Das Job-Paradies sucht nicht jeden Ingenieur heim. Uwe ist Fahrzeugbauingenieur und arbeitet bei einem großen Konzern, der ganz am Anfang des Alphabets steht. Er hat mittlerweile drei Abteilungen durchlaufen, die geschlossen wurden, weil die Tätigkeiten nach Indien vergeben worden sind. Seitdem muss er deutlich mehr arbeiten, 9 to 5 war einmal, denn die neuen Jobs mit Anspruch haben immer weniger mit Konstruktion und immer mehr mit internationalen Projekten und Management zu tun. Dafür braucht man Kenntnisse in Lean Production, im Projektmanagement, Six Sigma und all diese Sachen. Er ahnt: Würde er sich draußen bewerben, drohten Zeitarbeit und Dienstleisterverträge. Denn immer mehr Stellen schreiben Ingenieurdienstleister wie Ferchau aus, die ihre Kräfte bei Kunden ein- und hinsetzen. Das ist was anderes als in seiner „Firma“ zu arbeiten, so wie Uwe es kennt.

Am Dienstag brachte „Report“ einen Bericht über den vermeintlichen Mangel von Ingenieuren. Die Initiative „Wir sind VDI“ bezweifelt diesen seit langem. Zahlen, die der Mutterband VDI nutzt, wären veraltet, unter anderem beruhten aktuelle Mangelzahlen auf Annahmen von 2008, einem Jahr, in dem Arbeitgeber nur jede 7. Stelle der Arbeitsagentur meldeten. Diese Zahl sei inzwischen viel geringer, es werde mehr gemeldet, so dass sich die angeblich und laut VDI fehlenden 109.200 Ingenieure schon von dieser Seite aus reduzierten. Außerdem handelt es sich um viele befristete Stellen. Oder für die Position ist gar kein Ingenieurstudium nötig, wie im Vertrieb oft der Fall. In der „große Bluff mit MINT-Geruch“ habe ich hier und bei Spiegel Online drüber geschrieben.

Meine Stichprobe vom 13.7.

Was ist dran am Ingenieurmangel? Wie viel wird gesucht und was? Ich habe mir die Metajobsuchmaschine Kimeta vorgenommen und die ausgeschriebenen Stellen gezählt. Es sind vor allem drei Ingenieurgruppen, die gesucht werden: Elektroingenieure, Maschinenbauer, Bauingenieure. Wirtschaftsingenieure sind auch gefragt, brauchen für den Einstieg aber oft spezielleres Wissen (was man erkennt, wenn man die Stellenprofile liest).

Aber, ja, Elektroingenieur – ausgerechnet das war doch der Protagonist, der in der Sendung Report vorgeführt wurde, mit seiner Excel-Tabelle über mehr als 100 erfolglosen Bewerbungen. Leider gab die Sendung keine Info über die Zahl der Einladungen zum Vorstellungsgespräch. Aber ich bin sicher: Selbst mit mittleren Lebensläufen, zu hoher Spezialisierung oder zu geringen Kenntnissen, allzu langen Auszeiten etc. –  liegt diese aktuell nur selten unter 10%.

Ausbleibender Bewerbungserfolg liegt immer auch beim Bewerber. Ich habe oft gesehen, dass Menschen, die ihren Lebenslauf und ihr persönliches Auftreten für top hielten, dann doch mindestens einen Punkt hatten, der deutlich verbessert werden konnte – mitunter einen sehr entscheidenden. Aussagen wie „ich habe mir den Lebenslauf von einem Fachmann korrigieren lassen“ sind mit Vorsicht zu genießen, denn eine formal-inhaltliche Optimierung ohne Karriere-strategischen Kontext reicht nicht, wenn es auf Passgenauigkeit von Jobsuche und Profil ankommt. Vielleicht hätte Herr Rasch auch von einem Xing-Profil profitiert?

Der zweite im Bericht portraitierte Ingenieur, eine Ingenieurin, hat genau das, ein Xing-Profil, und zwar sogar recht professionell und fehlerfrei. Hier liegt der ausbleibende Erfolg ziemlich sicher am Studiengang selbst, denn Ingenieur ist nicht gleich Ingenieur, wie meine Stichprobe gezeigt hat. Kommunikationstechnologie-Druck ist eben doch etwas ganz anderes wie Elektrotechnik und Maschinenbau.

