Darf er? Soll sie? Geht das? Wer wie ich öfter mal reist und auswärts essen geht, bekommt von Nachbartischen, Gegenübern oder beim Vorbeigehen an einer Raucherecke das eine oder andere mit. Diese Woche war  geprägt von einer Rundreise durch Thüringen – und entsprechend besonders viel „Karrieresenf“. Hier möchte ich meinen dem Gehörten dazugeben 🙂

„Länger als ein Jahr kann sie auf keinen Fall im Ausland bleiben.“

Das Paar kennt sich noch nicht so lange, denke ich. Sie hat erwachsene Kinder, er auch. Ich zähle drei (sie) zu zwei (er). Sie diskutieren über ihre Tochter, die zur Auszeit nach Erfolg im Job nach Asien ging, um sich dort vom Stress der Karriere zu erholen. Er war der Meinung, dass sie das maximal ein Jahr tun dürfe, sonst sei ihre Karriere kaputt. Man könne sich das heute nicht mehr leisten. Sie sah das anders.

Und ich? Ein Jahr lässt sich leicht erklären, zwei fordern schon mehr Worte für die „Auszeit“. Es wird Personaler geben, die misstrauisch fragen werden, einige geradezu inquisitorisch. War die Tochter früher in einer Führungsposition (was nicht so genau herauszuhören war), wird dies den Erklärungsnotstand erhöhen.

Indes, jetzt kommt der Senf: Wer für sich selbst eine gute Begründung hat, kann auch andere leichter überzeugen. Aufgefrischt mit Wissen aus der Region kann ich nun sagen: Goethe war zwei Jahre in Italien und hatte sich selbst  (wieder) gefunden, als er zurückkam. Sein Arbeitgeber, der  Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, nahm diese Erklärung ohne Tadel an – obwohl der gute Goethe sang- und klanglos verschwunden war.

Wir erinnern uns, die sechs Jahre ältere Frau von Stein fand das gar nicht gut. Seit fast 200 Jahren hat sich anscheinend wenig verändert: Immer noch zählt die gute Männerfreundschaft und am Ende des Tages die Frage, welches Profil jemand hat, der sich dünnemacht. Je interessanter und einzigartiger, desto mehr Auszeiten und auch andere Verrücktheiten kann der sich leisten.  Ich behaupte, dass ist der Grund, aus dem Goethe heute SAP-Berater geworden sind.

„Heutzutage geht es doch nur noch mit Studium aufwärts.“

Der Mann mit der Plautze ist offensichtlich ein Vertriebler und schmaucht vor meinem Fenster. Er gehört wie seine Kollegen zu einer großen internationalen Firma, der ich so viele übergewichtige und langweilig in braun gekleidete Mitarbeiter gar nicht zugetraut hätte. Sie passen nicht so recht in die stylishen weißen Minis mit dem Firmenaufdruck – weder figürlich noch sonst. Authentische Corporate Identity?

Hat der Vertriebler recht? Wiederum ist die gegebene Antwort mittelscharfer Karrieresenf. Bestimmte Berufe und Unternehmen bleiben Absolventen einer Lehre oder technischer Aufstiegsqualifikationen mehr und mehr verwehrt. Unternehmen, gerade große, schaffen Regeln für die interne Karriere, die es begabten Praktikern schwer bis unmöglich machen nach oben zu kommen. Entscheider sind mehr und mehr Besitzer eines Diploms, Masters oder Bachelors. Nur die kleinen und weniger beliebten Unternehmen schnappen sich die weniger gut ausgebildeten Mitarbeiter und wachsen mit ihnen dann (vielleicht).

„Bis 40 muss er es geschafft haben, danach kann er die Karriere vergessen.“

Der Satz kommt mit voller Überzeugung, da passt keine Gegenmeinung, wir salutieren gedanklich (um uns dann wegzuwenden). Ein Manager alten Schlags, der keine andere Meinung kennt als die eigene.

Er sprach offenbar für seinen Sohn – ein Mann aus der alten Karrierewelt, deren Regeln teilweise noch gelten, aber eben immer weniger.  Schwierig wird es für einen Sachbearbeiter, der  20 Jahre nicht wesentlich dazu gelernt hat, mit über 40 noch eine Führungsposition zu ergattern. Für ihn wird das Überleben am Arbeitsmarkt aber auch generell schwieriger.

Für alle anderen ist bis derzeit 80, ach 110 alles möglich. Sage ich, und weiß einfach, dass ich recht habe, wenn ich sehe, dass der 80jährige Vater eines Bekannten sich jetzt wieder selbstständig gemacht hat, weil ihm zu langweilig war in Rente.

Derzeit erlebt man, das sagen auch Experten, die anders als ich auf Ironie verzichten, sogar eine Renaissance älterer Führungskräfte, die das haben, was den Youngsters fehlt: Erfahrung und ….. yes, Kinder,…. Geduld. Auch das Ego sinkt mit steigendem Alter normalerweise  selbst bei ausgewiesenen Narzissten – das alles spricht für personelle Verantwortung, die  gekennzeichnet ist vom Wunsch, Menschen mitzunehmen und ihnen Raum zur Entfaltung eigener Stärken zu geben. So eine Führungskraft ist man nicht mit 40, sondern…. also ehrlich ich brauch noch was Zeit.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

3 Kommentare

  1. Frank Stratmann 18. Oktober 2011 at 11:32 - Antworten

    Asynchroner Senf. Spannende Vorstellung wie die Tube im Reisekoffer wächst, um in Ihrem Blog zu zerplatzen. Zu mir würde man sagen, Du alter Besserwisser. Bei Ihnen hat das Charme.

  2. Wilhelm Zorem 21. Oktober 2011 at 10:46 - Antworten

    Mir gefällt dieser Eintrag. Endlich keine angemaßte Expertise. So kann das weiter gehen.

  3. Svenja Hofert 23. Oktober 2011 at 23:21 - Antworten

    Hallo Herr Zorem, ich fass es nicht, Lob von Ihnen ist ja schon etwas besonderes 😉 beste Grüße SH

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