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Der Bildungshorror: Die Unfähigkeit der Deutschen, einen Link zu klicken und in sechs Wörtern Sinn zu finden

Veröffentlicht: 9. Oktober 2013Kategorien: Human Ressources, Karriere und Beruf

Erst kürzlich habe ich entdeckt, dass man das QUADRAT in Excel auch ohne umständliche Formel, einfach durch Eingabe von QUADRAT berechnen kann. Ich bin insofern ein typischer Fall von jemand, der sich mit Halbwissen in Excel durch erhebliche Abschnitte des Berufslebens mogelte. Mein ganzes Leben habe ich mir computertechnisch alles selbst beigebracht: Ich war die erste an der Uni, die einen PC hatte (1988), die erste Wahnsinnige, die sich die Nächte mit Nadeldruckern rumschlug… usw.

„Du weißt doch immer alles“, sagte mein Vater neulich, als sein Computer schlappmachte. Nicht mehr. Ich passe – bin seit 13 Jahren selbstständig. Und abgehängt. So wie viele andere „Alte“ auch.  Etwa 16% der erwachsenen deutschen Bevölkerung können nicht mal einen Link klicken, brachte heute die neue Horrorstudie der Bildungslücken, der OECD-PISA-Test für Erwachsene (PIAAC), zutage.  Oho, das klingt gar fürchterlich. Relativiert sich aber erheblich, wenn man an anderer Stelle liest, dass insgesamt – also über alle Länder – die Hälfte der Erwachsenen jenes Linkklicken nicht beherrschte (Die Welt).

Der Bildungshorror geht weiter: „Die Zahl der Leistungsschwächsten, die nur kurze Texte mit einfachem Vokabular verstehen, ist hingegen in der Bundesrepublik etwas größer als im Schnitt der anderen Industrienationen“, schreibt die Frankfurter Rundschau. Wenn ich die Deutschklausuren meines Sohnes sehe, bekomme ich eine Ahnung, warum das so sein könnte. Da bekommt „Anna“ eine zwei Plus, weil sie in einem fingierten Brief an ihre Mutter so toll argumentieren kann, dass sie die Klamotten anziehen darf, die sie will (Abercrombie). In der „zwei Plus“ ist eine Sechs für Rechtschreibung und Grammatik inkludiert, weil das Ganze aus mehreren Einzelnoten besteht. Die auch nicht optimale Begabungs-Lieblingsschüler-Benotung meiner Zeit hat ein komplett unflexibles Schema ersetzt. Mein Sohn hat eine eins in Rechtschreibung und bekommt dank der Einzelnoten in  irrelevanten Disziplinen eine drei. Finde es ja gut, wenn Kinder argumentieren können, aber ist das das Fach Deutsch? Ich hab auch schon so manche Bachelor- und Masterthesis gesehen, wo sich mir die Nackenharre aufstellten. Wie kann dieses Fehler-Meer und sprachliche Rumgehampel eine „eins“ oder „zwei“ produzieren? Oh, jetzt bin ich aber wie meine eigene Mutter…

Aber gut: Wir sind Mittelmaß, Mittelmaß! In meinem Buch SlowGrow-Prinzip habe  ich mich für das Mittelmaß gegen all das Elitengeschreie stark gemacht und sehe nach wie vor Vorteile in guter Durchschnittlichkeit. Anders gefragt: Was ist so schlimm daran, nicht überall zu den besten zu gehören? In Mathe etwa sieht es beispielsweise bei uns Deutschen gar nicht so schlecht aus #horrorstudie.

Nein, liebe Leserin und Leser, was wirklich schlimm ist, was peinlich und schlimmer als jedes Mittelmaß ist, dass in keinem anderen Land die Bildung der Eltern so stark mit der ihrer Kinder korreliert. Das darf nicht sein.

Die Frankfurter Rundschau:

„In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab wie hierzulande“, schreiben die Autoren [der Studie]. Testpersonen, deren Eltern weder Abitur noch Berufsausbildung haben, erzielten in Sachen Textverständnis im Schnitt 54 Punkte weniger als jene, bei denen mindesten ein Elternteil einen Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief hatte. 7 Punkte entsprechen auf der Leistungsskala dem Lernvolumen eines Schuljahrs.

