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Charakter zeigen im Netz: Wie viele Ecken und Kanten sind erlaubt?
Darf man sich im Netz so zeigen wie man ist? Diese Frage stellte sich mein Netzwerk Karriereexperten.com auf der Zukunft Personal, auf der ich leider nicht dabei sein konnte. Christoph Burger initiierte davon ausgehend eine Blogparade. Das ist mein Beitrag dazu.
Was ist überhaupt Charakter? Ich habe gelernt: Ein Alltagsbegriff für Persönlichkeit. Persönlichkeit = über einen längeren Zeitraum stabile Eigenschaften, darunter Intelligenz und soziale Kompetenz (ebenso wie Inkompetenz) und weitere persönliche “Charakteristika” wie etwa Kreativität.
In der Alltagssprache wird Charakter oft aber nicht mit Persönlichkeit an sich, sondern mit Ecken und Kanten assoziiert. Es gibt „guten“ und „schlechten“ Charakter. Die Persönlichkeit als psychologischer Begriff kennt diese Wertung nicht.
Charakter zeigen heißt also: Persönlichkeit zeigen. Nur bitte – welche und was davon? Mein Artikel über die Zuckerschnuten hat Zustimmung, aber auch Proteste im Netz ausgelöst. Natürlich zeigt eine Zuckerschnute Charakter – also Persönlichkeit. Ich habe in meinem Beitrag geschrieben, dass ich irritiert bin, wenn cih Mails von susi906090 als Bewerbung bekomme. Ich habe auch gesagt, dass ich rote Pullover und rot-braun-blonde Strähnen kritisch finde, weil sie Klischees erfüllen. Ich erlaube mir damit zu werten:
Bestimmte Persönlichkeitseigenschaften zu zeigen ist nicht gut.
Auwei, ist die Hofert spießig, altmodisch. Mag sein. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich all das nicht mag oder gar abwerte, sondern schlicht mit meiner Erfahrung, dass braunrotblonde Strähnen, rote Pullover und Misserfolg erschreckend miteinander korrelieren. Gut eine Korrelation ist kein Kausalzusammenhang… dennoch bitte ich das zu bedenken.
Die Erfahrung ist nun mal, dass der Zugang zu bestimmten Kreisen verschlossen bleibt, wenn man rotbraunblonde Strähnen hat, Chantalle heißt und sich im Internet Zuckerschnute nennt. Lassen Sie 100 Personen unabhängig voneinander den IQ solcher Damen schätzen, von denen man nur diese drei Informationen hat. Es ist eine Hypothese, aber ich gehe jede Wette ein, dass Chantalles IQ und Bildungshintergrund niedriger eingeschätzt werden wird als von Anton Paul von Müllersohn, der adrett mit Anzug auf seinem Bewerbungsfoto erscheint und die E-Mail-Adresse apvonmuellersohn@adelsfabrik.com vor sich herträgt. Das mag einzelnen Personen gegenüber furchtbar ungerecht sein, aber das Gesetz des ersten Eindrucks gilt hier wie überall. Und dieser erste Eindruck hat nun mal Einfluss auf die Wahrnehmung von Webseiten und Bewerbungen – da gibt es kaum einen Unterschied. Ich bin eine sehr frühe Verfechterin der fotofreien Bewerbung und würde mich auch für eine Bewerbung ohne Namen und Geschlecht einsetzen.
Charakter zeigen ist also nicht so ganz ohne.
Es gibt Menschen, die sich selbst ein Bein stellen würden, würden sie allzu offen ihre Persönlichkeit nach außen tragen. Und es gibt Grenzgänger bei denen ich manchmal nicht weiß: ist es noch sympathisch, oder ist es schon ein großes Risiko? Je nahbarer und emotionaler sich jemand gibt, desto eher wird er Opfer von Stalkern und Grenzüberschreitern. Charakter zeigen: Man sollte gut über Risiken und Nebenwirkungen nachdenken, bevor man es tut. Irgendwie ist das Internet wie eine große Bühne und auf eine Weise sind wir Internetaktive alle öffentliche Personen. Wird ein bestimmter „peak“ überschritten, kann es kritisch werden.
Charakter zeigen – wie macht man es denn nun? Und welcher Teil darf in die Öffentlichkeit?
Es gibt dafür keine Musterlösung. Ich will aber versuchen mit meinem eigenen Beispiel eine Art Best Practise darzulegen – denn bisher bin ich mit der Teil-Charakter-Zeigen-Methode gutgefahren.
Anfangs habe ich Kunden vor allem über Empfehlungen und meine Webpräsenz bekommen. Das lief stets gut, weil ich in einer Zeit gestartet bin als das Wort „Coach“ nur für Fußballtrainer bekannt war und ich aus meiner vorherigen langjährigen Berufspraxis und guten Kontakten schöpfen konnte. Die zahlreichen Presseerwähnungen mögen einiges beigetragen haben. Man interviewt mich entweder gern, weil ich mir Zitate nicht vorlegen lasse oder weil ich auch mal andere Sichtweisen einbringe; ich weiß es nicht genau (beides wäre aber Teil meines Charakters).
