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Der Mann mit der großen Tasche über der Schulter: Ist er Manager Accounting oder Postbeamter? Postbeamter! sagt mein Begleiter intuitiv. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in einer kaufmännischen Abteilung arbeite, sei ungleich größer, sage ich. Relativ sicher sein könne man sich nur, dass der Surfertyp vom Nachbartisch, der mit der älteren Hoteldirektorin frühstückt, kein Buchhalter ist, sage ich. Hab ich recht?

Zeit für ein paar Gedanken über Intuition, ihre Gefahren und Nutzen. Ich lasse in meine Beschreibungen die Erkenntnisse des Psychologen und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann („Thinking fast and slow“) und des Psychologen Gary Klein (z.B. „How people make decisions“) einfließen, die gegensätzliche Forschungsergebnisse zu diesem Thema präsentierten und sich schließlich doch auf einen Konsens einigen konnten: Der Wert der Intuition steigt und fällt je nach Kontext und Erfahrung der Person.

1.       Der Intuition aus Denkfaulheit

Hier ist eine kleine Übung für Sie, passt auch, wenn Sie im Urlaub sind und in einem Strandkorb liegen, sie stammt aus dem Buch von Kahnemann:

  • Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Dollar.
  • Der Schläger kostet einen Dollar mehr als das der Ball.
  • Wie viel kostet der Ball?

Wenn Sie jetzt intuitiv gesagt haben: 10 Cent müssen Sie sich nicht schämen, auch wenn das falsch ist: 50% der Princeton-Studenten, die diese Aufgabe lösten, gingen ihr ebenso auf die Schliche. Ich habe die Aufgabe  meinem Sohn gestellt und dabei seine Pupillen beobachtet: Die blieben klein, eindeutiges Zeichen, dass er für die Lösung nur System 1-Denken genutzt hat. System 1-Denken ist laut Daniel Kahnemann das schnelle und intuitive Denken. Denken, das nicht anstrengt, aber  hoffnungslos Fehleranfällig ist. Es irrt sich dauernd. Langsames Denken ist System 2-Denken. Es strengt an, deshalb weiten sich die Pupillen. Mein Sohn hat sich bei der Lösung der Aufgabe nicht angestrengt, weshalb er nicht darauf kam, dass 5 Cent richtig sind.

Nun liefert uns Kahnemann nicht nur Wissen zur effektiven Hausaufgabenkontrolle (kleine Pupillen = k(l)eine Anstrengung), sondern auch zur Überprüfung unseres eigenen Denkens. Wenn uns etwas sofort einfällt, schreiben wir es normalerweise der Intuition zu – in Wahrheit ist es nicht selten ganz einfach Denkfaulheit. WYSIATI = What you see is all there is, lautet eine Formel Kahnemanns.  Frei übersetzt: Was wir sehen, ist alles, was für uns existiert (aber eben nicht alles, was wirklich IST).

2.       Die manipulierte Intuition

Wir lassen uns dauernd irreführen, z.B. überschätzen wir sehr wahrscheinlich die statistische Bedrohung, von einem Bücherhasser lesend in einem Strandkorb ermordet zu werden, wenn wir gestern von einem solchen Mord gelesen oder ihn im Tatort gesehen haben. Und wir sind leichtgläubig: Sehen wir etwas häufiger  und sei es noch so unsinnig wie z.B. eine türkisch klingende Wortfolge wie ERTZU vertrauen wir dem Gesehenen vollkommen grundlos, allein aufgrund der Häufigkeit der visuellen Begegnungen. Darauf setzen alle Marketer: Sie blenden sich täglich mehrfach in Ihr Gesichtsfeld zum Beispiel bei Facebook. Irgendwann denke Sie „der ist mir vertraut“ und Sie buchen ein völlig überteuertes Coaching oder Seminar…

