Offen gesagt, beginnt mich die der Hype um die Intros zu nerven. Das ist too much, was jetzt auch noch der Spiegel  mit seinem Focus-artigen, butterweichen Titel „Triumph der Unauffälligen“ da brachte. Es freut mich sehr für die wunderbare Sylvia Löhken und meinen geschätzten Gabal-Verlag. Mit behagt indes nicht, was der Intro-Kult gerade unter der belesenen Bevölkerung auslöst. Plötzlich ist jeder ein bisschen Intro. Nicht lange her, als die introvertierten Seiten, die die meisten von uns in einer zeitweisen Schüchternheit oder gewissen Zaghaftigkeit (wieder-)zuerkennen meinen, verschleiert und verdeckt wurde. Inzwischen nickt man sich wissend zu: Ja, auch ich brauche das Alleinsein, um meine Energiereserven aufzuladen – ich gehöre dazu, zu den coolen Intros. Hallo? Geht´s noch?

Es ist richtig, dass stille Menschen zu kurz kommen, in unserer lauten Welt des Personenkults, wo sich jemand hinstellen kann und ohne Kompetenzbeleg trommeln darf. Es ist eine Schande, dass mit zunehmender Trommelei mehr und mehr nicht der mit dem besten Vorschlag, sondern der mit der lautesten Klappe sich durchsetzt. Jedoch, und genau darin liegt die Krux, hat Trommeln oder Nicht-Trommeln, lautschlagen oder Jeden-Mist-und-sich-Verkaufen nur bedingt etwas mit In- oder Extroversion zu tun. Ja, es ist wohl so, dass die Lautschäger überwiegend Extros sind. Es können aber auch selbstbewusste Intros sein. Auch Leisetreter sind nicht unbedingt Intros. Wie sehr jemand auf die K…. Sie wissen schon haut, hat mit der jeweiligen Bewusstseinsstufe, auf der sich ein Mensch befindet (und das meine ich nicht spirituell, sondern ganz praktisch), der Selbstreflexion (hängt unmittelbar mit der Bewusstseinsstufe zusammen) und der Neigung zu „Thinking“ zu tun, die sich etwa im MBTI spiegelt.

Angela Merkel wird gern als Intro zitiert, aber an Durchsetzungsvermögen mangelt es ihr nun wirklich nicht. Günter Jauch, angeblich auch ein Intro, ist vielleicht gelassen und entspannt (manchmal), aber alles andere als ein menschenscheuer Stiller.

Viele meiner Kunden sind Extros, die sich stiller verhalten als Intros. Unter diesen Extro-Kunden sind einige, die sich nicht durchsetzen können oder mögen, was aufs gleiche rauskommt; die sich nicht verkaufen wollen und keinerlei Reiz in der der großen Bühne sehen.

Es sind oft ENT-Typen, die Eigenschaften haben, die gern den vermeintlichen Stillen zugeschrieben werden. Stehen diese Menschen zusätzlich auf der gelben Stufe im Spiral Dynamics, sind sie immer auch reflektiert. Sie möchten und können, auch das ist dasselbe, sich nicht als Maß aller Dinge sehen, dafür ihr ist Verstand zu weit fortgeschritten oder/und der Narzissmus zu wenig ausgeprägt. In der Praxis bedeutet das z.B., dass solche stillen Extros einem Kunden nicht überschwänglich sagen können „das ist das beste für Sie“, weil sie es schlicht nicht glauben. Sie würden sagen „das ist das Beste für Sie, falls Sie das und das wollen, unter jenen und diesen Umständen“ und haben damit justamente schon reihenweise Anhänger verloren, denn die Masse – Intros und Extros gleichermaßen – will keine Einschränkungen hören. Ist ja anstrengend, fordert Urteilsvermögen und Hirnkapazität, hamm wa nich. NT-Typen, auch die Extrovertierten, denken und sprechen in Nebensätzen und Ihr entwickelter Verstand sagt ihnen, dass die Welt nicht so oder so ist, sondern beide Seiten und dann auch noch 9.999.999 andere kennt. Es ist ihnen unangenehm, sich in den Mittelpunkt zu stellen und sich selbst auf die Schulter zu klopfen.

Ich plädiere deshalb dafür, dass wir mal wieder ohne E- oder I-Zuschreibung miteinander reden. Und möchte hier ein paar Tipps geben, wie wir alle selbstreflektierte Denker einbeziehen können, unabhängig ob sie nun in- oder extrovertiert sind:

