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Titelgeil? Oder intrinsisch motiviert? Die Wahrheit über Promovierende (Interview)

Veröffentlicht: 29. Januar 2014Kategorien: Führung & Organisation
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Sind Promovierende Titelgeil? Geht es Ihnen nur um die schnelle Karriere in der freien und damit gut bezahlten Wirtschaft? Das legt ein Artikel in der SZ vom 27.12014 (“Wenn Wissenschaft zur Nebensache wird – Promotionen die “nur” der Karriere dienen”) nahe.  Ich sprach darüber mit der Personal- und Bildungsexpertin Dr. Eva Reichmann – promoviert, aber absolut nicht titelgeil. Ich möchte aus meiner eigenen Erfahrung hinzufügen: Ich habe nie jemand erlebt, der wegen eines Titels promoviert hat.  Es waren immer zumindest überwiegend intrinsische Motivationen.

Andere machen bereits Karriere, während man (noch) promoviert. Warum tun sich Leute das an?

Reichmann: Eine Promotion kostet Zeit.  Viel Zeit. Meistens ist es nicht möglich, unter 2-3 Jahren eine Promotion zu verfassen. Dann gibt es im Anschluss die Zeit der Begutachtung und der Vorbereitung auf die mündliche Prüfung (Rigorosum). Bevor die Urkunde nicht ausgehändigt ist (wofür die Arbeit publiziert werden muss) ist die Promotion nicht beendet. Eine Vollzeitpromotion – man tut nichts anderes als promovieren – mag (abhängig von Fachgebiet und Thema) innerhalb von 2 Jahren zu bewältigen sein – dafür benötigt man jedoch entweder ein Stipendium oder Vermögen als Basis für den Lebensunterhalt.

Eine Teilzeitpromotion bedeutet, dass man nur einen bestimmten Teil der Lebenszeit für die Promotion aufwenden kann, weil man arbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu sichern – solche Verfahren dauern in der Regel 3-4 Jahre.

3-4 Jahre, die man in Arbeitsverhältnissen in der freien Wirtschaft in sicherlich anders für die Karriereplanung nutzen kann.  In vielen Bereichen spielt es eine Rolle, ob man mit 25 einsteigt, oder erst mit 30.  Für viele Positionen zählt praktische und oft einschlägige Arbeitserfahrung – die man nicht macht, während man promoviert.

Promovieren bedeutet: prekäre Arbeitsverhältnisse?

Reichmann: Wer sich auf eine Promotion einlässt, nimmt in den meisten Fällen finanzielle Einschränkungen in Kauf. Stipendien sichern zwar den Lebensunterhalt – aber nur, wenn man wenig Miete bezahlt, keinen Urlaub macht und auch sonst nicht gerade hohe Ansprüche hat. Dazu kommt, dass man durch ein Stipendium weder arbeitslosenversichert ist noch in die Rentenkasse einzahlt. Ein Stipendium ist zeitlich befristet – Verlängerungen sind häufig ein Problem.

Wer eine Promotionsstelle hat, sieht sich meistens mit dem Problem konfrontiert, dass lediglich ein geringer Teil der Zeit für die Promotion zur Verfügung steht – jedoch 150% der Zeit Anwesenheit in der Hochschule und Arbeit an (oft promotionsfremden) Themen gefordert wird. Abgesehen davon, dass eine große Zahl der Promotionsstellen Teilzeit- und nicht Vollzeitstellen sind. Und vor allem: befristet. Bezahlt werden diese Stellen häufig nach Tarif 13 im öffentlichen Dienst,  was nicht gerade üppig ist. Das größte Problem sind jedoch die Befristungen: mein kürzestes Arbeitsverhältnis während meiner Promotionszeit betrug tatsächlich 4 Wochen – die längste Vertragslaufzeit war 2 Jahre. Wer mit Stelle oder Stipendium promoviert, lässt sich also auf die Unsicherheit ein,  mitten im Verfahren plötzlich ohne Finanzierung dazustehen .