3.       Die klischeebesetzte Intuition

Er sieht aus wie ein Surfer, also ist er KEIN Buchhalter. Andauernd lassen wir uns von Klischees lenken, und missachten dabei die verwendete Grundgesamtheit, klagt Kahnemann durchaus Zurecht. Er bringt das Beispiel von Tom, der studiert und  wenig Gespür für Menschen hat. Die meisten Testpersonen, die das Tom-Beispiel gelesen haben, dachten, er würde Informatik studieren. Dabei studieren weit weniger Menschen Informatik als Geisteswissenschaften, die Grundgesamtheit ist kleiner. Man könnte jetzt mit statistischen Formeln ausrechnen, weshalb es deshalb wahrscheinlicher ist, dass Tom Geisteswissenschaften studiert. Ich erspar Ihnen das mal 😉

Wir ignorieren solche Fakten. Überlesen Sie nicht auch regelmäßig, wie viele Teilnehmer für eine Studie befragt worden sind? Obwohl wir alle doch ganz genau wissen, dass große Zahlen immer eine bessere Aussage treffen als kleinen, blenden wir solche „Kleinigkeiten“ bei unserer Intuition aus. Wenn wir sagen können “ich habs doch gewusst” fühlen wir uns schließlich so wunderbar bestätigt.

4.       Die eingebildete Intuition

Das ist eine Form der Intuition, die ich öfter antreffe. Da sagt eine Kundin zum Beispiel, ihre Intuition sei es gewesen bei Firma XY zu arbeiten, nehmen wir mal Porsche. Sie hat keinerlei Informationen darüber, außer ein Marketing-erzeugtes Bild. Trotzdem denkt sie, es zu wissen. Im schlimmsten Fall „wusste“ sie es seit ihrer Kindheit.

Schon vor der Lektüre von Kahnemann war ich mir sicher, dass solche Intuitionen wichtig für den Menschen, aber wertlos in ihrer Aussagekraft sind. Ich finde damit zu arbeiten sinnvoll, weil sich damit Ziele besser eingrenzen lassen. Man kann mit Fragen herausschälen, welche Wünsche und Bedürfnisse hinter so einer Intuition stecken. Aber etwas zu wissen, ohne etwas zu kennen, ist schlicht und ergreifend romantischer Blödsinn.

Kahnemann weist in seinem Buch nach, dass eine Gruppe hochbezahlter Vermögensberater, die nach Erfolg vergütet wurden, in einem Zeitraum von sieben Jahren mit ihren Aktienempfehlungen insgesamt nicht besser lagen als der Zufall. Natürlich wollte das niemand wahrhaben. Er leitete daraus eine Regel ab: Intuition in einem nicht berechenbaren Umfeld ist vollkommen wertlos. Ich würde das ergänzen: Intuition bezogen auf etwas, das sich nie gesehen und erlebt habe, ist in der Regel eingebildet. Hier werden Traum und Intuition verwechselt.

5.       Die echte Intuition

Gary Klein führte zahlreiche spannende Experimente mit erfahrenen Feuerwehrleuten durch, die in kritischen Situationen intuitiv richtig handelten. Warum ist hier die Eingebung echt?  Ganz einfach:  Die Intuition der Feuerwehrleute beruhte auf Wissen und Erfahrung. Intuition funktioniert, wenn jemand  lange in einem Bereich gearbeitet hat, viel geübt (z.B. 10.000 Stunden) und System 2 in System 1 übergegangen ist. Sie kann nur in einem berechenbaren Umfeld stattfinden, in dem Regeln gelten. Deshalb funktioniert sie am Finanzmarkt nicht. Je mehr Erfahrung, desto besser kann  Intuition sein, sofern etwas dazu kommt: Der intuitiv urteilende Experte ist auch bereit, aus seinen Fehlern zu lernen. Er muss für sich selbst wissen und akzeptieren, dass auch er ein WYSIATI hat. Ich glaube, wenn mehr Experten dies anerkennen würden, hätten wir alle was davon. Das Dumme nur ist, siehe denkfaule Intuition: Wir wollen uns möglichst wenig anstrengen. Und je überzeugender jemand auftritt, desto mehr nimmt er/sie uns das Denken ab.  Wir mögen keine Zweifler, dann müssten wir ja selbst denken…

