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Talent ohne Management oder: 5 Tipps, wie Sie wahre Talente erkennen

Mich hat niemand gefragt. Ich hätte Ideen gehabt. Aber ich hätte mich nie getraut, sie auszusprechen, man hätte mich überschrieben wie eine Festplatte mit F:Format. Ich hätte auch gar keine Lust dazu gehabt. Und überhaupt: Warum sollte ich dem Unternehmen meine Ideen schenken? So oder ähnlich denken unentdeckte Talente in Unternehmen, die niemand fragt und auf die niemand hört. Leute, die als stille Mitläufer oder sogar Minderleister eingestuft sind. Kein Talent Management wird sie je identifizieren. In Tests fallen diese Talente durch. Denn manche halten nicht viel von sich selbst. Deshalb machen sie ihre Kreuze eher vorsichtig. Nicht selten kratzen sie auch irgendwo am Extrem: Sie sind extrem introvertiert, extrem wenig anpassungsbereit, extrem chaotisch, extrem anders…
Talent Management hat die Aufgabe, kritische Rollen und Funktionen sicherzustellen. Es muss dafür sorgen, dass ein Unternehmen durch genügend Talente überleben kann. Indirekt heißt das, Unternehmen überlebensfähig auf globalen Märkten mit lauter roten Ozeanen zu halten. Dies geht nur durch Innovation. Und die Voraussetzung von Innovation ist auf Gruppenebene ein Klima, das Innovation zulässt und auf der individuellen Ebene Kreativität. Die der Kreativität zugrunde liegenden Eigenschaften, teils angeboren oder zumindest früh gelernt, sind Unabhängigkeit, Offenheit für neue Erfahrungen und Unangepasstheit. Die derzeitigen Talent Manager suchen aber nicht nach solchen Leuten. Sie suchen nach Messbarkeit – doch jede Messbarkeit fordert Anpassung. Sie versuchen Talente in Modelle zu fassen. Doch Talent folgt keinem klaren Muster. Sie orientieren sich am quantitativen Bedarf, richten sich an fachlicher Seltenheit aus. So wird eher ein Informatiker als ein Geisteswissenschaftler gesucht. Das Talent wird als Disziplin interpretiert und so missverstanden. Selten ist indes nicht die Disziplin, sondern die Begabung, komplexe Probleme zu lösen, neue Ideen zu haben. Diese Begabung hat mit der eingeschlagenen Fachrichtung wenig zu tun. Diese Begabung zu suchen, fordert Begabung – die Begabung neue Wege zu gehen, jenseits des Talent Managements.
Wenn Sie wirklich, wenn Sie ehrlich und offen Talente finden wollen, dann habe ich 5 für Sie:
1. Werden Sie Talentefinder anstatt Talentmanager
Zu jeder Hausarbeit in der Schule und im Studium, zu jeder Case Study im Assessment Center gibt es heute eine Musterlösung. Für alles existiert im Unternehmen Best Practice. So verwaltet man Talente, die keine sind und killt Kreativität im Keim. Wandeln Sie sich vom Talentmanager mit verwaltendem Fokus zum Talentefinder mit Weitwinkelobjektiv. Schmeißen Sie Musterlösungen in den Papierkorb. Sie sind ein Mittel der Kosterersparnis, aber der Anfang der Gleichmacherei und damit das Ende der Kreativität.
2. Ergründen Sie stille Wasser
Franz Kafka war mehr als ein Jahrzehnt Angestellter einer Versicherungsgesellschaft. Er arbeitete vor sich hin, als Talent unerkannt. Damals, vor mehr als 100 Jahren, war Talent für Unternehmen aber auch nicht wichtig, es ging um Regeleinhaltung und Aufrechterhaltung von Status quo. Heute ist das anders. Viele Kafkas sitzen irgendwo unentdeckt. Kann sein, dass es die sind, die Sie komisch finden. Kann sein, dass es die sind, die Sie nie bemerken. Echte Talentmanager suchen nach diesen Perlen, indem sie nie sagen „der ist so“, sondern immer fragen „wie könnte er/sie sein“.
3. Schauen Sie hinter die Noten
Einstein war ein schlechter Schüler und hatte angeblich eine „vier“ in Mathe. Fragen Sie Psychologen, so sagen diese, „Noten korrelieren mit beruflichem Erfolg“. Nur, was ist beruflicher Erfolg? Psychologie ist eine weitgehend unkreative Disziplin, man arbeitet mit statistischen Methoden, die wenig Spielraum lassen. Es ist verrückt, ausgerechnet Psychologen Talente auswählen zu lassen.
