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Titelgeiles Österreich – Wenn der vergessene „Magister“ bei Bewerbungen in der Alpenrepublik zum Stolperstein wird
Ein Gastbeitrag von Mag. Christoph Weissenböck / Karriere.at
„Die Melange für Frau Oberstudienrat, das kleine Gulasch für den Herrn Magister! Mahlzeit die Herrschaften!“ Oberkellner Franz würde in keinem österreichischen Kaffeehaus, das etwas auf sich hält, den Titel eines Stammgastes auslassen, sofern er einen solchen weiß. Warum? Weil’s sich gehört – zumindest in der Alpenrepublik. Oder?
Fakt ist: Ein wenig k.u.k-Atmosphäre schwingt hierzulande immer noch mit. Auch 90 Jahre nach Ende der Monarchie hat der Titelwahn in Österreich nach wie vor Hochkonjunktur. Rund 900 Amts-, Berufs- und akademische Titel zählt man in der Acht-Millionen-Republik derzeit, erhob Autor Heinz Kasparovsky für sein Buch „Titel in Österreich“. Ein Land, in dem nach wie vor Wert auf die Bezeichnung „Oberkellner“, „Oberamtsdirektor“ und „Medizinalrat“ gelegt wird. Und wo die Titel dann auch wirklich angeführt werden – nicht nur auf Visitenkarten, in Mailsignaturen oder in Briefen. Als gelernter Österreicher lernt man von klein auf, wo und wie man die wenigen Buchstaben, die für viele die Welt bedeuten, einzufügen hat. Nicht, weil man tatsächlich in untertäniger Ehrfurcht vor dem Gegenüber sein Anliegen vorbringt, sondern weil es sich eben „gehört“. Punkt.
Konsterniert stehen diesem Phänomen dann oft deutsche Studenten, Arbeitnehmer und vor allem Arbeitsuchende gegenüber. Worauf ist zu achten? Wie sieht eine perfekte Bewerbung in Österreich aus? Was kann ins Auge gehen? Wo lauern österreichspezifische, zuvor belächelte Schrulligkeiten als Bewerbungs-Stolperfallen? Den „Mag.“ vor dem Namen anführen oder nicht? Muss ich den „Hofrat“ oder den „Oberamtsrat“ in die Anrede aufnehmen? Und sind die Floskeln „Sehr geehrte/r…“ beziehungsweise „Hochachtungsvoll“ auch im E-Mail-Schriftverkehr wichtig? Schwer zu sagen. Einfache Antworten gibt es darauf nicht. Weil die Ausprägung des Titelwahns von den Präferenzen, den Branchen und/oder dem Alter der Ansprechperson abhängt.
Ein kleiner Leitfaden ist dennoch zu wagen. Arbeitstitel: „Worauf zu achten ist, wenn ich mich in Österreich bewerbe.“
Erstens: Ein Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf, das in Deutschland als „hervorragend“ einzustufen ist, wird zu 99 Prozent auch in Österreich Eindruck machen und alle formalen, erwünschten und geforderten Kriterien erfüllen. Also keine Panik, österreichische Personalisten, Firmenchefs und Professoren sind keine k.u.k.-Beamten, wie man sie aus Sissi-Filmen kennt. Sie reden nur anders als ihre Pendants in Hannover, Kassel oder Münster.
Zweitens: Höflichkeit zieht immer. Und zwar im klassischen Sinn. Geht es um eine Job-Bewerbung, ist – ausgenommen von Kreativberufen – absolut anzuraten, auch eine E-Mail mit „Sehr geehrte/r Herr/Frau XXX“ zu beginnen. Das in Deutschland in Mails oft verwendete „Hallo Frau/Herr XXX“ wird in Österreich von arrivierten Personalentscheidern mit großer Wahrscheinlichkeit als zu persönlich empfunden. Als Schlussformel liegt man mit den „Freundlichen Grüßen“ niemals verkehrt. „Hochachtungsvoll“ muss sich niemand mehr zwingend unterwerfen. Maximal in Briefen in Papierform.
Drittens: Ähnliche Regeln gelten am Telefon. „Hallo“ zu Beginn und „Tschüs“ zum Abschied wird von Proponenten der Altersgruppe 40+ in bestimmten Berufsfeldern wie dem öffentlichen Dienst, im Bank-, Versicherungs- und Universitätswesen wohl eher als Respektlosigkeit aufgefasst werden. Daher: „Guten Tag“ und „Auf Wiederhören“ passt immer.
