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Die Quadratur des Kreises: Warum das Bundesamt für Migration ein Beispiel für ein generelles Recruiting-Problem ist

Arbeitgeber wollen Bewerber, die die perfekte Schnittmenge mit den Anforderungen bilden. Die Quadratur des Kreises, das Unmögliche soll möglich werden. Darauf wartet man Monate, was die langen Bearbeitungszeiten von Bewerbungen teilweise erklärt.
Dieses Phänomen betrifft nicht nur die High-End-Arbeitsplätze in internationalen Wirtschaftsunternehmen. Dieser Trend ist überall zu erkennen. Ich habe ein aktuelles Beispiel. Das Bundesamt für Migration sollte eigentlich jede Menge Stellen frei haben und müsste und aufgrund seines Bearbeitungsnotstands offen sein für Quereinsteiger. Experten schreiben den Stillstand der Tatsache zu, dass es kaum Leute gebe, die entscheiden könnten, also kaum akademische Sachbearbeiter. Ich schaue mir daraufhin die Stellenanzeigen auf der Website an. Dort sucht man jede Menge Bürosachbearbeiter/innen im mittleren Dienst (die nicht entscheiden dürfen), außerdem werden drei Sachbearbeiter im höheren Dienst und zwei Referenten gesucht. Voraussetzung: „vertiefte Kenntnisse in der Integrationspolitik in europäischen und außereuropäischen Ländern, Überblick über Schnittstellen und Programme auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene und zu Projekt- und Trägerlandschaft, Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich lokaler und gemeinwesenbezogener Integrationsprojekte.“
Man sucht, was es nicht gibt
Haben Sie diese Kenntnisse? Haben Sie einen Teil dieser Kenntnisse? Oder gar alle? Ich höre spätestens bei der letzten Frage kein „ja“ mehr. Wenn Sie Sachbearbeiter werden wollen, der über die Anträge entscheiden darf, dann gibt es dazu, Stand heute, ganze drei Sachbearbeiterstellen. Wir erinnern uns: Alle sprechen vom schlimmsten Antragsstau in ganz Europa. Das Problem wird täglich dringender. Deutschland hat ein Image zu halten.
Doch um entscheidungsbefugter Sachbearbeiter zu werden, müssen Sie Verwaltungswissenschaften studiert haben oder Public Management, Staatswissenschaften, Wirtschaft oder Recht UND mindestens 18 Monate im vergleichbar gehobenen Dienst gearbeitet haben. Die Studienanforderungen gehen OK, aber die 18 Monate lassen die Bewerberzahl gleich radikal schrumpfen. Bei so großer Not, wer hält solche Anforderungen noch aufrecht? Der Mann, der hierfür verantwortlich ist, ist gestern zurückgetreten. Es besteht Hoffnung, allerdings ist ein Beamtenapparat eben ein Beamtenapparat.
Will man durch solches Recruiting die Flüchtlingsproblematik lösen?
Lesen Sie die Anzeigen des Amtes. Recruiting wie in den 1980er, absolut Charme-frei. Will man so die Flüchtlingsproblematik lösen? „Wir finden keine geeigneten Fachkräfte und Spezialisten“, so stelle ich mir eine medienwirksame Presseinformation des Amts vor. “Tut uns leid, da können wir eben auch die Anträge nicht schneller bearbeiten. Es studieren einfach zu wenig Verwaltungswissenschaften.” Das ist eine typische Reaktion von Arbeitgebern auf Fachkräftemangel: Sie schieben es auf die Ausbildungssysteme und darauf, dass es zu wenig passende Bewerber gäbe.
In politisch weniger exponierten Bereichen ist es genauso, nur dass es falsches Recruiting nicht gleich eine ganze Gesellschaft betrifft. Findet man den Spezialisten nicht, der alle 100 gewünschten Tools der Datenauswertung beherrscht, stellt man aber auch hier lieber gar keinen ein – anstatt Leute zu nehmen, die dazu lernen wollten.
Jobbeziehungen sind schwerer aufzulösen als Ehen
Das oben beschriebene Problem ist sehr grundsätzlich und sehr tiefgreifend. Wir arbeiten immer länger, doch die Anforderungen an Jobs werden immer spezieller. So produziert man Spezialisten in Serie, die aber woanders nicht passen. Mit etwa 30, 35 Jahren ist amn am Wissenszenit – mehr Fachwissen kauft kaum jemand ein. Die Masse der Jobs setzt Kenntnisse im Bereich einer Erfahrung von zwei bis sechs Jahren an, und zwar weit übergreifend in der gleichen Branche. Einmal Verwaltung, immer Verwaltung, einmal Automotive, immer Automotive. Das ist schlimmer als eine Ehe. Wer sechs Jahre irgendwo war, kann diese Verbindung kaum noch auflösen, wird nicht zufällig woanders genau das Wissen gebraucht oder bestehen zufällig gute Verbindungen.