Wissenschaft ist kein Beruf – sondern eine Berufung – so heißt es oft. Wie sehen Sie das?

Reichmann: Wissenschaft ist heute ein Beruf – mit einer hohen wirtschaftlichen Komponente. Das Bild vom Wissenschaftler im Elfenbeinturm ist Gott sei Dank überholt – nur in den Köpfen einiger Professoren nicht. Erwartet wird, dass man(n) sich nur der Schließung von Forschungslücken widmet, als Lebensaufgabe – andere Lebensinhalte zählen nicht. (Weshalb frau ja auch immer noch häufiger aus akademischen Karrierewegen ganz herausfällt oder diese kinderlos beschreitet).

Ich halte (provokativ) dagegen: bei manchen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Forschungslücken ist es für die Menschheit irrelevant, ob sie geschlossen werden oder nicht. Da geht man bei der Themensuche strategisch so vor: über was ist noch nicht geschrieben worden?

Viele natur- oder ingenieurwissenschaftliche Doktorarbeiten sind hingegen von vorneherein gar nicht ohne Unterstützung aus der Wirtschaft (z.B. in Form von praktischer Erprobung von Wirkstoffen, Anwendungsweisen, Materialien usw.) möglich.

Ohne Promotion keine oder nur geringe Chancen, auch nicht in der Wirtschaft – das gilt immer noch, etwa für Chemiker. Auch viele Biotechnologieabsolventen stellen oft erst nach dem Abschluss fest, dass für sie nur Vertrieb geht, aber nicht F&E…

Reichmann: Dieses Problem stellt sich vor allem Absolvierenden aus dem Bereich der Naturwissenschaften:  der Masterabschluss gilt in der freien Wirtschaft nicht als der Abschluss, der hinreichend für eine Tätigkeit im Bereich der Entwicklung qualifiziert – und auch nicht unbedingt für Schnittstellenbereiche zwischen Entwicklung und Vertrieb oder anderen Unternehmensbereichen. Den Doktortitel hochzuhalten macht durchaus Sinn, denn in den Promotionsvorhaben lernt man,  langfristig angelegte Forschungsprojekte zu gestalten und in diesem Rahmen auch schon Mitarbeiter (Masterstudierende, ev. vereinzelt noch Diplomanden) anzuleiten.  Oft lernt man auch, Wissen weiterzugeben, da man Studierende betreut oder in der Lehre aushilft.

Aber auch im geistes- oder sozialwissenschaftlichen Bereich macht es Sinn, dass eine Promotion die Jobchancen erhöht: in vielen Leitungspositionen  von Einrichtungen oder Instituten kommt es darauf an, langfristige Projekte zu gestalten, kritisch mit Medien und Quellen umzugehen und verschiedene Themenbereiche sinnvoll miteinander zu vernetzen – was durch einen Masterabschluss alleine oft nicht praktisch erprobt werden kann.

Da ist, denke ich, ein oft unterschätzter Effekt: Wer diese zwei, drei, fünf Jahre geschafft, kommt raus als “anderer Mensch” mit neuen Kompetenzen. So jedenfalls schildern mir das viele – und vor allem die, die nicht unmittelbar nach dem Studium die Promotion gehängt haben, sondern erst nach ein paar Jahren in der Wirtschaft. Was wünschen Sie sich für die Promovierenden?

Reichmann: Ich wünsche mir einen stärker wertschätzenden Umgang mit Promovierenden und Promovierten. An den Skandalen mit Plagiaten und schlechten Doktorarbeiten tragen zu einem großen Teil Gutachter die Schuld, die sich nicht die Mühe machen (aus mangelnder Wertschätzung?) die bei Ihnen eingereichten Doktorarbeiten auch gründlich zu lesen. Zu erwähnen ist, dass den Professor/innen für jede Promotion meistens auch eine Prüfervergütung gewährt wird…

Zusammengefasst: Was bedeutet promovieren?

