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Hilmar Schneider von der IZA hat es vor rund einem Jahr in einem hervorragendem Papier zur Zukunft der Karriere auf den Punkt gebracht: Es geht nicht mehr um Berufe; es geht um Qualifikationen. Er hielt fest, dass nur der Wandel konstant sei.

Der Wert einer Arbeitskraft wird, wie man jetzt bereits überall sieht und bald noch mehr erkennen wird, durch Bausteine bestimmt, die sich als Module aneinanderfügen. Es geht nicht mehr darum, was jemand studiert oder gelernt hat; es geht darum, was ein Mensch kann. Das macht es immer schwieriger für Personalentscheider Bewerber fachlich richtig einzuschätzen. Das Können der Experten wird mehr und mehr unprüfbar sein. Zeitgleich wird es immer schwieriger, Expertise und Spezialistentum in Hierarchien einzuordnen. Wissen führt in der Tiefe zur Spezialisierung und in der Breite zur Expertise – aber kaum mehr in obere Führungs-Etagen. Dabei kann es passieren, dass ein Experte besser bezahlt wird als eine Führungskraft, was für Irritationen im gesamten Gefüge des Unternehmens sorgt. Und alle stehen vor derselben Frage: Wie soll man  Know-how beurteilen, das man selbst nicht mal in Ansätzen versteht?

In dieser Zwickmühle scheinen Zertifikate der Ausweg zu sein. Vor allem in technologienahen Bereichen hat sich eine noch zähflüssige Zertifikateflut in Bewegung gesetzt, die meiner Einschätzung in der nächsten Hahren erheblich Fahrt gewinnen wird. Es begann im IT-Bereich in den 1990er Jahren mit Produktzertifizierungen, etwa für Microsoft und Oracle. Diese wiesen Softwarekenntnisse bezogen auf den Stand der jeweiligen Produktversion nach, veralteten aber entsprechend schnell. So mussten die Zertifikate erneuert werden, eine Kostenmaschine, in die sich nur wenige Experten begeben mochten. Unternehmen wiederum finanzierten und finanzieren ihren Mitarbeitern sehr ungern offizielle Zertifikate, da diese den Marktwert mitunter erheblich steigern.

Das gilt gerade auch für die neueren Methoden-Zertifikate. Der Siegeszug der Methoden, also optimaler Vorgehensweisen und bewährter Best Practises war der logische nächste Schritt nach der Produktorientierung. Produkte zu beherrschen ist das eine, komplexe Situationen und Anforderungen zu managen, das andere.

In der Produktion gab es da schon länger, eingeführt 1987 bei Motorola, Six Sigma, eine Sammlung optimaler Vorgehensweisen in mehreren Stufen, mit der Qualitätsziele erreicht werden sollen. Inzwischen gibt es Six Sigma auch im Dienstleistungsbereich. Von PMI und GMP zertifizierte Projektmanager strömen seit sieben, acht Jahren verstärkt auf den Markt, etwa parallel mit ITIL. Wir sehen zertifizierte Social Media Manager, Systemarchitekten und neuerdings Scrum-Master. Projektmanager ist derweil eine Art Basis-Qualifikation geworden. Das zeigt, was der Übergang in das Zeitalter der Qualifikationen bedeutet: Es gibt keinen Stillstand, alles entwickelt sich weiter und zwar deutlich rasanter als jemals zuvor. Das Denken und Menschen da oft gar nicht mitkommen, ist eine andere Geschichte.

Was sich toll im Lebenslauf macht, ist in der Praxis manchmal wohl eine einfache Übung, sagen mir die neuen “Zertifizierten”. Wer sich auskennt, zahlt in allen Themen nur die Prüfungsgebühr und bereitet sich ansonsten autodidaktisch vor. Insofern unterscheidet die neuen Zertifkate wenig vom Heilpraktiker, der ja auch nur eine Prüfung vorm Gesundheitsamt ablegen muss und sich die Lerninhalte theoretisch auch ohne teuren Kurs „reinziehen“ könnte. Dies wäre übrigens auch mein Tipp für die Praktiker, die ein Unternehmen aus oben genannten Gründe, also Angst vor Abwerbung, nicht in die offizielle Prüfung schicken möchte: Einfach selbst zertifizieren lassen, kostet teils nicht mal einen „Hunni“.