Zum Schluss noch ein paar Vorschläge für alle, die Ihr System 1 nicht unbeaufsichtigt herumlaufen unf urteilen lassen wollen:

  • Geben Sie sich nicht irgendwelchen Eingebungen hin, sondern fragen Sie sich immer, aufgrund welcher Annahmen Sie zu einem Schluss kommen.
  • Wenn etwas naheliegend ist, sehen Sie es sich ganz besonders kritisch an.
  • Die erste Idee ist nicht immer die richtige. Fragen Sie sich immer, ob man etwas auch noch anders denken könnte.
  • Überprüfen Sie Intuitionen durch einen Faktencheck. Nutzen Sie dabei keine Sekundärquellen, sondern schauen Sie direkt an Ort und Stelle nach.
  • Lernen Sie zur Not Grundlagen der Statistik, damit Sie selbst hinter die Kulissen von Zahlen schauen können.
  • Wenn Sie in einer Gruppe arbeiten, machen Sie den Vorschlag, dass jeder seine Ideen zu einem Thema erst  mal unabhängig von den anderen aufschreibt, bevor eine Diskussion beginnt. Sonst gibt es die Tendenz, dass bestimmte Personen (in der Regel Selbstüberschätzer) die Meinung an sich reißen und (andere) Gedanken verloren gehen, in der Regel die von Personen mit größeren (Selbst-)Zweifeln.

 

Passend hierzu ist mein Beitrag 8 Sorten Ehrgeiz

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. Christoph Burger 11. Juli 2012 at 8:44 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    schöner Artikel mit interessanten Hinweisen. Zu einem Detail: In Bezug auf die Größe der Stichprobe bei Umfragen und Studien habe ich eher den Eindruck, dass es bei vielen Journalisten umgekehrt läuft. Nur Ergebnisse mit großen Stichproben werden zur Kenntnis genommen – dann aber alles verbreitet, Hauptsache die Stichprobe ist beeindruckend. Dabei sind ein paar Klicks im Internet rasch gemacht und so wird schnell eine Meldung (dank großer Stichprobe) publiziert, die den Kern einer Sache keineswegs trifft.

    Schöne Grüße, Christoph Burger

  2. Gilbert 15. Juli 2012 at 19:59 - Antworten

    Sehr schön! Den Kahneman kann man gar nicht genug heranziehen, um über sich selbst hinaus zu wachsen. Dazu gehört auf jeden Fall, ab und zu mal die Pupillen zu weiten 😉

    Kahneman ist für mich ein ganz großer Aufklärer (siehe auch ihr Hinweis auf “romantischer Blödsinn” und http://goo.gl/a2YRZ). Wir können uns und unsere Welt bessern, wenn wir uns bemühen. Bei sich selbst anfangen, sich zu verstehen und Verständnis seinen Mitmenschen gegenüber mitzubringen, ist ein erster Schritt. Wir können den Schaden, den unser animalisches Gehirn immer wieder anrichtet, nicht ganz vermeiden, aber wir können ihn einschränken.

    Im Interview hat Kahneman ein Beispiel parat, wo auch Nicht-Experten sich auf ihre Intuition verlassen sollen: “Tim Wilson hat gezeigt, dass Leute, die sich für ein Deko-Gegenstand entscheiden müssen, besser daran tun, ihren Impulsen zu folgen, als das Für-und-Wider abzuwägen. Sie waren später mit ihren Entscheidungen länger glücklich. Auch wenn man einen Einrichtungsgegenstand kaufen will und mit ihm länger leben will, dann sollte man eher seinen momentanen Gefühlen trauen, als mögliche Vor- und Nachteile zu analysieren.” (http://goo.gl/3ebXV)

    • Svenja Hofert 16. Juli 2012 at 8:31 - Antworten

      Danke für die Ergänzung! Es gibt bei Jonah Lehrer auch noch ein paar Beispiele, Kunst etwa. Im Grunde alles, was emotional ist.

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