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Arbeitszeiten: Wer Freiheit hat, braucht sie nicht mehr

Veröffentlicht: 27. November 2015Kategorien: Human Ressources

Um 22 Uhr abends kam ich aus meinem Beratungsraum ins andere Zimmer. Der Bildschirm strahlte hell. Der Drucker spuckte ohne Ende Rechnungen aus. Auf dem Bildschirm konnte ich live beobachten, wie sich Mails von selbst schrieben. Ich erschrak, denn ich wähnte mich in einem üblen Tatort – bald käme ein Ghost aus der Machine. Aber dann registrierte ich: Meine Mitarbeiterin arbeitete – über die Fernsteuerung, die wir kürzlich eingerichtet haben.

„Ihre Mitarbeiterin darf kommen, wann sie will?“ fragte heute unser IT-Mensch eher interessiert als irritiert. Ich denke: Wo bleibt sie denn? Hatte sie nicht gesagt, sie wollte Donnerstag oder Freitag kommen? Fragen aus einer flexiblen Arbeitswelt, in der die Arbeitszeiten nicht mehr in Stein gemeißelt sind. Was passiert in dieser Welt? Ich möchte diese Frage aus meiner ganz persönlichen Sicht beantworten. Dabei schreibe ich über Arbeitszeit im Zeichen der New Work mit besonderem Gruß an XING Spielraum und Sabine Brockmeier, denn ich habe versprochen bis Freitag noch einen Beitrag zur Blogparade zur #Arbeitszeit zu verfassen. Und flexibel wie ich bin, lege ich “Freitag” ausgesprochen frei aus. Es ist 20 Uhr 30 abends. Aber Versprechen halte ich. Irgendwie….

Ghost in the Machine

Unheimliche Computer, die sich selbst anstellen. Drucker, die aus der Ferne gesteuert drucken. Mitarbeiter, die mal da sind, mal nicht… Ganz im Reinen bin ich damit noch nicht. Mein Verhältnis zu Arbeitszeiten entwickelt sich. So darf meine Mitarbeiterin „eigentlich“ kommen, wie es mit den drei Kindern passt. Sie kann den Kleinen auch schon mal mitbringen. Ich möchte aber schon wissen, was sie plant. Und ich will monatliche Kontrolle, was sie macht und wofür sie Zeit aufwendet.

Mir gibt das die Möglichkeit, zu intervenieren, wenn ich denke, da wird zu viel in etwas investiert, das nicht wichtig genug ist. Meiner Meinung nach ist eine gewisse Kontrolle nötig, vor allem, wenn man sich so selten sieht wie wir. Und so ist das: Wir bekommen nur schwerlich persönliche Termine hin, da so viel anderes zu tun ist. E-Mails müssen deshalb ausgeprochen effizient sein und ganz eindeutig und klar formuliert – das ist gar nicht einfach! Wäre ich Chef in einem großen Unternehmen, würde ich das alles vermutlich anders handhaben, durch mehr Besprechungen. Führung wäre da ja mein Job. In meinem kleinem Unternehmen ist es derzeit nur ein Nebenjob.

Nicht nach Stunden rechnen, macht mir noch Probleme

Viele bewundern von außen, wie viel ich auf die „Reihe“ bekomme. Ja, ich bin effizient – aber nicht nur und nicht immer. Wenn es mir wichtig ist, investiere ich viel mehr Zeit zum Beispiel in einen Kundentermin als geplant. Mit dem „weniger“ habe ich noch so meine Probleme. Es gibt Termine, da ist die Lösung schon in 2,5 Stunden da. Ich habe aber „ca. 3“ vereinbart. Es macht mir immer noch Kopfzerbrechen, dafür die gleiche Summe zu verlangen. Was ist eine Lösung wert? Kann es eine gute Lösung geben, die weniger Zeit kostet? Mein Verstand sagt, ja, aber das komische Gefühl bleibt. Es wird aber weniger, je mehr ich erkenne, dass es WIRKLICH nicht auf die aufgewendete Zeit ankommt – und mir das auch so zurückgemeldet wird. Ich kann nach all den Jahren nun mal oft schon sehr schnell den entscheidenden Punkt erkennen und die richtigen Knöpfe drücken.

Ich kam immer zu spät

Für jemand, der wie ich aus einer Präsenzkultur kommt, ist es ein Lernprozess zu sehen, dass es nicht auf die aufgewendete Arbeitszeit ankommt, sondern auf das Ergebnis. Ich kenne noch Stempeluhren. Ein Jahr hätte eigentlich spätestens um 9 Uhr anfangen müssen, das aber selten geschafft. Ich war damals noch viel mehr Nachtmensch als heute. So wurde es 9 Uhr 15, 9 Uhr 30, 9 Uhr 45….

Mein Chef hat nichts gesagt, er fand es nicht wichtig. Ich bin ja auch oft bis spätabends geblieben. Das musste ich heimlich machen – Betriebsratsgebot. Ich empfand das als unzulängliche Kontrolle und Freiheitsbeschneidung. Nie hätte ich mich als schutzbedürftig angesehen. Ich bin aber geblieben, auch wenn ich lange fertig war. Das war, ich muss das so offen sagen, eine reine Show.

