Was wenn der Traumjob auf dem Land ist? Mitten in der Walachei? Dort, wo die Nachbarn hinter der Gardine hervorspinxen, wenn Sie (spät) nach Hause kommen? Wo Jugendliche wie Hühner auf Busbahnhofstangen sitzen und nicht mal niveaulos „hey digger“ rufen, sondern nur verstohlen grinsen, wenn Sie (ein Fremder) vorbeiziehen? Wo selbst akademisch ausgebildete Frauen als statistische „Ausfälle“ mit unter 30 heiraten – und, unglaublich für uns Städter, in diesem quasi jugendlichen Alter schon Kinder bekommen. Dort, wo auch die Betriebszugehörigkeiten überhaupt nicht so kurz geworden sind, wie uns z.B. die liebe Frau Hofert in ihrem Karrieremacherbuch weismachen will?   17 Jahre, 30 Jahre in einem Unternehmen: hier gibt´s das doch noch. Schön finden das manche, ein Graus ist es für andere.

Immer wieder kommt es in meiner Beratung und ganz sicher auch überall anders vor, dass  der mühsam nach einer Neuorientierung ins Visier genommene Job, der zu einem Kunden passt, sich nicht in Hamburg oder einer netten Stadt findet, sondern fernab vom Schuss.  So fern, dass kein 30 Minuten Sprint in die Innenstadt das kulturelle Defizit auszugleichen hilft. Von Pinneberg nach Hamburg, von Kerpen nach Köln – das kann jeder. Ich meine richtig weit weg.

Je spezialisierter Sie sind, desto weniger Auswahl bietet das heimatliche Umfeld, so eine Regel, die uns die schöne neue Arbeitswelt beschert. Eine Ingenieurin, spezialisiert auf Kunststoff, kann nicht überall passende Jobs finden – die Spezialisierung zwingt zum Umzug, es sei dann man gibt sie auf. Gibt man etwas nicht auf, bestimmt der Arbeitsplatz den Wohnort.  Und dann hängt man dann da. „Hier musste ich meinen Jagdschein machen, es gibt sonst nichts“, klagte ein jenseits von München untergekommener Techniker. Eine Klientin von mir wendete schon auf dem Absatz. „Da ist nichts, keine Kultur, mal abgesehen von dem Kino, das zwei alte Filme zeigt. Da nehme ich doch lieber einen Brotjob an.“ Die Unternehmen, die oft in der ländlichen Umfeldbevölkerung nicht genügend Fachkräfte rekrutieren können, wissen dass sie schon ordentlich was bieten müssen, um Mitarbeiter zu locken. Dicke Autos, fette Gehälter, mehr Lebensbalance. Die Nichtantrittsquote bei Firmen jenseits von Großstädten soll bei über 50% liegen. Damit meine ich die Quote derjenigen, die trotz Zusage und selbst nach Vertragsunterzeichnung die Stelle dann doch nicht nehmen oder nach wenigen Wochen flüchten – zum Bespiel nach einem Blick auf das Kinoprogramm.

Wer sieht, dass seine Traumjobs nicht um die Ecke liegen, sondern z.B. am Bodensee oder der Grenze zum Elsass, begreift oft, was wirklich wichtig ist: Eine Balance zwischen Beruf und Leben. Was habe ich davon, wenn ich für eine tolle Marke arbeiten kann, zur nächsten Großstadt aber 300 Kilometer unterwegs bin? Das Gesagte gilt übrigens teilweise auch umgekehrt: Neulich traf ich eine Frau, die aus Rügen kam – und nach einigen Jahren in Bremen unbedingt dorthin zurückwollte.  Selbst, wenn es dort außer Jobs in Hotels nicht viel Auswahl gibt. Die Region bestimmt den Arbeitsmarkt. Wenn ich bleiben will, muss ich mich den Regeln beugen.

Das Bedürfnis nach regionaler Verwurzelung – bei vielen ist dies größer als zunächst gedacht. Das ist ein Aspekt, den Mitarbeiter und auch Unternehmen bei all der Traumjobsuche, Berufsfindung, Profilschärfung und dem aktuellen Spezialisierungstrend nicht unterschätzen sollten. Für Arbeitnehmer heißt das: Manchmal kommt erst die Region, die Stadt – und dann die Jobidee. Für Unternehmen: Um interessante Mitarbeiter zu bekommen, muss man findig sein und starre Regeln aufgeben. Ein guter Bekannter von mir hat ausgehandelt, dass er drei Wochen vor Ort in der Walachei richtig schuftet und dann eine Woche da sein kann, wo er leben will. So lässt es sich leben – zum vollen Gehalt.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

  1. Thomas Hochgeschurtz 15. Mai 2011 at 9:44 - Antworten

    “Eine Balance zwischen Beruf und Leben”: bedeutet, dass ein Mehr von einem zu einem Weniger vom anderen führt. Wenn Ihr guter Bekannter drei Tage schuftet um 4 Tage zu leben, dann ist der Burnout vorprogrammiert. Wie viele Leben haben wir, dass wir 3/7 einfach wegwerfen können?

  2. Svenja Hofert 16. Mai 2011 at 8:38 - Antworten

    Sagen wir so: Es ist eine Frage der Perspektiven, Möglichkeiten und des Alters/der Erfahrung. Das Optimale, das wissen Sie wie ich, ist es, sich seinen Job selbst zu machen – dann macht man die WLB gleich passend. Kann aber sein, dass ein Mensch noch nicht so weit ist, oder einfach auch zufrieden ist mit dem Modell, was er gerade hat. Ich kenne Leute, die arbeiten ohne Burnout sehr viel und andere, die arbeiten mit Burnout wenig. Dazu empfehle ich das Buch “8 Wochen verrückt”von Eva Lohmann. Das zeigt: Burnout kommt nicht von viel oder wenig, Burnout kommt von “falsch”, aufreibend, oder es ist umgebungsbedingt. LG SH

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