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Jetzt übernehmt doch mal endlich Verantwortung! Wie Sie Selbstorganisation wirklich fördern

Veröffentlicht: 16. Oktober 2016Kategorien: Führung & Organisation

Selbstorganisation ist das Führungsthema der nächsten Jahre. Viele Führungskräfte, die in der „alten“ Welt großgeworden sind, müssen sich gerade umerziehen oder umerziehen lassen. Die Gründe, aus denen selbstorganisierte Teams in Zukunft so wichtig sind? Die Digitalisierung. Mit ihr marschiert Komplexität ein. Die Varietäten, wie sich Menschen und Märkte verhalten können, wachsen einer Person über den Kopf. Hierarchische Strukturen sind viel zu unflexibel, verzögern Reaktionszeiten, gefährden das Überleben.

Eine Führungskraft kann vor diesem Hintergrund kein Oberentscheider mehr sein, Allwisser schon gar nicht. Und Immer noch aber glauben viele, alles beherrschen zu können – oder besser zu müssen. Die meisten mir bekannten Manager beklagen, dass Mitarbeiter sich nicht gerade um Verantwortung reißen. Sie würden ja, aber wollten tun die Mitarbeiter nicht! Viele denken, es selbst besser zu können. Das meistens heimlich, denn alle haben mitbekommen, dass Besserwisserei gerade schlechte Konjunktur hat. Es ist vor diesem Hintergrund durchaus leichter, den Mitarbeitern die Verantwortung für die Nicht-Verantwortungsübernahme in die Schuhe zu schieben.

Doch Teams sind Spiegel ihrer Führungskraft. Viele Manager treibt exzessives Verantwortungsbewusstsein. Geben Sie Verantwortung haben, legen sie sich misstrauisch auf die Lauer. Beim kleinsten Anzeichen von Dysfunktionalität greifen sie ein. Ich kenne das, ich bin auch so. Ich haue mir vielleicht nur etwas öfter selbst auf die Finger. Mir ist zudem öfter  bewusst, welche Mechanismen zum eigenen Verhalten führen. Das ist hilfreich, denn es fördert Reflexion.

Eine Pflichtübung für Führungskräfte sollte deshalb ein Bias-Training sein. Viele Fach- und Führungskräfte wissen immer noch nicht, wie sie funktionieren, beispielsweise wie die eigene Selbstbestätigungstendenz ihnen immer wieder Beweise für eigene Annahmen liefert – die sie besser nicht ernst nehmen sollten. Sie sollten auch verstehen, dass sie sich ihre Welt selbst konstruieren. Und zwar wirklich VERSTEHEN, nicht nur mit dem Intellekt. Legt man das Modell der Ich-Entwicklung zugrunde, beginnt dieses Verständnis erst bei E6, der eigenbestimmten Stufe.  Wie gesagt nicht intellektuell, damit hat es nichts zu tun. Ein Verständnis ist da, wenn es sich auf das Selbstverständnis auswirkt – nicht wenn man eine Doktorarbeit über ein Thema schreiben könnte. Davon bin ich fest überzeugt, auch nach vielen Gesprächen mit systemischen Überzeugungstätern, die gar kein systemisches Selbstverständnis haben.

Es gibt ein nettes Experiment, das zeigt wie gut Selbstorganisation funktionieren kann und wie kontraproduktiv eine steuernde Führung ist. Ich lasse zwei Gruppen mit Lego ein möglichst komplexes Modell bauen, etwa ein Tagungshotel oder die Organisation in 5 Jahren. Die einen haben eine Führungskraft an Bord, die anderen strukturieren sich nach agilen Methoden. Es gibt einen Auftraggeber. Dies Gruppe führt Iterationen durch, die eingebettet sind in Standup-Meetings und Retrospektiven, also ex-post-Analysen. Außerdem haben sie intern Rollen vergeben, am besten stärkenorientiert. Ziemlich sicher bringt die Gruppe mit der Führungskraft ein schlechteres Ergebnis hervor. Vielleicht ist das Ergebnis sehr kreativ, spiegelt aber mehr das Denken der Führungskraft als die Anforderungen von außen. Augenöffnend wirkt aber immer der Blick auf den Prozess. Da sind agil organisierte Gruppen immer besser. Anfängliches Chaos wird viel schneller in Produktivität umgemünzt. Das können Beobachter berichten – oder zeigen Videoaufnahmen.

