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Lebenslanges Lerneinkommen: Risikoausgleich für die Arbeit der Zukunft

Veröffentlicht: 16. April 2016Kategorien: Führung & Organisation

Der Arbeitsmarkt verändert sich, in einigen Bereichen von Jahr zu Jahr schneller. Es wird für viele Menschen immer schwerer, im digitalen Zeitalter Anschlussjobs zu finden. Im Grunde kann man sogar eine simple Regel aufstellen: Je höher qualifiziert, desto schwieriger der nächste und übernächste Job – wenn man nicht zufällig den Zeitgeist getroffen hat und ein interessantes, digital kompatibles oder hinsichtlich der Megatrends interessantes Mosaik vorzuweisen hat (zum Thema Mosaikkarriere hier). Solch ein Mosaik verlangt oft mehrere Aus- und Weiterbildungen. Und Bildung kostet – gerade denkt man wieder über die Einführung von Studiengebühren nach.

Vorbild: Übergangshilfe der Bundeswehr

Doch wer soll das bezahlten, wenn man nicht reich geerbt hat? Die derzeitigen Bildungscheck-Budgets sind lächerlich klein und auf Anpassungsqualifizierungen für Geringverdiener zugeschnitten; Bildungsgutscheine der Arbeitsagenturen verlangen Arbeitslosigkeit und klammern akademische Weiterbildung aus. Sie funktionieren so nicht für Weiterbildungsmaster. Was wäre mit einem lebenslangen Lerneinkommen oder einer Übergangshilfe von Job zu Job, einem zweckbestimmten Karenzgeld – ähnlich wie es Bundeswehrsoldaten nach langer Verpflichtung bekommen? Ich habe von dieser Idee erstmals vor einigen Wochen im Internet gelesen – leider finde ich die Quelle nicht mehr. Ich möchte diese Grundidee hier aufgreifen und konkretisieren.

Warum Lerneinkommen? Unplanbarkeit nimmt zu

Warum ist so etwas nötig? Sich zu qualifizieren und für einen längeren Zeitraum beruflich zu planen, bürgt heute ein hohes Risiko. Wer länger in einem Job bleibt, riskiert bei einem späteren Job-Verlust – oder wenn er aus Unzufriedenheit selbst kündigt -, nicht mehr vermittelbar zu sein – denn Jobprofile werden in vielen Bereichen individueller. Eine Anpassung an den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht vorgesehen – und widerspricht auch dem grundlegenden Arbeitgeberinteresse, die Abhängigkeit an das firmenspezifische System möglichst groß zu halten.

Mittelständische Firmen gewähren oft wenig Weiterbildung. Und wenn doch, fokussieren sie wie die großen Konzerne auf Themen, deren Vermittlung für sie unmittelbar nützlich ist. Das individuelle Arbeitnehmerprofil wird dabei außen vorgelassen. Zudem besteht ein Vorbehalt, eine Art Generalverdacht “der will zu viel” gegenüber Mitarbeitern, die sich weiterbilden, um am Arbeitsmarkt allgemein zu bestehen – und nicht (nur) in der betreffenden Firma.

Mosaikkarrieren sind nicht planbar

Vor dem Hintergrund veränderter Karrieren hin zu Mosaikkarrieren kommt dem eine besondere Bedeutung zu: Ein interessantes Mosaik verknüpft eine Vielzahl von Erfahrungen zu etwas Neuem, Speziellen und Besonderem. Dieses Neue, Spezielle und Besondere muss dann aber auch am Markt gefragt sein und/oder der Mosaikbesitzer sollte ein unternehmerisches Gen besitzen. Das ist selten – es verlangt bestimmte Stärken und eine Überdurchschnittlichkeit der Motivation und des persönlichen Antriebs.

Und so ist die Mehrzahl der Bewerber irgendwann im Laufe ihres Berufslebens falsch – zu hoch, zu niedrig, zu weit weg vom Trend – qualifiziert im Sinne von „Qualifikation ist nicht kapitalisierbar“. Dieses Falsch-Qualifiziertsein wird zunehmen, da bin ich sehr sicher. Und keine Karriereplanung der Welt kann einen davor bewahren, einmal zu den Ausrangierten zu gehören. Denn Karriereplanung kann sich eben nur auf das vermutete nächste Mosaik, das möglichst Herz und Verstand bedient, und Zeiträume von etwa zwei bis fünf Jahren beziehen.

Hinzu kommt, dass Anforderungen – wenn sie nicht sehr niedrig sind und unter dem Niveau eines Akademikers liegen – extrem steigen. Es entsteht so eine Schere, die immer größer wird. Wenn nicht wenig gefordert wird, dann sehr viel. Die Mitte bricht weg. Wenn Sie sich durchlesen, was Experten heute mitbringen müssen, so ist dies keine Resultat kürzerer Weiterbildungen und guter Beziehungen. Inzwischen kitten auch die “guten Buddies” immer weniger das Loch zwischen Profil und Anforderung. Das ist einerseits gut, macht andrerseits den Quereinstieg noch schwerer.