Insofern überrascht es mich nicht, dass die Protagonistin des Berichts Jobs mit 30.000 EUR Jahreseinkommen, also auf Geisteswissenschaftler-Niveau, angeboten bekommt. Medientechniker machen ähnliche Erfahrungen. Das Positive an selteneren Ingenieurstudiengängen wie auch z.B. Textiltechnik ist, dass sie eher nicht über Dienstleister besetzt werden wie die Maschinenbau und Elektrotechnik. Das Negative: Sie sind, bis auf z.B. Verfahrenstechnik, Flugzeugbau- und Fahrzeugtechnik, oft weniger kompatibel zu anderen Ingenieursfeldern. Sie sind insgesamt weit weniger gefragt, teils regionaler verankert und im Durchschnitt schlechter bezahlt. Und: Lebensmitteltechnik, Textiltechnik und Drucktechnik sind häufiger weiblich besetzt. Und Ingenieurinnen mögen noch so gesucht sein, in der Praxis bezahlt gerade die männlich dominierte Industrie und der Mittelstand sie erheblich schlechter als Männer.

Foto: Infografik Copyright Svenja Hofert, Fotos oben und innen Fotolia

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

11 Kommentare

  1. Christoph Burger 16. Juli 2012 at 11:01 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    sehr schöner Artikel, ich stimme in allen Punkten zu, da ich dieselben Beobachtungen gemacht habe. Einschließlich persönlichem Optimierungspotential. Ergänzend kommen noch das gesuchte Alter, die Spezialisierung und das gewünschte Gehalt dazu. Bzw. das, was als Wunsch unterstellt wird. Alter und Gehalt gehen hier leider oftmals eine ungünstige Verbindung ein. Hier muss man zumindest gezielt argumentieren – optimal im persönlichen Gespräch (“systematisches Kaffeetrinken” a la Lars Hahn, also Networking).

    Schöne Grüße, cb

  2. Wir-sind-VDI 17. Juli 2012 at 17:09 - Antworten

    Man sollte auch nicht vergessen, dass viele Firmen nur Fachkräfte suchen, die zuvor EXAKT dasselbe gemacht haben wie im neuen Job – kurzum: es wird nahezu 100% Deckung zum Stellenprofil gefordert. Kandidaten, die nur 50% erfüllen, sollen nach Vorstellungen einiger neoliberaler Wirtschaftsvertreter halt “übrig” bleiben und vom Steuerzahler alimentiert werden.
    Ein derartig arrogantes “Prinzessin-auf-der Erbse”-Gehabe darf Politik und Gesellschaft der deutschen Wirtschaft eigentlich nicht durchgehen lassen (es sei denn, die Wirtschaft zahlt in Zukunft das Arbeitslosengeld selbst 😉

    In den USA ist es zum Beispiel viel leichter, als fachrichtungsfremder eine Chance zu bekommen und sich zu bewähren. Deutsche Personaler sollten Fachkräfte auch bei nur 50% Deckung einstellen, das setzt aber zwingend die Rückendeckung der Chefetage voraus.

    Ansonsten verweise ich noch auf unseren Twitter-Kanal “Wir sind VDI”. Wer will, kann hier seine Stimme (auch anonym möglich) mit in die Waagschale werfen, um der gesteuerten Medienkampagne der deutschen Wirtschaft bzgl. MINT-Fachkräftemangel mal was entgegenzusetzen. Mir scheint die kritische Punkt, ab der die öffentliche Meinung zum Fachkräftemangel kippt, ist nicht mehr weit – Report Münschen war ein erster wichtiger Schritt.

    • Svenja Hofert 17. Juli 2012 at 21:43 - Antworten

      da haben Sie vollkommen recht – jede Abweichung wird sofort bestraft, es ist ganz, ganz schwer die Branche zu wechseln, was insofern ein Dilemma ist, als es mindestens in Segmenten immer konjunkturelle Schwankungen gibt. Die IT scheint mir da an einigen Stellen zumindest etwas offener. Die Bildung, also auch Anpassungsqualifikation ist dabei zu stark privatisiert, siehe Bildungsburger. Ich merke dies ganz deutlich bei einem starken Gefälle zwischen meist besser und aktueller ausgebildeten Konzernmitarbeitern und z.B. Mitarbeitern aus Ing-büros, die teils über Jahrzehnte gar keine Weiterbildung hatten.

    • Enrico Briegert 19. Juli 2012 at 8:02 - Antworten

      Es heißt oft: In den USA ist der Arbeitsmarkt liberaler, man findet schneller einen Job. Auch “Fachfremde” bekommen eher eine Chance. Nur die Arbeitslosigkeit in D liegt unter der in den USA. Hm…

      • Gilbert 21. Juli 2012 at 12:14 - Antworten

        Was ist daran jetzt das Argument? Weder in den USA noch in Deutschland ist die Wirtschaft monokausal.

