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Warum Selbstführung die wichtigste Führungskompetenz der Zukunft ist – mit Fragebogen

Veröffentlicht: 17. Juni 2017Kategorien: Führung & Organisation

Viele reden über Führung. Und dass man in agilen Zeiten weniger davon brauche oder gar mehr. Ich meine: Mehr – und andere. Dabei unterscheide ich vier Führungsrichtungen: Führung von oben, Führung von der Seite, Führung aus der Mitte und Führung von unten. Bevor wir da weiter einsteigen, sollten wir aber noch einen kleinen Schritt zurückgehen und uns fragen, was Führung eigentlich ist. Jedes Mal, wenn ich in ein Unternehmen komme, höre ich da etwas Anderes. Für die einen ist es Entscheiden, für die anderen Motivieren und dann gibt es auch noch Führung als “Hindernisse ausräumen” und in der Variante “andere kontrollieren”. Führung ist also ganz schön viel.

Was ist der gemeinsame Nenner?

Laut Psychologiehandbuch ist Führung die Bestimmung der Richtung von Bewegung. Es muss also mehr passieren außer Chaos, es sei denn das Chaos ist die Richtung. Deshalb ist Laissez-faire keine Führung. Bewegen kann man aber auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Ich kann meinen Leuten z.B. sagen „hey, Jungs und Mädels, jetzt lasst uns doch mal vier Wochen nur rumexperimentieren. Macht was ihr wollt, ihr habt 10.000 EUR“. Das ist ein bißchen wahnsinnig und ein bißchen “agil”, jedenfalls baue ich auf Selbstorganisation. Die Bewegung geht also hin zum freien Experiment. Weil ich Chefin bin, kam die Bestimmung von oben. Nun wird aber ein ziemliches Chaos herauskommen, wenn es bei derart losen Abstecken bleibt. Damit ein solches Experiment sich entfalten kann, braucht es zusätzlich Führung von der Seite und Führung aus der Mitte. Die Führung von der Seite könnte z.B. Strukturen vorgeben und für Regeleinhaltung sorgen wie es etwa ein Scrum Master macht. Das ist die so genannte laterale (seitliche) Führung. Es kann auch Führung von unten geben. Das ist Druck, den die Basis macht. Working Underground, diesen Begriff habe ich aus “Das neue und seine Feinde” von Gunter Dueck, ist eine solche Führung von unten. Wenn Mitarbeiter undercover, also ohne offiziellen Auftrag, etwas für ihr Unternehmen entwickeln, dann ist das so eine von-unten-Führung.

Selbstführung: Führung aus der Mitte

Was mir besonders wichtig ist, ist eine Führung, die gern als solche vergessen wird und ein Schattendasein führt, nämlich die Selbstführung. Diese Führung aus der Mitte ist besonders wichtig, wenn es um Verantwortungsübernahme und Selbstorganisation geht. Nur Menschen, die zur Selbstführung fähig sind, können diese vernünftig bewerkstelligen. Andernfalls muss das System eine Menge Regeln vorgeben. Ich finde den Ansatz aus der japanischen Kampfkunst Shu-Ha-Ri von Conny Dethloff im Beitrag “Alle reden über das  Mindset”,  hier bei Unternehmensdemokraten vorgestellt, sehr interessant, allein lehrt mich die Praxis, dass nur derjenige mit Regeln führen kann, der vom Mindset her in der Lage ist, sie zu brechen. Ich habe auch genügend Leute Handeln sehen, bei denen das Handeln allein keine Auswirkung auf die Haltung hatte. Die handeln blind, weil sie Regeln folgen, und sie können sich eben nicht davon lösen. Der Dreischritt Shu (Regeln einhalten), Ha (aufbrechen, abweichen) und Ri (verlassen, trennen) verlangt eine Ich-Entwicklungsstufe E6-E7 nach Loevinger, rein statistisch sind da nur 30% der erwachsenen Fach- und Führungskräfte. Die Fähigkeit zur Selbstführung erkennt man meiner Meinung daran, dass jemand Shu-Ha-Ri überhaupt befolgen kann. Um dieser Fähigkeit reflektiv auf den Grund zu gehen, habe ich einen Fragebogen auf Basis der systemischen Glaubenspolaritätentriade entwickelt und diese dialektisch aufgebaut. Manch einer wird auch an das Wertequadrat von Schultz von Thun erinnert sein, auch das ist ja letztendlich ein dialektischer Ansatz.

Meine Grundannahmen:

  • Ein Mensch, der sich selbst führen kann, ist in Balance.
  • Nur ein Mensch, der sich selbst führen kann, ist außerhalb einer formalen Positionsmacht in der Lage, andere zu führen.
  • Deshalb ist Selbstführung für agile Kontexte eine Grundvoraussetzung.

Eine Voraussetzung für Selbstführung ist weiterhin die Fähigkeit, die Notwendigkeit einer solchen Balance überhaupt zu erkennen. Das setzt voraus, dass jemand das EINE und das ANDERE als gleichwertig erkennt und gegenseitige Bedingung als Notwendigkeit versteht. Oder auch: Das Gute braucht das Böse. Freiheit braucht Bindung. Und so weiter. Allein diese Beziehungen sind längst nicht in allen Köpfen.

Es ist sowas wie der Anforderungsbereich 3 in der Schule – im Grunde auch ein Spiegel persönlicher Entwicklung und Reife. Da die Arbeitswelt dabei ist, sich komplett zu drehen, wird die Selbstführungsfähigkeit immer wichtiger werden. Mit Zeitmanagement hat sie wenig zu tun. Ich bin der Meinung, dass ein Mensch, der sich selbst Ziele setzen kann, höchstens Methoden der Organisation lernen muss, um effektiv und effizient zu sein. Aber glaube, dass jemand der das nicht DENKEN kann, auch an den Methoden scheitert (also am erkenntnisgestützten HANDELN, wenn man so will).

