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Vorstellungsgespräch/Personalauswahl 4.0: Wie Sie die Denk- und Handlungslogik Ihrer Bewerber entlarven

Veröffentlicht: 8. April 2016Kategorien: Human Ressources

Wie denken Ihre Bewerber? Was leitet sie? Nach welchen Logiken urteilen und handeln sie? Wie betrachtet jemand Karriere? Was ist für ihn Teamführung? Oder Führung generell? Alle diese Fragen sind relevant für Recruitung und Auswahl von Führungskräften, die heute ganz andere Aufgaben wahrnehmen sollen als früher. Sie sollen zum Beispiel Mitarbeiter befähigen, sich selbst zu organisieren oder kreativ zu sein. Doch wie erkennen Unternehmen, mit dem sie es zu tun haben? Tests sind dazu nur sehr begrenzt in der Lage. Sprache ist aussagekräftiger. Ich würde sogar behaupten, wer entsprechend geschult ist, kann darin viel mehr erkennen.

Sprache spiegelt Denken – und keiner merkt es

Denn: Denken entwickelt sich analog zur Sprache – oder Sprache analog zum Denken. Wir erinnern erst, wenn wir Worte dafür haben. Vielleicht kennen Sie die Begriffe restringierter und elaborierter Code. Die Sprachbenutzung sagt etwas über den Menschen. Doch das ist es nicht allein: Statt Wortgewandtheit spielt vielmehr eine Rolle, wie sich das Denken in Worten entfaltet. Auch einfache Worte können komplexes Denken offenbaren. Und eine intensive Nutzung von elaboriertem Vokabular allein sagt nichts über einen großen Radius möglichen Denkens. Genau darum geht es nämlich im Grunde: Wie weit oder eng denkt jemand? Das heißt nicht, dass jemand, der weiter denkt automatisch mehr erreicht. Er erreicht es nur anders, und in anderen Umfeldern.

Wie weit oder eng denkt jemand?

Das lässt sich bei genauer Beobachtung über Sprache herausfinden. Aus dem Coaching und der Gesprächsführung kennen wir offene Fragen, die den Rahmen für eigene Sichtweisen geben. Auch situative Fragen offenbaren das Denken einer Person. Wer konkrete Situationen und Vorgehensweisen schildert, liefert seine eigene Weltsicht und eine Aussage über den „Denkradius“ oft ungeahnt mit. Fragen Sie beispielsweise nach dem Ergebnis einer bestimmten Aktion, so sagt die Antwort auch etwas über die individuelle Deutung durch die antwortende Person:

  • Interviewer: Schildern Sie einmal einen Konflikt.
  • Bewerber: Das war eine Meinungsverschiedenheit mit einem Vorgesetzten. Ich war sicher, dass man dieses fachliche Problem anders lösen müsste.
  • Interviewer: Was haben Sie getan?
  • Bewerber: Ich habe meine Meinung vehement vertreten. Ich wusste, dass ich recht habe.
  • Interviewer: Was war das Ergebnis?
  • Bewerber: Ich habe mich durchgesetzt. Am Ende hat sich mein Standpunkt als richtig herausgestellt.

Welche Eigenschaften würden Sie dem Bewerber nach diesem kleinen Dialog unterstellen? Genau, es spricht einiges für Sachorientierung und Durchsetzungsstärke. Aber auf welcher Denk- und Handlungslogik diese beruht, das weiß man nach diesem Gespräch noch nicht, Es ist auch möglich, dass der Bewerber das Beispiel nur schildert, weil er denkt, Sie wollten das hören. Möglich auch, dass das Verhalten in diesem Beispiel auf diese Eigenschaften deutet, ein anderes Beispiel, aber andere, vielleicht gegensätzliche, widersprechende oder ergänzenden Umgangsweisen anzeigen könnte. Menschen, die einen weiten Denkradius haben, besitzen oft auch mehrere, situativ angepasste und angemessene Handlungsmöglichkeiten. Diese Menschen braucht man dort, wo Situationen komplex sind.

Freie Interpretation voraus!