Chancen sind unplanbar
Oder öffnen sich zufällig Chancen aufgrund von Marktverschiebungen. Das wiederum ist ein Glücksspiel. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass wahrscheinlich bald Deutschlehrer rarer und damit gefragter sein werden. Dass Arabischkenntnisse zum Schlüssel werden könnten, vielleicht irgendwann auch im Personalwesen. Und das auch für Geisteswissenschaftler das Schwerpunkt-Thema Interkulturalität und Integration in den vergangenen Jahren sicher nicht schlecht gewählt war – obwohl Master mit solchen Abschlüssen gerne belächelt werden.
Wer ein gelbes Dreieck sucht, sollte sich auch ein blaues Quadrat ansehen
In den 1970er Jahren lernten wir in der Mengenlehre, wie perfekte Schnittmengen aussehen, anhand von bunten Dreiecken, Quadraten und Kreisen. Wir lernten Teilmengen und Schnittmengen kennen. Arbeitgeber definieren Dreiecke, Quadrate und Kreise. Der Bewerber darf nur rotes Dreieck sein, aber kein grünes. Auf keinen Fall darf er ein blaues Quadrat sein, wenn ich ein gelbes Oval suche. Arbeitgeber arbeiten zu wenig mit Teilmengen und Schnittmengen. So könnte das Bundesamt für Migration ja auch mal den zahlreichen Juristen mit nur einem Staatsexamen eine Chance geben, die sonst kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Es könnte motivierten Quereinsteigern mit Berufserfahrung in anderen Branchen die Chance geben, auch ohne spezifische Verwaltungserfahrung einzusteigen. Es könnte virtuelle Arbeitsplätze bieten, damit die Menschen nicht nach Nürnberg ziehen müssen. Ganz sicher gäbe es Lösungen, wie man Personal, dass kein rotes Dreieck ist, sondern ein gelbes Oval oder blaues Quadrat anlernen könnte. Im Moment stelle ich mir kaum einen Job vor, der sinnvoller sein könnte.
Das Bild der Mengenlehre verwendet die Recruiterin Irmtraud Lang in einem Gastbeitrag für Jobsblog.ch, der mir unheimlich gut gefällt. Sie erläutert darin sehr eindrücklich, warum Arbeitgeber sie mit der Quadratur des Kreises beauftragen. In meiner Perspektive kommt noch etwas dazu: Aus Bewerbersicht spielt nicht nur Passgenauigkeit eine Rolle, sondern auch der empfundene Sinn bei der Arbeit. Viele haben sich in Bereichen spezialisiert, die ihnen nach einigen Jahren sinnentfremdet scheinen. Sie wollen da heraus – in Bereiche, für die sie weniger mitbringen, aber mehr brennen. Sachbearbeiter beim Bundesamt für Migration – das wäre doch mal ein Job mit Sinn.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Hallo Frau Hofert,
danke für diesen sehr guten Artikel. Ich gebe Ihnen 100% Recht, möchte aber folgende 3 Dinge ergänzen:
1. Das Grundgesetz legt fest, dass im öffentlichen Dienst eine Personalauswahl anhand von Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung erfolgt. Leider hat die Rechtsprechung diese unbestimmten Rechtsbegriffe insoweit ausgelegt, dass das bisherige Amt (Also Status oder auch Karrierestufe) sowie Noten (Ausbildung/Noten/Beurteilung) die auschlaggebenden Kriterien sind. Zudem erfolgt bereits bei der Ausschreibung eine Forderung von 100% auf der Stelle gewünschter Qualifikationen, um sich nicht gerichtlich angreifbar zu machen. Auch wird keine Behörde jemanden einstelllen, der zwar Talent hat, aber die Anforderungen nicht zu einem hohem Maße erfüllt. Sie werden mir Recht geben, dass eine solche Auslegung von “Leistung” vollkommen veraltet und weltfremd ist. Dennoch urteilen die Gerichte heute noch so. Insoweit muss ich die Behörde hier in Schutz nehmen.
2. Vor einer externen Ausschreibung steht die interne Suche. Hierbei wird allerdings im öffentlichen Dienst so gut wie nie ernsthaft nach Talenten gesucht und diese dann auf die Position entwickelt. Wenn, dann nur innerhalb der Hierachien. Eine Entwicklung die Ebenen überschreitet – beinah vollkommen ausgeschlossen. Talentmanagement? Fehlanzeige. Solange das so ist, halte ich das Gerücht des Fachkräftmangels im öffentlichen Dienst für gewagt.