Schon Jahre bevor ich den Sprung wirklich machte, kamen Gedanken an Selbstständigkeit auf. Es war nicht die zeitliche Souveränität, die der treibende Faktor war. Es war der Wunsch nach Selbstbestimmtheit, der da die Hauptrolle spielte. Die Präsenzkultur war ein Faktor. Ich fand das alles sehr ineffizient und rational nicht nachvollziehbar. Außerdem mochte ich es nie, wenn jemand mir einen aus meiner Sicht sinnlosen Rahmen vorgibt. Und “Gleitzeit“ empfand ich als sinnlos. Nun bin ich fast 20 Jahre weiter, davon 15 selbstständig. Selbstbestimmtheit ist normal geworden und kein Ziel mehr. Auch die Flexibilität der Arbeitszeit spielt keine große Rolle mehr. Sie ist, theoretisch, in jeder Linie vorhanden.

Plötzlich pünktlich

Und was passiert da? Ich bin pünktlich um 8 Uhr 45 in meinem Büro, das gibt mir Struktur. Es kommt es selten vor, dass ich heute nach 9 Uhr komme – obwohl es keine Stechuhr mehr gibt. Und auch, wenn ich keine 9-Uhr-Termine habe. Wenn ich schneller mit etwas durch bin, mache ich etwas Neues, was mir gerade einfällt. Es gibt keine Zeit, die ich aufpumpen muss, um anderen Engagement vorzuspielen. Ich habe also alle Freiheit, aber ich nutze sie gar nicht mehr. Verrückt oder?

Nein, genau das ist der Weg. Ich mache meine Arbeit, weil ich es will. Meine Mitarbeiterin ebenso, es macht ihr Freude. Das zeigt die Grundvoraussetzung für flexibles Arbeiten. Der, der flexibel arbeitet, muss ERSTENS von innen motiviert sein, im Flow sein. Er muss sich ZWEITENS selbst führen können. Dazu gehört es auch, für sich selbst verantwortlich zu sein und die eigene Balance mit entsprechenden Pausen und Rücksicht auf die Gesundheit im Blick zu behalten. Nur wenn das gegeben ist, funktioniert flexibles Arbeiten jenseits von festen Zeiten. Alles andere führt zur Selbstausbeute. Weshalb Firmen keine „insecure overachiever“ suchen sollten, also potenziell Selbstausbeutungsgefährdete, sondern gereifte Mitarbeiter. Oder ihre Mitarbeiter dahin entwickeln sollten.

Das ist die wahre Herausforderung für Unternehmen, die sich in Sachen New Work modernisieren und von der festen Arbeitszeit befreien wollen. Es geht nur mit Mitarbeitern, die Spaß haben, an dem was sie tun und in ihrer persönlichen Entwicklung bereits weit vorangeschritten sind.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

5 Kommentare

  1. Persoblogger Stefan Scheller 30. November 2015 at 13:04 - Antworten

    Vielen Dank für diesen ehrlichen Einblick in Ihre Arbeitswelt. Das ist leider bei Weitem nicht mehr selbstverständlich in all der journalistischen Selbstbeweihräucherung, die uns ständig umgibt.Und es zeigt sehr schön, warum man neben den klassischen Zeitschriften und Magazinen auch öfters mal Blogs lesen sollte. Denn wir Blogger dürfen noch authentisch sein.
    Gefällt mir, Frau Hofert!

  2. Christiane 30. November 2015 at 14:43 - Antworten

    Interessanter Einblick in die Langzeitwirkungen der Präsenzkultur. Als Mitarbeiterin, die sich in den letzten Jahren von der “insecure achieverin” ein gutes Stück Richtung Souveränität entwickelt hat, kann ich jetzt in Ansätzen das Unbehagen mancher Chefs (in meinem Fall alles Männer) nachvollziehen. So richtig verständlich waren und sind mir deren Motive aber nicht. Zumal sie in meinem Fall immer irrational waren: ich tue, was getan werden muss, manchmal in 6, manchmal in 9 Stunden.
    Und im Allgemeinen schmeckt mir der Ausdruck “Absprache” viel besser als der der “Kontrolle”, denn erstere muss und darf auch zwischen reifen, souveränen Individuen stattfinden. Vielleicht als Anregung für Sie, im Sinne “neues Wort, neue Haltung”?

    Beste Grüße

    • Svenja Hofert 30. November 2015 at 15:07 - Antworten

      Bin mal auf Langzeitwirkungen der Präsenzkultur gespannt. Ich bleib einstweilen bei Kontrolle, ist für mich ein neutraler Begriff. Ich fordere auch ein, dass man mich kontrolliert 😉 Überhaupt finde ich Kontrolle wichtig – das ist das Blau in Spiral Dynamics, man braucht es in Politik und Unternehmen. LG SH

  3. […] jahrelange Arbeiten in der Präsenzkultur hat Svenja Hofert geprägt. In ihrem Blogbeitrag auf ihrem Karriereblog beschreibt sie ihre persönlichen Erfahrungen als Selbstständige, die sich ihre Zeit frei […]

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