Kurzum: Selbstorganisation ist sinnvoll. Führungskräfte stehen sich bei der Einführung oft selbst im Weg.

Folgende 5 Tipps helfen auf dem Weg zu einem selbstorganisiertem Team:

1. Reflektieren Sie sich selbst und ihren Standort

Teams spiegeln Unternehmenskultur und die Persönlichkeit der Führungskraft. Führungskräfte projizieren ihre eigenen Überzeugungen auf die Mitarbeiter. Schreiben Sie einmal fünf Eigenschaften auf, die Sie von Mitarbeiter X erwarten. Dann streichen Sie den Namen von Mitarbeiter X und schreiben Ihren Namen hin. Sie haben sich selbst beschrieben. Lassen Sie das einmal auf sich wirken. Was bedeutet das für Sie? Loslassen von festen Vorstellungen.

2. Geben Sie jedem jeden Tag eine neue Chance, aber immer eine andere.

Schauen Sie unvoreingenommen auf Mitarbeiter. Bilden Sie jeden Tag neue Arbeitshypothesen, aber überwerfen Sie sie am Abend. Fragen S viel, zum Beispiel, was hindert, wo der Schuh drückt, was man heute gerne machen würde – experimentieren sie, spielen Sie Spiele, bei denen Mitarbeiter aufblühen und andere Seiten zeigen.

3. Schaffen Sie Grenzen der Selbstverantwortlichkeit.

Die meisten Menschen können keine klaren Grenzen zwischen sich und der Außenwelt ziehen. Sie können deshalb auch schlecht Verantwortung für sich selbst übernehmen. Sie handeln FÜR ein Unternehmen, für ihren Chef, für andere… Die Mehrzahl der Mitarbeiter konstruieren die eigene Identität über Zugehörigkeit – sie sind also innerlich nicht frei, können eigene Entscheidungen nur bedingt treffen. Diesem Fakt muss Selbstorganisation Rechnung tragen, indem sie die Menschen nicht sich selbst überlässt, sondern Rahmen gibt, die eine Trennung zwischen Arbeit und Leben ermöglichen. Das mag der einzelne Mitarbeiter gar nicht wollen, weil er verschmelzen will; er braucht es trotzdem, schon zur Burnout-Vermeidung.

4. Schaffen Sie klare Strukturen mit Fokus auf eine kommunikationsorientierte Prozessgestaltung.

Gute Strukturen können Führung sehr weitgehend ersetzen. Sie gleichen aus, dass viele Teammitglieder von sich aus nicht steuernd eingreifen, etwa weil sie nicht machtmotiviert sind. Diese Strukturen sind etwa Taskboards in Verbindung mit Standup-Meetings und Retrospektiven. Mit diesen Strukturen lassen sich auch Machtmenschen regulieren, vor allem wenn Rollenkonzepte dazu kommen.

5. Bringen Sie Visionen ins Team.

Selbstorganisation braucht Visionen, denn nur dadurch lässt sich das Commitment, an einem Strang zu ziehen erzeugen. Dafür muss die Strategie des Unternehmens klar sein. Und bitte, ich meine eine echte Strategie, keinen Claim, kein Wischiwaschi-Leitbild oder ein dahingeworfenes „wir müssen agiler/digitaler/moderner werden“. Das ist keine Strategie, das Durchschauen Mitarbeiter sofort. Haben Sie keine richtige Strategie, gehen Sie zurück auf Start und stellen Sie das Thema Selbstorganisation erst einmal zurück. Individualistische Haufen, die kein gemeinsames Band haben, organisieren sich selbst, aber nicht im Sinne des Unternehmens.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

One Comment

  1. Thomas 16. Oktober 2016 at 20:52 - Antworten

    “Zugegeben, ich bin eine Steuerfrau. Ich neige zum Eingreifen – den Rettungsanker werfen, bevor etwas aus dem Ruder läuft. Kennen Sie das auch?„

    Steuern ≠ Regeln

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