Lernen, Multiple Choice, >XY% erreicht, Stempel drauf: So funktioniert der Qualifikationsnachweis der Zukunft. Kaum jemand, außer der Experten selbst, kann den Wert der Zertifikate wirklich einschätzen. Vor allem die neuen sind ja noch kaum bewährt. Und dennoch sind Zertifikate wichtig und werden wichtiger werden im kommenden Age of Qualifications.  Ein lukrativer Markt auch für Weiterbilder, wenn sie denn schlau sind.

Auch E-Learning-Plattformbereitsteller im Internet könnten profitieren, denen leider derzeit in Deutschland die Behörde Zentralstelle für den Fernunterricht ZFU das Leben schwer macht. Diese muss nämlich alle Kurse, die keine Selbstlernkurse sind, genehmigen und legt dabei dem innovativen Bildungswesen ordentlich Steine in den Weg. Ich meine: Was anders als der Erfolg eines Zertifikats am Markt, kann dessen Existenz rechtfertigen?

Wer sich mit den Gedanken an eine Zertifizierung trägt, sollte deshalb erst einmal andere Zertifizierte nach ihren Erfahrungen fragen. Aber nicht zu lange warten! Denn auch hier gilt: Die ersten sind so gut wie immer die wirtschaftlich erfolgreichsten, denn sie erzeugen ein “Must have”. Die letzten dagegen kommen unter Zugzwang.´

Projekte wie Udacity – hier stellen Professoren, etwa aus Harvard – ganze Vorlesungen online – müssten in Deutschland allerdings wohl an der ZFU vorbei realisiert werden können, denn es findet ja keine Prüfung statt (…oder? Andere Meinungen gern in den Kommentar). Es sieht auch ohne Prüfung gut aus, wenn Prof. X  die Teilnahme an seiner Vorlesung ABC bescheinigt. Und es sieht möglicherweise nicht nur gut aus, sondern war vielleicht auch wirklich gut. Ich habe gerade mal das Statistikmodul ausprobiert und fand es super.

Es ist aus all diesen Gründen wahrscheinlich, dass die Zertifikatevielfalt zunehmen wird, und wünsche mir dabei einen ordentlichen Wettbewerb privater Initiativen mit mächtigen Institutionen wie etwa den IHKs.

 

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

7 Kommentare

  1. Lars Hahn 22. August 2012 at 8:58 - Antworten

    Anerkannte Zertifikate sind nach wie vor ein guter Türöffner in den nächsten Job. Wir sind doch schließlich in Deutschland, wo immer Belege gefordert sind.
    Diese Erfahrung machen die Absolventen unserer Weiterbildungen auch. Projektmanager TÜV, Social Media Manager IHK etc. – das zieht!
    Allerdings: Wenn diese Zertifkate nur noch “Schein”-Zerfikate sind und die Absolventen nicht wissen, worüber sie reden, verkommt das Ganze schnell in Unglaubwürdigkeit.
    Für Gespräche in der Jobakquise im Sinne von Systematischem Kaffeetrinken ist das erlernte Fachwissen – am besten in Kombination mit Praxiserfahrung entscheidend. Glaubwürdigkeit und Expertise ist in solchen Situationen gefragt. So’n “Zettel” alleine hilft da gar nichts.

  2. Solange die Personalverantwortlichen sich mehr am Lebenslauf anstatt am Leben der Kandidaten ausrichten, solange wird die Zertifikatwut weiter bestehen.

  3. Solange die Personaler sich mehr am CV als am Leben der Kandidaten ausrichten, solange wird es einen Markt für Zertifikate geben. Mich beeindruckt jemand mehr, der ein eigenes Social Media Projekt aufgebaut hat, als einer der sich zertifizieren lässt, dass er es theoretisch könne.