Noch aussagekräftiger sind Satzstämme, die gar nichts implizieren, außer eine grobe Bedeutungsrichtung. Das funktioniert besonders gut schriftlich. Auf einem Blatt stehen nur Satzstämme, sonst nichts. Nehmen wir den Satzstamm „Karriere macht…“ Probieren Sie es aus. Schreiben Sie, was Ihnen dazu einfällt auf einen Zettel.  Was sagt das, was Sie geschrieben haben, über Sie selbst aus? „Karriere macht, wer Leistung bringt“ (1) spiegelt ein anderes Denken als „Karriere macht man, wenn sich entlang seiner Neigungen orientiert und sich im Flow begeistert seiner Arbeit hingibt“ (2).

Was ist das wichtigste Ziel von Führung....?

Wss ist das wichtigste Ziel von Führung….?

Die erste Aussage deutet auf jemand, der in Ist-Soll-Kategorien denkt. Solche Menschen haben verschiedene Entwicklungspsychologen im Rahmen der so genannten Ich-Entwicklung (Ego Development) klassifiziert, unter anderem Rooke und Torbert und Susanne Cook-Greuter. Sie nennen so jemanden „Leistungsmensch“ bzw. „Achiever“. Die Achiever-Ich-Entwicklungsstufe ist sehr verbreitet: Ein Achiever war lange so etwas wie der Sackbahnhof der von Unternehmen gewünschten Persönlichkeitsentwicklung. Für einen Achiever ist vieles planbar und mit der richtigen Strategie erreichbar.  Die zweite Aussage spiegelt ein anderes, späteres Stadium, das Zieldenken integriert, aber weiter fasst. Dieser Mensch scheint bereits stärker die Unterschiedlichkeit der Menschen in sich verankert zu haben. Offenbar glaubt er, dass Menschen besser arbeiten, wenn sie intrinsisch motiviert sind. Aus Personalersicht besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass er genau darauf in seiner Arbeit auch Wert legt – bei sich selbst und als Führungskraft bei seinen Mitarbeitern.

Suchen Sie eine Führungskraft, die in der Lage ist, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen und zu entwickeln, die Dynamik aufgreift und mit ihr umgehen kann, hören und sehen Sie genau hin: Wie beendet die Person andere Satzstämme, etwa „ein Team führen…“  Schreibt jemand „ein Team führen, bedeutet es zu befähigen, sich selbst zu verbessern“ haben Sie es mit einem vermutlich ganz anderem Weltbild zu tun als wenn jemand saht „ein Team führen heißt dem richtigen Mitarbeiter die passenden Aufgaben zu delegieren”. Letztere Aussage spricht eher für eine Experten-Haltung, erstere für einen Synthetiker oder Co-Creator. Das sind nach Joiner und Josephs, die für die holistisch orientierten Leser meines Blogs ein Gewinn sein dürfte, Führungskräfte, die besonders in der Lage sind, in dynamischen Umfeldern zu agieren. Sie können ein hohes Level an Agilität freisetzen. Die Tabelle im Beitrag zeigt, wie die Schwerpunkte sind. Dazu verweise ich Interessierte auch auf einen früheren Beitrag über Ich-Projektionen, wo ich das Reifemodell bereits vorgestellt habe.

... oder Innovation?

… oder Innovation?

Interessant bei Sprachanalysen, dass Menschen bestimmte Haltungen oft für ganz selbstverständlich halten, obwohl sie das aus konstruktivistischem Blickwinkel nicht sind. Wer nicht vollkommen verstanden hat, dass seine Welt konstruiert ist, sucht nach Wahrheiten im richtig und falsch. Wer es ein bisschen verstanden hat, sucht diese Wahrheit in einer Art Befreiung der Menschheit. So schrieb mir eine Coach-Kollegin, es sei doch unsere Aufgabe als Coachs Menschen zu Selbstbestimmung zu ermuntern. Unsere Aufgabe? Darüber habe ich lange nachgedacht – warum ich das eben nicht so denke. ich denke, es kann Aufgabe sein, aber es muss es nicht. Mir sind die ganzen Coachs, die andere „befreien“ wollen vielmehr suspekt. Aus HR-Perspektive: Jemand, der Motivation von anderen eher für selbstverständlich hält, ist wahrscheinlicher ein Co-Creator, jemand der gut in der Lage ist, persönliche Transformation voranzutreiben, also auf einem höheren Agilitätslevel zu agieren. Jemand, der es situativ für passend hält, kann es auch sein, hat aber vermutlich noch einen anderen Fokus, so gesehen ein weiteres Agilitätslevel.

