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Wieder Zeit zum Brotbacken: Unsere Zukunft in einer technisierten Arbeitswelt (Rezension)

Veröffentlicht: 11. Januar 2014Kategorien: Führung & Organisation

Das BuchMensch = gut und besser? Nicht immer. Die Kuh mag ihren Milchroboter lieber. Der massiert gleich die Zitzen und ist außerdem immer verfügbar. Auf den Menschen dagegen muss die Kuh warten.

Ich beschreibe eine Szene  aus dem ersten Teil des Buchs „Arbeitsfrei“ von Constanze Kurz und Frank Rieger. Beide sind Informatiker und als Sprecher im Chaos Computer Club engagiert. Das Buch aus dem Riemann-Verlag beleuchtet die Arbeit der Zukunft mit konsequentem Blick auf die technischen Möglichkeiten inklusive Besuch in verschiedenen Produktionshallen von Großbäckerei bis Agrarproduzent.

Man sollte von Informatikern keine Technikfeindlichkeit erwarten, jedenfalls nicht in jungen Jahren, denken war an Joseph Weizenbaum , aber durchaus dieses: nüchterne Distanz und sachliche Aufklärung. Keine persönliche Geschichte durchzieht dieses Sachbuch, das seinen Namen mehr als verdient. Es ist sachlich, sehr. Eine Haltung der Autoren merkt man nur indirekt vor allem dann, wenn es um Datenschutz geht.

Die Frage danach ist überall dort entscheidend, wo es um statische und dynamische Informationssammlungen geht und den ethischen Umgang damit. Längst wären, so lesen wir, erheblich größere Fortschritte im Gesundheitswesen möglich, wenn es einheitliche Datenspeicher gäbe, auf die alle  zugreifen könnten. Nur so könne die Kostensteigerung im Gesundheitswesen gebremst werden. Doch für den Preis, dass alle Informationen über den gesundheitlichen Zustand über Krankheiten und Gesundungsverläufe per Klick verfügbar sind. Eine ethisch äußerst schwierige Frage.  Datenschutz ist wichtig, das wird deutlich. Sonst halten sich beiden mit Interpretationen und Meinungen zurück.

Des Menschen Denkarbeit wird überflüssig

Die zunehmende Technisierung der Arbeitswelt wirft viele ethische Fragen auf. So macht die Technik auch eine automatisierte, ohne menschliche Entscheidung und Befehle auskommende Kriegsführung durch voll bewaffnete Drohnen möglich. Dürfen wir das? Den Maschinen die Macht überlassen? Oder kann es sogar sein, dass diese letztendlich besser entscheiden als ein einzelner Mensch oder gar eine Gruppe? Kurz und Rieger gehen nicht auf Gruppenentscheidungen ein, ein Thema, das mich gerade beschäftigt. Gruppen treffen nicht selten schlechtere Entscheidungen als Einzelpersonen – sie könnten auch dem Computer unterlegen sein. Gruppenirrtümer sind unter anderem Thema in meines Selbstlernkurses „Vorsicht, Irrtum.“ Es fallen jedem gleich Beispiele für Fehlentscheidungen ein, etwa der Irak-Krieg oder die Schweinebucht.

Viele Menschen suchen Sinn in ihrer Arbeit. In unserem Büro rufen mittlerweile Menschen an, die nicht nur ihren Namen nennen, sondern gleich dazu sagen „ich bin Generation Y“ – will oft ausdrücken: „Ich bin jemand, der die Zustände, wie sie sind, nicht akzeptieren möchte. Ich bin ein Sinnsucher.“ Können diese Menschen Sinn finden in einer solchen Arbeitswelt, die den Menschen den Entscheidungen von Computern ausliefert und zum Zuarbeiter von Robotern macht?

Der Computer lenkt, der Mensch hat frei

Denn, das auch von mir selbst oft genannte Argument „Kreativität bleibt beim Menschen“ vorbehalten, zieht nicht mehr richtig. Es stimmt nicht mehr ganz. Und es wird immer weniger stimmen. Ich muss mich da selbst revidieren. Noch können vernünftige redaktionelle Texte vor allem in weitgehend standardisierten Verfahren abgebildet werden wie der Sportberichterstattung. Aber das muss nicht so bleiben. Wenn ich mit weniger internetaffinen Menschen diskutiere, so sagen diese immer noch oft „der Computer kann nur tun, was Menschen im sagen“. Das stimmt spätestens  seit IBMs Deep Blue nicht mehr, der 1996 den damaligen Schachweltmeister besiegte. Es ist längst nicht mehr der Mensch, der denkt und den Computer lenkt. Es kann immer öfter umgekehrt sein: Der Computer denkt und lenkt. Der Mensch…. Lebt… genießt… hat arbeitsfrei.

