Kategorien

Probieren Sie es mal aus – oder: was Scrum und Slow Growing gemeinsam haben

Veröffentlicht: 2. Mai 2012Kategorien: Human Ressources

Am letzten Donnerstag brachte ein IT-kundiger Projektmanager nach meinem Vortrag über das Slow-Grow-Prinzip auf dem Forum der Hamburger Beratertage, einen Begriff ins Gespräch, der den Gedanken meines Slow Growings in ein anderes Wort fasste: Scrum.

Gegenüberstellung Slow Grow und "normale" Gründung

Scrum ist eine Technik aus dem agilen Projektmanagement und es basiert auf dem gleichen Grundgedanken, der mich zu meiner Buchidee geführt hat. Von hier ist es nur ein Gedankensprung bis zur erweiterten Spieltheorie, die zum Beispiel Arne Gillert  für die Unternehmensentwicklung nutzt. Beim Spielen in und mit Unternehmen geht es darum, frei von bisherigen Konzepten, Hierarchien und Vorgaben Neues auszuprobieren. Jeder darf alles, nichts wird vorab bewertet und somit oft (zu schnell) verworfen – um zu neuen Lösungen zu kommen. Der Kooperation ergänzt im Spielgedanken das klassische Einzekämpfertum, das auch Kennzeichen typischer Unternehmensgründungen ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt.

Doch zurück zu Scrum: Der Kerngedanke von Scrum und Slow Growing lautet auf den Punkt gebracht: Die Welt ist durch Technik zu komplex geworden, um planbar zu sein. Es geht in den Gründungsvorhaben der Zukunft darum, das jeweils nächste Problem zu lösen, mit möglichst viel Innovation, Offenheit und Transparenz. Es geht in den Gründungsvorhaben nicht mehr darum, einen komplexen Plan zu entwerfen, der ohnehin nicht halten kann, was er verspricht.

Ich sage also: Denkt von unten! Die gängige Gründungspraxis sieht anders aus: Die meisten Autoren und Berater springen von der Idee ausgehend direkt nach oben, in die Vision. Von dort gehen sie runter und beschäftigen sich mit dem Ziel, das auf drei Jahre herunter gebrochen und vor allem an Zahlen gemessen wird. Das ist eine anstrengende Kurvenbewegung. Von unten nach oben Denken ist klarer, einfacher und risikoloser.

Für meinen Ansatz ernte ich teils viel  Zustimmung und teils die ganze Palette von Unverständnis bis Protest. Diese verrauscht meist vollständig, wenn ich die Hintergründe erläutere und mein Prinzip in den Kontext aktueller Entwicklungen einbette.

Das will ich an dieser Stelle tun und dabei die drei wichtigsten Gründe anführen, warum Slow Growing dem klassischen Planerfüllungsdenken um Nasenlängen voraus ist.

Nr. 1: Die meisten Menschen gründen nicht, um ihr Unternehmen nach 5 Jahren wieder zu verkaufen.

Die Fakten sind klar: Die allermeisten Gründer – 98%  laut KFW-Monitor – starten nicht mit einer Marktinnovation. Sie denken nicht, so wie es lehrbuchhaft sein sollte, „vom Markt her“, sondern gehen von den eigenen Bedürfnissen aus – etwa um endlich ohne höhere Unternehmenspolitik am eigenen „Ding“ arbeiten zu können – und suchen dann nach ihrer Nische.

Sie starten damit fast zwangsläufig unausgereift, und weiteres Nachdenken würde auch nichts ändern, denn Ideen entwickeln sich “spielerischer” (und damit in aller Regel auch innovativer) aus dem Tun und der Erfahrung und nur selten aus dem Denken.

Hinzu kommt: Die Mehrzahl der Gründer sind im Herzen Selbstständige. Das bedeutet: Sie wollen selbst mitarbeiten, inhaltlich tätig sein. Der klassische Unternehmer-Entrepreneur, der nur AM Unternehmen arbeitet und von vorneherein auf den Verkauf seiner Firma spekuliert, ist eine Ausnahmeerscheinung. Letzterer ist immer noch gut mit Plan und Vision bedacht, denn in aller Regel wird er am Markt erfolgreiche Konzepte kopieren (Copy Cats) oder anderweitig in Serie gründen. Wie auch meine Zeichnung zeigt: Plan und Experiment sind ein Kontinuum, die einander brauchen. Nur ist es oft – und vor allem für Selbstständge – besser, seinen Focus auf die rechte Seite zu legen.

