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Mosaik 2030: 10 x Karrieren der Zukunft

Ein Job = kein Job, ein Studium = keins. Der Zukunft gehört die Mosaikkarriere bestehend aus einem Bildungsteppich. Den Begriff „Mosaikkarriere“ hat die Autorin und Professorin Lynda Gratton geprägt. Dabei geht es nicht darum, dass Menschen immer neue Jobs erlernen, sondern verschiedene Profile zu einem neuen verknüpfen – und zwar sehr oft ausgesprochen anspruchsvolle Profile, die mehrere akademische Studiengänge verlangen. Wer soll das bezahlen? Müssen wir demnächst alle in eine Bildungsversicherung einzahlen? Wie hoch werden Gehälter sein müssen, wenn Menschen nur noch ein paar Jahre ihr Wissen abschöpfen können, um sich dann dem nächsten Mosaikstein zu widmen? Folgen und praktische Maßnahmen beschreibe ich als Karrierelebenszyklus in meinem im September bei Campus erscheinenden Buch „Karriere mit System“ (vorbestellbar).
„The cost of secondary education is rising dramatically”: Die Kanadische Initiative “Registered Education Savings Plan (RESP)” hat sich derweil eine Art private Bildungsversicherung ausgedacht. Sie hilft, Eltern und Angehörigen dabei, für die Bildung ihrer Kinder zu sparen. Die Initiative hat die Website Careers 2030 in Leben gerufen und stellt dort Jobprofile der Zukunft vor, die aufgrund von Studien entwickelt worden sind.
Wer wird Zugang zu höherer Bildung haben? Wir müssen damit rechnen, dass einige wenige Menschen immer besser ausgebildet sein werden. Und dass sich das Niveau verschiebt: Die Besten der Besten, kombinieren nicht ein Studium, sondern reihen ein Mosaik aneinander, möglicherweise auch Kombinationen aus praktischen Ausbildungen und akademischen Studien. So wie es 1970 zwei Prozent Akademiker gab, könnte es 2030 zwei Prozent solcher Multi-Professionals geben. Denn für jeden sind solche Mosaikkarrieren möglicherweise gar nicht finanzierbar. Was machen dann die anderen, die nur ein einfaches Bachelorstudium oder einen simplen Master haben? Sind es die Ungelernten von heute? Schauen wir uns die Karrieren aus Kanada und die dahinter stehenden Ausbildungen einmal näher an. Was steckt dahinter?
1. Tele-Chirurg
Vor Ort operieren? Muss nicht mehr sein. Spezialisten nehmen in ihren medizinischen Teilbereichen auch über große Entfernungen hinweg Eingriffe vor und nutzen Roboterarme. Für diesen Karriereweg braucht es vermutlich auch in Zukunft ein reguläres Medizinstudium und eine Facharztausbildung, außerdem einen neu zu konzipierenden Master in Telechirurgie. Macht insgesamt: sieben Jahre Medizinstudium, fünf Jahre Facharztausbildung, zwei Jahre Telechirurgie = 15 Jahre Ausbildung. Wohl kaum ein Job für jeden. Denkbar ist, dass auch Krankenpfleger in Telechirurgie ausgebildet werden, für assistierende Tätigkeiten. Das würde auch ihre Ausbildung verlängern, verteuern und akademisieren. Technikkenntnisse dringend erforderlich. Und immer noch ist Informatik kein Pflichtfach in den Schulen.
2. Renaturierer
Wie befreien wir das Meer von all dem Plastik? Wie schaffen wir blühende Landschaften, wo einst Plattenbauten standen? Der Fokus des Renaturierers liegt darauf, Umweltschäden zu mildern und auszugleichen oder sogar rückgängig zu machen. Das kann kein Ausbildungsberuf leisten: Hier wird ein Biologiestudium die Basis sein, aber das ist sicher noch lange nicht genug. Wahrscheinlich braucht man auch noch etwas Chemiewissen für bestimmte Spezialisierungen. Und Architektur… und Landschaftsarchitektur. Geologie sowieso. Und diverse weitere Spezialisierungen, die alle Ausbildungen erfordern und keinesfalls an einem Wochenende zu lernen sind. Ein (noch zu erfindender) Master of Renaturation könnte den Deckel auf die individuelle Qualifikation setzen.
