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Pünktlich? Was für´n Quatsch: Wichtige Leute kommen zu spät

Veröffentlicht: 7. März 2013Kategorien: Human Ressources

© Klaus Eppele – Fotolia.com.jpg

Wenn es sein muss, komme ich ein wenig später. Natürlich abgehetzt, wie es sich gehört, denn dieser Termin ist ja nicht so wichtig für mich. So wird mein Gegenüber gleich eingenordet: Die Alphafrau bin ich. Ich bin gefragt – und mache hier die Ansagen.

Auch die Sache mit den Handys, dem liebsten Männerspielzeug, habe ich drauf: In meinem letzten angestellten Job, das war noch zu Zeiten, in denen man mit einen grauen Plastikstift in ein Ding namens PALM schrieb, gruppierte ich zwei Handys in Meetings um mich herum. Ich riss Fenster auf, ohne andere zu fragen und unterbrach die Reden Höherrangiger. Selbst der letzte Keks war vor mir nicht sicher.

Wann genau ich begriffen habe, dass formelle Regeln hauptsächlich einen Showeffekt haben, weiß ich nicht mehr. Aber nach einigen Jahren im Job war ich sicher: Ausgesprochene und erst recht geschriebene Regeln in Unternehmen sind Pseudogesetze, und haben wenig Chancen auf ein Überleben, wenn die rote Macht vorherrscht. Das gilt im Mikrokosmos personellen Verhaltens etwa in Meetings und im Makrokosmos der Organisation.

Die Macht handelt hier wie dort informell, aber dokumentiert es nicht (“no E-Mails, never”). Sie weiß, dass Corporate Social Responsibility eine Big Show für Gründenker ist, und Compliance notwendiges Übel, das zu umgehen die wahre Herausforderung ist.

Die Medien greifen immer nur das Formelle auf, den guten Rat. Letzte Woche las ich  einen Beitrag, wie man sich verhalten soll, wenn man weiterkommen will, deren Zitate die Autorin mir zugedacht hatte. Pünktlich sein in Meetings stand da. Was für´n Quatsch, sagte ich. Warum fragte sie? Es stehe ja überall genau so. Stimmt. Aber was theoretisch richtig ist, ist praktisch falsch.

Viele wollen informelle Gesetze nicht wirklich wahrhaben. Informelle Gesetze haben es an sich, dass niemand darüber spricht, niemand je ganz sicher sein kann, dass sie überhaupt existieren und sogar die Vorstand ihre Existenz verneint. Das ist schlecht für einen Zeitschriftenartikel; der müsste da nämlich ohne Zitate auskommen.

“Soll ich mitspielen oder nicht?” Diese Frage habe ich mir lange gestellt und diese Frage stellen sich gerade Frauen, die eine Führungspositoon haben oder wollen, immer wieder.

Für Mitspielen spricht: nur so kann frau den nächsten Schachzug platzieren. Nur wer IM SYSTEM  ist, kann ES wirklich verändern. Niemand will die Nörgler und Kritiker hören, das sind Außenseiter. Man muss also so etwas wie ein still Wissender sein. Und das ist anstrengend.

Gerade Frauen fällt es schwer, zu akzeptieren, dass fast jede nieder geschriebene Regel einen informellen Counterpart hat, die die schöne Regel ausknockt – zumindest in den traditionellen Strukturen rot-blauer Unternehmen. „Die Compliance schreibt das zwar vor, aber üblich ist es nicht“, würde zwar nie jemand sagen, aber denken.

Ich erlebe viele verzweifelte leistungsorientierte Frauen, die nicht verstehen, dass sie sich auf dem Weg nach oben mit so einem Sch… auseinandersetzen müssen, wo doch die Sache wichtig ist.

Das ist ein ernstes Thema. Es spricht viel dafür ins System zu gehen, um es zu ändern. Aber noch mehr dagegen: Gegen diese informellen Strukturen zu kämpfen, kostet wertvolle Lebenszeit, sind wir denn Märtyrer? Deshalb frage ich mich inzwischen: Was soll die Verschwendung auf solche Energien, wenn wir in der Zeit für das Unternehmen, unsere Gesellschaft und die Welt viel Wichtigeres unternehmen könnten? Suchen wir doch gleich das richtige Umfeld, dann darf man auch wieder pünktlich sein und den anderen wertschätzen, in dem man höflich fragt, ob jemand anderes am letzten Keks interessiert ist.