Die 1970er sind vorbei

Ich glaube deshalb schon lange schon nicht mehr an das „jeder kann etwas finden“ und „alles ist möglich“, wenn man nur Kontakte aufbaut und genügend Leute fragt. Das ist nicht nur US-amerikanisch, sondern auch 1970er-Denken. Bis etwa 2003 sah der Arbeitsmarkt ja auch noch anders aus. Die Nelson-Bolles- und Work-Life-Planning-Schule, die eben in diesen 1970er Jahren entstand, schärft nämlich den Glauben an selbstbestimmte Zukunftsmodellierung – und lässt damit die Entwicklung der Arbeitsmärkte außer Acht. Wer heute eine Expertise aufbauen möchte, braucht dazu mindestens fünf Jahre. Und Geld – alle 10 Jahre 25.000 EUR – so lautet meine Schätzung. Das entspricht meines Wissens etwa der doppelten Summe, die Bundeswehrsoldaten abrufen können, die sich lange verpflichtet haben und damit eben auch ein großes Risiko eingegangen sind. Der Staat weiß hier sehr genau, welches Risiko er den Betroffenen damit beschert.

Plan-/Ziel-Denken dominiert, wo Prozessorientierung notwendig wäre

Benachteiligt sind vor diesem Hintergrund alle jene, die in Familien aufwachsen, die sie nicht frühzeitig zu einem individuellen Profil geführt haben und die weniger betucht sind. Nicht selten fällt beides zusammen. Familien, die das Kredo des „Du musst Geld verdienen“ oder „finde erst einmal einen sicheren Job“ hoch halten, werden unserer Erfahrung nach nicht weniger. Dieses Kredo fördert Ziel- und nicht prozessorientiertes Entdecken, das in ein Mosaik leiten könnte – die Schule unterstützt die kurzgedachte Zielorientierung ebenso. Die Folge sind Menschen ohne kapitalisierbare Interessen, die dem Ruf der Märkte folgen, einige Jahre gutes Geld verdienen und dann erkennen, dass sie ausgemustert sind. Oder noch mal neu und klein anfangen müssten – wenn man es Ihnen erlaubt. Denn nicht nur der Anspruch wächst, auch die Persönlichkeit reift. Mit 50 lässt man sich nicht mehr treiben…

Kurzum: Das lebenslange Lerneinkommen, z.B. abrufbar in einem Zyklus von 10 Jahren und ausschließlich für Bildungsmaßnahmen, würde diese und eine Reihe von weiteren Problemen, etwa erzwungene Arbeitgeberabhängigkeit, lösen.

Students Youth Adult Reading Education Knowledge Concept

 

 

 

 

 

Allerdings reicht Geld allein nicht aus.

Aus meiner Sicht müssten folgende Eckpunkte für ein lebenslanges Lerneinkommen gewährt sein:

1. Verknüpfung von Praxis und Theorie

Eines der Hauptprobleme ist, dass viele etwas lernen, dass sie nicht anwenden können. Praktika sind für Ältere kaum möglich, der Mindestlohn und strenge Gesetzesbestimmungen, etwa versicherungsrechtlicher Art, verhindern unkompliziertes Ausprobieren. Der Aufwand ist für Firmen zu groß, der Nutzen zu gering. Warum Unternehmen nicht Geld zahlen dafür, dass sie Menschen experimentieren lassen.

2. Einschalten von Lernbegleitern und Bildungsexperten

Ich will nicht wieder über die Arbeitsagentur schimpfen, da sind auch viele gute Leute, aber unterm Strich ist es ist nun mal so: Wenn meine Kunden von einer Beratung zurückkommen, sind sie oft nicht schlauer. BA-Berater verweisen in der Regel auf Kursdatenbanken oder nennen Standardthemen auch wenn es “Weiterbildungsberatung” heißt. Die Bildung der Zukunft ist aber individuell. Viele private Karriereberater/Karrierecoachs sehen sich als Prozessbegleiter, die nicht wirklich fundierte Hinweise geben können und wollen, ein aus meiner Sicht manchmal zu sklavischer Glaube an das “Systemische Vorgehen” als Allheilmittel (nicht etwa die Systemtheorie) hindert sie. Bildungsentscheidungen der Selbstrecherche zu überlassen funktioniert aber nicht. Man braucht Experten, die einen Richtungen aufzeigen. Vielleicht könnte es staatlich geförderte kostenlose Lebenslaufchecks geben, die sich eben nicht nur wie derzeit üblich auf das Formale beziehen (…formal kritisieren ist wirklich leicht, dafür braucht es eine nur geringe Know-how-Tiefe), sondern auf das Inhaltliche.