All der Ausbildung zum Trotz wird man in diesem Umfeld vermutlich nicht ganz so gut verdienen. Es sei denn man verkauft die renaturierte Landschaft an Investoren, die einen Renature-Fond auflegen, der richtig Kohle macht und eine Blase verursacht. So wie im Mittelalter die holländischen Tulpen, der Nemax um die Jahrtausendwende und 2011 die seltenen Erden in China.
Unklar, wer so einen Arbeitsplatz bezahlt. Falls es der Staat ist, wird ein hochqualifizierter Beruf nicht den Return bringen, den er aufgrund seiner langen Ausbildungszeit bringen müsste (aktuelle Gehälter angestellter Geologen bewegen sich bei etwa 40.000 EUR/Jahr). Bei diesen von der kanadischen Seite vorgeschlagenen Karrieren und den folgenden stellt sich mir die Frage, wie wir da Bildungsgerechtigkeit herstellen können. Denn es wird ganz einfach so sein: Nicht jede ultralange Ausbildung und nicht jede Mosaikkarriere führt in hochbezahlte Jobs. Mal abgesehen davon, dass es erstens ungeklärt ist, wer Ausbildungskosten übernimmt und zweitens wer die Bildungshoheit bekommt: Staat oder Wirtschaft, siehe Bildungsburger.
3. Abfallgestalter
Mach was aus dem ganzen Müll! In den 1980er waren Pullover aus Putzlappen in. Ich hatte sowas, kein Scherz. Ein wirklich sinnvolles Recycling, wobei der Abfallgestalter noch mehr auf dem Kasten haben muss als Pullover stricken. Was muss er lernen? Vermutlich eine interdisziplinäre Tätigkeit zwischen Abfallwirtschaft, Materialwirtschaft, Design und Biologie. Da braucht man auch mindestens einen Master und vermutlich auch einen Master-Master für die Spezialisierung. Kostet…. Schätzungsweise 30.000 EUR. Gleicher Fall wie der Renaturierer.
4. Nostalgologe
Der Nostalgologe lässt Erinnerungen wiederaufleben und hilft älteren Menschen, sich in die Zeit zurück zu versetzen, in der sie sich am glücklichsten gefühlt haben. Dieser Job hängt sehr an den Zahlungsmöglichkeiten der Senioren in Zukunft. Ob es noch so viel wohlhabende Rentner geben wird? Unklar. Wahrscheinlich gibt es reiche Telechirurgen – aber ob das für ein erkleckliches Einkommen der Nostalgologen reicht?
Im beschriebenen Berufsbild kombiniert die Tätigkeit Geschichtsstudium und neurologische sowie therapeutische Kenntnisse. Macht drei Studiengänge – kann da mal jemand ein Mix-Studium erfinden (Achtung, Ironie)? Ziemlich sicher sind das auch keine angestellten Tätigkeiten. Und die Rechnung kann nur mit dem reichen Rentner gemacht werden und/oder einem Staat, der sich eine gute Versorgung der immer weiter alternden Bevölkerung überhaupt leisten kann. Ich bin da im Moment pessimistisch, freue mich aber über Gegenargumente.
5. Vereinfachungsexperte
Im Jahr 2030 wird die Welt noch komplexer sein als heute, wenn auch Technik vieles geregelt haben wird, was heute noch schwierig scheint. Dann kommt der im Moment vernachlässigte Faktor Mensch dazu. Vereinfachungsexperten werden dafür sorgen, das Arbeitsleben leichter zu machen. Dieses Berufsbild ist eine Mischung aus Feelgood Manager und Business Analyst, Business Process Analyst oder Prozessberater. Dafür braucht man ein Studium, z.B. der Wirtschaftsinformatik sowie eines aus dem Bereich Psychologie, Coaching oder Change Management. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob Menschen es überhaupt einfach haben wollen. Menschen wollen die Dinge wie Sie waren, weshalb ich diese Dropbox und sämtliche Cloudservices gelöscht habe. Das ist mir einfach zu einfach, das etwas Fremdes auf meinen PC zugreift und automatisch meine Sachen synchronisiert.
