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Stress lass nach: Wie uns die Arbeit krank macht und was wir dagegen tun können (Rezension)

Veröffentlicht: 26. Oktober 2014Kategorien: Führung & Organisation

renteDenken Sie mal diese Woche rückwärts: Wie viele positive und wie viele negative Erlebnisse hatten Sie? Sie wissen es nicht? Gefühlt hatten die negativen Emotionen das Ruder in der Hand? Wenn das so ist, haben Sie vielleicht schon den Bezug zu sich verloren. Ihre Resonanzerfahrung fehlt, sie strengen sich an, ohne sich gehört zu fühlen, ohne Antwort zu bekommen. Das stresst. Wir laufen und laufen, aber kommen nie an. Denn das Ankommen, das wäre ja Resonanz.

3:1 für positive Emotionen

Das wäre ja ein positives Gefühl: etwas erreicht, geschafft, Feedback bekommen! Das optimale Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen liegt bei 3:1. Das heißt, dass auf einmal Ärgern zwei Mal Freuen kommen sollte, auf einmal weinen zwei mal lachen. Wer sich ständig über Kollegen und Chefs ärgert, kann das im Privatleben also kaum noch ausgleichen…. Zählen Sie noch mal nach. Verwechseln Sie dabei aber auch nicht positive Gefühle mit purem Glück. Einmal etwas bewusst geschmeckt zu haben, ein gutes Gefühl nach dem Sport, morgen mit Vorfreude aufgewacht. So wenig kann so viel sein.

„Das hält keiner bis zur Rente durch“ ist das Nachfolgewerk des Bestsellers der Autorin Carola Kleinschmidt und des Burnout-Spezialisten Hans-Peter Unger, das 2006 erschienen ist. Seitdem, so die Autoren, habe sich viel verändert. Burnout ist beispielsweise zur Zusatzdiagnose Z73 geworden. Das bedeutet, dass Ärzte diese Diagnose stellen können – wenn auch nur in Zusammenhang mit einer anerkannten anderen Diagnose, etwa einer Depression. In 85% der Fälle passiert das so: Burnout als Zusatzdiagnose paart sich mit Bluthochdruck, Depressionen, Ängsten, Rückenschmerzen…Sehr oft ist es die Depression. Die Depression ist das sicherste Zeichen für eine aus der Balance geratene Gefühlsbilanz.

Viel hat sich in acht Jahren seit dem ersten Buch der beiden “Wenn der Job krank macht” geändert: Das Gesundheitsmanagement ist in die Unternehmen und ein Bewusstsein für die Bedeutung einer stabilen Gesundheit nach der Finanzkrise sogar in manche Bankhäuser eingezogen. Das Thema Achtsamkeit ist immer wichtiger geworden, auch unter unseren Karriereexperten, von denen einige im Umgang mit Mindful Based Stress Reduction geschult sind, mit MBSR.

Viele unserer Kunden bei Karriere & Entwicklung hatten einen diagnostizierten Burnout, Männer wie Frauen. Manche trafen auf verständnisvolle Chefs und eine Zeit, in der sie sich regenerieren durften. Aber meistens schlichen sich nach einiger Zeit die alten Muster und damit der Stress wieder ein. Oft haben Chefs, Geschäftsführer, Eigentümer, theoretisch Verständnis, praktisch aber nicht. Nicht selten, weil sie selbst in einer Stressspirale stecken, sich aber noch auf der positiven Seite wähnen. Dass sich positiver Stress fast unmerklich in negativen Stress umwandeln kann, merken sie oft erst wenn der Körper streikt, was aber aufgeschoben werden kann, und bisweilen erst mit Anfang 50 passiert, manchmal später. Und so wird bei allem Wissen über die „Volkskrankheit“ Burnout dieses Phänomen doch eher denen in die Schuhe geschoben, die weniger belastbar sind.

Was nicht stimmt: Es sind gerade die leistungsfähigsten Mitarbeiter gefährdet, jene, die brav arbeiten und selten nein sagen. Die sich vor allem für die Arbeit engagieren und sonst wenig. Eine Kollegin sagte mal vor einiger Zeit über die Agenturszene in Berlin: Da werden Leute ausgepresst, und die Konzerne sollen es später richten. Diese Konzerne kämpfen dann mit den Folgeerkrankungen, wenn jemand einige Jahre – beispielsweise in einer Agentur – nur „funktioniert“ hat. Und das tun viele, nicht nur in Berlin, auch in Hamburg und anderswo. Doch wo auch Chefs arbeiten bis zum Umfallen, wenig Privatleben haben und kaum andere Interessen, wird sich im Kern wohl wenig ändern.

Neue Führungserfolgs-Größe: Mitarbeitergesundheit

Es sei denn, der Druck wächst, etwa aufgrund des demografischen Wandels, der uns zwingen wird, auch mit denen zu arbeiten, die nicht perfekt „funktionieren“. Erfolg von Führungskräften kann unterschiedlich bemessen werden – Feedback der Mitarbeiter, Umsatz, Bewertung von Vorgesetzten etc. Eine neue Größe ist die Gesundheit der Mitarbeiter. Doch Folgen von dauerhaften Stress sind selten unmittelbar, sie zeigen sich oft erst Jahre später. Man müsste den Erfolg den Gesundheitsmanagements einer Führungskraft eher als Gesundheitsengagement deuten und werten. Wie oft machen Mitarbeiter Pausen? Wie viel Sport treiben sie? Wie ernähren Sie sich? Haben Sie andere Interessen, jenseits des Jobs? Das aber kann auch dazu führen, dass sich der Arbeitgeber in Bereiche bewegt, die ihn nichts angehen. Die Balance ist nicht leicht.

