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Persönlichkeitstests: Warum sie auch Profis oft täuschen

Auf dem Papier schien er weder leistungsmotiviert noch gewissenhaft zu sein, weder analytisch noch teamfähig. In sämtlichen Persönlichkeitstest-Skalen unterdurchschnittlich. Im parallel absolvierten Interessentest RIASEC sowie im BIS (Berufsinteressentest) deutete alles darauf, dass er sich für gar nichts interessierte. Doch komischerweise waren die Zeugnisse von Dr. Schmidt, nennen wir ihn einfach mal so, exzellent. Überall nur überdurchschnittliche Noten. Er war in namhaften Unternehmen angestellt gewesen, um ihn warb man als Arbeitgeber. Wie bitte passt das zusammen?
Tests werden als Abkürzung für die Urteilsbildung missbraucht
In 15 Jahren habe ich mehr als 100 Verfahren kennengelernt. Ich habe fünf Persönlichkeitstest-Zertifizierungen. Doch je mehr Tests und Zertifizierungen ich in meinen Leben durchlaufe und mit Klienten absolviere, für desto gefährlicher halte ich sie in den Händen von Menschen, die Tests als Abkürzung für die eigene Urteilsbildung nutzen möchten. Menschen, die vorwiegend dem Papier trauen, es als Basis für die Vermessung des Menschen nutzen.
Meine Warnung betrifft zunächst Personaler, danach Coachs und Berater und zuletzt auch die Klienten selbst. Alle treiben unterschiedliche Motive zur schnellen Thesenbildung bei mangelhafter Überprüfung:
- Die Personaler: Sie sind darauf fokussiert sind, Fehler bei der Einstellung zu vermeiden und eine möglichst zeiteffiziente Auswahl zu gestalten. Das heißt, in das Auswertungsgespräch wird meiner Erfahrung nach viel zu wenig Zeit investiert. Oft gibt es gar kein Auswertungsgespräch. Der Test – nicht selten ein veraltetes und unwissenschaftliches Verfahren – wird zur Absicherung der Einstellung hintenangestellt. Ah, ein “ENTP”, passt ja für den Job als Produktmanager.
- Selbstständige – Coachs und Karriereberater – fokussieren „ihr“ teuer eingekauftes Verfahren – und möchten es zu Geld zu machen. In den ebenso teuren Kursen lernen sie die individuelle Wahrheit des Anbieters. MBTI®-Schüler etwa argumentieren mit C.G. Jung als wäre er ein Heiliger und „mögen“ keinen Keirsey (den es viel „billiger“ gibt). Statt zum objektiven Anbieter wird man da leicht zum Verteidiger.
- Endverbraucher wollen preiswerte Lösungen und möchten niedrigschwelligen Erkenntnisgewinn. Sie sind nicht bereit, sich mit Details zu beschäftigen. Und können es oft auch nicht.
Effizienz auf der einen, ökonomische Gründe auf der anderen, Unwissen auf dritten Seite: Ein Dr. Schmidt mit seinem ungewöhnlichen Profil hat es da schwer. Wir alle haben schließlich die Neigung, Bestätigungen zu sammeln – und Gegenbeweise auszublenden. Es ist ja auch so: Meistens stimmt es. Und die paar Mal, wo es nicht stimmt, biegt das Gehirn schon zurecht: stimmt doch… irgendwie.
Alle wollen auf Nummer sicher gehen
Personaler suchen Personen, die optimal auf eine Stelle passen. Falscheinstellungen werden bestraft: Der Personaler ist es schuld. Deshalb engagieren einige Firmen Headhunter, vor allem auch, um einen Buhmann zu haben, der am Ende eine falsche Empfehlung gegeben hat und dem Vorstand als Schuldiger präsentiert werden kann. Kein Wunder, dass viele Headhunter vorsichtig sind und auf Nummer sicher gehen. Mit dem Unterschied, dass sie in der Regel keine Tests einsetzen, womöglich weil es in der Regel keine Psychologen sind. Dafür betonen sie Gradlinigkeit im Lebenslauf noch ein wenig mehr. Die maximale Sicherheit scheint gegeben, wenn der Bewerber vorher schon genau das gemacht hat, was er nachher auch tun soll.
Hier liegt allzu oft ein statisches Menschenbild zugrunde: Menschen sind so, und sie verändern sich nicht (wesentlich). Ein statisches Menschenbild haben nicht nur manche Personaler. Auch die Nutzer, die im Internet „Persönlichkeitstest gratis“ eingeben, sind heimliche “Statiker”. Sie möchten wissen, wie sie sind und nicht so sehr wie sie sein könnten. Möge es doch eine schnelle Erklärung für mich selbst geben!
