Diese Woche veröffentlichte tln3 hier einen knappen Bericht über das Bewerbungsexperiment von Jeff Scardino, der sich mit einem Lebenslauf ohne Skills testweise beworben hatte – und damit viel erfolgreicher war als mit dem klassischen Ich-kann-alles-Lebenslauf. So hatte er geschrieben, dass er bei seinem aktuellen Arbeitgeber Ogilvy & Mater drei erfolglose Pitches hatte. Unter Non-Skills führte er beispielsweise auf, dass er Schwierigkeiten habe, sich Namen zu merken.

Nun die zwei Haken. Scardino bewarb sich in den USA – und er ist ein Werber. Die ganze Aktion startete er offensichtlich um Aufmerksamkeit für sein Projekt Freiberuflichkeit zu bekommen. Einer meiner aktuellen Outplacement-Kunden aus dem technischen Bereich machte mich darauf aufmerksam, danke dafür.

Strassenschild 41 . Ich kannDazu muss man sehen, warum das Experiment von Scardino funktionierte:

1. Große Namen kompensieren viel

Obwohl er auf Misserfolge hinwies, punktet er mit großen Namen. Wer bei Ogilvy gearbeitet hat, ist kein Noname. Namen von Arbeitgebern spielen eine große Rolle, wie ich bereits vor einigen Wochen geschrieben habe. Wenn jemand längere Zeit für einen guten Namen tätig war oder sogar mehrere im Lebenslauf stehen hat, öffnet das immer Türen. Durch diese Türen geht man auch, wenn man sich etwas breiter macht oder auffälliger anzieht (im direkten und übertragenen Sinn).

2. Unerwartetes erzeugt Aufmerksamkeit

In der Kombination großer Name und klassische Erfolgsorientierung hat es aber offensichtlich nicht gereicht, denn Scardino hatte sich ja auch auf traditionelle Weise im gleichen Layout beworben. Mit dem Unterschied, dass da wo sonst Skills stehen, Non-Skills standen und Scardino statt Erfolgen Misserfolge beschrieb. Hier greift der Effekt des Unerwarteten. Jemand, der etwas anders macht, bekommt immer mehr Aufmerksamkeit.

Diese Aufmerksamkeit kann positiv und negativ sein. Wann gibt es positive Aufmerksamkeit? Das Andersmachen muss im Lebensentwurf des Lesers einen Platz haben, akzeptiert sein. Im Lebensentwurf von Werbern ist Kreativität ein fester Bestandteil. Kreativität heißt immer die Dinge anders machen.

3. Kompetenz wird größer, wenn jemand kleine Schwächen hat

Weiterhin darf das, was Aufmerksamkeit erzeugt, die Kompetenz nicht fundamental in Frage stellen. Jemand, der sich keine Namen merken kann? Das ist für einen Werber nicht schlimm. Auch ich kann mir sehr schwer Namen merken. Das Nicht-Namen-Merken können ist spezifisch für Leute, deren Aufmerksamkeit eher nach Innen oder auf die Wahrnehmung von Gesprächen und Situationen ausgerichtet ist. Das Nicht-Namen-Merken kann für einen Pressesprecher oder Diplomaten, die viel unterwegs sind, auch in besseren Kreisen, aber durchaus ein Malus sein

4. Schwächen machen sympathisch, so lange sie authentisch sind

Es hängt also vom Beruf ab. Und von der Interpretation der beruflichen Rolle des Gegenübers. Ist es dieser wichtiger, dass jemand charmant, kreativ und witzig ist, landen Sympathiepunkte auf dem Konto. Wenn Guenter Dueck von der Bühne stolpert und sagt „die war zu kurz“ dann hat er seine Lacher sicher. Er setzt dann einen wunderbaren Gegenpunkt zum gestelzten und Auswendiggelernten seiner Sprecherkollegen. Auch weil es zu ihm passt so wie die fürchterlich ungestylte Powerpointfolie… Authentizität ist also wichtig.

