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Warum Unternehmen Menschen entwickeln müssen – aber ganz anders als bisher

Veröffentlicht: 8. März 2017Kategorien: Führung & Organisation

„Können Menschen sich wirklich verändern?“ Diese Frage höre ich oft, zum Beispiel wenn es darum gehen soll, auf agileres Arbeiten umzustellen. Viele Chefs trauen ihren Leuten nicht zu, dass sie Verantwortung übernehmen könnten oder auch nur mitdenken. Da habe ich schon so einige heiße Diskussionen erlebt. Natürlich gibt es keinen Veränderungsschalter. Veränderung in einem weitgehend gleichbleibenden Umfeld ist Entwicklung. Diese ist mühsam.

Ob es die Aufgabe von Unternehmen ist, Menschen zu entwickeln, ist eine viel diskutierte Frage. Personalentwickler werden von Experten gern belächelt. Einige meinen, die Personalabteilung müsste abgeschafft werden. Mit Blick auf Führung argumentieren viele, diese müsse nur den Rahmen schaffen, für die Entwicklung sei sie nicht zuständig. Das wird bevorzugt systemisch oder systemtheoretisch untermauert. Reinhard Sprenger schrieb in seiner Kolumne „scheinheilige Glücksbringer“ im Harvard Business Manager, das Unternehmen nicht für das Glück der Mitarbeiter zuständig seien und sich aus dem Privatleben raushalten sollten. Einerseits kann ich dem zustimmen: es braucht kein Feelgood und Dauerbespaßung. Andrerseits scheint mir ein Aspekt übersehen: Entwickelte Menschen, sind glücklicher – weil sie innerlich freier sind. In dem Sinne könnten Unternehmen dann doch für das Glück zuständig sein, so wie auch für Unglück.

Entwicklung darf aber nicht in der Art und Weise praktiziert werden, wie das derzeit oft geschieht. Es geht nicht um Affentraining, bei dem mit Bananen-Belohnung Kommunikationskunst einstudiert wird (hier mein Beitrag „wie Affen im Zirkus“). Es geht auch nicht darum, Menschen Aufgaben anzupassen, sie blankzupolieren oder ihnen Ecken und Kanten abzuschleifen. Es geht vielmehr darum, sie als Persönlichkeit zu stärken, ihnen echte Haltung zu ermöglichen. Das ist viel mehr als die Stärkenorientierung à la Gallup, die derzeit in einige Unternehmen zieht. Diese ist ein Anfang, aber es reicht nicht.

Unternehmen brauchen ein Grundgesetz, weniger Führungspersönlichkeiten

Entwicklung braucht einen Rahmen, in dem sie gelebt werden kann. Dieser Rahmen muss mit Werten beatmet werden. Das verlangt eine Haltung des Unternehmens und seiner Vertreter. Die darf nicht beliebig sein, je nachdem wer gerade „regiert“. Minister schwören ja auch auf das Grundgesetz, warum sollten nicht auch Unternehmen eine Art Grundgesetz haben und deren Vertreter darauf schwören?

Wir gehen davon aus, dass Menschen, wenn sie aus der Schule und erst recht dem Studium kommen, psychologisch voll entwickelt sind. Das sind sie nicht. Wenn man Identität als Persönlichkeitskern definiert, so ist dieser vielfach noch schwach ausgeprägt – dies merkt man an einer starken Orientierung an anderen. Im Persönlichkeitskern ist Selbstkenntnis verankert und die Fähigkeit, sich selbst „upzudaten“. Ich habe dazu unter dem Stichwort von Abraham Maslows „selbstaktualisierenden Menschen“ schon mal geschrieben. Robert Kegan nennt das „self transforming mind“, gemeint ist dasselbe. Solche Menschen sorgen von sich aus für wertschöpfenden Output, sie erkunden Möglichkeiten und nicht eigene Vorteile; sie wertschätzen Konflikte und lernen daraus.

Ein Zeichen für einen entwickelten Menschen im Sinne von Maslow, Kegan, Loevinger (Stufenmodell hier) und anderen Entwicklungspsychologen, etwa auch der Managementforscher Torbert und Rooke, ist der Umgang mit Feedback. Dieser ist produktiv. Kritik wird aktiv und ehrlich interessiert eingefordert. Sie löst keine Scham und Selbstzweifel aus oder gar den Drang sich zu rechtfertigen oder etwas zu vergelten. Ist diese innere Haltung da, braucht man einem Menschen kein Verhalten beizubringen, die Handlungsimpulse sind bereits in eine konstruktive und produktive Richtung gesetzt sind. Kommunikations- und Konfliktmanagementtrainings sind da obsolet. Reflexion viel hilfreicher und ein gezieltes Training der Denklogik über die bisherigen Grenzen hinaus.

Digitalisierung braucht Entwicklung

Warum sollten Unternehmen Menschen dahin entwickeln? Ein wichtiger Grund ist die Digitalisierung. Sie fordert solche Menschen, wenn sie ein Segen werden soll und kein Fluch. Sie braucht keine angepassten Mitläufer oder faulen Komfortzonen-Arbeiter, denn diese generieren kaum Innovationen und reagieren unflexibel. Ein weiterer Grund ist unsere Gesellschaft – sie kann Mitläufer und Komfortzonen-Arbeiter in aktuellen Krisenzeiten noch weniger brauchen als je zuvor. Es geht darum, Konflikte zu lösen anstatt sie auszulösen, wozu gehört, sich in unterschiedliche Positionen reinzudenken anstatt seine eigene als maßgeblich anzusehen.