Bis 2003 habe ich vor allem für Firmen und wenig für Privatkunden gearbeitet. Dann gab es einen Pressebeitrag in der Petra, der mir auf einen Schlag acht neue Kunden brachte, die sich vervielfältigten, weil der/die eine den/die andere empfahl. Kein anderer Beitrag war für sich genommen je so wirkungsvoll. Ich weiß nicht mal genau, ob ich da so viel Charakter gezeigt habe; ich glaube gar nicht: Ich war in dem Bericht eher wie ein Dosenöffner, der etwas freilegt. Nach der „Petra“ ging es auch auf Privatkundenseite los. So, dass ich nicht mehr selbst ans Telefon gehen konnte. Meine Bücher verkauften sich in diesen Jahren am besten. E-Books waren noch kein Thema.
Doch immer öfter waren Leute jenseits meiner Wellenlänge dabei. Anfragen vom Typ „ich hab da mal eine Frage“ oder „ich bin Sekretärin und will ohne weiteren Aufwand einen Traumjob“ nahmen exponentiell zu. Diese Leute waren von meiner pragmatischen und bodenständigen Art eher abgeschreckt: Ich sagte ihnen nicht das, was sie hören wollten. Es gab überflüssige persönliche Vorgespräche, bevor ich diese irgendwann abschaffte.
Die Art der Anfragen änderten sich mit meiner Entscheidung dafür, im Internet mit einem Blog Charakter zu zeigen. Dieser Blog, 2006 gestartet, wurde mit den Jahren immer mehr Trichter und Vorsortierer. Die rund fünf Stunden pro Woche, die ich derzeit dafür aufwende, waren und sind meine einzige und allerbeste Marketinginvestition. Petersburger Trainingstage? 3.000 Euro, um einen Vortrag halten zu dürfen? Anzeigen? Kenne ich alles nicht.
Ich brauchte ich eine Weile, bis ich meinen Stil und damit zu meinem Charakter gefunden habe. Anfangs musste ich überlegen, was ich denn thematisieren und schreiben kann. Fragte ich meinen Partner um seine Meinung, kam oft ein „das kannst du so nicht machen/sagen“. Ich habe irgendwann nicht mehr gefragt, denn ich sah was passierte und das war Feedback genug. Die Zahl der Telefonanrufe nahm ab, der Umsatz stieg trotzdem immer weiter. Inzwischen sind 10 von 10 Anfragen passend. Von 10 telefonischen Vorgesprächen, die ich führe, münden neun in einen Termin. Das eine Gespräch ohne „Conversion“ hat meist mit äußeren Umständen zu tun. Ich verkaufe durch nicht-verkaufen, sage z.B. „Denken Sie darüber nach: wenn es passt, dann werden Sie kommen. Und wenn nicht, dann nicht.“ Daran glaube ich zutiefst, auch wenn ich nach wie vor nicht genau weiß, was „passt“ eigentlich ausmacht. Ich habe da nur eine Vermutung.
Gleich und gleich gesellt sich gern
– aber ich kann nicht sagen, dass ich Menschen von ähnlichem „Charakter“ anziehe. Ganz gewiss sind es eher Personen, die Wert auf Kompetenz legen, ob aus einer traditionell-konservativen oder fortschrittlich-medialen Perspektive macht scheinbar wenig Unterschied. Das erinnert mich daran, dass ich mich stets gut zwischen Fronten bewegen konnte, politischen wie gesellschaftlichen. Ich habe die Wahrheit stets in VIELEM und nicht in nur einem finden wollen, weshalb mich die Monoperspektivität vieler Menschen manchmal irritiert.
Dass ich so etwas schreibe, hat natürlich auch mit „Charakter zeigen“ zu tun. Ich traue mich, Dinge auszusprechen.
„Zur mir kommen Leute, die brauchen ganz viel Zeit für ihre Veränderung, ganz viele kleine Schritte, ganz liebe Menschen“, erzählte mir eine Kollege. Das ist bei mir nicht so, es sind nicht nur liebe Menschen, sofern man lieb im Sinn von weich versteht. Es sind eher Menschen die Klarheit suchen und einen Orientierungshelfer.
Kann man an der Website die Big Five erkennen, die jemanden auszeichnen? Man kann, es gibt dazu Untersuchungen. Bei mir liegt der größte Ausschlag bei der „Offenheit für neue Erfahrungen“, da liege ich rechts außerhalb der Gaußschen Normalverteilung. Bei allen anderen Werten bin ich mittendrin. Und es gibt einen hohen Ausschlag bei „Kompetenz/innerer Antrieb“ als Unterfacette der Gewissenhaftigkeit. Sonst vieles Mitte und die erreicht bekanntlich mehr als der äußere Rand.
Spürt man Charakter durch die Website?
Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, das spürt man durch die Website hindurch, die ich selbst betextet habe. Auch meine Bücher schreibe ich selbst. Sowie alle Texte in diesem Blog. 100%ig ich? Irgendwann nach vier Jahren Blog, 2010, habe ich beschlossen, dass dieser Blog auch einen Teil von mir zeigen darf. Nicht so viel, dass es mein Kind, das mit Nachnamen anders heißt als ich, in seiner Entfaltung behindert. Nicht so viel, dass ich in der Sauna des Holmes Place Karrierefragen beantworten muss – aber genau so viel, dass die Ahnung, die ich hier vermittle, sich im persönlichen Kontakt erfüllt.
