Heute Morgen kam die Meldung, dass die Bundesagentur für Arbeit demnächst Assessment Center durchführen wird. Pilotprojekte in drei Städten seien erfolgreich verlaufen. NDR Info präsentierte auch eine von  102 Fragen bzw. Aussagen:  „Wenn ich im Team von anderen überstimmt werden, aber anderer Meinung sind, setzen ich meine Meinung dennoch durch.“ Die Antworten erfolgen auf einer Skala von 1 bis 5, je nach Grad der Zustimmung. Es ist also ein Persönlichkeitstest, auf welcher Grundlage ist nicht bekannt. Zeitungen nennen sowas gern Psychotest.

An sich eine gute Nachricht. Die Frage ist jedoch, wer diese Antworten auswertet, nach welchem System und welche Schlüsse daraus abgeleitet werden. So hört sich erst mal gut an, dass offensichtlich ein Psychologe einbezogen ist, neben dem Fallmanager. Aber woher kommen die ganzen Psychologen? Von außen? Werden welche eingestellt? Fragen…

Inwieweit die Mitarbeiter für Auswertungsgespräche ausgebildet werden, ist nicht bekann. Da wäre sicher eine Menge zu tun. Schade, dass die Einführung der neuen Werkzeuge offensichtlich freiwillig ist – der Gang zur Arbeitsagentur aber nicht (wenn man nicht auf Geld verzichten will). Der Kunde, wie ihn die Agenturen nennen, ist an seine örtliche Agentur gebunden. Er kann nicht einfach zu einer besseren gehen. Einen Wettbewerb gibt es deshalb nicht.

Wettbewerb wäre aber förderlich, wir sehen es an dem beginnenden Wettbewerb unter Schulen, der einige Perlen zutage bringt. Wettbewerb zwingt zu besserer Ausbildung. Und die ist, keine Frage, dringend nötig.

Ich habe viele Geschichten gehört, die von wenig Beratungskompetenz und zusätzlich oft fehlender Empathie zeugen wie die einer 50jährigen, die von der Beraterin hörte, sie solle sich gleich selbstständig machen, in den Medien hätte sie keine Chancen in ihrem Alter. Einen Tag später hatte sie ein Vorstellungsgespräch und wurde eingestellt. Bei manchen hinterlassen solche Feedbacks regelrechte Traumata.

Neulich ging eine Bekannte zu einer regionalen Arbeitsagentur, die ich hier nicht benennen möchte. Meine Bekannte hat Islamwissenschaften und Theologie studiert und sich zehn Jahre im Wesentlichen um Kindererziehung gekümmert. So eine lange Auszeit ist nicht vernünftig, aber der Einfluss einer Karriereberaterin greift privat manchmal weniger weit als beruflich. Irgendwann ging sie aber doch Agentur, positiv gestimmt und optimistisch, bereit sogar zu einer neuen Ausbildung.

„Da gibt es ein Wiedereinstiegsprogramm für Mütter, das kann ich vielleicht bewilligen“, sagte der Fallmanager.

Sie: „Kenn ich, da waren 16 Bekannte hier aus dem Umkreis. Keine hat eine Job gefunden. Außerdem lernt man dort Excel und Word – und das kann ich.“

Er (schmunzelnd): „Klar, dass DIE nichts finden. Die können ja auch nach dem Kurs noch nichts.“

Sie: „Warum schicken sie die Frauen denn dann dahin?“

Er: „Beschäftigungstherapie“.

Es folgte noch mehr: Als Sekretärin tauge sie nichts, das sehe man sofort (stimmt, wobei man es wirklich anders ausdrücken könnte). Und auch der Beruf der Altenpflegerin, der bei jeder Verzweifelten sonst greifen würde, sah er bei ihr nicht, dazu sei sie zu schlau und belesen (ein seltsamer Schluss).

Er empfahl ihr schließlich, Putzfrau zu werden, das ginge immer und ohne Umschulung, die ihr eh keiner genehmigen würde; der Mann ist Ingenieur und insofern besteht kein Anspruch auf “Fordern und Fördern” durch die Jobcenter.

Putzfrau?

Meine Bekannte kann alte Sprachen, unter anderem Latein und noch eine Menge mehr, was sich aber nicht in Standard-Arbeitsagentur-Kategorien fassen lässt. Sie wird jetzt Lehrerin werden, das hat sie eh schon ehrenamtlich gemacht. Und Lateinlehrer sind gesucht.

Aber dass sie darauf gekommen ist, lag nicht an der Bundesagentur, sondern an ihrem Ärger über die schlechte Beratung. Danach hat sie sich nämlich richtig reingekniet und informiert. Auch eine Wirkung – noch mehr solche Berater und man könnte sich die Millionen für teure Kompetenzinstrumente wirklich sparen 😉

Beitrag teilen:

Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

7 Kommentare

  1. Thomas Hochgeschurtz 28. Juli 2011 at 14:49 - Antworten

    Die Reaktion Ihrer Bekannten zeigt, dass der Fallberater alles richtig gemacht hat. Er hat bei seinem Kunden Kampfgeist, Ausdauer, Durchsetzungskraft und Wille in einem Gespräch entfacht. Da anscheinend fast alle Gespräche bei der BfA so laufen muss das die “hidden strategy” der BfA sein! Und der Erfolg gibt ihr Recht. “Nie” (seit Einführung der BfA) hatten wir weniger Arbeitslose.