Viertens: Die Titel. Während in Deutschland Titel wohl erst ab dem Doktortitel angeführt werden, ist es in Österreich durchaus Usus, auch seinen „Mag.“ zur Schau zu stellen. Die Motive dafür sind – wie erwähnt – vielschichtig. Oft verlangt dies quasi die Tradition einer Branche oder eines Berufsfeldes, andere legen persönlich Wert auf die Tatsache, ein Studium abgeschlossen zu haben. Geht es also um Bewerbungen, sollte man nichts riskieren und einfach den Mag. des Ansprechpartners voranstellen. In der Regel reicht es heute auch, akademische Titel, also Mag., Dr., Prof., Dipl.Ing. und Co. in der Anrede anzuführen und nicht die Berufstitel wie „Regierungsrat“. Tipp: Verfügt der Ansprechpartner über keinen akademischen Titel/Grad/Abschluss, so kann es im öffentlichen Dienst bauchpinseltechnisch in vielen Fällen aber durchaus gut ankommen, Amtstitel anzuführen: „Sehr geehrte Frau Oberamtsrat…“ beispielsweise.
Fünftens: Den Titel „Professor“ gibt es in Österreich in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ganz klassisch als Universitätsprofessor, verliehen durch eine Hochschule. Zweitens gibt es jede Menge Professoren an österreichischen Gymnasien, die gegenüber ihren jungen Lehrerkollegen den Vorteil genießen, als pragmatisierte (=unkündbare) Bundesbedienstete ihr Dasein fristen zu dürfen. Und drittens – halten Sie sich fest – als Ehrentitel, verliehen durch den Bundespräsidenten. Diese „Alterserscheinung“ kann durchaus auch kuriose Blüten schlagen: So dürfen sich beispielsweise mittlerweile Karl Moik, Udo Jürgens oder Sportreporter-Legende Robert Seeger den Titel „Professor“ auf die Visitenkarte schreiben. Für alle drei Professoren-Varianten gilt: Jeder, der ihn hat, freut sich, in Briefen und Mails auch so angesprochen zu werden.
Vielbetiteltes Österreich.
Christoph Weissenböck ist Autor, Texter und PR-Verantwortlicher beim österreichischen Jobportal karriere.at. Im karriere.blog schreibt er täglich über alles, was die Job-, Karriere- und HR-Welt zu bieten hat. Seinen Mag. verschweigt er oft.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
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Soweit alles richtig. Was nicht vergessen werden sollte, ist die Titelkombination. Im Gegensatz zu DE wird nicht nur der höchste Titel geführt, sondern alle. Beispiel eines Maschinenbauers mit Doktor-Titel:
DE – Dr., evtl. auch Dr. tech. oder sowas.
AT – Dipl. Ing. Dr.
Besonders kurios wird’s bspw. bei Ing. Dipl. Ing (FH) Vorname Nachname, MBA.
Das ist der klassische Standes-Ingenieur mit 3 Jahren Berufserfahrung, danach ein technisches FH-Studium und ein MBA.
Greets, der Mag. (FH)
In Österreich gibt es keine wie immer geartete Pflicht, akademische Grade (das sind keine “Titel”) zu führen. Und noch weniger gibt es eine Pflicht, *alle* erworbenen Grade zu führen.
Wer also Diplomingenieur Doktor ist, darf beide Grade, einen davon, oder auch gar keinen führen – ganz nach Belieben. Auch gegenüber Behörden bleibt es einem stets selbst überlassen, welche der (rechtmäßig erworbenen) Grade man führt oder gar in Dokumente eintragen lässt. Anderslautende Gerüchte (“Doktor ist Namenbestandteil”, “bei Behörden muss der Titel angegegeben werden”) kursieren zwar immer noch, werden aber davon nicht wahrer.
In der Praxis ist es sowieso höchst unüblich, jemanden als “Diplomingenieur Doktor” anzusprechen oder anzuschreiben. Da tut’s der Doktorgrad, oder man lässt die Namensverzierungen ganz weg.
Das in der Überschrift bemühte Klischee vom “titelgeilen” Österreich ist auch schon ein bisschen angestaubt. Während man in Österreich zwar nach wie vor diverse alte Berufstitel findet (wie den bekannten Hofrat), ist in der Praxis nicht mehr viel vom Titelwust übrig. Der Kult um den Doktorgrad ist in DE sogar noch wesentlich ausgeprägter, siehe “Promotionsberater” und ähnliche Dienstleister.
Gruß, ein Mag. Dr.
Wenn schon ein solcher Artikel geschrieben wird, dann richtig. Im Text heißt es “Sehr geehrte Frau Oberamtsrat…”, dabei müsste es richtig heißen “Sehr geehrte Frau Oberamtsrätin…”. Diese geschlechtsbezogene besondere Form anzuwenden ist durchaus von Wichtigkeit.
Naja, zum Thema “Titel in Deutschland”. Es gibt jede rauhe Menge Ing. und sogar Ober-Ing. bei BBC, BASF, Siemens, Grünzweig und anderen Industriebetrieben.
