Er ist nicht mehr gesellschaftsfähig bei kaum  mehr als drei Millionen Arbeitslosen. Es gibt doch Jobs genug. Da brauchen wir doch nicht noch mehr Klein- und Solounternehmer, deren Schar in den letzten 10 Jahren von einer auf zwei Millionen gewachsen ist.  Deshalb soll es ihm an den Kragen: dem Gründungzuschuss. Natürlich ist dies nicht die offizielle Begründung der zuständigen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, sondern meine Interpretation. Die offizielle bezog sich letztes Jahr, als man schon mal beschneiden wollte, noch auf die Kassenlage. Dieses Jahr zückt man eine andere Karte und wird sicher die passende Studie präsentieren: den Missbrauch. Doch allzu unglaubwürdig klingt das Lied von der Ausnutzung dieses Fördermittels, wenn man die früheren Erfolgsstories des Gründungszuschusses betrachtet, die etwa noch 2009 vom Institut für Arbeitsmarktfoschung gemeldet wurden. Und das Argument, diese kleinen Selbstständigen zahlten ja nicht in die Sozialkassen, hinkt nicht nur , sondern fährt im Rollstuhl.

Erstens: Ein nicht unwesentlicher Teil der Solounternehmer ist über die Künstlersozialkasse als Journalist, Designer oder Schauspieler pflichtversichert in der Rentenversicherung (Krankenversicherung ja sowieso) – zahlt also brav und alles andere als freiwillig. Gleiches gilt für Dozenten und Trainer sowie Handwerker ohne Mitarbeiter. Bleibt eine Gruppe von Solounternehmern, die bestens für sich selbst sorgen kann: IT-Freelancer etwa oder Unternehmensberater. Statt Rentenversicherung zahlen diese kräftig Steuern: Einkommenssteuer meist in der höchsten Progressionsstufe, also mit 45%, und Umsatzsteuer. Das müsste Papa Staat doch glücklich machen? Von hier kommt mehr Geld als von manchem Angestellten. Wahrscheinlich sogar konstanter, denn die Burnoutquote unter fröhlichen Selbstständigen dürfte weit niedriger liegen als unter der “Normal”-Angestelltenbevölkerung.

Zweitens:  Viele Angestellte zahlen auch kaum in die Rentenkasse, weil sie zu wenig verdienen. Die Schere zwischen den guten und schlechten Jobs wird immer größer, Bruttogehälter von 2000 bis 3000 EUR für Vollzeit – wohlgemerkt im akademischen Bereich – vermehren sich kräftig. Und:  Anders als früher haben die Mitarbeiter in diesen Jobs kaum mehr eine Aussicht auf Gehaltssprünge; diese Gehälter bleiben dauerhaft auf niedrigem Niveau, und zwar überall dort wo keine gefragten Themen bedient werden, sondern Leidenschaften, also in Kultur, Medien, Marketing, Gesundheit und dem Sozialen. Viele der Solounternehmer kommen aber exakt aus diesen Bereichen, würden also angestellt auch nichts zahlen, wenn sie überhaupt etwas fänden. Die Katze beißt sich also in den eigenen Schwanz. Rentenkasse ist kein Argument. Reformiert dieses veraltete Instrument und schafft ein Grundeinkommen für alle – und dann weg mit den ganzen Kontrollinstanzen.

Denn: Missbrauch gibt es überall, beim Gründungszuschuss, beim Arbeitslosengeld II, beim Wohngeld… kurzum immer dort, wo es Geld gibt. Doch wie aufwändig ist es, diesen Missbrauch zu kontrollieren? Diese ganzen Apparate, die Arbeitslose überwachen – was bitte kostet das? Wie viel sinnvoller könnte man das Geld darin investieren, Menschen mit persönlicher Weiterbildung und Begleitung zu stärken? Wer bitte will sich demnächst als „Kontrolletti“ für den Gründungszuschuss aufspielen? Etwa demnächst der Fallmanager bei den Arbeitsagenturen? Ich ahne Schlimmes.