  4. Peter R. Horak 22. August 2012 at 12:30 - Antworten

    Nun ja, in Zeiten der Neuen Unübersichtlichkeit (auch) in der Arbeitswelt heißt es zunehmend eben auch, auf das Fach-/Spezialwissen anderer zu vertrauen. Wenn ich dies aufgrund fehlenden eigenen Wissens nicht abschließend beurteilen kann, sind Zertifikate zumindest hilfreich, mir ein erstes Bild über die (wahrscheinlichen) Kompetenzen eines Bewerbers zu machen.

    Doch es existieren eben auch jeden Menge »Zertifikate«, deren Inhalte, Bedingungen, Abgrenzungen, kurz: deren Entstehungsbedingungen nicht transparent sind, die ich mir dann bestenfalls über das Bett nageln kann.

    Wie auch immer: Die Erlangung eines Zertifikates hat jedenfalls auch einen motivierenden Charakter für denjenigen, der danach strebt. Die mögliche Verwertbarkeit eines nachgewiesenen Aus-/Weiterbildungsabschlusses ist hierfür von sehr hoher Relevanz. Ob sich dies dann realiter auch umsetzen lässt, ist leider oft eine schwierige Frage.

    Siehe hierzu auch den interessanten Beitrag von Andrea Jindra im BildungsSpiegel: http://bit.ly/O0TvX2

  5. Bernd Slaghuis 25. August 2012 at 9:15 - Antworten

    Um eine Aussage zur Qualifikation auf der Basis eines vorgelegten Zertifikats zu treffen, muss meines Erachtens genau unterschieden werden, wer der Aussteller ist. Bei staatlich anerkannten Abschlüssen, angefangen vom Abitur über die beruflichen Ausbildungen bis hin zum Studium können wir davon ausgehen, dass hinter der Abschlussurkunde ein bestimmter Qualitätsstandard steht (ich weiß, um diese Zertifikate geht es in Ihrem Beitrag nicht). Wenn Sie die IHK-Programme von heute mit denen von vor 5 Jahren vergleichen, fällt auf, dass die Zertifikatslehrgänge extrem zugenommen haben. Ein Trend, den Sie oben beschreiben. Hier weiß ich, weil wir selbst IHK-Zertifikatslehrgänge durchführen, dass die IHKs bei der Auswahl ihrer Seminaranbieter bestimmte Qualitätskriterien zugrunde legen und die Durchführung überwachen.

    Anders verhält es sich in meinen Augen bei den vielen Zertifikaten, die an Produkte geknüpft werden – Ihr Beispiel Microsoft & Co. Ich behaupte, hier handelt es sich um ein reines Kundesbindungsinstrument und eine Gelddruckmaschine. Die Produktanbieter haben (im Gegensatz z. B. zu einer IHK) kein originäres Interesse, Wissen zu vermitteln, sondern Werbung für Zusatzprodukte oder -updates zu machen. Auch wenn viel dafür spricht, dass der Produktanbieter selbst Zertifikate für seine Schulungen ausstellt (weil er der Experte ist), würde mich im Zertifikate-Dschungel eine Bescheinigung z. B. der IHK, einer Uni oder FH über einen fundierten Software-Lehrgang mehr überzeugen.

  6. […] Lohnt sich der Zettel? | Online-Magazin für Karriere & Zukunft von Svenja Hofert […]

  7. Svenja Hofert 25. August 2012 at 17:05 - Antworten

    Hallo Herr Slaghuis, natürlich ist die Gefahr bei kommerziellen Anbietern groß. Deshalb sind die Zertifikate für Microsoft etc auch auf dem absteigenden Ast. Aber nicht alles ist gut, was von einer nicht-kommerziellen Organisation herausgegeben wird. Deshalb bleib ich dabei: Letztendlich entscheidet der Markt – und. z.B. bei den IHK-Zertifikaten verält er sich trotz aller Kritik PRO. LH Svenja Hofert

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