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„Was soll dieser Hype um die Generation Y?“ Jörg Buckmann über Arbeit, die Schweiz und das Leben

Veröffentlicht: 9. November 2014Kategorien: Human Ressources

Menschen mit feinem Sprachwitz und eigenem Standpunkt mag ich ja. Jörg Buckmann ist so jemand. Im Hauptberuf Leiter des Personalmanagements bei den Verkehrsbetrieben Zürich, gehört er mit seinem feinsinnigen buckmannbloggt zu meinen Standardlektüren. Dass er ähnlich wie Kollege Zaborowski eine gewisse Neigung zur Überlänge hat, macht gerade den Charme aus. Stellen Sie sich also auf ein sehr langes Interview ein, das sich aber zu lesen lohnt (ähnlich wie sein Frechmut-Buch, Rezension hier). Auch, weil es ein wunderbares Lehrstück über unseren Nachbarn Schweiz ist. Und das Arbeiten dort.

Stellen Sie sich einmal vor.

buckmannzweiIch bin 45, HR-Mensch mit einer Ader für Marketing und Kommunikation und, wie ich jetzt gelernt habe, Vertreter eines dynamischen Arbeitsstils. Ich habe nämlich auf Ihrer Seite meinen Worklifestyle-Typ getestet. Wobei: Wer sieht sich schon nicht gerne als dynamische Arbeitskraft? Aber in der Tat charakterisieren mich einige Auswertungen schon treffend. So gestalte ich wirklich sehr gerne, es muss vorangehen und ja, die Strukturen sollten nicht allzu starr sein. Da reibe ich mich in der Tat manchmal schon etwas in den öffentlich-rechtlichen Strukturen meines Arbeitgebers auf. Und vielleicht lasse ich dann vielleicht auch schon mal ein wenig die Diplomatie vermissen, wie es auch in Ihrem Test steht. Das hat bestimmt mit meiner frechmutigen Ader zu tun. Aber davon abgesehen, bin ich ein umgänglicher Mensch, der wie die allermeisten anderen auch möglichst gut mit seinem Umfeld auskommen will. Und ja, der Bericht stimmt insofern, als dass ich Menschen bewundere, die es zu etwas gebracht haben. Das können erfolgreiche Unternehmer sein, zum Beispiel den Zürcher Vegi-Papst Rolf Hiltl. Oder den Schweizer Medienpionier Roger Schawinski. Aber auch Menschen, die vielleicht weniger monetären Erfolg stehen als vielmehr eine moralische Instanz sind – Nelson Mandela zum Beispiel.

Erzählen Sie mal vom Arbeiten in der Schweiz.

In einem grösseren Zusammenhang gesehen stellt sich hier die Frage nach den Unterschieden zwischen Deutschland und der Schweiz. Ich glaube, diese sind generell nicht so gross. Wir alle lesen, sprechen und „denken“ deutsch. Mit letzterem meine ich, dass auch unsere Kultur und unsere Werte doch sehr ähnlich sind. Selbstverständlich gibt es gewisse Unterschiede und das ist doch auch gut so, es ist das Salz in der Suppe und macht das Miteinander spannend. Aber gibt es diese Unterschiede nicht auch zwischen Sachsen und Rheinländern? Zwischen Menschen aus Schleswig-Holstein und Bayern? Zwischen Berlin und Stuttgart? Es gibt sicher einige Aspekte, welche unsere Länder und uns als Bewohner unterscheiden. Das sind natürlich harte Fakten wie die Staatsform, die Gesetze und die spezielle Rolle der Schweiz als „Inselstaat“ mitten in Europa. Und sicher ist auch die Mentalität in Nuancen anders. Aber wie gesagt – die Gemeinsamkeiten sind meines Erachtens um ein Vielfaches grösser als die Unterschiede. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass man in Diskussionen oder auch in der Presse jeweils eher auf die Unterschiede fokussiert – und dann natürlich auf jene, die einen negativen Touch haben. Hier übrigens ein interessantes Statement über Deutsche und Schweizer von Zukunftsforscher Matthias Horx. An der Schweiz mag ich einen wesentlichen Unterschied sehr: Die direkte Demokratie – ein grossartiges Modell. In welchem Land kann man schon darüber abstimmen, ob die Armee mit Steuergeldern neue Kampfjets anschaffen soll? Ist doch fantastisch – auch wenn es dann halt Abstimmungsresultate gibt, für die man sich als weltoffener Mensch fremdschämen muss. Ich denke da an die Minarettinitiative (Bauverbot für Minarette) oder jüngst an die Annahme der so genannten Masseneinwanderungsinitiative. Es sind Mehrheitsentscheide, die meines Erachtens halt auch die kleinbürgerliche, die „bünzlige“ Seite der Schweiz offenlegen. Aber was soll’s: Demokratie heisst ja nicht, dass alle so abstimmen müssen, wie ich das tue.