Doppelter Boden, zweischneidige Emotionen

In jeder Beziehung – auch für unser eigenes Emotionsmanagement. Unser Gefühlshaushalt ist hin- und hergerissen. „Während wir in unserem Privatleben von unserem Partner einfordern, dass er seine echten Gefühle zeigen soll (…), geht es am Arbeitsplatz gerade um die Kontrolle unserer Gefühle und ihren manipulativen Einsatz zur Zielerreichung.“ Kommunikation wird immer wichtiger: Wir sollen überzeugen, durchsetzen, Konflikte lösen, Gespräche effizient führen, Selbstmarketing betreiben… Kommunikation im Job hat lauter Hintergedanken. Beim Mitarbeitergespräch soll die Führungskraft erst etwas Positives sagen und erst dann zum Punkt kommen. Ehrlichkeit und Transparenz schreiben sich viele Firmen auf die Fahnen, doch im Alltag werden Intransparenz und Intrigen belohnt. Wir sollen unsere Karriere vorantreiben und ein Wir-Gefühl entwickeln. Uns für Nachhaltigkeit begeistern und sehen, wie unser Unternehmen Müllberge produziert. Überall wird ein doppeltes Spiel verlangt. Schon wieder Balance: Auf welcher Seite stehen wir?

Das Buch von Carola Kleinschmidt und Dr. Unger – hier lässt sich auch reinlesen . rüttelt auf. Es ist vollgepackt mit komprimierten Wissen aus Medizin, Hirnforschung, Soziologie und ganz viel Praxis- und Alltagsbezug. Der große, unschätzbare Mehrwert ist das Autorenteam: Unger erlebt als Chefarzt für seelische Gesundheit an der Asklepios-Klinik und Gründer einer der ersten Tageskliniken für Stressmedizin, was wirklich hinter den Kulissen passiert. Er kennt Geschichten, und hat erlebt und probiert, was hilft. Kleinschmidt kann als Diplom-Biologin, Autorin und Vortragsrednerin Fäden verbinden und Lösungen praxis- sowie laiengerecht präsentieren. Es muss, das liest man in der Danksagung, beim Schreiben auch schon mal heiße Diskussionen gegeben haben.

Das Besondere für mich ist deshalb auch, dass es ein Beispiel für ein gutes Wir-Buch ist. Da sind zwei auf Augenhöhe. Das ist angenehm anders als in vielen Büchern der Speakerszene, in der der wahre Schreiber nicht genannt wird und nur der Promotion des Autors dient, der in Wahrheit maximal Impuls- und Geldgeber ist. Und das ist anders als in den nur von Journalisten geschriebenen Werken, denen die Praxisnähe oft spürbar fehlt.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

  1. Kai G. Werzner 27. Oktober 2014 at 17:50 - Antworten

    Hallo,

    nun ja frönen wir nicht alle der neuen Weltreligion “Kapitalismus”, wer diesem Glauben aktiv nachhängt, läuft natürlich Gefahr an den neuen Krankheiten zu erkranken: Burnout für Überlastung, da Mann oder Frau für Drei oder Vier zu arbeiten hat – oder – an Boreout für Unterforderung, Akademisierung von normalen Berufen, HartzIV für die Lohnsenkungspolitik u.a. Situationen.

    Mein Tipp für Erkrankte – war / bin selbst betroffen und zwar an beiden Versionen: für neue Wege zur Selbsterkenntis schaut euch das freie Material bei Youtube an Prof. Dr. Gerald Hüther (Neurobiologe); Dr. Gunther Schmidt (Hypnosytemiker / MEI) und natürlich den Klassiker Prof. Dr. Paul Watzlawick.

    Konstruiert euch eine neue eigene Welt und erinnert Euch, dass Leben mehr ist als nur Arbeit, und Mann oder Frau braucht nicht aller halber Jahre ein neues teures Handy Laptop Auto u.s.w.

    Man kann auch mit viel weniger auskommen schaut doch einfach mal nach was eure Ahnen gehabt haben die hatten nur einen Bruchteil von dem was wir heut haben. Waren Sie dewegen Unglücklicher?

    Mit freundlichen Grüßen
    Kai G. Werzner

  2. Jenny 22. April 2015 at 8:29 - Antworten

    es gibt nicht nur Burnout sondern auch boreout. Ich wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, arbeite nur noch wenige Stunden. Bevor ich in meinem erlernten Beruf Vollzeit arbeite, nehm ich lieber nen interessanteren Minijob an.

    nun hab ich ein Studium abgeschlossen und muss damit sonst eine Stelle finden.

    in meinem erlernten Beruf ist es schwer, Stellen zu finden. Jahrelang wurde das nicht gesucht, früher wurde es über Bedarf ausgebildet, dann werden viele Sachbearbeiterstellen akademisiert und ich bin für alles zu schlecht ausgebildet.

    ich seh den als mein bedingungsloses Grundeinkommen

    finde es schlimm, wie man Menschen heute behandelt – ohne Studium gilt man als Volldiot, Weiterbildung gibt es auch nicht, Fernstudium wird einen verboten.

    ich hab vom Fachkräftemangel jahrelang nichts gehabt – Stellen gab es kaum, wenn dann nur schlechte oder man selbst war unterqualifiziert, weil für jede Sachbearbeiterstelle Studium verlangt wird.

    ich genieße mein Grundeinkommen, falls ich nichts finde. Arbeit gibt es ja kaum in DE — Arbeitsvolumen Rekordtief, 1340 Std. pro Person p.a. , stand 1991 obwohl immer mehr mitarbeiten. Wann kommt endlich der demographische Wandel???? Muss ich mich bis 2020 gedulden? Findet man dann auch mit normaler Ausbildung wieder attraktive Stellen, oder bleibt die Lage so beschissen?

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