Arbeitshypothesen sind erlaubt, aber keine Todesurteile
Ich habe meine Teilnehmer im letzten Karriereexperte Professional-Kurs gefragt: Wie würdet ihr reagieren, wenn euch so ein Ergebnis auf den Tisch käme? Die Hälfte der professionellen Truppe war früher einmal im Recruiting oder als Personalleiter tätig gewesen. Es sind somit gut ausgebildete, sehr erfahrene Personen. Aber Arbeitshypothesen bilden sich auch bei Profis – und genau darauf hinzuweisen, war mein Anliegen. Ich wollte zeigen, dass Arbeitshypothesen falsch sein können.
Sie hätten ihn, Dr. Schmidt, in der Funktion als Personaler wohl nicht eingestellt. Und auch als Coach hätten sie einen schwierigen „Fall“ erwartet. Genau das war es aber nicht. Es ließen sich Erklärungen finden, es kostete nur etwas mehr Zeit als ein Personaler hat: einen halben Tag. Zum einen hatte der Mann eine extreme Vergleichsgruppe, denn er arbeitete in einen Job mit Menschen zusammen, die sehr anders tickten als er. Unter Spitzensportlern würde meine Selbstwahrnehmung für Leistungsmotivation ins Bodenlose fallen. Jede Selbsteinschätzung beruht auf dem Vergleich.
Eine weitere Erklärung für das unterdurchschnittliche Abschneiden von Herrn Schmidt: Seine Interessen waren in dem Test nicht abgebildet. Er interessierte sich für Dinge, die in Tests wie Explorix, RIASEC oder BIS schlicht keine Rolle spielen. Da gibt es weder Big Data noch Spieleprogrammierung, Lichtgestaltung, Tonkunst und Schokoladenfabrikation, sondern nur grobe, „typische“ berufliche Bereiche.
Darauf muss man erst mal kommen. In jedem Fall braucht das Zeit. Und vor allem eins: die Bereitschaft, nach Gegenbeweisen für die eigene Arbeitshypothese zu suchen.
Folgende Tipps möchte ich dazu geben:
- Bilden Sie Arbeitshypothesen, das werden Sie ohnehin tun, aber seien Sie bereit, diese jederzeit zu verwerfen. Suchen Sie gezielt nach Beweisen, dass Sie falsch liegen. Sagt also der Test aus, dass sich jemand überhaupt nicht einfühlsam verhält, erfragen Sie Beispiele für einfühlsames Verhalten. Und beobachten Sie – aber nicht auf der Suche nach Verdachtsmomenten, sondern nach Gegenbeweisen.
- Setzen Sie Tests nicht im ersten Schritt ein, sondern zum Beispiel zwischen zwei Terminen. Legen Sie den Test erst mal zur Seite, schauen Sie am besten selbst nicht rein und sprechen Sie unvoreingenommen mit dem Klienten.
- Kein Test ohne Auswertungsgespräch – das sollte auch für Personaler Devise sein. Erklären Sie den Test und am besten auch Ihr Menschenbild. Idealerweise ist es nicht statisch, das heißt Sie gehen davon aus, dass Veränderung immer und jederzeit möglich ist. Schauen Sie sich dazu mal das Ted-Video von Carol Dweck an.
- Lassen Sie sich nicht (nur) von Anbietern schulen, die ein ökonomisches Interesse daran haben, Tests zu verkaufen. Diese werden immer alle Daten im besten Licht präsentieren. Suchen Sie unter „Kritik an“ auch gezielt nach kritischen Stimmen.
In dem Zusammenhang möchte ich das Buch von Rüdiger Hossiep und Oliver Mühlhaus „Personalauswahl und –entwicklung mit Persönlichkeitstests“ empfehlen (z.B. bei Hogrefe), das in zweiter Auflage vorliegt. Sie finden dort einen hervorragenden Leitfaden für die Profilinterpretation und Rückmeldegespräche. Diese sind auch für Praktiker verständlich, die keine psychologische Ausbildung haben.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
Der Artikel spendet mir etwas Trost, da ich gerade schriftlich ein Testergebnis bekommen habe, das mich sehr beschäftigt, etwas ratlos zurücklässt. Ok, ich bin laut diesem Unternehmen nicht für den Job geeignet. Ich habe angeblich Null Denkgeschwindigkeit. Ich habe Hochschulabschluss, lange Berufserfahrung und vieles auf fachlicher Ebene erreicht. Das mit nahe Null Denkgeschwindigkeit. Ich will ja nicht Kraftfahrer werden, wo ich blitzschnell auf Gefahren im Straßenverkehr reagieren muss. Der Test attestiert mir herausragende Management und Führungsqualitäten. Ich führte bisher immer fachlich- sollte ich laut Test jetzt auch Menschen führen, da der Test mir auch gute Entscheidungsfähigkeit attestiert? Ich weiß es leider nicht. Den Test sehe ich als Denkanstoß, den ich mir so auslege wie es mir gerade in die Lebenssituation passt.
Ich stimme zu: Ein noch so guter Test kann das sorgfältige Gespräch nicht ersetzen. Doch das Problem beginnt schon mit der Testauswahl.