Wie war das mit der Frauenquote? Ich bin dafür.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

8 Kommentare

  1. Roland Kopp-Wichmann 7. März 2013 at 21:14 - Antworten

    Es gibt zwei Arten von Zu-Spät-Kommern.
    Worüber Sie schreiben, sind die Menschen, die ein Status-Thema haben. Wenn ich pünktlich da wäre, würde ich ja in der Masse der Normalos glatt untergehen. Wer aber eine halbe Stunde zu spät zum Meeting kommt, wird garantiert gesehen.
    Die zweite Gruppe kommt nur zwei, drei Minuten zu spät. Das aber pünktlich, jedes Mal. Die sind also nicht wirklich unpünktlich, sondern haben ein ausgefeiltes Zeitmanagement. Der zugrunde liegende Konflikt ist ein Autonomiethema: “Ich lasse mir doch von anderen Menschen nicht vorschreiben, wann ich meine Mails beantworte oder meinen Laptop zuklappe.”
    Alles etwas ausführlicher beschrieben hier: http://goo.gl/DJRqC

    • Svenja Hofert 8. März 2013 at 11:53 - Antworten

      vielen Dank für Ihre Ergänzung, Ihr Blog ist wirklich eine Schazzutruhe, die ich erst nach und nach entdecke. LG Svenja Hofert

  2. Regine Böttcher 8. März 2013 at 10:56 - Antworten

    Das mit dem informellen Counter-Part hab ich nicht sofort entdeckt … und so erlebt, wie Sie es beschrieben haben. Ich gehörte auch zu denen, die nicht “still wissend” dasaßen, auch nicht so dasitzen wollten, hab ebenfalls an die Verschwendung meiner Energie und Lebenszeit gedacht, auch das Angebot einer Geschäftsführungsposition abgelehnt, weil unausgesprochen mitschwang, dass ich dann bitte das Spiel mitspielen, mit dem Kritisieren aufhören soll. Ich hab stattdessen schleuigst gekündigt. Leider habe ich bisher kein Umfeld gefunden, das passt. Oder kenne ich nur die Alternative nicht zwischen “mitmachen” und “gehen”? Diese Frage stelle ich mir immer mal wieder.

    • Svenja Hofert 8. März 2013 at 11:50 - Antworten

      Ich denke man sollte sich ein Unternehmen suchen, was sehr gut geführt wird – von jemanden, der sich all dieser Dinge bewusst ist. Das gibt es. Konzerne sind insofern immer schwierig, weil sie alte Strukturen immer in neue integrieren müssen. Dort kann der eine Bereich toll, der andere furchtbar sein. Suchen lohnt sich. LG Svenja Hofert

      • Regine Böttcher 8. März 2013 at 12:41 - Antworten

        Diese Positvbeispiele gibt es sicher. Wie geführt wird im Vorhinein zu wissen finde ich schwierig. Im letzten hab ich erst,als ich dort tätig war, gemerkt, wie hemmend die Strukturen sind und ebenso der Führungsstil. Ob ich das vorher hätte erfahren können? Ich glaube nicht.

  3. Christoph Burger 8. März 2013 at 19:16 - Antworten

    … und Herr Berndt(R) empfiehlt: “Einer meiner wirksamsten Erkennungszeichen ist mein “5-vor-Anker”. Ich komme nicht zu spät, sondern immer fünf Minuten zu früh.” Einfach zu spät kommen ist wohl old-style. 5-Minuten zu früh ist modern und “Marke Ich” / Self-Branding. So macht man das heute!?

  4. Gilbert 12. März 2013 at 23:14 - Antworten

    Ha! Ich revolutioniere gerade von innen, indem pünktlich kommen und vor allem pünktlich schließen zum neuen bad-ass-image wird.

    Mal ehrlich: Syteme und ihre Regeln sind doch spannend, besonders wenn man hier und da dran spielen kann, dabei selbst lernt und das System lehrt.

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