54/7= 7,71. 7,71 Jahre!!! Nicht eins, nicht zwei, 7,71. Und da unterhalten sich Politiker über solchen überflüssigen Mutti-Schnickschnack wie Betreuungsgeld. Hallo? Ich werde das leise Gefühl nicht los, dass sich der “angeborene” Bildungs-Abstand  im Berufsleben zementiert. Wer schafft es aus einer niedrigen Bildung nach oben? Es sind maximal die Meister und Techniker, und auch die nicht mehr wirklich (und diese Bildungsabschlüsse werden in der OECD ja ohnehin dem Bachelor gleichgesetzt). Meine Beobachtung: Es gibt bei uns viel zu wenig Einstellungen aufgrund von Motivation und Lernwillen. Leute, die etwas leisten wollen, bekommen keine Chance. Bemühen wird nicht honoriert. Wenn jemand z.B. in einer Bewerbung schreibt, dass er stolz sei, etwas geleistet zu haben, so finden viele Personaler das mindestens befremdlich. Kommt nur gut bei US-Unternehmen und in Startups.

Ich schätze, dass in 80% der Fälle, in denen Personen, die nicht akademisch sozialisiert wurden, aber einen akademischen Abschluss aus eigener Motivation nachholten, NICHT von ihrem Arbeitgeber unterstützt werden. „Was wollen sie mit dem Abschluss? Sie haben doch einen Job“, sagte der Chef zu einer Kundin. Der setzt die Elternrolle fort: “Bleib bescheiden und denk dran, wo du herkommst.” Warum weiterbilden – es reicht doch? Wie kurzsichtig sind diese Chefs?

Aus anderen Ländern vernehme ich da viel mehr Offenheit. Und man mag von amerikanischen Unternehmen halten, was man will (was Herkunft betrifft, so zementiert diese die Laufbahn dort noch mehr als bei uns): In Sachen Offenheit haben sie den deutschen eine  Menge voraus. Ein amerikanischer Chef gab neulich einem Kunden den Job, obwohl er keinerlei Vorerfahrung hatte. Wäre schön, wenn auch deutsche Unternehmen Quereinsteigern öfter eine  Chance gäben – denen, die lernen wollen, einen Link zu klicken, im direkten und übertragenen Sinn.

Wenn Sie selbst einen Kompetenzcheck machen wollen, empfehle ich Ihnen unseren Kexpa-Bestseller Stärken-Navigator.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

5 Kommentare

  1. Michael Rajiv SHAH 9. Oktober 2013 at 23:39 - Antworten

    Liebe Svenja,

    WoW, was ein Plädoyer … hoffe Du hast noch etwas Kraft für 1.500-1.700 Zeichen in meinem Buch mit “Mutmachen zum Seiteneinstieg” und “Mut zur (Neu-)Gestaltung seines Lebensprofils” oder so … restliche Koordinaten hast Du ja 😉

    Lieben Gruß vom 63% Zielerreichungsfeierabend

    der MiSha

    • Svenja Hofert 10. Oktober 2013 at 11:14 - Antworten

      ja, steht auf meinem “inneren” Plan (an den äußeren halt ich mich selten), hab´s nicht vergessen (aber natürlich nicht geschafft als es im Kalender stand). LG Svenja

  2. […] für Erwachsene”. Unter der Headline „Bildungshorror“ setzte sich Svenja Hofert in ihrem Karriereblog mit deren Ergebnissen […]

  3. Petra 18. November 2013 at 15:46 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,
    ein spannender Artikel, der beide Enden der deutschen Bildungswüste beleuchtet – von der schwammigen Bildungsqualität bis zum eindimensionalen Arbeitgeber. Danke.
    Schön, dass Anna (mit zwei Plus Gesamtnote) toll eine Klamotte verargumentieren kann. Ihr Sohn gewinnt mit guter Rechtschreibung und einer drei in der Gesamtnote leider „nur“ Frustrationstoleranz. Besonders tragisch ist, dass am anderen Ende der Ausbildungswüste – der Personalauswahl, Anna mit Ihrer statistischen Kuriosität wohl auch häufiger zum jobinterview eingeladen würde, nach dem deutschen Grundsatz: „Papier vor Erfahrung“.
    Über die Benotung des vermutlich promovierten Statistikers, der die Faktoren für dieses Bewertungssystem bestimmt und gewichtet hat, kann man diskutieren (nur leider nicht mit dem Bildungsministerium).
    Ich selbst gehöre übrigens zu Ihren geschätzten 80% der Fälle von intrinsisch motivierten „Karrieredummies“, die einen akademischen Abschluss ohne Unterstützung des Arbeitgebers gestemmt haben. Ja, ein Dummie, da die Entscheidung für eine akademisch-interdisziplinäre Erweiterung meines Horizonts mit greisen 38 😉 später auf dem Arbeitsmarkt zum Etikett „Allrounder mit Halbwissen“ geführt hat, anstatt zum motivierten Dienstleister mit Spezialwissen.
    Losgelöst davon verbindet beide Enden der Bildungswüste scheinbar der weit verbreitet Glaube, mit gewöhnlichen Verfahren ungewöhnliche Menschen zu formen/finden. Glück für Anna.
    LG Petra