Nr. 2: Die Welt ist nicht mehr planbar

Personenbezogene Gründungen im Wissensbereich dagegen hängen in ihrem Reifegrad an der Erfahrung des Gründers, d.h. sie werden mit den Jahren besser, zugespitzter, einzigartiger. Niemand ist zum Beispiel vom ersten Tag an ein Top-Speaker. Der ehemalige Leistungssportler Christian Bischoff beschreibt es in seinem Buch „Willenskraft. Warum Talent gnadenlos überschätzt wird“: Er begann mit kleinen, mies bezahlten Vorträgen an Schulen; er tingelte Jahrelang.  Er fuhr sich selbst langsam hoch, Schritt für Schritt.

Immer wieder versuchen Trainerkollegen von 0 auf 100 in die Top-Liga zu springen, mit von mir so genannten Quick-Positionierungen, die sie teils als EKS (Engpass-konzentrierte Strategie nach Malik) fehlinterpretieren („schaun wir mal, wo ne Lücke ist und setzen uns dort fest“). Die Quote der Gescheiterten dürfte hoch sein, wenn man sich all die Karteileichen im Internet so betrachtet.

Slow Growing verhindert Scheitern im großen Stil, weil es nicht um die Realisierung komplexer Pläne, sondern um das konkrete Umsetzen nächster Schritte geht. Das sind (viel) kleinere Einheiten, die zudem auf die Persönlichkeit zugeschnitten sind. Denn nicht jeder kann alles gleich. Bis zum Akquisestil sind die persönlichen Möglichkeiten und ist das Aktivitätsniveau jeden Menschens höchst unterschiedlich. Statt in drei Jahren denke ich erst mal in drei Wochen bis drei Monaten. Korrekturen sind so ständig möglich.

Das hat den Vorteil der wiederholten Reflektion. So kann man sich immer wieder neu den jeweils brennendsten Problem widmen und der Frage “wie löse ich das, was gerade aktuell ist?” Denn Slow Growing ist, was manchmal missverstanden wird, kein „schauen wir mal was kommt und machen wir lustig was Spaß macht”, Slow Grow ist ein offener Prozess. Dieser offene Prozess lässt es z.B. zu, Erlösmodelle nachrangig zu behandeln, um sich erst mal auf wichtigere Schritte zu konzentrieren. Nichts anderes hat Mark Zuckerberg gemacht.

Wir leben nicht mehr im Industriezeitalter, in dem der Tellerwäscher mit Shaper-Mentalität Millionär werden konnte. Das war im frühen Industriezeitalter anders. Da brauchte man als Unternehmer vor allem eins: überdurchschnittlichen Drive, den Willen und das Geld, eine Maschine anzuschaffen, Mitarbeiter anzuheuern und los zu produzieren. Ein weitestgehend planbares Vorhaben. Anders sah es ist der vorindustriellen Phase aus, da stand – wie heute – die Innovation im Vordergrund.

Nr.  3: Kurze Innovationszyklen fordern neues Denken “von unten”

Veränderungen schreiten immer schneller voran: Bis die Textilindustrie automatisiert worden war und es in Folge zum Weberaufstand in Schlesien kam, brauchte es fast ein ganzes Jahrhundert mit einer Kette an Innovationen (etwa 1764 erste Innovation bis 1844 Aufstand). Solche generationsübergreifenden Zyklen gibt es nicht mehr. Wird Apple der führende Marktinnovator bleiben? Welches mobile Betriebssystem setzt sich durch? Was kommt nach dem Ipad? Niemand kann das ahnen, aber es sind inzwischen manchmal nur noch 5-10 Jahre, die zwischen radikalen Veränderungen liegen. Wer etwa hätte 2003 – als der Besitz eines Nokia-Handys Status schlechthin bedeutete und die Marktführerschaft unumstritten war – gedacht, dass Nokia kaum ein Jahrzehnt später nur noch Marktanteile in homöopathischen Dosen halten würde? Dass Nokia etwas falsch gemacht hat, ist dagegen allen klar. Zu wenig gespielt? Zu viel geplant?

Technologie treibt heute gesellschaftliche Trends, Politik (siehe Piraten), Angebot und Nachfrage, persönliche Möglichkeiten, Gesetze – alles. Wenn ich meinen Eltern erzähle, dass man inzwischen sogar Häuser und Schuhe drucken kann, so sehen sie mich ungläubig an. Möglichkeiten verändern sich so schnell, dass nur wenige sie überhaupt noch nachvollziehen können. Marktstudien für den Standard-Business-Plan? Verrückter Gedanke.

Was morgen möglich ist, wissen selbst die Informierten und Experten nicht mehr sicher. Weiter kommen wir nur durch die Konzentration auf das Lösen von Problemen.