  2. Markus Väth 28. Juli 2011 at 16:13 - Antworten

    Es wäre wirklich interessant zu erfahren, welche Persönlichkeitstests eingesetzt werden. Es fängt ja schon mal damit an, dass eine Menge Verfahren am Markt existieren, und ein Laie die Daten zu Reliabilität, Valididtät etc. gar nicht beurteilen kann. Oft wird dann irgendein Verfahren eingekauft, dass schickt aussieht und eine Menge kostet.
    In der Durchführung selbst sehe ich gar nicht mal die Schwierigkeiten. Das findet ja meist automatisiert statt, entweder online oder in der “paper & pencil” – Fassung.
    Die Interpretation hat’s in sich. Der Beurteiler braucht psychologische Erfahrung und Erfahrung im Testwesen, um die Ergebnisse mit einer Personalauswahl zu verknüpfen. Solche Leute sind intern schwer zu finden; daher tippe ich auf einen externen Dienstleister.
    Hoffen wir, dass sich diese neue Methode einigermaßen bewährt und kein Investitionsgrab wird.

  3. Miri 29. Juli 2011 at 0:08 - Antworten

    In der Bundesagentur für Arbeit gibt es 430 Stellen für Psychologinnen und Psychologen. Was viele nicht wissen: Sie ist der größte Arbeitgeber für Psychologen. Jährlich werden ca. 250000 (!) Kunden in den 180 psychologischen Diensten der Agentur für Arbeit getestet und beraten. Sie können davon ausgehen, dass die eingesetzten Persönlichkeitstests nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt wurden und von Psychologen mit Erfahrung in Eignungsdiagnostik ausgewertet werden. Manchmal wäre es gut, genauer zu recherchieren. Auch eine etwas differenziertere Darstellung wäre nicht schlecht. Sie können sich auf der offiziellen Seite der Bundesagentur über die Arbeit des psychologischen Dienstes informieren:
    http://www.arbeitsagentur.de/nn_26812/zentraler-Content/A10-Fachdienste/A102-PD/Allgemein/Psychologischer-Dienst-Allgemein.html

    Hier können Sie auch etwas über Grundlagenforschung im Bereich Eignungsdiagnostik erfahren:

    “Der Psychologische Dienst verfolgt die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in den einschlägigen Disziplinen der Psychologie und macht diese für die praktische Aufgabendurchführung nutzbar. Die für die fachliche Weiterentwicklung erforderlichen Grundlagen-, Entwicklungs- und Evaluationsarbeiten fallen in den Zuständigkeitsbereich der Organisationseinheit „Angewandte psychologische Forschung und Entwicklung“ (PFE) im Psychologischen Dienst der Bundesagentur für Arbeit. An diesen Arbeiten sind sowohl die Psychologinnen und Psychologen der Agenturen für Arbeit als auch der Regionaldirektionen beteiligt. Der Psychologische Dienst kooperiert bei Grundlagenarbeiten auch mit Hochschulinstituten.

    Mit freundlichen Grüßen
    Miri Broder

  4. Anne Güntert 29. Juli 2011 at 9:11 - Antworten

    Solche Erlebnisse gibt es viele. Gerade Akademiker hören die seltsamsten “Blüten” der Fallmanager, was wohl damit zu tun hat, dass BA und JobCenter überhaupt nicht auf diese Klientel eingerichtet sind. Ärgerlich dabei ist, dass es ja immer im Ermessen des FMs liegt, wie mit dem “Kunden” umgegangen wird und das Sozial- und Verwaltungsrecht, im Gegensatz zum Arbeitsrecht, seine Wurzeln in der “obrigkeitshörigen” Kaiserzeit vor dem 1. Weltkrieg hat (Es ist ein vertikales Recht). Das kann sehr schnell zum Bumerang werden. Interessant wäre vielleicht folgendes, dass ein regionales JobCenter im Ruhrgebiet bereits psychologische Auswertungen im Rahmen einer 5-tägigen Maßnahme erstellt….

  5. Svenja Hofert 31. Juli 2011 at 19:42 - Antworten

    @markusväth @annegüntert: danke für die zusätzlichen Gedanken und Erfahrungen. LG SH

  6. Svenja Hofert 31. Juli 2011 at 19:44 - Antworten

    @thomashochgeschurtz: absolut richtig – der Effekt war gut. Doch der, der ihn ausgelöst hat, hat zufällig einen Treffer gelandet. Und das ist das Problem. Hätte bei einer anders gearteten Persönlichkeit nämlich auch nach hinten losgehen können. LG SH

  7. Silke Bicker 3. April 2013 at 0:51 - Antworten

    Hm, als ich vor Jahren bei der BfA gemeldet war, bekam ich Stellenangebote als Weinhändlerin (war Buchhändlerin u. gerade mit dem Landschaftsplanungsstudium fertig) und Putzfrau zugeschickt. Gab in einem halben Jahr nur zwei Angebote für mich. Mein Studienfach stand nicht im Programm, wurde als Biologin geführt.
    Als Berufsberater waren drei Leute für mich zuständig, alle hatten ursprünglich selbst eine völlig andere Ausrichtung. Erinnere mich als Schülerin kurz vorm Fachabitur das damalige Arbeitsamt aufgesucht zu haben. Der damalige Berater riet mir “auf Arbeitsamt” zu studieren, wäre ein feiner Job, gut bezahlt, wenig zu tun und früh Feierabend. Das war Anfang der 90´er Jahre. Das “rote Tuch” wandert immer noch durch die Familie.

    I

Einen Kommentar verfassen