Versuchen Sie es auch mal mit dem Wortstamm „Kritik ist…“ Je höher das Ich-Entwicklungslevel, desto natürlicher ist der Umgang mit Kritik. Kritik ist dann eine Entwicklungshilfe und/oder wird aus der jeweiligen Perspektive betrachtet, aus der sie kommt. Auch der Umgang mit Konflikten ist galanter. Während auf den unteren Ebenen ein „Auge um Auge“ gilt, weicht dies später dem Konsens oder dem Finden neuer Lösungen. Das ist schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass unterschiedliche Perspektiven als natürlich und dazugehörend angesehen werden.

Sprachinterpretation braucht hohe Reife

Bauen Sie solche Satzstamm-Aufgaben in ihr strukturiertes Interview, so erhalten Sie eine maximale Vergleichbarkeit von Aussagen, stehen aber auch vor der Frage der Interpretation. Ich habe hier mal geschrieben, dass ich es für falsch halte, dass unter 30-Jährige Personal auswählen. Es ist einfach so, dass Entwicklung auch eine Altersfrage ist. Was nicht heißt, das Ältere notwendig besser entwickelt sind… Mir begegnen gerade sehr viele reife Mittdreißiger der Generation Y.

Im Joiner-Modell gedacht: Am ehesten zu einem breiten Verständnis in der Lage ist der Synthetiker, am wenigsten ein Experte oder Achiever. Die Interpretation von Aussagen in dieser Form einzuordnen, setzt außerdem voraus, dass man sich selbst kennt – und seine eigene Denk- und Handlungslogik. Lassen Sie also bitte keinen Experten ein solches Gespräch führen, sondern setzen Sie mindestens einen Catalyst dran. Und vergessen Sie nicht: Eine Führungskraft mag aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung geeignet sein, aber dennoch in Ihrem Unternehmen nicht sozialisierbar sein, weil die Strukturen nicht zu ihm passen. Locken Sie also keinen Co-Creator, weil für Sie Innovation so wichtig ist, sondern weil Sie die richtigen Voraussetzungen für Innovation geschaffen haben – und dieser nun gut dazu passt.

tabelle_joineragilitySprechen Sie anschließend im Vorstellungsgespräch über die Texte. So können Sie Manipulation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausschließen. Für Führungskräfte selbst kann es erhellend sein, sich mit dem eigenen Denken zu beschäftigen. Die zugrunde liegende Systematik, die ich Tabelle zusammengefasst habe, basiert auf den empirischen Forschungen von Susanne Cook-Greuter, Torbert und Rooke und Joiners und Josephs.  Diese haben dazu das bereits angesprochene Buch „Leadership Agility – Five levels of mastery for anticipating and initiating change“ veröffentlicht. Meine tabellarische Zusammenstellung fiusioniert die Ideen von Joiner, Cook-Greuter und Rooke und ist hier als PDF downloadbar.

Neugierig geworden? Lesen Sie einmal die Kommentare unter meinem Xing-Debattenbeitrag hier. Sie können jeden Kommentar einer bestimmten Denklogik zuordnen. Wenn z.B. jemand schreibt, dass er es nicht als seine Aufgabe ansehe, Mitarbeiter zu motivieren, so ist dies eine typische Wahrnehmung aus Expertenperspektive.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

One Comment

  1. mrds 8. April 2016 at 14:20 - Antworten

    Wieder ein sehr spannender Artikel. Ich freue mich jedesmal, neue Erkenntnisse zu sammeln. Im übrigen sage ich seit Jahren schon: die besten Mitarbeiter machen sich unentbehrlich, die besten Chefs machen sich überflüssig…

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