Ich gebe selbst oft die Empfehlung, sich bei der Berufsentscheidung, sofern sie nicht der Selbstfindung dient, auch daran zu orientieren, wie das Berufsbild (vermutlich) in 10 Jahren aussehen wird. Das ist in einigen Feldern möglich, doch längst nicht in allen, denn viele Veränderungen schreiten rasant schnell voran, während andere Jahrzehnte brauchen und viel länger als ursprünglich gedacht. Das hat mit Geldern zu tun, mit Lobbys und natürlich auch dem Markt, lauter unbekannte Variablen. Theoretisch etwa könnte auch Bildung revolutioniert werden. Es müsste keine Schulen mehr geben, sondern lernen könnte ganz anders organisiert werden. Dann wären selbst sicher geglaubte Jobs wie Lehrer nicht mehr save.

Menschenleere Hallen

Nehmen wir das Bäckerhandwerk. Im Buch unternehmen Rieger oder Kurz – wer selbst unterwegs war und welchen Part geschrieben hat ist nicht ganz klar, Tatsache ist, das mir der Stil im 2. Teil besser gefällt – einen Streifzug durch eine Großbäckerei. Dass das gute alte handgebackene Brötchen eine so große maschinelle Konkurrenz bekommen konnte und das Bäckerhandwerk ins Biotechnologielabor bringt – sind wir alle schuld. Wir schmecken den Unterschied nicht mehr und mögen lieber ebenmäßige Backerzeugnisse. Und wir alle sind so gepolt, dass wir am Ende doch auf den Preis schauen. Natürlich gibt es starke Gegentrends, etwa in den Manufakturen und im Biofoodbereich. Aber auch dort, verraten uns die Autoren, überwachen Computer die Produktion.

Diese ist oft menschenleer. Überall arbeiten immer weniger Menschen, im Bäckereihandwerk ebenso wie in der Ölindustrie (wo man ordentlich Geld verdienen kann, weshalb es kaum Umorientierer und Branchenumsteiger gibt). Hier fällt mir der oft zitierte demografische Wandel ein und die Frage, ob es wirklich so sein wird, wie Experten prophezeien, die vielleicht aus dem Personal kommen und oft sehr auf eine Argumentationslinie schauen (meist die, die sie selbst bestätigt). Es tangiert sie nicht, dass berufliche Entscheidungen eine unendliche, ja dramatische Schwere bekommen, wenn alles in ein Open End führt, was manche Menschen – gemeinhin die digitalen – lieben, aber andere regelrecht quält. Wer im Management arbeitet, für den ist es ein Prozessschritt, wenn der Call-Center-Mitarbeiter durch den Sprachcomputer ersetzt wird. Aber wie ist es für die Betroffenen? Für den älteren Kunden? Meinen Vater jedenfalls treibt es den Blutdruck und Puls, wenn er wieder einmal von der automatischen Stimme der Telekom informiert wird, dass „das Problem“ gelöst sei. Aber was war denn, warum, weshalb will er wissen. Diese Fragen kann er nicht mehr stellen.

Klar ist: Weiterer Fortschritt macht den Mensch entbehrlicher und ob er dabei seine selbst geschaffenen Maschinen unter Kontrolle halten kann? Ob er genug Beschäftigungsmöglichkeiten findet, wenn alles automatisiert ist? Wird er wieder selbst Brot backen oder sich auf die unendlichen Baustellen auf dieser Welt konzentrieren, die es gibt: die Kriegsherde, die Armutsländer, die Ungerechtigkeit? Sich hemmungslos dem Konsum hingeben?

Roboterliebe

Eine der faszinierenden Passagen für mich war die über Roboter. Theoretisch könnten diese wie Menschen aussehen und auch so funktionieren mit ähnlich schnellen Bewegungen. Doch die Akzeptanz gegenüber solchen Menschenrobotern ist gering, deshalb werden sie so konstruiert, wie man es erwartet. Also haben Roboter immer auch etwas von Star Wars. Die Möglichkeiten dieser Roboter sind allerdings (nahezu) unbegrenzt. Man kann mit ihnen sprechen. Sie können uns vorlesen. Sie können uns waschen. Und uns streicheln. Sie geben uneigennützig Zuwendung und sind ein Ansprechpartner, dem man keine Rechenschaft schuldig ist. Mensch-Roboterliebe wurden bereits öfter verfilmt, kann es sie wirklich geben?