6. Roboterberater
Sie erinnern sich an meinen Kochroboter? Nach und nach werden Roboter immer mehr Tätigkeiten im Haushalt und auf der Arbeit übernehmen. Roboterberater müssen vielleicht nicht ganz so viel wissen, wie die Menschen, die 2030 in den zuvor beschriebenen Berufen arbeiten. Es reicht ein abgebrochenes Robotikstudium und Verkaufstalent 😉 Kurzum: Man muss sich anschauen, wer derzeit im Mediamarkt arbeitet und deren Talente vom PC auf den Roboter übertragen. Es sind im wesentlichen Soft Skills. Endlich mal was, für das man nicht studieren muss.
7. Alltagsspiele-Entwickler
Entwickler programmieren nicht mehr nur Games, sondern auch nützliche Alltagshilfsmittel und Unterstützungsprogramme, etwa für die Medizin. Damit könnte man Dokumentationen abschaffen, die die Bedienung von Kaffeeautomaten zu einer fürchterlichen Qual machen (wenn meine Maschine auf Entkalken steht, bekomme ich Panikattacken). Leider muss man für sowas auch wieder multipel kompetent sein: Eckpunkte des Jobs sind Kenntnisse und Fähigkeiten in Spiel- und Grafikdesign, Psychologie, E-Learning.
8. Lebensendbegleiter
Die Lebenserwartung steigt dank des medizinischen Fortschritts seit Jahrzehnten an. Was das für uns alle heißt, ist überhaupt nicht absehbar. Die Kanadier gehen jedenfalls davon aus, dass Menschen sich Prozessbegleiter für diese Lebensphase leisten können, die Menschen im letzten Lebensabschnitt unterstützen. Ich zweifle daran, wiederum weil die Finanzierung in den Sternen steht. Vielleicht müssen wir dieses ganze Denken, nach dem Arbeit bezahlt wird, mal auf den Kopf stellen, siehe Grundeinkommen.
9. Medien Remixer
Diverse Medien werden von nur noch einem Menschen vereint, dem Medien Remixer, so orakeln die Kanadier. Er kombiniert Musik, Videos, Bilder und die so genannte computergestützte erweiterte Realität. Wer heute Mediengestalter wird, muss genau in diese Richtung denken. Das Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB wird das im Blick haben. Noch ein Studium brauchen wir hierfür wahrscheinlich nicht.
10. Gesundheitscoach
Der Fitnesstrainer von heute ist der Gesundheitscoach von morgen, das Fitnesscenter wird zum Gesundheitsraum. Sport, Ernährungsberater, Gesundheit: Er vereint alles in einem. Das ist einerseits eine Weiterentwicklung des Berufs Fitnesskaufmann, weiterin ein Ökotrophologie- und halbes Medizinstudium. Könnte man auch zu einem Master mixen, hier macht er vielleicht wirklich Sinn.
Fazit: (Mindestens) eine Karriere fehlt noch: Die des Bildungsberaters, der hilft Mosaiksteinchen typgerecht zusammenzustellen. Hier sind Spezialisten dringend nötig. Mit einer Coachingausbildung kommt man da nicht weit 😉
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
Ich finde, dass der Beruf des Nostalgologen eigendlich vielversprechend ist. Klar das nicht jeder Renter reich ist bzw. zukünftig reich sein wird, aber ich denke, wenn man den Beruf genauer definiert und etwas modifiziert kann er zukunftsträchtig werden. Beispielsweise die Mode und Werbung bedienen sich schon immer an der Geschichte, um alte Dinge zu modifizieren und den Leuten als Retro zu verkaufen.
Ich denke, wenn man nicht nur Rentner berücksichtigt und die Nostalgie bei verschiedenen Zielgruppen weckt, die das entsprechende Vermögen besitzen, dann kann man sowohl in Deutschland und Ausland diese Nische nutzen.
Wie denken Sie?