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Warum Unternehmen bald keine Blackbox mehr sind – HR-Trends von HR Edge 2015

Veröffentlicht: 12. September 2015Kategorien: Führung & Organisation

Warum zieht es mich hinaus auf Veranstaltungen wie HR Edge, organisiert von der E-Recruiting-Guru Joachim Diercks? Unter uns: Die Elbchaussee ist fußläufig von meinem Büro in der Palmaille zu erreichen. Die gereichten Häppchen sind lecker. Und ich freue mich, die „HR Family“ und nette Leute wie Karriereexperten-Professional-Seminar-Absolventin Angelique Thranberend, SpringerGabler-Programmleiterin Juliane Wagner (wieder) oder den einzigen mir bekannten konsequent digitalisierten HR-Professor Peter M. Wald zu treffen.

Aus professioneller Sicht, und die ist hier ja nun mal maßgeblich, zieht es mich dahin, weil ich nach Aha-Effekten suche. Gibt es etwas, dass ich wissen sollte, aber nicht weiß? Folgendes habe ich aus den Vorträgen herausgezogen:

Blackbox „wie sieht es da aus?“: Dreidimensional in der Wunschfirma

Unternehmen sind wie eine Blackbox. Wie es da ist und sich die Arbeit vor Ort anfühlt, erfährt man meist viel zu spät. Virtual Reality kann das ändern. Mit einer 3D-Brille sehe ich ein gewerbliches Ausbildungszentrum von innen. Die Blackbox Unternehmen öffnet sich so ein bißchen. Alles scheint zum Greifen nah. Selbst wollte ich hier nicht arbeiten, aber genau das muss ja das Learning sein. Indem Arbeitsplätze auf diese Weise näherkommen, sortieren sich die Bewerber einfacher. Das sollte im Sinne der Unternehmen sein. Schließlich muss man sich auch mit dem Arbeitsplatz, dem Büro, der Arbeitskultur identifizieren. Ich stelle mir vor, dass auf diese Weise auch Mitarbeiter zum Greifen nahe kämen. Mit so einer Brille könnte ma sich ein Bild über Aussehen, Alter, Kleidungsstil… Gefällt mir, auch wenn ich mit dem Ding auf der Nase aussieht wie ein Marsmensch.

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ITler öffnen die Unternehmens-Blackbox mit Kununu

31% der Bewerber suchen Stellenangebote über Google, zum Beispiel „Entwickler Frankfurt“. Klar hat hier die Nase vorn, wer oben ist und möglichst intelligente, aktuelle Ergebnisse produziert. Eine weitgehend ungenutzte Nische, so Wolfgang Brickwedde vom Institute für Competive Recruiting, der seine Umfrageergebnisse vorstellt. Von ihm erfahren wir, dass teuer eingekaufte Unternehmens-Gütesiegel irrelevant sind, da nur 10% der Bewerber sich dafür interessieren. Weitere interessante Aspekte: Naturwissenschaftler nutzen eher Linkedin, ITler informieren sich öfter bei Kununul, um interne Einblicke zu bekommen und die Blackbox Unternehmen für sich zu öffen. Für das Top-Thema Candidate Experience (also vom Unternehme positiv gestaltete Erfahrungen die Bewerber beim Bewerbungsprozess machen) interessieren sich nur 21% der Unternehmen, der Rest macht nichts. Mit Folgen: Es spricht sich rum, so oder so. 47% der Bewerber reden über negative Erfahrungen, 53% über positive. Keiner redet nicht. Das Drüberreden hat dabei eine größere Breitenwirkung je jünger die Bewerber sind. Letzter Datensatz: Die Generation Z für Zombie sind genauso internetaffin wie die Vorgänger von der Gen Y. Sie informieren sich über soziale Medien und sie posten fleißig.

Und wie viele reden nicht nur, sondern schreiben auch über ihre Erfahrungen? Ich habe mal bei Google eingegeben „diese Firma kann ich nicht empfehlen“ und erzielte 4760 Ergebnisse. Bei „diese Firma kann ich empfehlen“ waren es 5210. Verhältnis stimmt ungefähr mit dem Drüberreden überein. Noch ein Blackbox-Öffner.

Besonders schlecht schneiden Firmen in der Absagephase ab. Verständlich, sagt die Beraterin neben mir. Das Risiko mit zu viel Offenheit verklagt zu werden, sei dank AGB ja nun mal groß.

Unternehmen, bitte nicht lügen: Ehrlich währt am längsten

“Die können mir ja das Blaue vom Himmel erzählen”, höre ich oft von Bewerbern, für die Unternehmen eine Blackbox sind, die sich auch nach Vorstellungsgesprächen nicht wesentlich öffnet. Denn: Unternehmen lügen viel. Das ist das nächste Thema. Den mit Abstand höchsten Score beim Unterhaltungswert bekommt von mir Whatchadoo-CEO Jubin Honofar. Er vergleicht Bewerbererfahrung mit einer Liebesbeziehung, bei der der Partner sich anfangs im schönsten Licht darstellt. Das Konzept kenne ich vom HR-Barcamp in Berlin. Aber egal: So gutes Storytelling, so grandios leicht erzählt, so leicht. Er zitiert zum Beispiel die Stellenanzeige in der ein Wild Life Operator gesucht wurde. Natürlich bewarb sich niemand. Erst auf die deutsche Ausschreibung Förster, kamen Bewerber. Honofar sagt nichts Neues, aber er verankert seinen Impuls, seine Botschaft „seid ehrlich, erzählt nichts, was ihr nicht halten könnt“ unter dem Label der „Candidate Experience“ so nachhaltig in den Köpfen, dass ich seine Präsentation jetzt noch frei nacherzählen könnte. Zum Beispiel die Geschichte mit der Assistentin, die wie fast jeder ins Marketing will und nun alle drei Monate anklopft, weil es versprochen würde. Lieber nichts versprechen, was man nicht halten kann, so sein Appell.

