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“Kann die das?” Vertrauen – und wo es anfängt und aufhört

Griechenland vertraut Tsipras, und Petra misstraut Gülcan. Vertrauen ist Klebstoff für Beziehungen und Schmierstoff für Erfolg. Und doch ist es leicht erschütterbar, labil und ungleich verteilt. Es kann naiv sein, dann ist es blindes Vertrauen. Oder gewachsen: dann ist es begründetes, erfahrungsgeleitetes Vertrauen. Vertrauen ist für mich eines der interessantesten „Konstrukte“ überhaupt, weil es die Grundlage für nahezu alles ist: für Leistung, für Kommunikation, für Arbeitszufriedenheit. Teamwork ohne Vertrauen funktioniert genauso wenig wie eine Ehe oder eine Nachbarschaft in der Reihenhaussiedlung. Es lohnt sich also Vertrauen mal aus der Nähe zu betrachten.
Wem vertraue ich?
Die Maßstäbe für Vertrauenswürdigkeit sind individuell verschieden. Soziale Erwünschtheit macht sie manchmal unsichtbar. Es kann sein, dass jemand dunkelhaarigen Menschen weniger vertraut als blonden, Dicken weniger als Dünnen… So richtig zugeben wird das keiner. Und bewusst ist es oft auch nicht. Es gibt also offene und versteckte Kriterien für Vertrauen. Wenn Sie mich direkt fragen, wem ich vertraue, dann sage ich, Menschen, die verlässlich und zuverlässig sind. Aber ziemlich sicher sind es auch andere Dinge, die eine Rolle spielen. Es gibt immer einen Subtext. Wenn Sie sich selbst fragen, was Ihr Vertrauen auslöst, so geben Sie vielleicht eine andere Antwort als ich. Vertrauen ist nämlich vielschichtig. Es ist einerseits affektiv, andrerseits kognitiv. Wenn mir jemand suspekt ist (affektiv), dann vertraue ich ihm auch nicht (kognitiv) – und ganz sicher finde ich dafür dann auch Gründe. Ich muss mich ja selbst darin bestätigen, dass ich nicht einfach einem diffusen Gefühl folge…Das ist beim Vertrauen nicht anders als bei der Bewerberauswahl: Man folgt dem Subtext, aber man legt sich Argumente zurecht, warum man es tut.
Was ist überhaupt Vertrauen?
Vertrauen ist viel mehr als ein Gefühl. Mayer, Davis und Schoorman definierten Vertrauen so: ,The definition of trust (…) is the willingness of a party to be vulnerable to the actions of another Party based on the expectation that the other perform a particular action important to the trustor, irrespective of the ability to monitor or control that other party.” Vertrauen ist also definiert als Umstand, bei dem ein Mensch ein Risiko eingeht, wenn er sich auf eine andere Person verlässt.
Wenn ich meine Mitarbeiter unter meinem Namen arbeiten lasse, dann muss ich ihnen vertrauen. Was wenn Sie sich nicht in meinem Sinn verhielten, die Dinge nicht so sähen und nähmen wie ich? Wenn Sie Konzepte einfach veränderten? Das meint der obige Satz. Vertrauen hat mit dem Risiko zu tun, das jemand eingeht, wenn er einem anderen vertraut. “Wenn ich meinem Mitarbeiter dieses Projekt gebe, kann es meinen Chefsessel kosten. Also suche ich mir einen, der…. (kompetent, fleißig, bei den Mitarbeitern anerkennt etc.) ist.” Ich lege mir Kriterien und Argumente zurecht.
Ist Vertrauen ein Zustand oder eine Eigenschaft?
Vertrauen kann eine Persönlichkeitseigenschaft, aber auch ein Habitus, also Verhalten sein. Es ist als Persönlichkeitseigenschaft ein mehr oder weniger stabiler Zustand und als Verhalten situativ unterschiedlich. Es gibt Menschen, die mehr vertrauen, und andere, die es weniger tun. Damit einher gehen Stärken, die umgedeutet auch Schwächen sein können: Vertrauensvolle Menschen gehen offener auf andere zu (Stärke). Sie hinterfragen dagegen nicht (kann man als Schwäche sehen). Menschen, die zu Misstrauen neigen, sind dagegen eher kritisch. Deswegen findet man sie öfter in Jobs, in denen eine kritische Haltung auch Erfolgsgrundlage ist, etwa im politischen Journalismus oder im Bereich Recht, vor allem auch Strafrecht. Misstrauische Menschen überprüfen eher „stimmt das?“, was vertrauensvolle Menschen ganz schön anstrengen kann. Aber was wäre die Welt ohne kritisches Hinterfragen? Ein Ponyhof, der auch ganz schön langweilig ist.