Könnten solche Roboter etwa in der Altenpflege nicht wirklich sinnvoll sein? Könnte es sein, dass irgendwann ein Senior im Altenheim nicht seine Angehörigen, sondern seinen Roboter sprechen will? So wie die Kuh ihren Computer bevorzugt, könnte auch der Mensch ein technisches Produkt dem menschlichen vorziehen. Weil es einfach unkomplizierter ist. Und macht, was einem hilft. Hat doch Vorteile gegenüber einem missgelaunten, Rückenschmerzen-geplagten Pfleger, der sich dann um die Blumen im Garten kümmern und das leckere Brot in den Ofen schieben kann.

Das Buch „Arbeitsfrei“ ist im Rieger-Verlag erschienen. Aus meiner Sicht ist eine Pflichtlektüre für alle, die  Menschen in beruflichen Fragen beraten oder im Bildungsbereich tätig sind.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

4 Kommentare

  1. Martina Bloch 11. Januar 2014 at 17:19 - Antworten

    Kleiner Klugschei**** Kommentar:

    Die Kühe freuen sich, wenn ihre Zitzen massiert werden, Zysten sollten sie lieber nicht haben.

    SCNR
    Martina

    • Svenja Hofert 11. Januar 2014 at 23:12 - Antworten

      Oh, Martina, ich sag dir, meine Dreher sind unglaublich. Wie nennt man das? Freudsche Fehlleistung, wird sofort korrigiert. Ich bin doch eine AL (Anonyme Legastenikerin) 😉

  2. Monika 13. Januar 2014 at 11:10 - Antworten

    Hmm, ich finde das ein schwieriges Thema. Einerseits halte ich nicht so viel von kompletter Technisierung (Roboter im Altenheim sind in meinen Augen schon sehr skurril), andererseits ist mir auch klar, dass die Technik in alle Lebens- und Berufsbereiche bereits stark eingegriffen hat und das manchmal auch zu unserem Nutzen ist. Mir macht ein “selbst denkender” Roboter eher Angst, als dass ich das als Fortschritt ansehen würde. Man kann, wenn man das Thema weiter denkt, natürlich überall Maschinen und Roboter einsetzen, aber was für einen Nutzen hätte es dann? Ist es wirklich von Vorteil, wenn der Mensch überall aussortiert wird? Ich finde ja schon die besagten Call-Center befremdlich, weil man da immer das Gefühl hat, mit sich selber zu kommunizieren, d. h. mit keinem menschlichen Gegenpart mehr zu sprechen (außer man lässt sich weiter verbinden und spricht mit einem Kundenbetreuer, aber das ist auch meistens eher unpersönlich). Ich finde das Hauptproblem liegt darin, dass solange die Technik oder die Maschine als “effizienter” und “billiger” angesehen wird, so lange muss der Mensch mit ihr konkurrieren und kann da auf Dauer eigentlich nur verlieren. Wenn ich in einen Supermarkt gehe, will ich nicht wie am Fließband von der Kassiererin abserviert werden, nur weil ein Computer im Hintergrund zählt, wie schnell sie die Einkäufe über die Kasse scannt. Das macht sie nur, da sie im Hinterkopf weiß, dass man sie durch eine schnellere maschinelle Variante ersetzen könnte. Im Endeffekt muss sich die gesamte Gesellschaft über die Auswirkungen der Technologisierung im Klaren sein, das ist sie aber nicht. Es wird viel mehr zu sehr in Technik geglaubt, ohne die negativen Aspekte zu hinterfragen. Auf der anderen Seite sind zukünftige Berufe mit Einbeziehung von Menschenarbeit schlecht vorherzusagen. Fast ausgestorbene Berufe können wieder kommen, weil sich ein Trend ändert oder die menschliche Arbeit mehr geschätzt wird. So kommt anscheinend wieder der Beruf des Barbiers wieder in Mode. Männer tragen derzeit gerne Bart und lassen sich beim Fachmann den gerne richten. Nur auf Technik zu setzen ist in meinen Augen falsch.

    • Svenja Hofert 13. Januar 2014 at 14:18 - Antworten

      ist es auch. Man sieht ja auch überall Gegentrends, siehe Barbier. Andrerseits werden diese Gegentrends – siehe Bio – dann auch wieder technisiert. Bis es wieder einen Gegentrend gibt. Ein Roboter, den man nicht mehr abstellen kann, ist schrecklich. Aber einer, der einem das Putzen abnimmt, hat was. Pro und Cons halten sich die Waage und entscheidend ist wohl, wie man die Technik integrieren wird – und wo sich der Mensch am Ende durchsetzt. Ich würde z.b. mehr für einen Telefonanbieter bezahlen, der noch echte Menschen an der Hotline hat. LG SH

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