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Arbeiten im Ausland: „Nach Jahren im Süden wunderst du dich, wie man sich über ein falsch abgelegtes Dokument aufregen kann“ (Interview)

Dieser Tage sprach ich mit einem Bekannten – Deckname Markus Muster – der viele Jahre in Südamerika und Spanien gelebt hat sowie in Projekten in den Emiraten und vielen afrikanischen Ländern arbeitete. Derzeit ist er tätig für einen Konzern, der sich aktuell in einer Umstrukturierung befindet. Das heißt: Wieder einmal Zeit, sich umzuschauen und neu zu sortieren. Mit dem Hauptverkaufsargument im Gepäck: Auslandserfahrung – manchmal gar nicht so leicht. Mehrere Jobangebote warteten auf ihn – warum er sich dafür entscheiden wird, hier zu bleiben und was Arbeiten und Leben im Ausland bedeutet: Darüber sprach ich mit Markus ganz offen.
Du hast ein Angebot als Geschäftsführer von Firmen in Brasilien und Argentinien. Wirst du es machen?
Markus: Nein, ich habe mich dagegen entschieden. So viel können die mir gar nicht bezahlen. Buenos Aires ist toll, aber du bist nicht mehr wirklich flexibel. Es ist auch alles ganz anders dort als hier, das Leben, das Arbeiten. Wenn etwas mit der Familie passiert, kannst du nicht so schnell einfach runterfliegen, das heißt: du kannst es, aber es kostet Zeit und viel Geld. Das schlagende Argument für mich ist allerdings, dass das Ausland auch den Lebenslauf verdirbt. Zu viel Erfahrung im Ausland macht dich unvermittelbar in Deutschland.
Wie das? Es heißt doch, dass man Auslandserfahrung braucht…
Markus: Ja, aber bitte nur zwei bis drei Jahre. So machen Fluggesellschaften nicht ohne Grund Resozialisierungstrainings mit Menschen, die länger im Ausland gearbeitet haben. Die kommen zurück als andere Menschen, die finden sich einfach nicht mehr zurecht. Auch ich hatte Schwierigkeiten, nach 10 Jahren in Südamerika und Südeuropa.
Aber du warst doch in Südeuropa!
Markus: Trotzdem – du tickst da ganz anders als hier. Mir fiel es schwer, hier klarzukommen. Du verstehst das alles nicht mehr. Du kapierst nicht, warum sich jemand darüber aufregen kann, dass ein Blatt falsch eingeheftet ist oder diese ganzen Entscheidungswege, die eingehalten werden sollen. Die Sache mit dem Sozialplan, Gewerkschaften… Das scheint dir irrational, wenn du so lange in einem Land warst, wo es so etwas nicht gibt.
Wo du gelebt hast, gibt es doch auch Gewerkschaften…Oder etwa nicht?
Markus: Klar, aber sie haben weniger Einfluss. Sozialpläne im Gegensatz zum Interessenausgleich gibt es dort nicht. Das Unternehmen ist freier in der Entscheidung, wen es entlässt und muss sich an keine Vorgaben wie Firmenzugehörigkeit, Alter, Familie etc. halten. Wenn ein Unternehmen entsprechend zahlt, kann man auch ohne Grund ohne Probleme jederzeit entlassen werden. In Deutschland gibt es bei grösseren Entlassungen mit den Gewerkschaften vereinbarte Sozialpläne, an die sich das Unternehmen theoretisch halten muss. Dadurch können Mitarbeiter geschützt werden, die es schwerer haben, eine neue Stelle zu finden. Allerdings kann es auch sein, dass gute Mitarbeiter entlassen werden müssen, hingegen andere, die schlechter performen, das Unternehmen behalten muss. . Hat alles seine guten und schlechten Seiten.
Du sagst, es wird mit zunehmender Auslandserfahrung schwerer, sich zurechtzufinden und beschreibst den anderen Arbeitsstil und die andere Kultur in Unternehmen. Warum noch?
Markus: In Südeuropa oder Südamerika gehst du Mittags oftmals raus zum Essen. Man plaudert mit der Verkäuferin auf dem Markt. Es ist auch egal, wie lange so eine Plauderei dauert. Im Süden kommt keiner auf die Idee zu fragen: „Kennst du die?“ Hier in Deutschland schon. Das irritiert dich, weil du nicht gelernt hast, dass man sich kennen muss, um miteinander zu reden oder weil du es in all den Jahren woanders verlernt hast. Mit Mitarbeitern ist es genauso. Ich war im Süden Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Da redet man miteinander, auch über Privatangelegenheiten, z.B. darüber was man am Wochenende gemacht hat. Hier in Deutschland scheint das nicht überall dazu zu gehören, es ist viel steriler.