Und überhaupt, haben wir nicht gelernt, dass eine Korrelation keine Kausalität ist? Gerade sehr starke Persönlichkeiten sehen oft keinen Sinn im schulischen Lernen. Solche Leute werden sich auch nicht hinsetzen und einen IQ-Test für ein Unternehmen ausfüllen. Sie tippen nichts in ein Online-Formular, das sie zu standardisieren sucht. Packen Sie Ihre Instrumente weg. Beobachten Sie, wie Menschen etwas machen und wann sie aufblühen. Dann finden Sie wirkliches Talent.
4. Suchen Sie nach dem Wahnsinn
Kreative denken origineller, assoziativer, komplexer und dichter. Die Grenze zum Wahnsinn ist hier nicht nur sinnbildlich nahe. Der kürzlich verstorbene John Nash, der die Spieltheorie erweiterte und den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, war als Schizophreniepatient jahrelang in der Psychiatrie. Laut Untersuchungen des Wissenschaftlers Szabolcs Kéri, gibt es ein Gen, dass Schizophrenie fördert, dass aber auch frei für Ideen macht: Neurologin 1. Träger des Gens haben deutlich originellere Ideen, hier mehr dazu.
Wenn Sie Talente suchen, machen Sie bitte keine Case Studies, bei denen die Musterlösung vorliegt. Suchen Sie lieber nach Leuten, die Ideen produzieren, die Ihnen völlig abgefahren vorkommen. Das ist der Ansatz.
5. Lassen Sie Freiheit
Talent hat eine tragende Eigenschaft: Es braucht Freiheit, um sich entfalten zu können. Das Talent hat wenig Lust zu dauerhaftem Gruppenzwang. Es wird nicht pünktlich kommen, Ideen nicht auf Abruf vorlegen und einen Nine-To-Five-Job weder wollen noch folgen. Lassen Sie Ihre Talente arbeiten wie sie wollen und zwingen Sie sie nicht in ein Gerüst. Erwarten Sie nicht, dass sie sich anpassen. Akzeptieren Sie Eigenleben. Schulen Sie die Leute auf den Umfang mit Talenten, die Sie bisher dafür hielten. Die mittleren, ausbalancierten angepassten sind dazu bestens geeignet.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Im Vertrieb soll man ja immer mit einer positiven Message abschließen, daher fange ich damit an, dass in der Mittelüberschrift ein ganzes Wort fehlt: es heißt doch bestimmt, “hier habe ich 5 TIPPS” für Sie. 😉
Komisch, ich finde ich einerseits in dem Artikel ganz hervorragend selbst beschrieben. Ja, wirklich! Das meine ich auch so. Und andererseits war oder ist das z.T. auch weiterhin mein Ansatz in der Personalgewinnung.
Frage nicht nach den Noten oder Statistiken oder Erfolgen oder, oder, oder … frage nach dem, was jemand kann und will. Daraus erwächst die höchste intrinsische Motivation, voraussichtlich eine gute Loyalität und sinnvolle Umsetzung. Wer, wenn nicht der Bandmitarbeiter bei einem Autohersteller oder der Spezialist, der sich privat mit einem komplett gegensätzlichen Thema beschäftigt, weiß um die Variantenvielfalt einer Lösung.
Sofern ich es nicht versäume und es OK ist, würde ich diesen Artikel sehr gerne selbst referenzieren. In diesem Zusammenhang würde ich dazu auch eine wahre Erfolgsgeschichte aus dem prallen Leben erzählen.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Ihre Mühe und diesen aufbauenden Artikel. Freue mich Sie wiederzulesen.
Moin Svenja,
mal wieder ein super Artikel von Dir. Dem kann ich, es wird Dich nicht verwundern, nur 100% zustimmen! Was Du hier ausführst ist ein Teilaspekt von dem, was wir in Zukunft unter “Social Recruiting” hoffentlich anwenden. Wir werden uns mit den Menschen beschäftigen müssen, nicht mehr mit ihren Lebensläufen!
Herzlichen Gruß,
Henrik
[…] Svenja Hofert schreibt über „Fünf Tipps, wie Sie wahre Talente erkennen” […]
Liebe Svenja,
der Artikel gefällt mir wieder richtig gut!
Denn im Kern bedeutet das (für mich): Die Unternehmen suchen letztlich nichts anderes als Menschen, die sich gut anpassen aber nicht, die wirkliche Talente haben.
Gerade das nicht kontrollierbare macht den meisten Unternehmen doch Angst, da diese Planen, kontrollieren & steuern möchten. Kein Wunder also, dass wirkliche Talente meistens dort nicht zu finden sind oder eher verkümmern und angepasst in einer dunklen Ecke ein tristes Dasein fristen.