Wie arbeitet es sich in der Schweiz?

Buckmann bei der Arbeit.

Buckmann bei der Arbeit.

Ich stehe in einem intensiven Austausch mit vielen HR-Kollegen in Deutschland und engagiere mich ja auch im Präsidium des Bundesverbands der Personalmanager. Diese Gespräche zeigen, dass wir im Grundsatz auf dieselben Probleme Lösungen finden müssen. Das erstaunt auch wenig, die Schweiz und Deutschland sind beide wirtschaftliche Erfolgsmodelle. Also müssen wir Antworten auf die Fragen der Demographie, auf die Alterung und die Zuwanderung, finden – und somit HR-Themen wie Recruiting, Personalentwicklung, Gesundheitsmanagement bearbeiten. Noch etwas pointierter ist die Situation in der Schweiz bezüglich Zuwanderung. Hier wird die Diskussion sicher noch härter und direkter geführt als in Deutschland. Noch in diesem November gehen wir schon wieder an die Urnen, um über eine Beschränkung der Zuwanderung abzustimmen. Die Schweiz ist ein starkes Zuwanderungsland und HR steht im Spannungsfeld zwischen Politik, den Ängsten der Bewohner und den Bedürfnissen der Wirtschaft. Ich finde diesen Diskurs übrigens sehr spannend. Jetzt habe ich doch etwas ausgeholt, pardon. Zurück zu Ihrer Frage nach den Fragen der Personaler im Bewerbungsgespräch: Ich bin mir sicher, dass die Jobinterviews in der Schweiz in Form und Inhalt so ablaufen wie in Deutschland auch. Vielleicht, aber das ist eine Hypothese, vielleicht ein wenig entspannter, weil der Umgang mit Hierarchien in der Schweiz lockerer ist und auch die Gesetze liberaler sind. Die riesige Angst deutscher Personaler, eine unkorrekte Aussage zum Beispiel bei Absagen zu machen, spüre ich hier etwas weniger. Das ganze Paket wirkt sich vielleicht etwas auf die Gesprächsatmosphäre aus. Aber ehrlich gesagt: Ich weiss es nicht, ich kann nicht aus Erfahrung vergleichen, es sind lediglich Annahmen. Auch in der Schweiz wird das typische Interview mehr oder weniger strukturiert und mit Hilfe der verhaltensorientierten Fragetechnik geführt. Die Fragen dürften die Selben sein. Auch hier sind Fragen nach privaten, religiösen, sexuellen oder politischen Präferenzen genauso verboten wie nach der Familienplanung. Was nicht zwangsläufig heisst, dass dumme Fragen von ebensolchen Recruitern nicht auch gestellt werden, hier nachzulesen. In der Schweiz und auch bei den Verkehrsbetrieben Zürich sind Deutsche mittlerweile die grösste Ausländergruppe. Ich erlebe den Austausch mit ihnen als angenehm und unproblematisch. Viele Deutsche schätzen die Schweiz als ruhiges, gut organisiertes und schönes Land. Diese Klischees stimmen aus meiner Sicht durchaus. Ich zitiere den früheren Schweizer SAT 1 – Chef Roger Schawinski aus einem interessanten Interview in der Welt: „Schweizer gelten in Deutschland zwar als provinziell, doch die Schweiz wird als das Paradies schlechthin verehrt. Sie ist genauso, wie sich die Deutschen ihre Heimat wünschen würden: als Land mit der höchsten Lebensqualität der Welt, mit freundlichen Behörden, tiefen Steuern und einer Arbeitslosenrate, die kaum der Rede wert ist.“ Wir sind fleissig und vielleicht bisweilen auch etwas eigen. Trotzdem, nein, gerade deshalb, wohne, lebe und arbeite ich sehr gerne in der Schweiz. Ich bin sehr dankbar, hier geboren zu sein, weil es in der Tat angenehm ist, hier zu leben. Natürlich haben wir auch Probleme, mir scheint es aber, dass diese in der Tat nicht ganz so gross sind wie anderswo. Gerade auch der Schweizer Arbeitsmarkt ist sehr gut organisiert. Hier lässt es sich gut arbeiten, die Hierarchien sind relativ flach, das Zusammenarbeiten ist meist unkompliziert. Das schätzen gerade Deutsche Arbeitnehmer. Zur guten Organisation des Arbeitsmarktes gehört auch die funktionierende Sozialpartnerschaft mit rekordtiefen Streikzahlen und Gesetze, die europaweit als liberal gelten. Diese verhältnismässig offene Gesetzgebung ist zusammen mit dem sprichwörtlichen Schweizer Fleiss – in vielen Branchen beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 42 Stunden – ein wesentlicher Grund, warum die Schweiz trotz hoher Produktions- und Lohnkosten ein Erfolgsmodell ist. Ein Beispiel: Private Unternehmen können in der Schweiz (Ausnahmen: spezielle Tarifverträge oder die öffentliche Hand) ohne Angabe von Gründen Mitarbeitende entlassen. Das tönt jetzt vielleicht fast schon menschenverachtend und per se negativ. In der Realität ist diese Agilität ein starker Grund dafür, dass Unternehmen in der Schweiz relativ schnell neue Arbeitsplätze schaffen und Mitarbeitende anstellen. Die Erfahrung zeigt, dass Firmen mit diesem Instrument grösstenteils sehr verantwortungsvoll umgehen. Wohin zu viel gut gemeinter Arbeitnehmerschutz führt, sehen wir in Frankreich.