3. Neue Lernkonzepte weg vom Standard

Die derzeitigen Bildungskonzepte sind auf Masse ausgerichtet. Kurse lohnen sich für Anbieter erst, wenn viele Teilnehmer zusammenkommen. Sie richten sich oft mehr an der Nachfrage aus als an der Sinnhaftigkeit. Zugleich können lediglich Dozenten finanziert werden, die es nicht in die freie Wirtschaft geschafft haben. Das sind nicht unbedingt schlechte, aber es sind solche, die oft weniger spezifische Unternehmenserfahrung und Expertise haben – beides braucht man aber zur Vermittlung speziellerer Themen.

Studiengänge wiederum sind für Eltern-Geldbeutel konzipiert und nicht für Arbeitsmarktchancen. Private Bildungsträger müssen kreativer werden. Das Internet ermöglicht schließlich grenzüberschreitendes Lernen. Interaktive Elemente sind nicht nur für 1:1-Settings, sondern auch in Gruppenarbeit realisierbar. Man kann heute bereits im Internet hochwertige Vorlesungen ansehen, so genannte MOOCs. Diese versinken gerade wieder etwas in der Versenkung, weil man erkennt: Beschallung per Video reicht nicht. Menschen lernen durch soziale Beziehungen und in Gruppen. Dieses Prinzip sollte doch digital übertragbar sein.

4. Verpflichtende Beratung

Wofür setze ich mein Lerneinkommen ein? Die Lernen sollten das begründen können, bevor sie Geld vom Staat erhalten. Natürlich muss auf der anderen Seite jemand sitzen, der Begründungen auch beurteilen kann. Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass eine Maßnahme auch vom “Lerner” durchgeführt wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Menschen, die nicht selbst für etwas zahlen, der Anbieter-Leistung eine viel, viel geringere Wertschätzung entgegenbringen. Es muss schon deshalb gewisse Hürden geben. Allerdings glaube ich nicht, dass man Einkommensgrenzen einführen sollte, denn dies führt wieder nur zu Kontrolle, Bürokratie – und Missbrauch. Die Arbeitslosen- in eine Bildungsversicherung umzuwandeln, wäre ein weiterer Gedanke. Das Lerneinkommen sollte bedingungslos mit Einschränkungen im Zugang sein.

Wie sehen Sie das Thema “lebenslanges Lerneinkommen”?

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

5 Kommentare

  1. Jörn Ast 16. April 2016 at 12:18 - Antworten

    Ein ganz wunderbarer Artikel liebe Svenja, Deinen Ping auf Facebook beantworte ich gleich mal auch hier. Ich denke die Gen-Y hat ganz klar Ihre Vorbilder und Peers mit den Skills der Zukunft der Arbeit und sie sind in keinem Weiterbildungs-Institut zu finden. Es sind Youtube-Tutorials, Skype-Sessions mit den 1337’s (http://www.urbandictionary.com/define.php?term=1337) Das zahlt natürlich auf Punkt 3 ein. Ih z.B. würde gerne eine Weiterbildung machen, was systemisches z.B. aber mich interessiert dieser ganze Integralkram und die Nähe zur Familientherapie mit Aufstellungen nicht, es ist zu sehr von einer Anwnedergruppe gefärbt. Also gehe ich weiter auf die Suche, spreche persönlich. Höre mir Empfehlungen an. Denn ich glaube an die fluide Karriere, dass was ich heute lerne, brauche ich morgen nicht mehr. Glaub mir, ich bin gelernter Raumausstatter, ich weiß wovon ich rede. Aber: je besser die Gruppe und je persönlicher und lässiger der Coach, desto besser das Ergebnis. Darauf habe ich Lust. Ach und vom Arbeitgeber bitte nicht, das klappt doch sowieso nicht. Dafür zahle ich schon selbst und nehme ich mir Urlaub, wenn ich mir welchen nehmen müßte. 🙂

  2. […] Lebenslanges Lerneinkommen: Risikoausgleich für die Arbeit der Zukunft | Svenja Hofert HR- und Karr… […]

  3. Lars Hahn 22. April 2016 at 11:55 - Antworten

    Lebenslanges Lerneinkommen?

    Ja: Das spornt an.
    Ja: Das erhöht die Chancengleichheit.
    Ja: Das stärkt den Bildungsbereich.
    Ja: Das erhöht das Bewusstsein von lebenslangem Lernen.
    Ja: Das macht die Menschen unabhängiger von Betrieben und Behörden.

    Nein: Das nutzen eh nur die, die sowieso bildungsaffin sind.
    Nein: Das erhöht den Druck, Bildung zu formalisieren.
    Nein: Das verhindert Innovation im Bildungsbereich.
    Nein: Das gibt in Deutschland nur das nächste Bürokratiemonster.
    Nein: Was nichts kostet, ist auch nichts.

    Kurze Argumente für und wider.
    Liebe Grüße!
    Lars Hahn

    P.S. Wir würden bei der LVQ natürlich vom LLL profitieren, also bin ich natürlich generell absolut dafür! 😉

  4. […] Daher: Lebenslanges Lerneinkommen! […]

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