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Folge deinen Interessen und du findest deinen Weg? Nicht immer.
„Finde deine Interessen, das wird schon richtig sein!“ So wird vielen Berufseinsteigern geraten. Die Empfehlung basiert auf einer Grundüberzeugung, die differenziert werden sollte. Denn es gibt echte, über Jahre und Jahrzehnte stabile Interessen – und es gibt Ideen und Wunschvorstellungen. Beides wird leider oft unter demselben Namen in einen Topf geworfen. Das „ich interessiere mich für“ wird dann zur Falle, wenn man hier nicht trennt.
Echte Interessen entstehen meist schon in der Kindheit. Sie werden teils vom Elternhaus geformt, teils von der Umwelt. Interessen sollen sogar hormonell gesteuert sein, was erklärt, dass das mathematsche Interesse bei Jungs und das soziale bei Mädchen größer ist, obwohl Begabungen sich nur punktuell unterscheiden (bei Jungs finden sich mehr Ausschläge nach oben und unten; im Analytisch-Räumlichen sind sie leicht im Vorteil)
Doch was ist echt? Wer mit 9 Jahren eine App programmiert, folgt wahrscheinlich einem echten Interesse. Echte Interessen wurden oft bereits über Jahre stabilisiert – durch Feedback und Wiederholung. Interessen sind bei dem einen durch einen Umstand oder ein Schlüsselerlebnis entstanden, bei anderen aus persönliche Präferenzen. In allen Fällen sind Interessen das Leitmotiv, das nach und nach die Kompetenzen formt und stärkt. Da Interessen zur frühen Übung von Kompetenzen geführt haben, stimmt ´folgende Gleichung bei frühen Interessen oft:
= Man kann, wofür man sich interessiert.
Frühe Interessen sind wie Samen, die später aufgehen und kräftig blühen und wachsen. Es ist das große Handicap von Kindern aus bildungsfernen Schichten, dass sie zu wenig fruchtbaren Boden haben, auf denen Interessen wachsen können. Um zu testen, in welchem Bereich Interessen am stärksten sind, empfehle ich in meinem Buch „100 Tools“ den bewährten RIASEC von John Hollande. Kleiner Test, sehr aufschlussreich. Wir setzen ihn vor allem bei Abiturienten ein. Bei Opentest kann man Tests kostenlos durchführen und sich die Normwerte ziehen. Grafische Auswertungen sind sehr günstig. Studien auf Basis des RIASEC zeigen schwache bis mittlere Hinweise, dass ein Interesse im forschenden und kreativen Bereich auf stärkere kognitive Fähigkeiten hinweist, während praktisches Interesse auf geringere kognitive Kompetenzen deutet.
Erstens: Unterscheide Interessen von Ideen und Wunschvorstellungen
Konkreten Interessen geht der Test aber nicht auf die Spur. Es kommt vor, dass jemand zu keinem Bereich tendiert oder/und überall niedrige Werte hat. Oder dass die Interessen Ideen und Wunschvorstellungen sind. Die sind im Gegensatz zu Interessen nicht über einen längeren Zeitraum stabil. Sie sind auch nicht durch Üben verstärkt, sondern von außen „gezündet“. Sie kommen und gehen – etwa um in einer Clique anerkannt zu sein. Wer mit 19 denkt, es wäre cool im Bereich Mode zu arbeiten, könnte die Begeisterung bald wieder verlieren. Wer heute Coach werden will, kann zwei Jahre später wieder ganz anderer Meinung sein. Wer sich journalistisch geeignet sieht, kann das morgen wieder verwerfen. Das Prinzip gilt auch umgekehrt: etwas zunächst Uninteressantes kann auf dem zweiten und dritten Blick doch recht spannend werden.
Zweitens: Interessen sind nicht gleich Fähigkeiten
Es existiert der „Trugschluss, dass mit einer bestimmten Interessenorientierung auch bestimmte Fähigkeiten einhergehen, z. B., dass Personen mit einem hohen technischen Interesse gleichzeitig über sehr gute mathematische und räumliche Fähigkeiten verfügen. Allerdings ergeben sich in empirischen Studien vielfach nur schwache bis moderate Zusammenhange zwischen Interessen und Fähigkeiten“, lese ich in der Doktorarbeit von Katja Päßler. Meine praktische Erfahrung sagt: Menschen schätzen sich sehr leicht falsch ein, Feedbacks helfen, können aber auch irreführend sein. Das gesprächsbasierte Erfragen von Stärken, auf dem viele Coachings beruhen, hilft da wenig. Besonders typisch: Überschätzungen im kommunikativen, kreativen und textlichen Bereich sowie Unterschätzung im analytischen Bereich bei Frauen.
Drittens: Interessen helfen, aber nutzen nichts
Die Tatsache, dass Sie sich für Duft und Kosmetik begeistern, ist für Ihre berufliche Zukunft oft sekundär. Denn wirklich entscheidend für Berufserfolg, sind nicht Interessen, sondern Kompetenzen. In anderen Worten: Interessen leiten, Kompetenzen formen. Und noch anders: Interessen sind das, worin Sie Orientierung suchen, aber relevant für Ihren Erfolg werden Kompetenzen sein.
Was nützt die Kochleidenschaft, wenn Ihnen die Extraversion und das Selbstbewusstsein für eine Sterne-Koch-Karriere fehlt? (Denn TV-berühmt wird niemand aufgrund reiner Kochkunst). Was nützt das soziale Interesse, wenn Sie sich als Sozialpädagoge ewig über die schlechte Bezahlung ärgern? Was hilft Interesse an Geschichte, wenn die didaktische Kompetenz als Lehrer vollkommen fehlt oder Sie die Promotion für eine Museumskarriere nicht anstreben?
Gerade bei Menschen, die keine glasklaren, früh gesäten Interessen haben, ist deshalb der Blick auf Kompetenzen der entscheidende. Wo diese liegen, erkennt man am besten durch eine Kombination von Tests, Übungen und Gesprächen wie in unseren PersAssments.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Ich finde es nicht sehr glücklich, die Interessen gegen die Kompetenzen auszuspielen. Ich denke, dass es ziemlich egal ist, wovon wir ausgehen, weil die beiden ‘Dinge’ ja meist doch miteinander verbunden sind. Was sie noch gemeinsam haben ist, dass wir sie gar nicht wirklich kennen können, bevor wir sie nicht in der Praxis erprobt haben und dass sie sich beide entwickeln können, und zwar im Tun.
Hallo Herr Faschingbauer, sicher gehen beide Hand in Hand, aber in der Persönlichkeitspsychologie werden sie “getrennt”. Das ist sinnvoll, wenn wir mal ein Beispiel wie das Interesse an “Mode” nennen und die Kompetenz “Kreativität”. Angenommen das Interesse ist da, aber die Kompetenz nicht (Kreativität = Offenheit und Norkonformität, fluides Denken und Flexibilität). Dann führt nicht das Interesse zu einer guter Berufsorientierung, sondern der Blick auf die Kompetenz – und noch mehr auf Motivationen. LG Svenja Hofert
Echt gut .