Pädagogen greifen gern in den Topf der Bindungstheorie und sehen beim Vertrauen einen Zusammenhang mit den Bindungserfahrungen: Menschen, die eine so genannte sichere Bindung hatten, vertrauen mehr. Psychologen analysieren den Zusammenhang von Vertrauen mit anderen Faktoren, etwa der Kommunikation. Dieser ist, wenig überraschend, klar gegeben. So wie Vertrauen auch einer der Bausteine für erfolgreiche Teams ist, wie ich hier geschrieben habe.
Die Stärke des Vertrauens
Die Stärke des Vertrauens ist, dass es fruchtbare Zusammenarbeit erst ermöglicht. Wer in die Fähigkeiten des anderen vertraut, wird Komplexität viel besser bewältigen, weil der Kuchen gemeinsam gebacken wird. Der eine tut Butter dazu, der nächste Mehl, ein anderer Zucker – und der der letzte rührt. Die Butter muss dem Mehl zutrauen, einen guten Job zu machen. Deshalb hat Vertrauen auch viel mit der Wahrnehmung von Stärken zu tun, den eigenen und denen der anderen. Dazu braucht es Kommunikation – und Zeit. Damit ich sagen kann „das ist eine Stärke von X, also vertraue ich X das Gebiet A an, weil …..“, muss ich eine Zeitlang beobachten können. Und auch reflektieren, was Stärken sind und woran sie sich zeigen.
Das Risikopotenzial von Vertrauen
Griechenland vertraut Tsipras, weil er Hoffnung macht. Obwohl das Volk “vulnerable” ist (siehe Definition von Vertrauen oben), der Schuss also nach hinten losgehen kann. Das deutet auf das Risikopotenzial, welches Vertrauen hat. Menschen vertrauen gern Menschen, die ihnen etwas versprechen, das ihnen nutzt. Sie biegen sich Argumente zurecht und sie beachten nur die Studien, die sie bestätigen. Wer vertraut, sollte deshalb seine Mechanismen kennen, danke für die intensive Forschungsarbeit in diesem Zusammenhang an Amor Tversky und Daniel Kahnemann (“schnelles Denken”). In Unternehmen und Teams würde das Bewusstsein der eigenen Wahrnehmungsmuster auch helfen, gefährliches Vertrauen von fruchtbarem zu unterscheiden und solche Phänomene wie Groupthink verhindern helfen.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
Liebe Svenja,
Wem vertraue ich? Vertrauen hat für mich auch ganz viel mit dem ersten Eindruck oder nennen wir es Intuition oder Bauchgefühl zu tun. Meist weiß ich im ersten Kontakt, “ja, dem oder der kann ich vertrauen!” oder auch nicht vertrauen. Wenn ich wirklich konsequent auf dieses erste Gefühl höre, fahre ich gut damit.
Bei manchem Menschen schadet auch eine gesunde Portion Misstrauen auch nicht, das macht aufmerksam.
LG Silke
Hi Silke, bei mir ist es anders, sicher habe ich ein erstes Gefühl, aber ich überprüfe es. Gute Institution braucht Beweise und viel Erfahrung. Und ich bin mir stets bewusst, dass ich mich einlullen lasse, durch Aussehen, Namen, Botschaften…. Und das hinterfrage ich sehr stark. Damit fahre ich ziemlich gut. LG Svenja
Liebe Svenja, liebe Silke,
ich habe ebenfalls eine ausgeprägte Intuition. Mein. Bauchgefühl ist sehr wichtig. Allerdings hinterfrage ich das Bauchgefühl auch immer wieder. Mir ist es wichtig, ein möglichst objektiven Eindruck von einer Aversion zu bekommen, jenseits meiner Projektionen und Trigger. Wwas natürlich nur eingeschränkt leistbar ist, ich bin je (noch) nicht erleuchtet
Huch, mein Kommentar ist nur zum Teil sichtbar und mit Freudschen Versprechern?!
Was ich tatsächlich dachte:
Ich habe auch eine ausgeprägte Intuition, die ich allerdings hinterfrage. Ich will einer Person möglichst objektiv begegnen, jenseits meiner Projektionen und Trigger, was nur eingeschränkt leistbar ist für mich als Nicht-Erleuchtete.
Eine Studie der Uni Wien stellte fest, dass Vertrauen Kopfsache ist und eine intakte basolaterale Amygdala notwendig ist, um einer Person Vertrauen zu schenken und sich in kritischen Situationen auf den anderen verlassen zu können. In dieser Studie wurde ein Verhaltensexperiment durchgeführt – das sogenannte Vertrauensspiel, bei dem Teilnehmer:innen bei ökonomischen Interaktionen lernen, dass einer großzügigen Mitspielerin zu vertrauen ist und einer selbstsüchtigen Mitspielerin nicht. Die Urbach-Wiethe-Patient:innen mit der basolateralen Amygdala-Schädigung konnten das nicht lernen und haben sowohl die großzügige als auch die selbstsüchtige Mitspielerin gleichbehandelt. Nicht etwa allgemeine Lernprobleme oder der sozioökonomische Status waren demnach für die Defizite bei der Vertrauensbildung der Probandinnen verantwortlich.