Online-Assessment: Öffnet die Blackbox Bewerber

Den Vortrag von Nadine Rippers, Ausbildungsleiterin der Targobank, fand ich vor allem hinsichtlich der Offenlegung von Bewerberzahlen interessant: Nur 7% werden eingeladen, so hoch sind diese noch – und sogar im letzten Jahr um 180% gestiegen. Und so wählt die Bank aus: Nach einem Online-Test, der auf dem Berliner Intelligenzstrukturmodell beruht, teilt sie die Kandidaten in A, B und C. Später vor Ort bekommt der Kandidat weitere Aufgaben vorgelegt, so dass auffällt, wenn beim Online-Test geschummelt wurde. Der letzte Schritt ist ein Assessment Center.

Dass Bankkaufmann-Werden keine Altersversicherung mehr ist, scheint sich mit Blick auf einen solchen Bewerberberg noch nicht rumgesprochen zu habe (jedenfalls habe ich oft mit ausgemusterten Bankern zu tun gehabt). Oder es ist das sympathische Image der Targobank und der als fair empfundene Auswahlprozess? Dieser spielt bei Bewerbern, die die Wahl haben, eine entscheidende Rolle. So erzählt Rippers von einem Bewerber, der eigentlich zu einer Sparkasse wollte, der aber vom professionellen Auswahlprozess so begeistert war, dass er sich doch für die Targobank entschieden hat.

Sympathisch auch: Rippers gibt zu, dass die Bank in der Absagephase noch Nachholbedarf habe… Absagephase: Offenbar der wunde Punkt fast aller Unternehmen.

Passt die Unternehmenskultur zu mir? „Kulturmatcher“ knacken noch eine Blackbox

matcherNochmal Blackbox, dieses Mal werden Bewerber und Unternehmen ein Stück geöffnet – mit einem Matching. In der Beratung merke ich es immer wieder: Es geht ganz oft um die Unternehmenskultur und nicht um den Job. Die Unternehmenswerte müssen zu den eigenen Werten passen. In der Pause habe ich zusammen mit Angelique unseren persönlichen Werte-Matchingscore mit Cyquest getestet. Dafür liegen ein Dutzend Ipads bereit. Der Test ist visuell und funktioniert über Schieberegler. Wir sind Berater und bei denen gibt es, je länger im Job, ein Phänomen: Sie sind in allem ausgewogen. Je mehr Unterschiedliches man sieht, desto stärker wird das. Alles ist immer ein „sowohl als auch“. Deshalb konnten wir die Entweder-Oder-Fragen eigentlich immer nur mit 50% für die eine und 50% für die andere Seite beantworten. Nur die Fragen zur Präferenz von Offenheit und Kreativität/Innovation/Flexibilität gingen klar in die zustimmende Richtung. Am Ende matchen wir zu Cyquest mit 75%. In vielen Fragen ist der Karriereanker von Edgar Schein wiedererkennbar. Später im Edge-Vortrag bestätigten die beiden verantwortlichen Psychologinnen, Lisa Adler und Nora Köhler, dass unter anderem Schein drinsteckt. Wie das Tool genutzt werden soll, ist laut eigener Aussage noch nicht klar. Man könnte damit die Kultur in einem ganzen Unternehmen testen und mit der individuellen Werthaltung vergleichen. Interessanter Ansatz.

Doch was ist wenn eine Kultur sich verändern sollte und nächste Entwicklungsschritt eigentlich andere Werthaltungen bräuchte? Da muss ich im Eigeninteresse ein wenig für 9Levels®/Spiral Dynamics® die Trommel rühren, die wir mit Teamworks für die Organisationsentwicklung und Teamentwicklung einsetzen.

PS: HR Edge heißt die Veranstaltung. Konzept der Veranstaltung ist die Ecke. Alle stehen, die Vorträge wandern von einer Ecke in die andere. Ich muss sagen, dass ich mir in meinem fortgeschrittenen Alter Sitzgelegenheiten gewünscht hätte. Im Stehen sieht man weniger, vor allem hinten stehend bei einer Größe von 1,68 ohne High Heels…. Doch hohe Schuhe wären bei diesem Konzept nun gar nicht gegangen. Das war auch der Grund, aus dem ich vom ersten Vortrag von Peter M. Wald und Christoph Athanas so gut wie nichts mitbekommen habe. Ich stand zu weit hinten – lag nicht am Content 😉

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

3 Kommentare

  1. […] ich es verfolgen konnte – ersten Rückblick in ihrem Blog veröffentlicht. Ihr Resumée: Die Blackbox gehört besser ausgeleuchtet… Das trifft es für mich eigentlich sehr gut, denn in der Tat drehten sich eigentlich alle der […]

  2. […] heutigen Fundstück berichtet Svenja Hofert von ihren Erkenntnissen der Veranstaltung HR Edge 15. Ihr Artikel heisst: „Warum Unternehmen bald keine Blackbox mehr sind – HR Trends von […]

  3. Barbara Mussil 15. September 2015 at 13:20 - Antworten

    Danke für diese kurzweilige Zusammenfassung – klingt hingehenswert ! Schönen Tag noch & beste Grüsse!

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