Sind Sie auch so jemand, der viele Ideen hat und Lust an der Veränderung? Prost, Mahlzeit, vergessen Sie Konzerne wie Audi und BMW. „Großunternehmen stellen vornehmlich Zwanghafte ein, keine Abenteurer, Unternehmer, Querdenker, Erfinder, Forscher und Weltverbesserer“, lehrt uns Gunter Dueck in seinem neuem Buch „Das Neue und seine Feinde“.

Mit zwanghaft bezieht sich der Mathematiker, Buchautor und Hobbypsychologe Dueck  – er bezeichnet Facebook-Nutzer in Vorträgen auch schon mal als depressiv –  auf Riemanns „Grundformen der Angst“, ein Buch, das wahrscheinlich jeder Zuhause hat, der sich für die Seltsamkeiten des menschlichen Zusammenlebens interessiert. Wer dieses Buch kennt, weiß: Der Gegenpol des Zwanghaften ist das Hysterische: Während der zwanghafte Mensch möchte, dass alles seine Ordnung hat, sucht der Hysteriker Abwechslung und das Neue. Thomann, der Riemann später ergänzte, deutete die beiden Pole etwas weniger „krankhaft“ um in Wechsel- und Dauerorientiert.

Der ausgeprägt wechselorientierte Mensch will auf keinen Fall stehenbleiben. Versetzen wir uns in die Zeiten, in denen wir fellbehaart in der Natur herumstromerten, steht dahinter der Gedanke: dort könnte er von einem wilden Tier gefangen und erlegt werden. Also bewegt sich der Wechselorientierte im Geiste – entwickelt und erfindet, treibt voran, verfolgt Ideen. Das geht natürlich in der Forschung und Entwicklung besser als, sagen wir im Rechnungswesen, weshalb sich Wechselorientierte, schaffen sie wider Erwarten doch durchs Vorstellungsgespräch und landen zufällig in einem Großunternehmen, oft dort ein Zuhause finden. Eine andere Heimat für Wechselorientierte ist meiner Erfahrung nach das Marketing. Dauerorientierte findet man eher im Personal, wo sie regeln und reglementieren können. Alles nur eine Tendenz, also bitte keine Proteste 😉

Im System vieler Großunternehmen – und ich füge aus eigener Erfahrung hinzu: auch des Mittelstands und selbst kleiner Unternehmen – wirken Wechselorientierte, also Riemanns „Hysteriker“, mit ihrem Neuen jedoch wie ein schlimmer Virus, der alle zum Niesen, zum Husten und manchmal sogar zum Kotzen bringt.

Das Neue ist ein Störenfried. Es katapultiert aus der Komfortzone ins Unbekannte, verlangt umzudenken und zu verändern. Es will gehört werden! Es ist zäh und anstrengend und wird öfter von Spinnern repräsentiert, die nicht auf den Punkt kommen und vor allem: durch ganz wenig bis null Interesse an politischen Spielchen überhaupt nicht formbar sind. Je introvertierter und verkopfter, desto störenfriediger ist der Mensch mit dem Neuen im Gepäck. Und wehe wenn Idealismus dazu kommt. Sag ich jetzt, nicht Herr Dueck.

Nun könnte Dueck über die Feinde des Neuen schimpfen, all die Dauerorientierten und wenig Intuitiven, denen das eigene Hemd näher sitzt als die große Idee. Doch das tut er nicht. Als Schlüsselerlebnis beschreibt er einen Workhop in New York, der ihm die Augen öffnet. Hier erkannte er: Echte Entrepreneure, die uneingeschränkt an eine Idee glauben, verkaufen Haus und Hof, um sie zu realisieren. Dazu ist er nicht bereit. Und weiterhin: Wer Ideen vorantreiben möchte, muss nicht mit einen bisschen Gegenwind rechnen, sondern mit 100% Bullshit.

Vor allem muss der Prophet des Neuen mit etwas rechnen, das er oft nicht auf dem Plan hat: Eine Armada von Gegnern, die mit unterschiedlichen Waffen das Neue bekämpfen:

  • OpenMinds, die eine Innovation gut fänden, wenn sie denn soweit wäre… hier sind friedliche Mittel der milden Kommunikation zu finden.
  • CloseMinds, die mit „so etwas braucht kein Mensch“ den Kopf schütteln. Von blanker Anlehnung bis nacktem Hohn ist hier mit allem zu rechnen.
  • Antagonisten, die das neue aktiv bekämpfen (gefährlich! Siehe Facebook…). Hier ist mit direkter, harter Auseinandersetzung und unmittelbarer Konfrontation zu rechnen.