  • Extro- und introvertierte Denker haben die Neigung sich vorzubereiten und zu planen. Spontan können intuitive N-Typen auch, S-Typen weniger. Es besteht bei ihnen aber die Neigung, Gedanken wieder zu verwerfen, bevor sie ausgesprochen sind. Der Intro-Tipp, Gedanken und Ideen in einem Meeting aufzuschreiben anstatt sie gleich laut auszusprechen, funktioniert auch bei ihnen super.
  • Die erste Wirkung eines Denkers ist manchmal nicht so umwerfend charmant, so leicht, so überzeugend. Diese Seite zu schulen, finden Sie oft nicht wichtig – zu beschäftigt sind sie mit Dingen, die die Welt bewegen. Wir tun alle gut daran, uns Zeit für den zweiten Blick zu nehmen. You´ll never get a second chance for a first impression ist einer der meist zitierten und dämlichsten Sprüche überhaupt.
  • Mitunter können Denker sich nicht so ausdrücken, dass andere es verstehen. Es besteht, manchmal, eine Neigung zum Abstrakten. Wer ein ernsthaftes Interesse daran hat, Zugang zu einem Denker zu bekommen, muss FRAGEN können. Er/sie muss auch sagen, „du das verstehe ich gerade nicht.“ Simple Kommunikationstechniken à al Carl Rogers wie das zusammenfassende Fragen helfen „Habe ich richtig verstanden, dass…“.
  • Machen wir uns doch endlich frei von dem Glauben, dass jemand, der etwas überzeugend rüberbringt, auch die Wahrheit spricht. Selbstbewusstsein und Rechthaben stehen in keinerlei Verhältnis zueinander. Der Stotterer (der auch extrovertiert sein kann, was viele nicht glauben), der Zauderer, der sich erst an dritter Stelle oder gar nicht meldet, ist der, der meist sehr viel kreativere Ideen hat.
  • Weil Denker oft intelligenter wirken, was sie nicht sein müssen, fühlen sich andere oft unwohl in ihrer Gegenwart. Ein Bewusstsein dafür, dass nur Vielfalt, auch im Denken, uns wirklich bereichern kann, hilft. Und dass der Denker meist der letzte ist, der sich selbst für einen Überflieger hält.…

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

9 Kommentare

  1. Burkhard Reddel 29. August 2012 at 12:55 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    endlich wieder mal was , wo ich mich vom Thema äußern kann und will 😉 Also:….. Auch ich bin ein Ruhiger Mensch und finde mich bei den von Ihnen beschriebenen Intros wieder. Ich konnte noch nie was verkaufen wovon ich nicht überzeugt war und “schleimen” wie das ist gut für Sie ohne aber konnte ich auch noch nie gut. Da das aber leider für Aufträge und auch Verkauf nötig ist, überlege ich halt schon lange, ob ich geeignet bin für eine eigene Firma. Das müßte ich selbst “verkaufen” und das kann ich nicht. Es ist schade, daß in unserer Gesellschaft reflektierende und ruhige ich nenn sie ehrliche Menschen, die nicht nur sich im Blickfeld haben, sondern Win ..—… Win so sang und klanglos untergehen, weil sie zu leise sind. Vielleicht sollten sie da mal ein Buch drüber schreiben, über die ruhigen Intros. Ich glaube davon gibt es mehr als man denkt. Jedenfalls setze ich mich jetzt ins Eck und denke drüber nach, ob ich mich selbstständig machen soll 😉 und ob ruhige Menschen die besseren Verkäufer sein könnten, wenn die Gesellschaft es will 😉

    “Übrigends: Wäre ich der Erste Kunde für “das Buch” ;.)

    herzliche Grüsse B.RE

  2. Sylvia Löhken 29. August 2012 at 16:33 - Antworten

    @HerrReddel: Das Buch gibt es schon. Eigentlich sogar zwei.
    @SvenjaHofert: Ich gebe Ihnen gern Recht darin, dass die Fixierung auf Intro- und Extroversion zu eindimensional ist. Menschen sind in der Tat viel komplizierter – was sie ja auch erst richtig interessant macht, oder?
    Andererseits gibt es Eigenschaften, die speziell Introvertierte von Extrovertierten deutlich unterscheiden. Beispiel: Die sehr viel leichtere Überstimulierung von Intros, verbunden mit der höheren mentalen Aktivität auch im Ruhezustand. Es ist mir ein echtes Anliegen, dass “leise Menschen” einen Zugang zu dem bekommen, was sie als Menschen AUCH ausmacht. Auf viele Menschen wirkt ein solches Wissen sehr erleichternd und entlastend.
    Klar ist so ein Medienhype nicht für jede(n). Aber der besagte Zugang wird leichter gerade für diejenigen, die sich nicht an Bücherständen von Gabal&Co. herumtreiben. 🙂
    Herzliche Grüße in den Norden, Sylvia Löhken

    • Svenja Hofert 30. August 2012 at 8:48 - Antworten

      Liebe Frau Löhken, vielen Dank für die Ergänzung. Mir ist klar, dass es einen Medienhype geben muss, weil man mit Büchern und Spezialmedien wie Blogs eben immer noch nur eine Messerspitze erreicht, die meisten Menschen eben nicht. Viele übersetzen introvertiert eben noch mit “in sich gekehrt”, aber das ist ja nicht der psychologische Hintergrund – und es trifft auch auf manche Extros zu, das war mir wichtig zu sagen. Die zwei zentralen Punkte, die Sie genannt haben, sind es!
      … Ich hoffe nur, dass nicht das gleiche wie beim BURNOUT passiert. Es ist es nicht gut, wenn ein Thema durch zu viel Wiederholung ins Banale kippt. Soweit ist es noch lange nicht… und wird es hoffentlich auch nicht. LG Svenja Hofert

