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Vorstellungsgespräch naturell: Warum Sie ohne Vorbereitung oft besser sind
Das Vorstellungsgespräch naht. „Muss ich jetzt all diese Tipps auf den Karriereseiten und in den Büchern lesen?“ fragt mich die Kundin. Nee, sage ich, machen Sie das nicht, die vielen Tipps machen nur nervös. Erst recht ein paar Tage vorm wichtigen Termin. „Aber Ihr Buch lese ich”, erwidert sie. Ach, lieb, denk ich. Aber ehrlich gesagt: Ich find´s oft gar nicht nötig. Gerade die netten und kooperativen Bewerber, die so offen für den Rat von anderen sind und am liebsten alles einbeziehen würden, sind eben oft auch mit feinen Antennen ausgestattet. Die positive Konsequenz ist: Sie sind empathisch. Die manchmal nicht so gute: Sie nehmen alles an und zweifeln leicht – an sich, der Richtigkein von und überhaupt… Das macht empfänglich. Am Ende ist es oft so, dass gerade die Empathischen gar keine schlauen Ratschläge brauchen, sondern schon so gut rüberkommen. Die hingegen, die ohne jeden Selbstzweifel sind, gehören manchmal gerührt und geschüttelt. Aber gerade die sind nicht offen für Rat… Verzwickte Sache.
Das Internet hat in Sachen Informationsdichte und Ratgeben viel Unheil angerichtet – überall ungeprüfte Besserwisserei. Die Wahrheit der “vielen” zu sortieren, ist ein ganz schöner Akt.
Wer lange nicht zu Vorstellungsgesprächen musste, neigt dazu, am liebsten alles zu integrieren, was das Netz an Rat zu bieten hat. Um ja nichts falsch zu machen. Da richtet die Wahrheit der “vielen” einigen Mist an und macht mehr kaputt als heil.
Wir hatten mal einen Kunden, der hat sich nach der Lektüre (sämtlicher!) Bücher zum Thema auch noch stundenlang von einem anderen Karriereberatungsbüro vorbereiten lassen. Erfolg? 50 Gespräche, 50 Absagen, über Jahre.
Alles war auswendig gelernt, nichts mehr natürlich. Die Antworten waren wie glitschiger Fisch: sie glitten durch die Finger wie geschmiert, nichts blieb hängen außer ein Gefühl “hier stimmt was nicht”.
Ich habe die Zettel “verboten” und den Kunden aufgefordert, mal ganz frei zu reden. Zurück auf Start, Reset. Den Normalzustand zu rekonstruieren war harte Arbeit. Vor allem dieser Glaubenssatz, “sag, was die anderen erwarten und hören wollen” ist schwer aus den Köpfen zu bekommen, vor allem bei Leuten der Babyboomer und Generation X, die noch einigermaßen brav und obrigkeitsorientiert denken. Etwas mehr Hoffnung hege ich da bei der Gen Y, da kommen dann andere Themen 😉
Wer im Vorstellungsgespräch punkten will, muss erst mal bei sich selbst anfangen. Wenn die Introvertierten Stillen erkennen, dass zwei, drei Sätze mehr auch der Verständlichkeit dienen, ist viel erreicht. Wenn die Unsicheren auf Video sehen, dass ihre eingefallenen Schultern nicht zur schnittigen Verbalakrobatik passt, sind wir weit gekommen. Wenn die Nörgler begreifen, dass sie kein Vertrauen wecken, beginnt das Umdenken. Und wenn erst die Vielredner ihren roten Aus-Knopf finden 😉
Ach ja, alles fängt bei einem selbst an, bei der Selbsterkenntnis. Dieser Weg kann manchmal lang sein, manchmal reicht ein Impuls für den Aha-Effekt, um eine natürliche und positive Wirkung zu erzielen. Wie das geht, lässt sich nicht in einem Magazinbeitrag mit 10 Tipps abhandeln. Und in keinem Buch der Welt.
Augen zu. Einfach nicht mehr lesen. Hören Sie auf Kopf und Herz, also auf sich Selbst. Und wenn das Selbst schweigt, wecken Sie es vorsichtig auf. Dann brauchen Sie erst recht keinen schlauen Ratschlag mehr.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Endlich mal ein Artikel, der die Wahrheit sagt. Viel zu oft lassen sic die Menschen durch zu viel Wissen durcheinander bringen. Jedes meiner Vorstellungsgespräche bisher ging ich ohne Vorbereitung an und siehe da: jedes verlief erfolgreich.
Dies gilt aber nicht nur bei Vorstellungsgesprächen, sondern bei allen anderen Sachen auch. Es gibt keine Anleitung für das Leben. Man sollte es einfach leben!
“Ohne Vorbereitung besser?” – soweit Sie damit dieses hektische Sich-schnell-noch-etwas-anlernen-wollen-und-damit-nur-noch-unsicherer-werden verstehen, gebe ich ihnen recht.
Allerdings rate ich meinen Klienten immer!, sich vorzubereiten. Unbedingt!
In der Vorbereitung sollte man herausarbeiten, was man im Gespräch will, was man nicht will und zusammentragen was man vom Gesprächspartner weis und zu erwarten hat.
Wer völlig unvorbereitet ins Gespräch geht, kommt nach meiner Erfahrung nur mit viel Glück gut wieder heraus, vergibt Chancen, lässt sich auf Sachen ein, die er hinterher bereut usw..
Also: Vorbereitung unbedingt! Allerdings nicht, um sich etwas anzulernen, womit man dem Anderen besser gefällt, sondern um durch die Vorbereitung gestärkt und klar ins Gespräch gehen zu können.
klar ist Vorbereitung wichtig, aber es kommt halt auf die Art an. Je mehr man sich mit seinem Berufsweg und seinen Stärken beschäftigt hat, desto überzeugender wird man sein. Darum geht es. Viele suchen aber den einfachen Pauschalrat, etwas das wenig Mühe kostet und für alle passt. Und das gibt es eben nicht. LG SH
Ein sehr wichtiger Satz:
“Wer im Vorstellungsgespräch punkten will, muss erst mal bei sich selbst anfangen”.
Habe ich die Fähigkeiten, die im neuem Job tatsächlich gefordert sind? Es kann nicht sein, dass das Thema Geld im Vordergrund steht. Viel wichtiger ist Ihr Engagement zu Ihrer neuer berufliche Herausforderung.
Können Sie eine gewisse Leidenschaft für die zukünftige berufliche Tätigkeit aufbringen, ja, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.
Viel Erfolg
Heinz Buser
Hallo Frau Hofert,
Sie beschreiben in ihrem Artikel genau die Fälle von ÜBER-Trainierung oder Perfektionsstreben, bei der Bewerber aus alles vorbereite sein wollen aber ihre komplette Spontaneität verlieren. Es kann dann kein Gespräch mehr geführt werden. Ich rede mit meinen Klienten in der Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch u. a. über Echtheit im Auftreten und den Menschen auf der anderen Seite. Das ist oft neben meinem praktischem Rhetoriktraining ein Schritt in die richtige Richtung. Freue mich auf die nächsten Artikel von Ihnen.