Entwickelte Menschen in diesem Sinn sind nicht nur in den vermeintlich „anspruchsvollen“ Tätigkeiten nötig, sondern auch im niedriger qualifizierten Bereich. Wenn die Reinigungsfachkraft den Gast mit „welcome to my office“ lächelnd begrüßt, so steckt da Leidenschaft hinter und Identität. Stolzsein auch auf den kleinen Job – es ist egal was du machst, du gehörst dazu, du bist Teil unserer Gesellschaft. Ein angepasster Mitläufer oder Komfortzonen-Arbeiter würde das nicht machen. Oder es käme hölzern und frei von Leidenschaft wie bei einigen Starbucks-Mitarbeitern, die monoton deinen Namen abfragen und auf den Becher schreiben – sie haben das im „Affentraining“ gelernt. Es kommt nicht aus ihnen heraus. Ich als Gast merke das sofort.

Langsam, sehr langsam kommt das Thema auch im Bewusstsein der Beraterszene an, die das Systemische gern als einzige Wahrheit ausruft. Auch in der integralen Szene wird Spiral Dynamics® langsam zu einem farbigen Dogma. Es bietet Ansatzpunkte aber belässt es bei einer Beschreibung. Otto Laske hat einen ersten deutschsprachigen Ansatz geliefert, der aber viel zu komplex ist, als das er von einer breiteren Zielgruppe verstanden werden könnte.

Robert Kegans Buch „An everyone culture” auf dem roten Sofa

Jetzt hat Harvard-Professor Robert Kegan mit seinem Buch „An everyone culture. Becoming a Deliberately Developmental Organization” einen populäreren Anfang gemacht. Mit der Beraterin Lisa Laskow Lahey stellt er Unternehmen vor, die ein „DOO“ sind, eine Deliberately Developmental Organization. DOOs sind sehr agil, sie entwickeln sich bewusst und gezielt. Es gibt dort keine Komfortzone, für niemand. Menschen werden laufend auch an ihre eigenen Grenzen geführt. Sie erhalten mit Kegans developmental Framework ein Mittel über sich selbst hinauszuwachsen. Dieses stellt systematisch eigene Grundannahmen in Frage und erfordert bedingungslose Offenheit, auch zu sich selbst. Und bedingungslosen Respekt aller Kollegen.

Robert Kegan beschreibt drei Plateaus der Entwicklung im Erwachsenenalter, die einen klaren und praktikablen Anhaltspunkt bieten, wo anzusetzen ist. Ich habe diese Plateaus und sein ursprüngliches entwicklungspsycholgisches Stufenmodell hier im Teamworks-Blog ausführlicher beschrieben. Mit Kegan´s Framework kann jeder selbst arbeiten, diese aber auch im Rahmen von Führungskräfteentwicklung und natürlich im Coaching einsetzen.

Was mir ein wenig gefehlt hat sind Hinweise zu Grenzen und Risiken dieser Vorgehensweise. Die tiefe Psychologisierung ist (mindestens) in Umfeldern, die nicht von Respekt und Offenheit geprägt sind, explosiv. Wer sich mit eigenen Grenzen beschäftigt, kommt nicht an hochemotionalen Themen vorbei. Das sind familiäre Prägungen, aber auch früher gemachte negative Erfahrungen im Beruf und Privatleben. Entwicklung ist immer ganzheitlich, nur wer diese auf Verhalten reduziert, kann sie rein berufsbezogen sehen. Dass ein Martin Schultz heute über sein Alkoholproblem sprechen kann, hat fraglos auch mit einem längeren Prozess der Selbstwerdung zu tun. Und da darf man sich nichts vormachen: Dieser Prozess ist schmerzhaft und es gibt Menschen, die wollen ihn nicht gehen oder nur bis zu einem bestimmten Punkt. Deshalb muss bei allem Entwicklungsglauben, den ich hier einbringe, ein Prinzip erhalten bleiben: Das der Freiwilligkeit. Sonst nimmt das Ganze eine negative psychologische Wende. Und statt Entwicklung ist dann Therapie angesagt.

Sie sind neugierig geworden? Ich biete im Mai und November 2017 das Seminar „Psychologie für Coachs und Führungskräfte an“, bei dem der Fokus auf der Fragestellung wie entwickle ich Menschen und gestalte einen Rahmen für Veränderung liegt. Info und Anmeldung.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

3 Kommentare

  1. Helena Trinz 10. März 2017 at 15:11 - Antworten

    Guten Tag, danke für den interessanten Artikel!
    Sie verweisen auf die Publikation von Kegan- kennen Sie das Buch “Reinventing Organizations” von Laloux? Es ist hoch spannend und inspirierend und arbeitet mit den Modellen von Spiral Dynamics. Kann ich sehr empfehlen! Viele Grüße, Helena Trinz

  2. Silvia 19. März 2017 at 16:41 - Antworten

    Hallo Svenja,
    danke für diesen schönen Artikel und den Aufruf zur Veränderung. Digitalisierung braucht Veränderungen und Entwicklung. Diese Entwicklungen müssen sich an die Geschwindigkeit der Digitalisierung anpassen. Hier sollten Unternehmen schneller handeln, damit ihre Mitarbeiter besser vorbereitet sind.
    Liebe Grüße
    Silvia

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