Gewalt führt zu Gegengewalt, Druck erzeugt Gegendruck: So geht es nie um die Sache, wenn Ideen mit aller Wucht durchgeboxt werden. Es geht um alles andere. Und das ist der Grund, aus dem unsere Welt schon Millionenfach durch Ideen hätte gerettet werden können. Wenn da nicht all die da Verhinderer da oben wären.

„Welch Narr ich war“, schreibt der sympathisch selbstreflektierte Dueck, der in seinen frühen Jahren wohl auch eher mit dem Kopf (voller Ideen) durch die Wand (voller Widerstand) wollte. Damals sah er nicht den Kontext menschlichen Zusammenspiels in Unternehmen. Anders als Kollege Precht mit seiner Bildungsattacke hat er aber keine Revolution im Sinn. Vielleicht ist das der Grund, aus dem Dueck bisher nicht in Spiegel-Bestsellerlisten und Talkshows auftauchte. Der Mann ist einfach nicht eindimensional genug.

Botschaften wie „macht das Beste aus dem, was da ist“ (jetzt hier stark vereinfacht) sind natürlich weniger dramatisch als Forderungen, ganze Bildungssysteme abzuschaffen. Es bedeutet: Man kann wirklich was machen und muss gar nicht viel diskutieren. Wie unkompliziert. Zu unkompliziert, da Änderung so möglich wird.

Dueck wäscht den verträumten Spinnern, den weltfremden Erfindern, die er manchmal am Telefon hat, den Kopf. Nur etwas Neues zu haben und zu wissen, dass es besser geht, reiche nicht. Nur wer es schaffe, an den Hindernissen vorbei zu kommen und mit den unternehmensgegebenen Reglementierungen Hand in Hand zu arbeiten, die eben zu einem Großunternehmen gehören, kann Neues nicht nur erfinden, sondern auch in die Welt bringen. Sein Rat für Erfinder:  „Work underground as long as you can.“  Um Ideen zu realisieren, müsse man taktisch vorgehen, lernen, sich auch als Querdenker Freunde zu machen und Bündnisse zu schmieden. Einem Spinner hört keiner zu, einer grauen Eminenz aber sehr wohl.

So ist das Buch ein Plädoyer für gegenseitiges Verständnis und für Annäherung des Verschiedenen – ein somit trotz spitzer Thesen sehr versöhnliches Buch, das auch viel über das Wesen der Zusammenarbeit in Unternehmen und die Motivationen der Menschen aussagt. Und deutlich lesbar aus spiraldynamisch gelben Denken entspringt, ohne darauf zu verweisen. Gelb heißt: Integrativ, versöhnlich, zusammenführend.

„Das Neue erobert unter Eustress die Welt, während das Alte unter Distress sein Revier verteidigt“, ist mein Lieblingszitat aus dem Buch. Oder auch, in anderer Variante: „Das Neue ist wie Wollen, Wechsel wie Müssen.“ Oh ja! Wenn ich jetzt von all den Menschen in Tageszeitungen und Magazinredaktionen höre und lese, die unter ständigem Distress arbeiten! Und denen die aus der digitalen Welt stammend, sehr viel mehr Eustress erleben, kann ich nur sagen: Wer Spaß an der Arbeit haben will, sollte Umgebungen meiden, in denen Wandel zwingend nötig ist, aber das Alte regiert und Menschen, die Neues wollen nicht nur 100% Bullshit bescheren, sondern 1000.

Wie oft habe ich Menschen gesehen, die in Unternehmen arbeiteten, die sich verändern mussten. Immer war die Stimmung angestrengt, die Motivation künstlich. Allzulange wird Veränderung halbherzig und mit den – auch personellen Mitteln und Ressourcen – des Alten betrieben. Was die Neu-Affinen frustriert und demotiviert.

Würde ich mir als junger Mensch heute ein Unternehmen aussuchen, so wäre es eine innovative Firma im Eustress, die etwas vertreibt oder vorantreibt, was die Welt wirklich braucht. Nie mehr würde ich mich an Tätigkeiten orientieren oder Bereichen, an den großen Namen von früher und Rezepten von gestern.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

9 Kommentare

  1. Katharina Hoehendinger 10. Mai 2013 at 12:36 - Antworten

    Hallo Frau Hofert, vielen Dank für diesen Blogeintrag. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu was den Distress in trägen Strukturen und den Eustress im innovativen Umfeld angeht. Toll zu lesen, wie es hier auf den Punkt gebracht wurde.