  • In der Lage sein, sich intensiv und langfristig mit der Lösung eines Problems zu beschäftigen.
  • Eine hohe Frustrationstoleranz zu haben und mit Rückschlägen umgehen zu können.
  • Zu strukturierter Planung und Arbeit fähig zu sein.
  • In hohem Maß Vernetzungen und Verbindungen zwischen Sachverhalten herstellen zu können.
  • Eigenständig arbeiten zu können.
  • Ergebnisse präsentieren, recherchieren, kritische Fragestellungen entwickeln  können…  und noch vieles mehr (je nach Fachgebiet).

Das sind Fähigkeiten,  die für viele Tätigkeiten außerhalb von Hochschulen erforderlich sind!

 

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

8 Kommentare

  1. Enrico Briegert 29. Januar 2014 at 18:28 - Antworten

    Wenn jemand aus purem Interesse am Thema promoviert (=intrinsisch motiviert ist) würde er dann abschreiben? Wen hätte er dann betrogen? Dann würde er sich selbst betrügen. Wie war es bei den Guttenbergs und Co? War das Ziel der Promotion Erkenntnisgewinn oder Eintrittskarte? Ich vermute Letzteres = extrinsische Motivation. Dann ist die Versuchung verständlich den nötigen Aufwand zu reduzieren.
    Im Blog steht, dass die Promotion auch eine Voraussetzung für Karriere ist. Dann ist es doch auch extrinsische Motivation, da nicht der Erkenntnisgewinn, sondern die Position im Mittelpunkt steht. Oder? Und ist wirklich der Gutachter schuld, wenn jemand plagiiert? Der intrinsisch Motivierte hätte es gar nicht versucht-).
    Wenn jemand aus rein intrinsischen Motiven promoviert hat, schreibt er dann seinen Titel vor den Namen?

    • Svenja Hofert 30. Januar 2014 at 8:16 - Antworten

      Hallo Herr Briegert, vermutlich gibt es auch viele dazwischen und sowohl als auch. Letztendlich kann es auch sein, dass die Umwelt Statusempfinden erst auslöst und es auch unterdrückt. Ich habe ab und zu mit Promovierenden dazu, darunter war jedenfalls kein Guttenberg. Aber meist war es doch eher eine Mehrfach-Motivation mit dem Hauptantrieb: “ich will das unbedingt”. Das was anderes als “ich will diesen Titel, damit mich die Leute für kompetent halten und ich höhere Gehälter verlangen kann.” Das ist eine Motivation wie Hausaufgaben, ja noch geringer: Das muss man dann irgendwie hinter sich bringen, aber Hilfsmittel sind gern gesehen. Danke für die guter Ergänzung und weitere Perspektive. LG Svenja Hofert

  2. Nico Rose 30. Januar 2014 at 9:15 - Antworten

    Also ich “oute” mich jetzt einmal und bestätige, dass der Grund, damals eine Promotion anzustreben, zu min. 8ß% extrinsisch motiviert war. Allerdings habe ich einen hohen (psychologischen) Preis dafür bezahlt – den nach hinten raus wurde der Prozess durch zunehmend mangelndes Interesse am Thema zu einer Quälerei. ich würde mich heute wieder für eine Promotion entscheiden, aber nur, wenn das Thema 100% zu mir passen würde.

    • Svenja Hofert 30. Januar 2014 at 23:56 - Antworten

      find ich sympathisch, Dr. Rose, vielleicht sind wir alle auch ein wenig zu sehr auf der “intrinsisch-Schiene” (= gut). Ich habe auch eine Weile überlegt, wie schön so ein Dr. für eine Frau Hofert wäre und versucht einen Doktorvater zu bekommen. Doch jemand wie mich nimmt keiner jemand wie mich – wer populäre Bücher schreibt, ist irgendwie bäh. Und die Ferndiagnose ist so falsch nicht: würde ich irgendein bescheuertes Thema bearbeiten, nur damit…? Ich hab dann überlegt, warum ich diese Titel will – und bin der Eitelkeit auf die Schliche gekommen. Also auch extrinsisch. LG Svenja Hofert

      • Enrico Briegert 31. Januar 2014 at 7:54 - Antworten

        Ist intrinsisch besser als extrinsisch? Beides sind Gründe etwas zu tun. Nur bei extrinsischer Motivation fühlt es sich schnell nach Arbeit, nach Müssen an. Für das psychische Wohlbefinden sind intrinsische Motive angenehmer (Flow-Gefühl vs. Pflicht-Gefühl).