Die Notwendigkeit, sich auf Problemlösungen und nicht auf lang ausgelegte Pläne zu konzentrieren, erfasst jeden gesellschaftlichen, persönlichen und unternehmerischen Bereich. Sie tangiert auch die Teilbereiche einer Unternehmensgründung. Man kann etwa keinen Marketingplan mehr auf drei Jahre anlegen, weil niemand weiß, welche Rolle dann die sozialen Medien spielen und ob die Klickraten für Werbeanzeigen in zwei Jahren nicht vollkommen irrelevant geworden sind (bei derzeit 0,09% Klickrate im Durchschnitt sind wir kurz davor). Wir wissen nicht mehr, was funktioniert. Wir können es nur noch probieren. Und uns danach fragen: Hat es geklappt? Wie könnte es noch besser funktionieren? Was kann ich anders machen?

Probieren Sie es also aus.

Beitrag teilen:

Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

8 Kommentare

  1. Thomas Hochgeschurtz 2. Mai 2012 at 9:02 - Antworten

    Hallo Frau Hofert, die ca. 20% Marktanteile von Nokia als homöopathisch zu bezeichnen, ist wohl nicht passend; beim Gewinn hätte ich es verstanden;-)
    Und das Nokia an der fehlenden Umsetzung des Slow-Grow Prinzips krankt ist wohl auch etwas vermessen (was hätten die Nokia Manager tun sollen? Zum Beginn der Nokia Krise gab es Ihr Buch noch nicht!).
    Wenn der Leser aus Ihrem Artikel mitnehmen soll, dass Umsetzung vor Plänen und Strategien geht, haben Sie mich.
    LG Thomas Hochgeschurtz

    • Svenja Hofert 2. Mai 2012 at 12:34 - Antworten

      Hallo Herr Hochgeschurtz, da bin ich ja froh, dass ich Sie am Ende doch noch gekriegt habe, aber ich werde den Artikel noch mal an ein paar Punkten schleifen (yes Sir, ich hätte den Gewinn als Vergleichsgröße nehmen sollen). Das ist das Gute an Blogs – man kann sie immer wieter optimieren und bekommt durch das Feedback auch gleich raus, wo Gedankengänge haken 😉 LG Svenja

  2. Peter Addor 2. Mai 2012 at 10:34 - Antworten

    Ich bin auch ganz Ihrer Meinung, dass Ausprobieren vor Planen steht, ja dass man angesichts der aktuellen Komplexität gar nicht mehr planen kann. Was mich in Ihrer Abbildung jedoch verwirrt ist, dass Handeln und Denken einander gegenüber stehen und somit gegenseitig ausschliessen. Und warum ist das Grundmodell der Spieltheorie die Planlosigkeit? Leider ist das der einzige Satz in Ihrem Artikel, in welchem “Spieltheorie” erwähnt ist. Sie erklären dann den Zusammenhang zwischen Spieltheorie und Planlosigkeit nicht weiter. Schade!

    • Svenja Hofert 2. Mai 2012 at 12:30 - Antworten

      Hallo Herr Addor, danke für Ihr Feedback. Sie haben recht: zu groß der Gedankensprung. Ich setze mich nachher noch mal hin und erkläre diesen Punkt genauer. LG Svenja Hofert

  3. Erich Feldmeier 3. Mai 2012 at 11:56 - Antworten

    Der Marktanteil ist drastisch gesunken; die Quelle führt ‘NOKIDS want our phones any more’
    unter “Sonstige Hersteller zusammen unter 5 %” auf:
    “That was matched by a collapse in Symbian’s share of UK sales, from 15.5% in January 2011 to 2.8% in 2012. ”
    http://www.guardian.co.uk/technology/2012/feb/21/android-smartphones-os-uk-apple
    vgl. auch
    https://plus.google.com/u/0/102177944572975797324/posts/FdZxqRP2nzC

  4. Svenja Hofert 3. Mai 2012 at 17:36 - Antworten

    danke, Erich, wusste doch, ich hatte das mit den homöopathischen Dosen irgendwo gelesen….

  5. Gilbert 24. Mai 2012 at 23:49 - Antworten

    Toll diese Zusammenfassung mit absolut logischer Herleitung der Notwendigkeiten (ob nun 20% oder 2%). Ich glaube, hier habe ich es zum ersten Mal big picture mäßig verstanden. Danke dafür!

    Ach so… Und was die Nokia Manager hätten tun sollen? Ihre Arroganz ablegen, mal übern Zaun kucken, ein bisschen von der Zukunft träumen, anstatt selbstverliebt ihre Absatzentwicklungen anzuschauen. Aber das ist selbstverständlich schwer, wenn man Erfolg hat. Das kennt jeder von sich selbst.

  6. […] müssen neue Gehirnareale aktiviert werden, neu vernetzt werden. Das passiert auch im Kopf nach dem SlowGrow-Prinzip, also nach und nach. Wir müssen neue Stecker wachsen lassen. Solche Stecker sind nicht nur […]

Einen Kommentar verfassen