  3. DeinJobCoach 20. Juli 2012 at 17:37 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    vielen Dank für den Artikel. Einen interessanten Aspekt finde ich auch die Situation internationaler Bewerber im Ingenieursbereich. Die Bereitschaft der Unternehmen bei der Intergration einen Extraschritt zu gehen beim Einlernen und bei der deutschen Sprache scheint mir sehr gering… Ist der Ingenieursmangel also doch nicht so groß? Der Leidensdruck noch nicht groß genug?

    • Svenja Hofert 21. Juli 2012 at 12:48 - Antworten

      ja, die Bereitschaft ist nicht nur hier gering, sondern generell. Warum kann nicht ein Germanist auf technische Dokumentation umgeschult werden, warum suchen die Firmen für diese Jobs Ingenieure? Man müssen nicht nur nach Spanien schauen, auch hier gäbe es Potenzial, wenn man das Bildungsthema nicht so auf den Staat abschieben würde…siehe Bildungsburger-Artikel

    • Jan Aderhold 21. Juli 2012 at 15:35 - Antworten

      Momentan ist die Lage enstspannt, jedenfalls was den Nachwuchs im allgemeinen Maschinenbau- und Fahrzeugbau angeht. Davon gibt es heute genug, und selbst als kleiner Mittelständler bekommt man auf eine auf der Firmenwebseite ausgeschriebene Stelle, die nicht zwangsläufig Berufserfahrung erwähnt, monatlich mindestens eine Bewerbung eines (Bald-)Absolventen. Stellt man zusätzlich die Stelle noch in die Stellenbörse der Arbeitagentur, dann trudeln zweistellige Bewerberzahlen monatlich ein, speziell gegen Ende der Semester. Genug Potenzial, den Geeignesten rauszufiltern und weiterzubilden, dass er einem von Nutzen ist. Aber gebratene Enten fliegen einem nicht von selbst in den Mund – auch für so manches deutsches Unternehmertum nicht. Keine Hochschule kann einen Ingenieur mit jeweiliger Spezialisierung bereitstellen, den die Industrie sofort ohne lange Einarbeitung einsetzen kann. Das muss die Industrie selber machen und auch einen Tick ehrlicher sein, seit geraumer Zeit versucht man eher einfach die Preise durch einen Überhang an Absolventen, erzeugt mit fadenscheinigen Zahlen und Werbung, zu drücken, damit die Einstiegsgehälter niedrig bleiben und die Zeitarbeit florieren kann. Man setzt also bewusst auf “Verschleiß”. Das kann sich bald als Bummerang erweisen. Evtl. wähnen sich die Unternehmen aber eh bald mehrheitlich in China und sind dann nicht mehr auf den deutschen Arbeitsmarkt angewiesen.

  4. Lars Hahn 26. Juli 2012 at 17:16 - Antworten

    Germanisten als Technische Redakteure. Das geht, wenn Arbeitgeber ein wenig Mut mitbringen. Die Einstellung erreicht der Germanist aber auch eher über informelle Wege als über ein “Vorstellungs”Gespräch.

    Mittlerweile haben wir gute Erfahrungen mit schwergängigeren
    Naturwissenschaftlern, die bei uns eine Weiterbildung im Bereich Arbeitssicherheit, Umweltmanagement oder Qualitätsmanagement machen. Diese gesetzlich oder anders geregelten Bereiche sollten oft auch von Ing. besetzt werden.
    Naturwissenschaftler machen das bisweilen aber mindestens genauso gut. Das spezielle Technikwissen lernen die “on the job”.

    Erst kürzlich war bei uns ein “Bachelor of science” der Biologie. Gerne werden die auch als Studienabbrecher mit Zertifikat diffamiert. Ein Kunde von uns, ein Unternehmen im Maschinenbau, stellt diesen Teilnehmer unserer QM-Ausbildung jetzt als Qualitätsbeauftragter ein. Fest. Direkt.
    Es geht also!

  5. Svenja Hofert 26. Juli 2012 at 17:49 - Antworten

    Hallo Lars, das kann ich nur bestätigen und gerade habe ich jemand zu dir geschickt, der hoffentlich den Kurs macht. LG Svenja

  6. Christopher Seidel 29. Oktober 2020 at 12:42 - Antworten

    Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen

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