3. Die Anzeige zeigt sehr deutlich die Grundhaltung des öffentlichen Dienstes: Bestes Behördendeutsch, ein am unteren Ende orientiertes Gehalt, Befristungen, keine Differenzierung als Arbeitgeber, kein echtes Alleinstellungsmerkmal, kein Einblick in die Unternehmenskultur, sperrige Bewerbungsprozesse. Personalmarketing? Wird überbewertet! Alles Indizien für die immer noch reale Haltung, dass Bewerber sich glücklich schätzen können, sich bewerben zu dürfen. Und hier wiederhole ich mich: Solange das so ist, kann der Fachkräftemangel nicht wirklch weh tun.
Schöne Grüße
Stefan Döring
Hallo Herr Döring, danke für die tolle Ergänzung. Ja, das sind so ein paar Fallstricke gesetzlicher Art. Denke dennoch, dass man die ausräumen könnte, wenn der Wille da ist. Und letztendlich geht es auch nicht nur um dieses Amt, sondern generell darum, dass man nur gelbe Dreiecke sucht und nicht berücksichtigt, dass auch die blauben passen könnten. LG Svenja Hofert
Werte Frau Hoffert,
wiedereinmal ein spitzenmäßiger Artikel!
Zu diesem Kontext (Flüchtlingsmasse und Fachkräftemangel) sind mir ein paar Gedanken gekommen. Haben eigentlich die Arbeitgeber, die wirklich Fachkräfte suchen auch das Wohnungsproblem für den neu gefundenen Mitarbeiter auf dem Schirm? Könnte es in der heutigen Zeit nicht sein, dass ein potentieller Mitarbeiter absagen muß da er keine Bleibe findet im Umkreis seine neuen Wirkstätte? In manchen Stätten war jetzt schon Wohnungsmangel wie wird es ab jetzt oder den folgenden Jahren aussehen? So schnell sind Häuser nicht gebaut um Flüchtlinge und neue Mitarbeiter unterzubringen. Dieser Gedanke könnte doch ein ausgefeilteren Blogartikel werd sein oder?
Schöne Grüße aus Leipzig – ach ja ganz vergessen habe meine Ablehnung vom Bamf auch bekommen trotz Uni-Magister in Religionswissenschaft mit den NF Erziehungswissenschaft und Friedens- und Konfliktforschung mit dem Hinweis der Falschqualifikation! Ich sag dazu es gibt in der Behörde keinen Fachkräftemangel!
Gruß Kai
Ein weiterer Fall: Lebe seit 20 Jahren in Deutschland, ursprünglich aus dem Libanon, B.A. an der HWR studiert und mit Bachelor of Arts abgeschlossen.
Leider arbeitssuchend, was soll ich machen? Spreche akzentfrei deutsch, arabisch, teilweise türkisch, polnisch 🙂
Jemand eine Idee.
MfG
Hallo Frau Hofert,
wieder eine sehr interessanter und gelungener Artikel.
Leider teile ich Ihren Optimismus nicht, dass Arabischkenntnisse und interkulturelles Wissen angesichts der ankommenden Flüchtlinge und der Syrien-Krise eine Chance auf dem Arbeitsmarkt darstellen.
Denn anstatt mit Experten wie Islamwissenschaftlern oder Sozialarbeitern mit dem entsprechenden kulturellen Hintergrund Lösungen auszuarbeiten, so dass es den hier ankommenden Flüchtlingen besser geht, werden in Medien und Bundestag nur immer wieder die gleichen Sterotype bedient (z.B. die letzte Sendung Hart aber fair über das Thema Islam, die Forderung der Polizeigewerkschaft, Flüchtlinge nach Konfession oder Nationalität getrennt unterzubringen oder CDU-Vize Strobl im Bundestag “Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet”).
Ich selbst habe vor über 10 Jahren Islamwissenschaft, Politikwissenschaften und Soziologie studiert. Angesicht der damals (wie heute) schlechten Aussichten einen Beruf zu ergreifen, der sich um die gesellschaftlichen Herausforderungen wie z.B. Islam in Deutschland oder Migranten dreht, bin ich in die medizinische Marktforschung eingestiegen. Dort kann ich zumindest mein Wissen aus dem politikwissenschaftlichen und soziologischen Studium einsetzen. Obwohl im Gesundheitswesen die Bedeutung älter werdenden Migranten mit kulturellem Hintergrund aus dem Nahen Osten zunimmt, wird mein entsprechendes Wissen auf diesem Gebiet nicht benötigt. Und ich kann nicht von mir behaupten, dass ich es nicht versucht hätte.
Leider herrscht auf diesem Gebiet in Deutschland ein “Immer weiter so” vor, statt endlich mal neue Wege einzuschlagen.
Viele Grüße
Tibor Haunit