Und letztlich beginnt dies doch schon in der Schule – würden dort wirkliche Potentiale entfaltet, hätten die meisten Unternehmen später noch mehr Probleme damit, die richtigen (= gut in’s Schema passenden) Menschen zu finden.
Also gehe ich dann in’s Unternehmen, passe mich an um irgendwann später zu merken, dass es das nicht gewesen sein kann. Und das sind für mich dann in vielen Fällen die Ausstiege, die ab 40+ beginnen. Der Banker, der zum Gärtner wird. Der Unternehmensberater, der eine Alp führt etc.
Und die, die es sich nicht leisten können oder wollen, fristen ihr Dasein im Unternehmen in dem Wissen (oder sehr starken Annahme), dass diese bloss nicht aus der Reihe tanzen sollen.
Aber ich habe auch die Hoffnung, dass sich das ändern wird 🙂
In dem Sinne einen schönen Abend & herzliche Grüsse aus Zürich,
Ralf
Toller Bericht. Danke, Frau Hofert. Sehr gute Gedanken zu dem Thema “Talent Management” & Ratschläge für Personalabteilungen.
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Ein wenig ist das das Henne Ei Problem. Im falschen Unternehmen gibt sich ein Talent selten zu erkennen. Ein Unternehmer der Talent sucht und offen ist, sorgt doch eh schon für ein besseres Umfeld.
Das passende Umfeld kann sich nur jeder selbst suchen. “Entdeckt” werden ist eher unwahrscheinlich.
Meiner Erfahrung nach muss man als Mitarbeiter selbst dafür sorgen ins richtige Umfeld zu gelangen. Das wird einem kein Vorgesetzter abnehmen.
Dass Noten nichts über Kreativität aussagen, kann ich bestätigen. Noten geben an, inwieweit Bewertete in einen vom Dozenten vorgebenen Rahmen, genannt Erwartungshorizont, ausfüllt.
Leute mit guten Noten können vorgegebene Ansprüche und Erwartungen perfekt erfüllen und sind damit einer Welt der Best-Practice-Lösungen und Stellenbeschreibungen perfekt gewachsen.
Johannes Winterhalter
Liebe Frau Hofert, wieder ein interessanter Beitrag. Wie so oft kann ich Ihnen in vielen Dingen folgen, aber eine grundsätzliche Frage stellt sich mir beim Thema Talent. Ich lese immer wieder, das Unternehmen DIE Talente suchen, finden und an sich binden müssen. Doch was ist Talent? Der elitäre Ansatz einer “Begabung, die jemanden zu ungewöhnlichen bzw. überdurchschnittlichen Leistungen auf einem bestimmten, besonders auf künstlerischem Gebiet befähigt?” (Definition laut Duden) Oder ist nicht jeder Mensch ein Talent, mit seinen besonderen Begabungen, Stärken und Kompetenzen? Ein Unternehmen, das sich nur auf die wenigen “Hochbegabten” stürzt und das riesige Potenzial der “normalen” Talente ignoriert, wird keine Innovationen hervorbringen. Ich geben Ihnen vollkommen recht, die Talent Manager müssen Talent suchen und Entwicklungsmöglichkeiten bieten, damit das in dem Menschen schlummernde Potenzial genutzt werden kann. Im Sinne der Menschen, sie können entsprechend ihrer “Talente” arbeiten und werden dort erfolgreich sein können. Im Sinne der Unternehmen. Sie werden die “richtigen” Mitarbeiter am “richtigen” Platz (Aufgabe) zur “richtigen” Zeit haben, um so die Voraussetzungen für den größtmöglichen Erfolg zu schaffen.
Unternehmen müssen die Rahmenbedingungen schaffen, das alle MitarbeiterInnen Ihre Talente zeigen und sich eigenverantwortlich und selbstständig entwickeln können. Hier sehe ich neben den Qualifikationsmöglichkeiten insbesondere die Kompetenzentwicklung und ein damit einhergehendes Wissensmanagement. So könnten die Talent Manager ganz nebenbei die Hochbegabten im Unternehmen finden, ohne viel Geld und Zeit in einige Wenige zu stecken, mit zweifelhaftem Erfolg. Wie viele hoch qualifizierte Inkompetenz wurde in Unternehmen schon mit Aufwand gefördert und beide Seiten konnten die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Zudem glaube ich nicht, dass die Talent Manager Talent wirklich finden können. Talent zeigt sich meiner Meinung nach in der täglichen Arbeit. Somit ist es doch eher die Aufgabe der Führungskräfte Talente zu finden und zu entwickeln. Dies könnte allerdings die größte Herausforderung sein. Welche Führungskraft sieht darin seine Aufgabe und wie bzw. wo wurden diese darin geschult?
Ihr
Franz-Peter Staudt
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