Wie hoch ist die Arbeitszufriedenheit in der Schweiz?

Ich bin da sehr nah bei Ihren Überlegungen, die Sie im Interview mit Brand einsdargelegt haben. Ich glaube auch, dass die Frage nach der Arbeitszufriedenheit ziemlich einfach zu beantworten ist – und die Faktoren heute nicht wirklich anders sind als früher. Zuerst einmal müssen ein paar Rahmenbedingungen stimmen. Der Lohn. Der Arbeitsplatz an sich. Und der Arbeitsort wird immer wichtiger. Ich habe selber erlebt, wie übermässiges Pendeln an den Kräften und Nerven zehren kann. Pendeln ist ein veritabler Stressfaktor, den man noch immer gewaltig unterschätzt. Wenn diese Hygienefaktoren stimmen, dann zahlen ohne Zweifel die Arbeitskollegen und ein Chef, der Vertrauen schenkt und fair ist, in die Zufriedenheit ein. Und wenn dann auch noch die Arbeit selber möglichst interessant ist und abwechslungsreich, dann steht dem Glück im Job nichts mehr im Weg. Naja, fast nichts, einen gerade für meine Arbeit bei den Verkehrsbetrieben Zürich wichtigen Aspekt möchte ich noch erwähnen. Ein Motivator, der in den Diskussionen gerne vernachlässigt wird, ist die Selbstwirksamkeit. Damit meine ich die Überzeugung, mit seinen Kenntnissen und Kompetenzen selber etwas bewirken zu können, sein Handeln weitgehend selber zu bestimmen. Das gute Gefühl, gezielt Einfluss nehmen und angemessen auf Situationen und Herausforderungen reagieren zu können. Kein Wunder, gehören Gärtner, Floristen und Frisöre trotz schlechter Bezahlung zu den glücklichsten Berufsleuten. Der Zufriedenheitsmacher Selbstwirksamkeit ist eine grosse Herausforderung für alle Berufsgruppen mit einer stark vorgegebenen und reglementierten Arbeitsumwelt, zum Beispiel für unsere Trampiloten.