  3. Dr. Eva Reichmann 30. Januar 2014 at 12:29 - Antworten

    Hallo, Herr Brieger! Nachdem ich gerade wieder zwei Workshoptage mit Doktoranden verbracht habe, wo es auch um diese Fragen ging: ich glaube, dass diese intrinsisch-extrinsisch-Diskussion das Problem nicht trifft. Wenn es tatsächlich noch (lebens-)wichtige Forschungslücken zu schließen gibt, sind das m.E. Aufgaben für Forschungsverbünde – und nicht für einzelne Doktorand/innen.
    Man muss akzeptieren, dass die Promotion einer gesellschaftlichen und in manchen Bereichen innerberuflichen Konvention entspringt und entspricht – leider gerade aber durch das, was passiert, inhaltlich entwertet wird. Strukturierte Promotionsprogramme von Universitäten verhindern zwar in vielen Fällen inhaltlich fragwürdige Promotionen – andererseits erzeugen sie eine solche Menge an promovierten Akademikern, dass der markt sie nicht aufnehmen kann.
    Hier muss generell mal anders gedacht – und anders kommuniziert werden. Aber nicht einseitig nur aus akademischer Sicht (wer keine Forschungslücke schließen und für den Professor arbeiten will darf nicht promovieren) oder der Sicht des Markts (“Wir brauchen einen Doktor als schmuck für unsere Firma).
    Ich würde mir eher eine inhaltliche Diskussion wünschen: ist es wirklich notwendig, zu einem Thema zuerst die gesamte existierende Sekundärliteratur und Forschungslage wieder zu geben, bevor man endlich den eigenen Gedanken präsentieren darf /falls man das nach all der Lektüre überhaupt noch kann …). Da bleibt die Innovation doch aus Plagiatsangst gewaltig auf der Strecke – egal ob extrinsisch oder intrinsisch motiviert.

  4. Natalie Schnack 30. Januar 2014 at 15:02 - Antworten

    Hallo in die Runde,

    ich kenne einige, die promoviert haben, auch Kunden von mir. Und alle von ihnen (die zugegeben nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sind, was sie signifikant von von und zu Gutenberg unterscheidet) waren selbstverständlich am Thema selbst interessiert und wirklich motiviert, dieses intensiv über Jahre zu bearbeiten.
    Natürlich spielen auch andere Motivationsfaktoren eine Rolle: Anerkennung für die geleistete Arbeit, Sichtbarmachung der eigenen Fachkompetenz und selbstverständlich auch bessere Karrierechancen durch Dr. vor dem Namen, sowohl in der Wirtschaft als auch auch in der Wissenschaft. Was davon per Definition nun intrinsisch und was extrinsisch ist, liegt im Auge des Betrachters. Denn Wunsch nach Anerkennung ist ja auch intrinsisch, oder?!
    Das hat rein für meinen Begriff rein gar nichts mit der Titelgeilheit zu tun, zumal wie im Beitrag beschrieben der Weg zu diesem Titel sehr steinig ist – Ausbeutung, sowie Eitelkeiten und Narzissmus des Doktorvates zählen ganz sicher zu den größeren Brocken 😉
    Und wer diesen Weg gegangen ist, braucht sich nicht dafür zu schämen, sondern kann wirklich stolz auf sich sein und selbstverständlich auch die Abkürzung Dr. verdienterweise seinem Namen voranstellen!

    Herzliche Grüße
    Natalie Schnack

    • Svenja Hofert 30. Januar 2014 at 23:57 - Antworten

      Hi Natalie, danke für deinen Super-Kommentar. Ist mal Zeit, die exztrinisch-intrinsich Kategorien aufzulösen. LG Svenja

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