Ich muss Deutschland in Schutz nehmen. Es sind meiner Erfahrung eher bestimmte Branchen und Unternehmenskulturen, in denen wenig privat geredet wird – das ist manchmal irritierend zu beobachten, wie groß Unterschiede in einem Land sind. Ich will noch ein weiteres Thema anschneiden. In ärmeren Ländern außerhalb Europas kommt noch was dazu: Dein Status als „Gastarbeiter“.
Markus: Oh ja, dort gehört ein Chauffeur oftmals zu deinem Job. Du bist als mittlerer Manager schon der King. Es ist ganz klar, wer du bist, es gibt eine eindeutige Hackordnung. Hier bist du niemand. Das ist für mich nicht schlimm, aber stell´ dir vor, du bist 10 Jahre Jemand Besonderes, das kannst du nicht mehr abstreifen. In manchen Ländern wirst du bewacht, hast einen Chauffeur, Hauspersonal. Dann stell dir mal vor, was passiert, wenn du wieder nach Deutschland kommst – bist leitender Angestellter und trotzdem ein nobody, musst beim Chef für jede Sache um einen Termin anfragen?
Das Umfeld prägt extrem. Unsere Umgebung macht uns. Ich habe von jemand gelesen, der ein Jahr in den Slums lebte. Er wurde wie die anderen. Ich denke, es ist auch so, auf der anderen Seite. Wenn du immer mehr hast und was Besseres bist…
Markus: Natürlich, da hilft dir nicht weiter, dass du es anders kennst. Wenn jeder aufschaut und deinen Anweisungen folgt, macht das etwas mit dir. Genauso wie du auch lernst, dass es oben und unten gibt. Du lernst auch die mit Gefahren zu leben und Sicherheit zu schätzen; ein grosses Gut, welches es in vielen Ländern z.B. Südamerikas so nicht gibt wie in Deutschland.
Du warst auch in arabischen Ländern… Wie fühlt sich ein deutscher Manager dort?
Markus: Es ist eine andere Welt. In den wohlhabenden arabischen Ländern werden die anstrengenderen Arbeiten nur von Gastarbeitern ausgeführt, die oftmals in Containerbaracken auf einen paar Quadratmetern leben müssen. Die Arbeitsbedingungen für sie sind extrem schlecht. Als deutscher Manager lebst du dort normalerweise gut, auch wenn klar ist, dass auch du nicht zur ersten Klasse gehörst. Diese wird von den Einheimischen gestellt. Gastarbeiter, mit denen du arbeitetst, kommen oft aus Indien, den Philippinen, Pakistan. Jedesmal musst du dich auf eine andere kulturelle Mentalität einstellen, wenn du mit deiner Arbeit Erfolg haben willst.
Also besser kein Ausland?
Nein, absolut nicht. Es ist eine riesige tolle Bereicherung. Nur sollte man sich klar machen, dass man Teil eines Landes einer anderen Kultur wird, wenn man mehr als zwei bis drei Jahre dort verbringt – und dieses selbst auch dann, wenn man nicht in Ausländer-Siedlungen lebt, sondern mittendrin. Und dieses macht eine Rückkehr nach Deutschland dann extrem schwer.
Das Gespräch ergänzt meine Diversity-Beiträge um eine praktische Perspektive – was theoretisch sinnvoll ist, ist in der Umsetzung oft ganz schön schwer….
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Danke, spannendes Thema und sehr interessantes Interview! Als jemand, der jetzt ebenfalls schon sein viertes Land “bewohnt” kann ich viele Eindrücke von “Markus Muster” bestätigen. Speziell in Schwellenländern (in meinem Fall China), wo die europäischen Mitarbeiter der europäischen Konzerne teilweise leben wie die Könige. Die wenigsten, die das 2 oder 3 Jahre erlebt haben, sind anschliessend noch für den europäischen Arbeitsmarkt zu gebrauchen. Wer dort allerdings bei chineseischen Unternehmen arbeitet sammelt aussergewöhnliche Erfahrungen!
Danke für die weitere Einsicht in das Thema. Ja, der Markus Muster erzählt mir immer Sachen… China ist bisher nicht dabei. Welche außergewöhnlichen Erfahrungen meinen Sie? LG Svenja Hofert
Zum Glück ist man nicht davon betroffen, wenn man als Freiberufler sowieso alleine zu Hause arbeitet. (Außer dass in Deutschland fast alles teurer ist.)
