs nicht, weil die Jobs aus Routinen bestehen. Vor allem Agenturen und kleinere Unternehmen haben kein Interesse, ihre Mitarbeiter zum Über-den-Tellerrand-Denken aufzufordern. Sie wollen, dass die Ziele erreicht werden, der Rest ist ihnen egal. Siehe Sattelberger – das Maschinenmodell der Führung.

Auch Peter hat in den drei Jahren seiner Tätigkeit alles, was er lernen musste, in den ersten sechs Wochen gelernt. Sein Wissen erneuert sich höchstens dahingehend, dass er eine technische Möglichkeit in seine Arbeit integriert, die noch mehr Effizienz bringt.

5. Anforderungsvielfalt

Stellen Sie sich einen Digitalsklaven vor, der den ganzen Tag nur SEO-Texte optimiert. Es ist eine elende, einseitige, langweilige, unkreative Tätigkeit. Ähnlich ist es mit Linkaufbau, Tracking-Kontrolle… kurzum mit allen Tätigkeiten, die zu speziell sind und nicht eingebettet in ein Gesamtkonzept. CAD-Konstrukteure im Ingenieurwesen arbeiten übrigens oft genug ähnlich anforderungsarm. Viele wissen nicht, welchen Teil zum großen Ganzen sie beitragen. Abwechslung – kaum.

Peter stört, dass er keine Ergebnisse sieht, die irgendeinen Sinn hätten. Nun gut, ein Klick mehr. Aber das ist ein ganz anderes Gefühl als wenn man etwas komplett verantwortet. Kein Hochgefühl.

6. Durchschaubarkeit der Arbeitsabläufe

Viele Digitalsklaven wissen nicht an welcher Schraube sie drehen. Sie lernen nur den kleinen Ausschnitt kennen, der ihr Job ist. Das gilt generell für Menschen, die Teilprozesse bearbeiten und das große Ganze nicht mehr sehen. Jeder Mensch möchte wissen, wie das Auto entsteht, dass er am Ende fährt… und stolz sein, für die Textilbezüge zuständig gewesen zu sein.

7. Gestaltbarkeit der Arbeitsbedingungen

Ich muss selbst entscheiden können, wie ich arbeite und womit. In immer mehr Firmen ist das vorgeschrieben. Es gibt keine Wahlmöglichkeiten mehr. Der Bildschirm zeigt die Lösung, man muss ihr folgen… Arbeitsmittel sind nicht frei wählbar, der Kunde muss die Antwort per Mail-Textbaustein erhalten… Ich, Mitarbeiter, darf ihn nicht einfach anrufen.

Peter hat genaue Vorgaben aus den USA. Er muss Ziele erreichen. Darauf hat er nur bedingten Einfluss, da er die Kreativität der Anzeige nicht mitbestimmen darf. Auch wo diese geschaltet wird, hat keinen Einfluss – das wird von Programmen errechnet.

8. Zeitelastizität

Das bedeutet, dass man selbst bestimmen kann, wann und wie lange man erwartet, zumindest in einem (eben elastischen) Rahmen. Heute gingen Inaktivitätsprotokolle von Amazon via WELT durch das Internet, in denen deutlich wurde, dass der Internetriese jeden Schritt seiner Mitarbeiter protokolliert. Big Brother is watching you zeigt im Vergleich dazu harmlose Szenarien.

Während die einen von kompletter freier Zeiteinteilung sprechen und diese vielfach auch leben, werden andere auf Schritt und Tritt kontrolliert. Auch Peter. In immer weniger Zeit muss er immer mehr packen und die Zeitfenster werden ständig verkleinert… Es leben die 1980er. Sagt übrigens auch Sattelberger, nicht bezogen auf digitale Kontrolle, sondern auf Führung.  Dazu Montag mehr.

Und Sie? Wenn Sie die acht Punkte mit Ihrer Arbeit übereinanderlegen? Wie human ist diese dann? Freue mich auf Feedback.

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

11 Kommentare

  1. Lars Hahn 14. März 2015 at 10:47 - Antworten

    Das Maschinenmodell der Führung ist Teil der Digitalen Revolution von Arbeit. Spannende Sicht von Dir. Wieder mal.

    Und alle Achtung: Du bist jetzt aber auch schnell mit Deinem #wiphh-Beitrag. 😉

    Gut dass wir keine Digitalsklaven sind. 🙂

    • Svenja Hofert 15. März 2015 at 9:52 - Antworten

      Hi Lars, der Artikel war fertig, da kann mir das Maschinenmodell vor die Flinte… So schnell geht das. LG Svenja

  2. Stefanie S. 14. März 2015 at 16:06 - Antworten

    Titel-Blenderei, ein wirklich netter Ausdruck.
    Mein Gefühl: Je geringer der akademische Abschluß, desto fantastischer die Titel.

