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Warum große Egoisten erfolgreicher sind und kleine einfach nettere Kollegen
Gehören Sie zu den coolen Socken, denen es egal ist, was andere über sie denken? Die nicht stundenlang ihre Worte wägen und einer ordentlichen Auseinandersetzung nicht auf dem Weg gehen? Oder sind Sie von der anderen Front, ein netter Kumpel?
Wir sprechen hier unter anderem über den Gegensatz von Egoismus und Altruismus, einer Teilskala der Verträglichkeit, Umgänglichkeit oder Soziabilität im Big Five, englisch agreeableness (alles sind mehr oder weniger Synonyme). Niedrige Verträglichkeit ist der Faktor im Big Five, der Menschen kantig macht. Hohe Verträglichkeit dagegen sorgt für den netter-Mensch-Faktor. Das hat, wie alles im Leben, seine guten Seiten, wirft aber auch Schatten. Je nachdem, von welcher Seite man draufschaut.
Wenig verträgliche Personen sind egoistischer und konkurrierender – aber auch oft sachlich-logischer in ihrem Denken und Handeln. Sie geben übergeordneten Überzeugungen (Mahatma Gandhi) oder der Sache (Steve Jobs) den Vorzug und/oder sehen vor allem den eigenen, beispielsweise ökonomischen Nutzen (Dr. No Nonnenmacher). Die anderen sehen zuerst einmal die Beziehungen. Und nehmen Rücksicht.
Verträgliche Personen richten sich an anderen aus. Deshalb sind sie empathischer – und zwar aus Überzeugung. Das ist ein Unterschied zu den weniger verträglichen Zeitgenossen, die kognitiv-empathisch sein können (Theory of mind) – also wenn es ihnen nutzt. In Empathietests schließen Unverträgliche nicht schlechter ab. Sie können, wenn sie wollen, es ihnen also nützt. Indes: Wer berühmt ist, will öfter nicht. Nützt ja nicht mehr.
Den Unverträglichen gehört die große Bühne
Mir fällt keine verträgliche Berühmtheit ein… außer vielleicht Phil Collins, jedenfalls beschrieb mir ihn ein Insider aus der Musikbranche als sehr nett. Nena dagegen: augenscheinlich unverträglich – wahrscheinlich in allen Skalen der Dimension (siehe Bild). An der Politikerfront sehe ich niemanden, der durch eine auffallend hohe Verträglichkeit auffällt. Angela Merkel ist vielleicht ein bisschen verträglicher als Peer Steinbrück, oder aber hat ihr Verhalten besser unter Kontrolle. Aber sonst: Eine breite Egoistenfront.
Einfühlsam auf Kommando
Ich erinnere mich an einen Manager, der mir erzählte, dass ihn der „Kleinscheiß“ seiner Mitarbeiter, eingeschlossen Gejammer über Scheidungen, kranke Kinder und gebrechliche Eltern, so gar nicht interessiere. Er weiß indes, dass es zu seinem Vorteil ist, sich einfühlsam zu zeigen, also hört er zu (siehe oben: er zeigt sich kognitiv empathisch). Den kleinen, feinen Unterschied merkt man nur, wenn man ganz genau hinschaut.
Unterschiedliche Berufe erfordern verschiedene Ausprägungen
Während verträgliche Menschen nach Konsens streben, gehen unverträgliche bereitwillig in die Auseinandersetzung. Man ahnt hier schon verschiedene berufliche Einsatzgebiete neben dem Musik- und Politbusiness. Ein Strafverteidiger ist vorzugsweise wenig verträglich, sonst würde er seinem Mandanten keinen guten Dienst erweisen und nur lauter faule Kompromisse schließen. Eine Krankenschwester dagegen sollte eher umgänglich sein, andernfalls könnte sie die alte Mutti angiften, wenn keiner hinschaut.
Grundschullehrer sind nachweislich in der verträglichen Version erfolgreicher. Zu gymnasialen Mathelehrern gibt es meines Wissens keine Studie, aber vermutlich sind diese öfter unverträglich, wären aber besser verträglich.
Coachs sind wie Psychotherapeuten wohl häufiger verträglich – allerdings werden sie es dann als Selbstständiger womöglich wenig weit bringen. Denn in Sachen Unternehmertum ist mindestens eine mittlere Verträglichkeit einer der Erfolgsindikatoren neben Extraversion, Gewissenhaftigkeit und maximal mittlerem Neurotizismus. Studien haben ergeben, dass es für Selbstständige optimal ist, wenn sie situationsabhängig mal so, mal so handeln können – mal kooperativ, mal konkurrierend. Coole Socke und netter Kumpel. Sie profitieren also von einer eher ausgewogenen Verträglichkeit. Zu starker Eigensinn, eine Konsequenz niedriger Verträglichkeit, verdammt sie zum Einzelkampf. Und der mag bei konkurrierenden Dönerbudenbesitzern in mafiösen Strukturen funktionieren – in wissensintensiven Branchen eher nicht.
Unverträgliche Gründer?
Die Tatsache, dass eine mittlere bis niedrige Verträglichkeit eher erfolgsrelevant für Gründer ist, spiegelt indes auch einen der Grundkonflikte, die ich bei Coachs und Beratern erlebe, die sich selbstständig machten. Einige sind ZU verträglich, um erfolgreich zu sein. Sie können einfach nicht beißen. Und so wie sich ein Bichon Frisé nicht als Wachhund eignet, ist ein extrem verträglicher Coach schlechter gewappnet, sich einen Marktvorteil zu verschaffen und zu sichern (wiewohl sein Vorteil in der Kooperation liegen könnte).