Kann ich nur 100% beipflichten liebe Frau Hofert.
Ein Hotelier, der seit über 10 jahren in Asien lebt bewarb sich kürzlich bei uns. Einer von vielen übigens. Ihm schrieb ich folgende Absage:
«…Erfahrungsgemäss kann man einen Suchprozess für wirklich wichtige Funktionen nicht oder nicht effizient via Mail-Korrespondenz und Tel.-Gespräch – auch nicht via Video-Interview (Skype o.ä.) – fundiert/seriös abwickeln. Die oftmals von Kandidaten im Ausland im Vorfeld (zu Recht) gestellten Fragen zum Objekt, zu den Zielen, zur Organisationsstruktur und zu den Hintergründen lassen sich ebenfalls nur mit einem schier nicht zu bewältigenden Aufwand abklären/beantworten auf Distanz.
Innerhalb wichtiger Mandate – dazu zählt auch dieser Suchauftrag – müssten interessierte Kandidaten per sofort über einen Zeitraum von mehreren Wochen hinweg (für je nach dem zwei bis drei persönliche Gespräche) hier vor Ort verfügbar sein. Mögliches Beispiel für so einen Ablauf: Nach persönlichen Erstgesprächen bei uns erarbeiten wir aus allen Kandidateninterviews eine Shortlist und arrangieren ein Treffen mit der Regionaldirektion oder einem VR-Mitglied. In einer dritten Phase kommt dann der Besitzer oder die Besitzerin ins Spiel. Das Ganze verbunden mit dem Risiko, dass selbst wenn Sie sich die Zeit nehmen könnten/würden und hier hin fliegen, und 3-5 Wochen bleiben, im worst case ein anderer das Rennen macht…
Apropos worst case: Eine weitere Hürde, die wir nicht nehmen können, ist der Fakt, dass der Grossteil unser Auftraggeber leider keine Persönlichkeiten mit die engere Auswahl nehmen möchten, die länger als sagen wir 8-10 Jahre im Ausland weilen. Je nach Hotel – dieses gehört in genau diese Kategorie – ist es in der Tat wichtig, ein aktuelles lokales Netzwerk zu den wichtigsten Commercial Customers, zu den einheimischen PCOs (Professional Congress Organizers) sowie zu den für den CH-Markt relevanten Schlüsselpersönlichkeiten im Umfeld TOs (Touroperator) vorweisen zu können.
Wenn wir schon nichts Konkretes für Sie tun können im Moment – was uns sehr Leid tut – möchten wir die Gelegenheit wenigstens dazu benutzen, Ihnen Erfolg und natürlich das oftmals nötige Quäntchen Glück bei der beruflichen Neuorientierung in Richtung Heimat/Schweiz zu wünschen…»
Ihr Interview Frau Hofert brachte diese Probematik 1:1 und breit abgedeckt rüber. Kompliment. Werde ich gelegentlich mit Verlinkung an interessierte Kandiaten weiterleiten.
MFG Ansgar Schäfer
Personalberater seit 1990
[…] Hier sein Xing-Profil. Über das Arbeiten in Südamerika und Spanien habe ich bereits letztes Jahr ein Interview veröffentlicht (“nach Jahren im Süden bist du […]
Hallo, ich (Deutsche, Single, keine Kinder) bin jetzt schon seit knapp 4 1/2 Jahren in Frankreich und schaue mich nach Jobs in UK um. Ich war schon einmal ein gutes Jahr im Ausland Niederlande), leider war die Stelle dort nicht besonders toll, weshalb ich dann unfreiweillig nach Deutschland zurück und dort – wiederum unfreiwillig – 10 Jahre arbeiten mußte, obwohl ich schon damals lieber im Ausland geblieben ware. Leider ergaben sich damals keine interessanten Stellen und so habe ich mich nolens volens in Deutschland “durchgeschlagen”.
Ich habe für mich beschlossen, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, da mir die dortigen Bedingungen – nicht nur für Singles – einfach zu schlecht sind (hohe Abgaben, hohe Steuern (beide kontinuierlich steigend), teuere Mieten, noch teureres Wohneigentum) und auch die politische Situation mehr als aus dem Ruder läuft…für die ich nichts kann und für die ich nicht auch noch happig zahlen will. Kurz und gut: ich bin im Ausland bestens aufgehoben, und wenn mir mein Arbeitgeber nichts bietet, suche ich woanders. Da ich vielseitig interessiert und in jeder Hinsicht flexibel bin, ist ein Wechsel in eine andere Branche für mich kein Problem und gut vorstellbar.