    Also: Krankenschwester mit Titel: Medical Manger Super Vice President

    Die Frage ist aber: Sind die beschriebenen Arbeitsabläufe wirklich effizient?

    Wikipedia: Wirtschaftlichkeit, Kosten-Nutzen-Relation oder rationaler Umgang mit knappen Ressourcen

    Das beschrieben Vorgehen ist eben oft nicht effizient und eben eine Frage des Managements (nichts hinterfragen, ..)

    Das heißt, Positionen werden eben oft nicht nach Skills, sondern anderen Kriterien vergeben.

    Kann eine Krankenschwester genauso effizient operieren wie ein Chirurg?

    Kann eine Sekretärin genauso effizient unterrichten, wie ein Lehrer mit 7 Jahren Ausbildung?

    Kann ein Maurer genauso effizient die Stabilität eines Hochhauses berechnen wie ein Bau-Ingenieur?

    Kann ein Industrie-Mechaniker genauso effizient Software-Systeme planen, designen und algorithmieren, wie ein Informatiker?

    • Svenja Hofert 15. März 2015 at 9:44 - Antworten

      Hallo Stefanie S., dieses Gefühl ist teils richtig – ein schnell gemachter Auslandsbachelor oder ein Abschluss an einer unbekannten Privatakademie scheint Recruiter zu locken, die sich speziell diese Leute angeln. Aber eben nur teilweise: Ich sehe Leute mit hochwertigen Uniabschlüssen, die solche Arbeit machen, die man ja nun auch nicht als niedrig qualifiziert bezeichnen kann. Kann ein Industrie-Mechaniker fragen Sie? Wahrscheinlich nicht, nur wird er es oft behaupten. Man braucht ab einem bestimmten Niveau beides: Praxis und Theorie. LG Svenja Hofert

  3. Manuel dos Santos 14. März 2015 at 20:31 - Antworten

    Gute Zusammenfassung! Leider in der heutigen Zeit im übertragenen Sinne auch auf andere Branchen/Tätigkeiten durchaus übertragbar: Kleinteiligkeit der Aufgaben wird aus Effizienzgründen gefördert – diese Teilaufgaben sind u.U. dann von vielen ohne große Erfahrung “schaffbar” – das Große und Ganze muss, bzw. soll nicht mehr interessieren und Mitdenken ist dann eher schädlich usw.. Ich sage nur Einzelhandel 🙂

    • Svenja Hofert 15. März 2015 at 9:37 - Antworten

      Ja, es gibt Studien besagen tatsächlich, dass Kleinteiligkeit – modern ausgedrückt Spezialisierung – mit Effizienz positiv korreliert, und mit Arbeitszufriedenheit negativ. Was will ich also? Tatsache ist, dass ich sehr viele Kunden habe, die sich nichts mehr wünschen würden als das Ergebnis ihrer Arbeit auch zu sehen und am Ganzen beteiligt zu sein. LG Svenja Hofert

      • der große Zampano 15. März 2015 at 18:07 - Antworten

        Ich wollte nur kurz eine kritische Anmerkung machen was den Begriff der Korrelation angeht. Mir fällt auf, dass dieser Begriff oftmals synonym dem der Kausalität gebraucht wird. Eine Korrelation bezeichnet jedoch nicht den kausalen (Ursache und Wirkung) Zusammenhang zwischen zwei “Ereignissen”.

        • Svenja Hofert 16. März 2015 at 12:07 - Antworten

          Hallo, deshalb habe ich geschrieben korreliert und nicht bedingt. Ich denke, meine Zielgruppe weiß, dass eine Korrelation keine Kausalität bedingt. Und wenn nicht: Ich kann nicht für jedes Fremdwort eine Leseanleitung mitliefern 😉 LG Svenja Hofert

  4. der große Zampano 15. März 2015 at 18:11 - Antworten

    Ergänzung:

    Sehr geehrte Frau Hofert,

    mein Kommentar soll keine unmittelbare oder polemische Kritik an Sie ihren Äußerungen sein. Ich wollte vielmehr nur auf die unmittelbaren Schwächen und Probleme so mancher für allgemeingültig erklärten Studie der “ökonomischen Gurus” verweisen. Ich entdecke sehr häufig in diesem Zusammenhang den erkenntnistheoretisch “schwachen” Begriff der Korrelation und dessen mangelnde Aussagefähigkeit.

    • Svenja Hofert 16. März 2015 at 12:08 - Antworten

      ist klar, durch Ihren Hinweis wird es denen, denen es nicht bewusst ist, vielleicht noch mal bewusst. Also Danke.

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