Ich mache viele Konzessionen an Sie, meine Leser. Ich würde mehr seltsames Zeugs schreiben, wenn ich ganz frei von Marketinggedanken agieren würde – am Ende bin ich dann doch eine Unternehmerin und denke durchaus leistungs- und erfolgsbezogen (auch das ist aber Teil meines Charakters). Ich entscheide also, was ich zeige und was nicht, auch weil Sie mir als Leser, als Kunde, als potenzieller Empfehler wichtig sind – ich mag Ihnen mancher meiner bisweilen im familiären Umfeld berühmt-berüchtigten schrägen Einfälle nicht zumuten. Sie hören mich auch besser nicht singen; das ist fürchterlich, obwohl ich es so gern mache.
Stellen Sie sich einen Vorhang vor. Er ist bei mir vielleicht zu einem Drittel offen. Das reicht für die Ahnung völlig aus. Um das auf die Zuckerschnute zu übertragen: Man muss sich nicht nackig machen, um bei sich selbst zu sein.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
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Hallo Frau Hofert,
hatte Claudia Roth nicht auch mal Rotblonde Haarsträhnen? Ich habe gerade zu dem Thema Rollenklischees in meiner Welt-Kolumne geschrieben: http://bit.ly/1gQTfdS
Schade, dass Ihr Beitrag nicht früher erschien, er hätte da perfekt reingepasst.
Was den Zugang zu bestimmten Kreisen angeht, empfehle ich die Eliten-Theorie es Soziologen Michael Hartmann. Das Thema ist m.E. gesellschaftlich deutlich weitreichender: Beispiel Intelligent wirken – das kann, muss aber kein Einstellungsvorteil gerade für Frauen sein. Mir ist mindestens ein Personaler eines großen deutschen Unternehmens bekannt, der sein durchweg weibliches U30-Team vielleicht auch nach Kompetenz, aber offensichtlich auch nach Aussehen ausgewählt hat.
Die Frage ist inwiweit man so etwas gutheißt, wenn man den Rat gibt, sich solchen Rollenklischees zu unterwerfen.
Hallo Frau Janson, danke für die Ergänzung. Oh ja, keine Frage, Intelligenz kann eindeutig ein Nachteil sein, auch Intelligent-Aussehen…. 😉 Claudia Roth hatte das nicht so ganz auf die Chantalle-Art… aber wenn sie eine Umfrage machen – ich hätte zur Interpretation des Rollenklischees von Frau Roth eine eigene These. Im Übrigen finde ich es ganz furchtbar, diese ganzen Klischees. Und noch viel schlimmer, dass diese leider oft bestätigt werden. LG Svenja Hofert
Wieviel gebe ich von mir preis? Auch für mich eine spannende Frage. Mein Thema ist die Fotografie. War ich bis vor 2 Jahren rein privat fotografisch unterwegs, studiere ich jetzt Design und es gibt eine Vermengung von Hobby und Studium, bald von Hobby und Beruf. Und was vorher nur ein kleiner Teil (=Hobby) von mir war, der im Blog sichtbar ist, ist auf einmal ein viel größerer (Vollzeit-Beschäftigung). Und irgendwie merke ich, dass ich jetzt länger zögere, stärker abwäge, was ich online stelle.
Mein Foto-Ich ist gewachsen und auf mal zu groß, es passt nicht mehr durch den zu 1/3 offenen Vorhang. Das finde ich sehr interessant, denn eigentlich hat es sich gar nicht verändert – nur der Rest drumherum ist anders geworden.
Eine Lösung habe ich noch nicht gefunden. Ziehe ich den Vorhang weiter auf? Trenne ich privat und beruflich? Wäre dumm, ich möchte ja auch mal nen Job haben und muss somit Werbung für mich machen. Derzeit lass ich es einfach laufen, höre auf meinen Bauch und schau einfach, wohin es sich entwickelt.
Danke für Ihren interessanten Artikel. Ich finde es übrigens sehr stark, dass Sie sich von Ihrem Partner nicht beirren lassen. Denn ich mag Ihren Blog, wie er ist!
Darüber mache ich mir schon seit längerem Gedanken, wieviel ist gut, wieviel sollte ich nicht zeigen. Ein Problem sehe ich darin, das es schnell geschrieben und veröffentlicht ist, ohne sich zu überlegen, wer es alles sieht. Ich selber weiß nicht, ob ich ein Blogprojekt machen möchte, obwohl eine Idee vorhanden wäre. Vielleicht ist es noch zu früh, vor allem möchte ich es gut überlegt haben, was ich veröffentliche.
[…] Andrea Stanke schrieb Charakter zeigen im Netz – lebendiges Unternehmerprofil Svenja Hofert schrieb Charakter zeigen im Netz: Wie viele Ecken und Kanten sind erlaubt? […]