Reakzerl
[…] Christoph Weissenböck: Titelgeiles Österreich – Wenn der vergessene „Magister“ bei Bewerbungen in der Alpenrepublik zum Stolperstein wird. Karriereblog Svenja Hofert, 2010. (online) […]
Als Deutscher bin ich selbst nach fünf Jahren als Universitätsprofessor in Österreich peinlich berührt, wenn ich mit “Herr Professor” angeredet werde (erst recht, wenn danach mein Namen “unterschlagen” wird). Ich mag das einfach nicht. Es offenbart wohl eine Abneigung gegen asymmetrisches Kommunikationsverhalten, welches in Deutschland zumindest im universitären Umfeld eher verpönt ist.
Nicht, dass “Titelgeilheit” in Deutschland nicht existiert – siehe Guttenberg & Co. Aber es herrscht ein zunehmender Konsens, gewisse Zeitgenossen entweder als eitel – wenn sie auf der Anrede bestehen – oder als anbiedernd – wenn sie andere mit Titel oder akademischen Graden anreden – zu betrachten.
Als ahnungsloser Deutscher tut man mit diesen Unterstellungen den Österreichern Unrecht. Das kann zu tragischen Missverständnissen führen, denn ein Österreicher ist nicht unbedingt arrogant, wenn er sich am Telefon mit dem entsprechenden Namenszusatz vorstellt, und er ist erst recht nicht devot, wenn er jemandem mit “Herr Magister” oder “Frau Professor” anspricht. Im Gegenteil, er ist einfach nur höflich.
Die Selbstverständlichkeit der Anrede mit dem Berufstitel nehmen Österreicher fast schon mit der Muttermilch auf: die Anreden “Herr Lehrer” in der Volksschule und “Frau Professor” in weiterführenden Schulen sind eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit, auch wenn das für deutsche Ohren nach Lehrer Lämpel, Schiefertafel und Rohrstock klingt und solche Anreden selbst in der Generation unserer Eltern nicht mehr üblich waren.
Was mit der “Titel”-Anrede in einer modernen Gesellschaft gewonnen wird, und welche Motive in dahinterstehen ist mir dennoch unergründlich. Für mich wäre es ein Fortschritt, wenn diese Namenszusätze ausschließlich im beruflichen Kontext und nie in der mündlichen Anrede verwendet würden. Ich schreibe meine akademischen Grade nur, wo absolut notwendig, und dann auch nur in Klammern hinter meinen Namen, um damit zu verdeutlichen, dass ich mit “Herr X” angeredet werden möchte. Ansonsten lasse ich sie weg, und lasse auch in Formularen die entsprechenden Felder leer. Ich sehe für mich keinerlei Sinn darin. Was für mich gilt, gilt allerdings nicht unbedingt für andere, und so vermeide ich, andere Menschen durch Weglassen ihrer Namenszusätze zu brüskieren.
Sich selbst treu zu bleiben, und anderseits den kulturellen Eigenarten des Gastlandes mit Respekt und Toleranz zu begegnen ist immer ein Kompromiss. In Bezug auf Österreich ist dies besonders hervorzuheben, da es sich hier eben nicht um ein Klein-Deutschland handelt, sondern um ein eigenständiges Land mit einer eigenen Kultur, Geschichte und eben auch einer eigenen Varietät der deutschen Sprache.
Man muss Österreich zu Gute halten, dass nach dem 1. Weltkrieg im Gegensatz zu Deutschland, der Adelsstand rigoros abgeschafft wurde. Es gab also keine “von und zu” mehr. Otto Habsburg wurde in der Deutschen Presse immer noch mit Otto von Habsburg betitelt. Der Boulevard goutierte es wohlwollend.
Also kann man auch verstehen, dass dieses Festhalten an ellen möglichen Nicht-Adelstitel nichts anderes ist als ein Ersatz. Immerhin ein Ersatz den man sich selber erarbeiten konnte, im Gegensatz zum Adelstitel, den man ja mit der Geburtsurkunde ohne Gegenlesitungen verliehen bekam.
Wie spricht man jemand im mündlichen Gespräch höflich an, der ein Studium nach dem Bologna-Prozes abgeschlossen hat, also einen nachgestellten Bakkalaurea/us, Bachelor und/oder Master hat?
PS: ich führe einen Magister rerum naturalium, bin also “Meister” bzw. “Lehrer” für Naturwissenschaften und/oder Mathematik, lege aber keinen Wert darauf, mit diesem Titel angesprochen zu werden, was unter anderem daran liegt, dass ich gerade am zweiten Master arbeite.
Den spricht man ohne Titel an. Also Herr Huber oder Frau Fischer.
Wie hoffentlich bald auch alle Doktoren und Professoren.
In der Schweiz ist man schon soweit, in vielen Teilen Deutschlands ebenso.
Der asymmetrischen Kommunikation haftet etwas Feudalistisches an, auf das wir nun wirklich verzichten können.