  4. Lena 27. Februar 2014 at 13:02 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    ich bin gerade fleißig am Lesen aller (für mich) interessanten Beiträge, vielen Dank dass Sie Ihr Wissen und Ihre Gedanken öffentlich teilen!

    Zu diesem Text melde ich mich mal als Gegenbeispiel. Mein Vater hat mit Mitte 40 seinen Hauptschulabschluss nachgeholt, wobei er immer noch nicht gut schreiben kann, und meine Mutter hat nach der Hauptschule auch “nur” eine einfache Ausbildung gemacht. Bei meinen Großeltern (3/4 Flüchtlinge aus dem Osten, 2/4 haben nie richtig Deutsch gelernt) sah es auch nicht besser aus.

    Ich habe mit meinen Eltern sehr wenig gemeinsam, ohne das überheblich zu meinen – wir sind einfach grundverschieden in jeder Hinsicht.
    Auf dem Gymnasium ist es mit einem solchen Elternhaus wirklich schwer, so ohne Urlaubsreisen, Markenklamotten, Nachhilfe, Computer, teure Pinsel und Stifte jeder Farbe usw. ist man automatisch ein Außenseiter. Vor allem Lehrer tragen viel Verantwortung für diese Entwicklung.
    Ich habe es trotzdem zu einem 1er Abi gebracht, allerdings ohne Hausaufgaben oder Klausurvorbereitung (ich bin eindeutig fauler als meine Eltern), war zwischendurch ein Jahr im Ausland (dafür gibt es Bedürftigkeitsstipendien) und studiere jetzt dual – um möglichst schnell zu 100% von meinen Eltern loszukommen, die kein Verständnis für meine Interessen (lernen, studieren, Welt kennenlernen) haben und mir z.B. bei einem Bafög-Antrag ziemlich im Weg gestanden hätten.
    Mal gucken, wie weit ich damit komme. Ggf. meldet sich in ein paar Jahren eine frustrierte BWLerin bei Ihnen zur Beratung 😉

    Mein Bruder wird es wahrscheinlich auch bis zum Abi schaffen (allerdings auf der Gesamtschule, da hat er mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen) und meine Cousine (Tochter der Schwester meiner Mutter, die war immerhin auf dem Gymi, hat aber kein Abi) steht sogar schon kurz davor. Zwar tun die sich schwerer als ich, aber schaffen werden sie es auch.

    Ich denke deswegen, dass die Ergebnisse dieser Studien nicht bedeuten, dass man es in Deutschland als halbwegs begabtes Kind (ein gewisser Ehrgeiz scheint mir weit wichtiger zu sein als die Intelligenz) nicht zu einem hohen Bildungsniveau bringen kann.
    Viele Kinder aus akademischen Haushalten schaffen das Abi (oder auch die Gymnasialempfehlung) nur mit Nachhilfe oder viel Druck/Unterstützung der Eltern, dadurch steigt deren Anteil auf dem Gymnasium. Alle anderen sind meistens nur wegen ihrer Eignung da.
    Schlimm sind natürlich Eltern, die sich ihrem Kind vehemennt in den Weg stellen, z.B. in dem sie es aus Bequemlichkeit auf die Hauptschule schicken und anschließend zu einer Ausbildung zwingen. Aber auch dann sind Abi und Studium, insofern man es will, nur zeitlich verschoben.

    Das sieht in anderen Ländern ganz anders aus!

    Ich meine übrigens, dass es im Deutschunterricht um Textverständnis und die eigene Ausdrucksfähigkeit geht.
    Die korrekte Grammatik und Rechtschreibung sind bei Aufsätzen bzw. generell dem Schreiben freier Texte eher nebensächlich. Eine größere Rolle spielen sie bei Diktaten, wo man sich bei einem kurzen, vorgegebenen Text voll darauf konzentrieren kann.

    Viele Grüße,
    Lena

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