Nein, nein, liebe Frau von der Leyen, Ihnen geht es doch um etwas ganz anderes: Selbstständige, die kein Ebay oder Amazon gründen wollen, sind volkswirtschaftlich uninteressant. Da die Wirtschaft brummt, kann man auf sie verzichten. Dass die neuen Formen der Selbstständigkeit sich allerdings aus dem Bedarf einer sich verändernden Gesellschaft entwickelt haben, wird geflissentlich vergessen. Doch der Bedarf liegt nicht nur bei den Arbeitgebern, die zum Beispiel mit freien Projektmitarbeitern ihr Risiko begrenzen! Oder die, siehe Verlagswelt, Angestellte abbauen und deren Jobs durch Freelancer erledigen lassen.  Nein, der Bedarf liegt auch bei den Menschen selbst. Einer meiner Kunden brachte es neulich auf den Punkt: „Um nichts in der Welt würde ich mit einem Angestellten tauschen. Wenn es mir hier nicht mehr gefällt, gehe ich woanders hin.“ Es geht auch um persönliche Freiheit. Doch Freiheitshungrige zu unterstützen scheint unlogisch, wenn man doch Arbeitssklaven braucht.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

7 Kommentare

  1. Eva Reichmann 6. April 2011 at 11:02 - Antworten

    Ein sehr informativer Artikel – vielen Dank.
    Der Missbrauchsvorwurf ist ziemlich absurd: wer einmal versucht hat, sich von dem bisschen Zuschuss selbst zur versichern (Kranken- und Rentenversicherung!) der weiß, dass es ohne tatsächliche selbständige Einnahmen gar nicht funktioniert.

  2. Svenja Hofert 6. April 2011 at 12:45 - Antworten

    Hallo Frau Reichmann, ist er – und selbst wenn es einige zur Verlängerung der Arbeitslosengeldphase nutzen… das muss man in Kauf nehmen. Und Sie haben völlig recht: Das bisschen Zuschuss reicht einfach nicht, man muss so gut wie immer noch selbst zubuttern. LG Svenja Hofert

  3. Lars Hahn 6. April 2011 at 20:59 - Antworten

    Die BA muss sich selbst zersparen. Das ist Wunsch des BMAS. Was ist da leichter, als bei Gründern zu sparen. Die sind sowieso in der Regel bald raus aus dem ALG-Bezug. Nach dem Motto, wer sich gründen will, muss halt andere Fördertöpfe finden.
    Wenn er denn ein Darlehen bräuchte, könnte er ja “von der leihen”.

  4. Svenja Hofert 7. April 2011 at 8:32 - Antworten

    Ich freu mich immer so über Ihre Sprachspiele…. “von der leyen” – Sie haben meinen Vormittag geredet 😉 LG Svenja Hofert

  5. Hans Schürmann 11. April 2011 at 16:39 - Antworten

    Die Arbeitsämter machen sich bereits an die Kürzung des Existenzgründerzuschusses. Der Tipp, man müsse nur einen Tag arbeitslos sein, um den Zuschuss beantragen zu können, gilt nicht mehr. Mein Antrag wurde mit dem Argument abgelehnt, ich hätte ja nicht wirklich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Das heißt, nur wer über Monate arbeitslos ist und damit zeigt, dass er nicht so einfach zu vermitteln ist, kann noch auf den Zuschuss hoffen.

    • Svenja Hofert 11. April 2011 at 18:23 - Antworten

      Hallo Herr Schürmann, noch hat es keine Änderung gegeben. Die Arbeitsagenturen dürfen bei Vorliegen der Voraussetzungn (eben auch mindestens “ein Tag arbeitslos”. nicht “nein” sagen. Im Zweifel auf den Gesetzestext verweisen und nicht blöffen lassen. beste Grüße Svenja Hofert

  6. Fr. Rehm 22. November 2011 at 10:20 - Antworten

    Armes Deutschland, nun ist es so weit, die Neuregelung des Gründungszuschusses ist in vollem Gange und hilfesuchende Existensgründer (so wie mir gestern geschehen) werden mit der Begründung abgeschmettert, dass es doch in meiner Branche genug freie Stellen gäbe, das oberste Ziel wäre zunächst ein Angestelltenverhältnis anzustreben.
    Ohne Worte.
    Was tun? Was bleibt? Auswandern?

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