Es ist also nicht ganz so einfach, die richtige Balance zu finden, weder schriftlich noch mündlich.

Wie lässt sich das Scardino-Experiment übertragen? Kann man mit einem CV erfolgreich sein, der keine Erfolge zeigt und auf Nonskills, also Schwächen deutet? Ob es funktioniert werde ich demnächst einmal selbst mit Kunden ausprobieren, die ich natürlich auf Risiken und Nebenwirkungen hinweise. Am Ende des Tages weiß ich auch nicht, ob es funktioniert. Ich vermute es aber begründet.

Und ich werde es nicht extrem umsetzen, sondern so, wie es aus psychologischer Sicht Sinn macht. Auf der Übersichtsseite lässt sich zum Beispiel neben einem „was ich kann und tun möchte“ auch die Rubrik „was ich nicht kann und nicht tun möchte“ verankern. Und die könnte durchaus für Aufmerksamkeit sorgen. Vielleicht auch eine Idee für Online-Formulare einmal ein Pflichtfeld einzubauen, was jemand nicht kann.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. Cathrin Eggers 25. Juli 2015 at 9:11 - Antworten

    Liebe Svenja Hofert,

    vielen Dank für Ihren erfrischenden Artikel.

    Wo “authentisch sein” so abgedroschen klingen mag, sind es meiner Meinung nach diese Kleinigkeiten, die den Unterschied machen können. Und sollten.
    Menschen arbeiten mit und für Menschen, stellen Menschen ein. Wie kann da alles (inhaltlich) auf Perfektion getrimmt sein? Paradox!

    Beiden Seiten ist geholfen, wenn Klartext darüber gesprochen wird, was geliefert werden kann und will – und was eben nicht. Sich als eierlegende Wollmichsau zu verkaufen ist doch viel einfacher, als sich differenziert vorzustellen. Und es sagt soviel mehr über den Bewerber aus.

    Bleibt zu hoffen, dass die Wertschätzung auf Seiten der Empfänger einen Trend befördert und nicht auf Ablehnung stößt.

    Viele Grüße
    Cathrin Eggers

  2. Liebe Frau Hofert,
    ein hochinteressantes Thema haben Sie da aufgegriffen und ich bin gespannt, ob Sie Kunden finden, die sich auf das Experiment einlassen.

    In Deutschland heißt es ja leider oft noch, dass man keine Fehler machen darf und auch keine Fehler haben darf. Und alles, was man nicht kann, wird einem schnell als Fehler ausgelegt. Das lernen wir ja schon in der Schule.

    Aber vielleicht sind die Gesellschaft und in diesem Fall die Unternehmen auch schon viel weiter als gedacht. Als Selbstständige habe ich öfter die Erfahrung gemacht, dass es mir sogar hoch angerechnet worden ist, wenn ich Aufträge abgelehnt habe, die nicht zu meinen Kernkompetenzen gehören. Sicherlich kommt es auch immer darauf an, wie man das dem Kunden bzw. potenziellen Arbeitgeber verkauft. Aber letzlich schärft es ja auch das eigene Profil.

    Ich hoffe, Sie werden von den Ergebnissen berichten – bin schon ganz neugierig!

    Liebe Grüße
    Frau von L

    • Svenja Hofert 26. Juli 2015 at 16:29 - Antworten

      Hallo Frau von L. schon gefunden, es läuft also. Mal sehen. Danke Ihnen für Feedback! LG Svenja Hofert

  3. Erhard Boenigk 27. Juli 2015 at 16:55 - Antworten

    Hallo Svenja,
    eine spannende Frage, aber in Abwandlungen gar nicht ganz neu: Schon vor Jahren wurde ich in Bewerbungsgesprächen gefragt “Was war ihr größter Misserfolg?”. Dahinter steckt die zweite unausgesprochene Frage: Was haben Sie daraus gelernt? Die zweite Frage zu beantworten wenn die erste gestellt wurde ist sicher die richtige Übung. Entsprechendes gilt sicher auch für den Aufbau des CV
    Beste Grüße
    E.B.

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