Manch einer meint ja, man müsse Menschen nur den Rahmen geben und alles würde schon von allein gehen. Es liegt aber nicht nur am System. Es reicht nicht, Menschen Möglichkeiten und Rahmen zu geben und zu glauben, sie würden sie nutzen. Es gibt  ganz klar kognitive Unterschiede, verschiedene Reifegrade und auch Wissensunterschiede. Mitarbeiter können ganz viel dürfen und sind trotzdem nicht in der Lage, ein neues Produkt zu entwickeln. Weil sie z.B. gar nicht trennen können zwischen Eigeninteresse und Markt. Oder weil sie das, was sie alles dürfen, nicht betriebswirtschaftlich durchrechnen können und in Folge Bonbons statt Software erfinden.

Dass im agilen Kontext so relativ viel schiefläuft, hat meiner Meinung nach auch mit dem fehlenden Blick auf diese Selbstführungskompetenz zu tun. Wenn Mitarbeiter nur eigenen Interessen folgen, wenn Egoismen das produktive Arbeiten stören, wenn der Teppich aufgrund der darunter gekehrten Konflikte nicht mehr ohne Stolpern begehbar ist  – ist das auch ein Zeichen von mangelnder Selbstführung.

Selbstführung interagiert

Selbstführung darf aber auch nicht allein da stehen. Sie interagiert mit seitlicher Führung und Führung von oben. Führung von oben kann Selbstführung konterkarieren, wenn sie keinen ausreichenden Freiraum lässt. Laterale Führung, zum Beispiel eines Scrum Masters, kann Selbstführung behindern, wenn z.B. der Scrum Master enger denkt als die Entwickler. Wenn also Selbstführung nicht funktioniert, liegt es manchmal nicht daran, dass die Personen potenziell dazu nicht in der Lage wären, sondern dass die Führung von oben und/oder von der Seite ihnen die Selbstführung gar nicht ermöglicht.

Fragabogen _ Potenzialentwicklung in der Selbstführung Mein Fragebogen zur Selbstführung. Er steht hier stellvertretend für alle die netten Tools und Hilfen, die ich für meine Karriereexpertenakademie und Teamworks allein oder im Sparring mit Thorsten Visbal entwickle.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

  1. Susanne Rieger 19. Dezember 2017 at 12:50 - Antworten

    Mit großem Interesse habe ich Deinen Artikel zu Selbstführung gelesen. Selbstführung als die wichtigste Führungskompetenz der Zukunft.

    Dieser gut nachvollziehbar geschriebene Artikel hat mir gezeigt, welch wichtigen Beitrag Selbstführung in Unternehmen leisten kann, wo und wie Selbstführung in Unternehmen eingesetzt werden kann. Ja, dass Selbstführung in Zukunft sogar für Unternehmen DIE Schlüsselkompetenz ist.

    Das zu lesen, hat mich mit Freude erfüllt, da Du Werte zu Führung thematisierst, die mir auch sehr wichtig sind, und gleichzeitig aufzeigst, wie diese Werte in Unternehmen, ein einflussreicher Faktor in unserer Gesellschaft, gelebt werden können. Vielen herzlichen Dank dafür.

    Für mich ist Dein Artikel extrem hilfreich, da ich im Moment nach einer Möglichkeit suche, wie ich in meiner Focusing-Ausbildung erworbenes Wissen in die Welt einbringen kann.

    Bei Focusing geht es darum, zu lernen, wie ich als Einzelner in meiner Umgebung MEIN Leben, so wie es vom Lebensprozess gedacht ist, leben kann. Laut Gene Gendlin, dem Entdecker von Focusing, ist das Leben als Prozess zu verstehen, im Zusammenspiel von Actio – Reactio.

    Über lange Jahre habe ich mich in meiner Focusing-Ausbildung mit dem Thema Persönlichkeitsentwicklung auseinandergesetzt, mit den Grenzen, an die ich dabei immer wieder in meiner Umgebung stoße. Persönlichkeitsentwicklung muss meiner Meinung nach immer im Zusammenspiel mit der jeweiligen Umgebung gesehen werden, in der ich lebe. Das ist ein langer Prozess: Ich lebe in einem System, das mich maßgeblich geprägt hat, und ich versuche mich gleichzeitig aus diesem System, das ich ein Stück weit verinnerlicht habe, herauszuschälen. Das erfordert ein hohes Maß an bewusster Auseinandersetzung mit sich selbst – doch am Ende dieses Prozesses bin ich in der Lage zu dem, was Du „Selbstführung“ nennst.

    Durch Deinen Artikel habe ich verstanden, dass sich meine Mühe der bewussten Auseinandersetzung mit meiner Persönlichkeit, das langsame Herausschälen aus gelernten Verhaltensweisen und -mustern nicht nur für mich selbst gelohnt hat, sondern ich dadurch jetzt in der Lage bin, einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Der Artikel zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich fühle ich mich in meinem Anliegen, für eine menschlichere Welt einzutreten, gestärkt.

  2. Tobias Ehrhardt 20. September 2019 at 13:21 - Antworten

    Ich finde den Aufsatz interessant. Ich kenne Führungskräfte die beim “man müsste..” stehen bleiben sobald es unbequem wird. Daher fängt für mich Selbstführung damit an, die Kräfte im Inneren zu mobilisieren um das Richtige, Notwendige auch zu tun, selbst wenn es unbequem ist. Das ist genau das worum es bei der Bundeswehr im Einzelkämpferlehrgang geht. Man kann von dem was dort gelernt wird verdammt viel lernen.

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