Einen gewissen Ausgleich zur Verträglichkeit schafft Neurotizismus und/oder Extravertiertheit. Je höher die Extraversion, desto kontaktorientierter wird auch der verträgliche Mensch sein. Es könnte ihm indes an Abschlusssicherheit fehlen. Da ist dann wieder Unverträglichkeit ein unschätzbarer Vorteil: der unverträgliche Akquisiteur wird seinen eigenen Vorteil im Blick behalten.
Die Unabhängigkeit im Denken und Handeln macht unverträgliche Menschen aus der Ferne zum Helden und aus der Nähe zum Teufel – wenn die Eigenschaft stark ausgeprägt ist. Wie sich der Unverträgliche insgesamt als Persönlichkeit präsentiert, hängt stark von seinen restlichen Big Four ab. Der extrovertierte Unverträgliche wird zum Charismatiker, der neurotische Unverträgliche zum unabhängigen Denker und der risikoaffine Unverträgliche (niedriger Neurotizismus) entwickelt möglicherweise psychopathische Züge. Der ausgeglichene Unverträgliche gründet ein Unternehmen und wird mittel erfolgreich. Ist er dagegen sehr unverträglich, sehr extravertiert, sehr unneurotisch/stabil , hoch gewissenhaft und ausgeprägt offen für Neues hat er gute Karten, ein zweiter Richard Branson oder Steve Jobs zu werden. Schon wieder: Die großen Egos.
Die Nebenwirkungen ausgeprägt niedriger Verträglichkeit sind mitunter für die direkte Umgebung schwer verdaulich bis kaum erträglich. Steve Jobs etwa beschrieben Mitarbeiter in der Zusammenarbeit als gelinde gesagt schwierig. Manch Manager hat wie mein Kunde mit dem „Kleinscheiß“ gelernt, sich selbst zum eigenen Vorteil zu zügeln und den Mitarbeitern die gewünschten Streicheleinheiten zu geben. Ganz oben an der Spitze ist so ein Theater nicht mehr nötig… Schroffheit, Direktheit, Desinteresse für private Belange der Mitarbeiter oder knallharte Prioritätensetzung zugunsten des Geschäftserfolgs sind mögliche – und zumindest bezogen auf die Prioritätensetzung – durchaus wünschenswerte Folgen. Ob niedrige Verträglichkeit gut oder schlecht ist, ist eine Frage des beruflichen Standpunkts: Bevorzugen Sie eine Bundeskanzlerin, die Putin nach dem Mund redet, weil sie aus lauter Altruismus nur das Gute sieht? Einen Chirurg, der aufgrund seines ausgeprägten Mitgefühls bei der Operation so sehr um sie bangt, dass er nicht schneiden kann?
Verträgliche Führung meist besser
Beim Faktor Verträglichkeit scheiden sich auch die Geister der Führungskräfte. Für die Mitarbeiter „besser“ sind Manager mit hoher Verträglichkeit. Mindestens für die transformationale Führung, also die Führung im Change-Kontext, ist ein verträglicher Manager belegbar dem unverträglichen diverse Nasenlängen voraus. Anders sieht es ganz oben an der Spitze aus. Da braucht es mitunter den unverträglichen Visionär, der knallhart entscheidet – ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Das ist auch der Grund, aus dem für solche Jobs oft ehemalige Unternehmensberater herangezogen werden – durchs Führungskräftetraineeprogramm hätten es diese Persönlichkeiten nie geschafft. Hier fördert man (respektive Frau in der Personalentwicklung) traditionell eher die verträglichen Zeitgenossen. Durchaus zurecht: 80-90% der Führungsjobs sind geeignet für verträgliche Manager, 10-20% für die coolen Socken und harten Hunde. Wir sehen schon, dass hier der klassische Schornstein für die Beförderungspolitik ungeeignet ist: Unten in der Teamleitung ist definitiv nicht derselbe Typ gefragt wie oben beim CEO.
Beim Blick auf die niedrige Verträglichkeit stellt sich die Frage: Wieso finden sich so gut wie keine weiblichen Richard Bransons und Steve Jobs? Die Antwort ist bitter für uns, Ladies: Frauen sind im Durchschnitt verträglicher als Männer. Ja, Sie tendieren bei allen Big Five Eigenschaften mehr zum Durchschnitt (Psychologie heute 7/2013). Allerdings nicht, wenn sie Führungskräfte sind.
Die gute Nachricht: Deshalb gibt es auch wenig psychopathische Frauen, denn Psychopathie ist eine mögliche Folge extrem niedriger Verträglichkeit ähnlich wie Autismus. Nur dass sich das eine, die Psychopathie in niedriger Verträglichkeit UND niedrigem Neurotizismus kumuliert sowie das andere, der Autismus, in niedriger Verträglichkeit und hoher Introvertiertheit.
Sie interessieren sich für weitere Beiträge zum Big Five? Hier schrieb ich über Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für neue Erfahrungen. In unserer Beratung arbeiten wir mit dem Big Five.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
So wie die Autorin schreibt führt der Mangel an kommunistischem Zirkus zu Autismus. Ich bin jedoch trotz meines Autismus ein komischer, manchmal über die kapitalistische Gesellschaft erboster Kommunist, also extravertiert & verträglich in Extremform. Morgen werde ich als Zeichen des politischen Aktionismus mit Guy-Fawkes Maske aufziehen und auf das Globalisierungstrilemma von Dani Rodrik hinweisen 😀 ☭