  3. burkhard reddel 4. September 2012 at 8:26 - Antworten

    @Frau Löhken,

    vielen Dank für den Tip mit dem Buch. Habe es in der Buchhandlung gefunden und werde es mir kaufen.

    mfg B.RE

  4. […] und kürzlich auch als Titelstory in den Spiegel. Auch die Blogger-Kollegen Gilbert Dietrich und Svenja Hofert schreiben gerne und öfter zum Thema introvertiertes Verhalten. Und auch ich habe mich dem Thema […]

  5. S. Wuttke 23. September 2012 at 10:53 - Antworten

    Liebe Frau Hofert,

    Ich bin ja schon erstaunt gewesen, dass Sie von einem “Intro-Kult” sprechen, denn irgendwie muss der an mir vorbei gegangen sein. Einerseits finde ich es gut, dass so sehr und differenziert (gerade von Ihnen selbst) auf den Spiegel-Artikel eingegangen wird, aber sind auch andererseits Ihre Ausführungen kein Allheilmittel für die “irgendwas”-tierten auf dieser Welt. Wie sich jemand mitteilt, sollte wohl nicht das Essentielle sein, das eine Gesellschaft ausmacht. Leider wirkt sich aber genau das so sehr auf unser Miteinander aus, dass die Wahrheit oft auf der Strecke bleibt. Heißt im Umkehrschluss auch, dass eben die Unauffälligen ihre oft idealistischen Ideen nicht verwirklichen können. Dagegen stehen eben die Wischiwaschi-Erklärungen/-Erfindungen/-nicht-wirklich-innovativen-Ideen, die die Extrovertierten durch ihr vordergründiges Verhalten besser an die Frau/den Mann bringen. Das Prinzip kann beim Gruppenmeeting sowie in der Massenmanipulation bestens angewandt und beobachtet werden (beste Beispiele: Saturn-Werbekampagne oder Rheumadecken-Vertreter, die ihre Kunden zum Kauf animieren oder nötigen konnten).

    Viele Grüße,
    S. Wuttke

    • Svenja Hofert 24. September 2012 at 10:40 - Antworten

      Hallo, kommt vielleicht ein wenig darauf an, wo man sich schwerpunktmäßig bewegt. in HR war es schon etwas augenfällig. Erst einmal: Zwei Drittel aller Menschen sind ambivertiert, mit Tendenzen zu extro- oder introvertiert, aber dennoch mit beiden Dimensionen in sich. Dann: Es gibt die Introversion über den Energiegewinn, solche Leute sind nicht notwendigerweise leise – und die Introversion der “Stillen” und Nicht-Dominanten. Das Reiss-Profil kann hier aus meiner Sicht differenziertere Aussagen treffen.
      Ich finde die Dimensionen intro- und extrovertiert auf einer tieferen Ebene wenig hilfreich, weil es einfach nicht stimmt, dass Extrovertierte automatisch Rheumadecken-Vertreter und Introvertierte automatisch kreative Innovatoren sind. Das ist mir viel zu einfach, das eigentliche Problem, warum einige Menschen mit Ideen, Vorschlägen und sich selbst zum Zuge kommen und andere nicht, ist viel komplexer. Ein Introvertierte kann z.B. genauso ein Narziss sein, wie ein Extrovertierter – und sich wenn es ihm Vorteile bringt auch zum Rheumadecken-Verkäufer entwickeln.
      Vielleicht ist das das Hauptproblem: Wir alle bevorzugen einfache Botschaften und Erklärungsmuster. Und da kommt die Sache mit der Intro- und Extroversion doch gerade recht. LG Svenja Hofert

      • S. Wuttke 27. September 2012 at 6:18 - Antworten

        Es hat sicherlich nichts mit eindimensionaler Betrachtungsweise zu tun, jedoch ist es ebenfalls zu einfach für mich, Coachings und Persönlichkeitsstudien heranzuziehen, um sich eine Erklärung zurecht zu legen. Der Kernpunkt ist bezüglich des Spiegelartikels nicht in detaillierter Kategorisierung zu sehen, sondern unter anderem dem Tenor in unserem momentanen gesellschaftlichen Zustand etwas entgegen zu setzen. Denn eines ist eindeutig: So, wie unser mediales und soziales Leben im Moment abläuft, ist es wichtig, gewisse eingetretenden Pfade zu verlassen. In Zeiten von Bankenwillkür, Selbsteuphorisierung oder DSDS wird es auch mal Zeit, die Hintergründe zu hinterfragen. Das wurde ebenfalls im Artikel angesprochen, und ich empfinde das als richtig und wichtig zu erwähnen, was aber gerne in Diskussionen stillgeschwiegen wird – komischerweise genau da.

  6. Jörg 22. November 2012 at 8:47 - Antworten

    Na, schreibt da etwa ein extro?;) 😀 Ganz durchdacht ist der Artikel wirklich nicht. An vielen Stellen riecht es nach schlecht-informiert.

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