  2. Lars Hahn 10. Mai 2013 at 14:00 - Antworten

    Danke Svenja, dass Du das Buch von Gunter Dueck bereits für uns gelesen hast. Allein der Satz: “Work underground as long as you can.“ und die dahinterliegende Philosophie rechtfertigt den Kauf! Sagt einer, der eher hysterisch, denn zwanghaft agiert.

    • Svenja Hofert 12. Mai 2013 at 19:03 - Antworten

      danke Lars und Katharina Hoehendinger für die Feedbacks. Lese gerne weiter Bücher vor 😉 LG Svenja

  3. Johann 17. Mai 2013 at 9:52 - Antworten

    Sie haben absolut Recht und ich erkenne mich, als junger Mitarbeiter im Finanzbereich eines Automobilkonzerns mit eingefleischten Strukturen, die vehement verteidigt werden (“wir machen das schon seit Jahren so”), voll und ganz wieder.

    Sie vergessen nur: Für Firmen im Eustress muss man in der Regel Opfer bringen. Sei es ins Silicon Valley oder nach Berlin umziehen, sei es Überstunden oder Minigehalt. Den Lohn gibt’s vielleicht in der Zukunft. Nicht jeder ist bereit hierzu.

    Ich bin der Eustress Typ, habe dies aber nach 2 tollen Jahren für die Sicherheit, das Gehalt und die 35 Stunden Woche eines Konzern aufgegeben. Sonst hätte ich vor 30 keine Kinder bekommen können (ja es gibt noch Akademiker die das wollen). Und es war richtig: Ich habe Zeit für die Familie, kann mich, trotz der Tatsache, dass Ideen nicht weiterverfolgt und umgesetzt werden, durch Kreativität von der Masse abheben. Auch finde ich immer mehr gleichgesinnte und falls uns die 50-jährigen bis dahin nicht assimiliert haben, übernehmen wir in 15 Jahren das sagen. 🙂

    • Svenja Hofert 17. Mai 2013 at 10:08 - Antworten

      Hallo J., das ist eine schöne Weiterentwicklung der Gedanken. Und richtig: Mir fallen auch noch andere Argumente für Großunternehmen ein, z.B. dass man dort oft professioneller Methoden lernt und besser weitergebildet wird. Wie Sie sagen: Wenn mehr von Ihrer Sorte das Ruder übernehmen, könnten sich die Blätter auch wenden 😉 LG Svenja Hofert

  4. karrierebibel 10. September 2013 at 12:26 - Antworten

    Eine sehr schöne Rezension. Danke! Auch wenn ich seinen Stil zuweilen langatmig finde und immer das Gefühl habe, das könnte man kompakter sagen. Vielleicht bin ich aber auch durchs Bloggen versaut…

    • Svenja Hofert 10. September 2013 at 12:40 - Antworten

      merci 🙂 Ich mag das, ich find auch seine komplizierten Anfangsbücher “Omnisophie” toll, auch wenn sie nahezu unverständlich sind, die Sache mit dem MBTI veraltet und das mit den Gehirnhälften eh schon immer falsch war… diese Art Gedanken auszurollen ist mir sympathisch. Kann sein, dass das familiäre Ursachen hat, die durchs Bloggen nicht kompensiert wurden… 😉

  5. […] Einwurf von Moderatorin und Award-Initiatorin Dr. Kerstin Gernig mit Hinweis auf das Buch “Das Neue und seine Feinde“. Steht schon auf meiner Leseliste! Um ganz kurz einmal das Thema Mitarbeitersuche auf […]

  6. Henner 12. November 2013 at 17:14 - Antworten

    Das Buch muss ich unbedingt lesen! Ich bin im Rahmen des Bestatterkongresses auf das Buch aufmerskam geworden. Genauer: Es ging um Preisvergleichsportale (!) für Bestatter und den Unmut des Referenten bzw. der Weigerung, diese neuen Portale zu akzeptieren. Die Moderatorin verwies daraufhin auf das Buch. Ich bin gespannt, der Blogartikel hat den “Lesewunsch” vervielfacht! Danke!

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