Vielleicht holt mich jetzt der Shitstorm, aber in meiner Wahrnehmung sind viele Nicht-Psychologen nicht fähig, eine Testauswertung sinnvoll zu interpretieren oder dessen Basiskennwerte (Reliabilität, Validität etc.) einzuschätzen (wenn diese überhaupt vorhanden sind). Dafür fehlt ihnen schlicht das Grundwissen der Statistik. Daher machen sie halt eine Schulung in einem “zertifizierten” Verfahren; am besten kommt dann noch irgendein “Typ” heraus (“Oh, wie schön, ich bin ein Gelber!”). Simpler geht’s nicht. Und weil man keinen Überblick über viele Testverfahren hat, wendet man auf jedes Thema das einmal gelernte Testverfahren an.
P.S. Zu dieser Thematik empfehle ich das sehr gute Kapitel über Persönlichkeitsdiagnostik im “Schwarzbuch Personalentwicklung” von Viktor Lau: http://amzn.to/1Nc9r5l
Danke für den Kommentar. Es holt sie kein Shitstorm, früher war es ja auch so, dass nur Psychologen Persönlichkeitstests einkaufen durften. Das ist aber eben auch kein Gütebeweis, denn entscheidend ist die Haltung – und die ist nicht an Disziplinen gekoppelt. Ich gebe Ihnen aber recht, dass psychologische Kenntnisse notwendig und wichtig sind. Nur haben die andere Sozialwissenschaftler auch… Und ich kenne Psychologen, die vor 20 Jahren studiert haben…. und heute so gut wie nichts mehr wissen, jedenfalls nicht über den statistischen Teil. Kurzum: Man darf das nicht dogmatisch sehen – zumal die Vergleichbarkeit auch der heutigen Lerninhalte nicht mehr da ist. Es bleibt also bei Selbstregulierung. LG Svenja Hofert
Die Warnungen sind alle berechtigt! Die konträre Aussage stimmt meines Erachtens aber auch: “Es gibt wenig, was so hilfreich ist, wie ein richtig angewandtes, wissenschaftlich fundiertes Testpaket, das die Person von verschiedenen Seiten beleuchtet, das richtig nachbesprochen ist und als eine von vielen Quellen der Meinungsbildung genutzt wird. Dieses Vorgehen hat erhebliche Vorteile demgegenüber, keinerlei Tests einzusetzen.”
Ich liebe meine Möglichkeiten, in der Beratungspraxis gute Tests zu nutzen!
Viele Grüße, Christoph Burger
Ein sehr interessanter und vor allem differenzierter Artikel. Vielen Dank, dafür! Ich berate bisher gänzlich ohne Tests, weil ich selber in meiner Berufslaufbahn mehrere Tests gemacht habe und den Ergebnissen keinerlei Mehrwert entnehmen konnte. Zukünftige Arbeitgeber übrigens auch nicht, da die Erkenntnisse im persönlichen Gespräch sowieso auf den Tisch kamen.
Ich beobachte allerdings auch, dass Bewerber gerne den Weg abkürzen und mit möglichst einfach gehaltenen Tests die Denkarbeit vermeiden möchten und oft auch zuviel, nämlich ultimative Antworten auf ihre offenen Fragen, erwarten!
Ist die Zeit, die es erfordert, Test-Ergebnisse kritisch und zuverlässig auf alle genannten Gesichtspunkte zu überprüfen, womöglich und in den meisten Fällen besser ausschließlich in Gespräche mit gesundem Menschenverstand investiert? Worin genau steckt der Nutzen von Persönlichkeitstests unter den gegebenen Umständen? Ich werde das empfohlene Buch gerne lesen in der Hoffnung auf Antworten! Viele Grüße, Cathrin Eggers
Ich habe Ihren Artikel gerade mit Interesse gelesen. Ich bin zurzeit auf der Suche nach einem guten Persönlichkeitstest, der vor allem dem Mitarbeiter bei seiner Selbsteinschätzung helfen soll. Ein Instrument, das in der Personalentwicklung eingesetzt werden kann und, nebst Fremdeinschätzung des Vorgesetzten und Selbsteinschätzung des Mitarbeiters, die beiden zusätzlich unterstützt, einen guten Entwicklungsplan zu erstellen. Ich kenne aus meiner langjährigen HR-Praxis HBDI, MBTI, Reiss-Profil, Insights, IP etc.
Mich würde daher interessieren, welchen Persönlichkeitstest Sie mir empfehlen können?
Hallo, ich halte nicht mehr viel von Persönlichkeitstests von keinem, ich kenne fast alle. Big Five-Versionen geben am ehesten einen Anhaltspunkt, zeichnen aber auch ein statisches Menschenbild. Nach vielen Jahren und Erfahrungen komme ich dazu: Der beste Weg einen Menschen zu entwickeln, ist ihn unvoreingenommen kennenzulernen. “Massbänder” wie Big Five helfen, aber man sollte sie nicht zu ernst nehmen.
[…] eines Klienten angesehen – und uns größtenteils davon täuschen lassen. Dazu hat sie hier auch schon warnend […]