Gibt es in der Schweiz eine Lohnschere?

Die Diskussion über auseinanderdriftende Löhne ist auch in der Schweiz hochaktuell. In der Schweiz haben wir keine skandinavischen Verhältnisse, im Gegenteil: Die Lohn-Schere öffnet sich weiter, wie der Zürcher Tages-Anzeiger in diesem Frühjahr die Zahlen des Schweizer Bundesamts für Statistik kommentierte. Immerhin stiegen die Löhne in der Schweiz in den letzten zwei Jahren bei einer Null-Teuerung deutlich an. Doch davon profitierten die hohen Löhne überproportional. Wie es sich für unser Land gehört, haben wir kürzlich über die Frage einer Begrenzung dieser Lohn-Schere in einer Volksabstimmung entschieden. 65 Prozent der Schweizer haben sich dabei gegen einen Lohndeckel ausgesprochen. Dieser hätte ein maximales Verhältnis zwischen höchstem und tiefstem Lohn in einem Unternehmen von 1:12 erlaubt. Ich glaube, das wuchtige Nein täuscht etwas darüber hinweg, dass viele Schweizer die Lohnexzesse und die sich immer weiter öffnende Lohnschere nicht goutieren. Das zeigt sich in einer anderen Abstimmung, der so genannten „Abzockerinitiative“. Diese wurde etwas überraschend vom Volk angenommen und soll Lohnexzesse bei den Managervergütungen verhindern, indem die Aktionäre in dieser Frage das letzte Wort haben. Interessant, wie ich finde. Hingegen ging die Einführung eines Mindestlohns von 4000 Franken uns Schweizern dann doch zu weit, ich selber hatte durchaus Sympathien für dieses Zeichen gegen die working poor-Problematik. Die Initiative wurde in diesem Jahr aber deutlich abgelehnt. Somit gibt es in der Schweiz keinen einheitlichen Mindestlohn, immerhin ist in vielen Branchen-Tarifverträgen ein solcher bereits heute festgeschrieben.

Welche Chancen haben Quereinsteiger in der Schweiz?

In der Schweiz gibt es viele „klassische“ Quereinsteigerberufe im engeren Sinne, also Polizisten, Feuerwehrleute oder bei uns die Trampiloten. Übrigens: Diese Berufe werden oft überdurchschnittlich professionell und kreativ beworben[8]. Das ist auch kaum verwunderlich, weil es doch spezielle Überzeugungsarbeit braucht, um Menschen davon zu überzeugen, ihren erlernten Beruf an den Nagel zu hängen und etwas völlig Neues zu machen. Aber auch in einem weiteren Sinne ist das quer einsteigen in der Schweiz gut möglich, weil unser (Berufs-) Bildungssystem genau das fördert. Ich selber bin ein gutes Beispiel dafür. Ich habe meinen Führungsjob bei den VBZ erhalten, obwohl ich keinen Universitäts-Abschluss habe. Als junger Mann habe ich eine Ausbildung zum Kaufmann gemacht. Erst gegen Ende 20 habe ich meinen Ehrgeiz entdeckt und verschiedene Weiterbildungen gemacht, meinen Bildungsrucksack also nachträglich gepackt. Viele Jahre habe ich neben Job und der Familie in der Schulbank verbracht, jeweils abends und am Samstag. Das war hart, aber ich habe diesen Mix aus Berufserfahrung und theoretischem Stoff als hochgradig effektive Bildungsmassnahme erlebt. Und auch aktuell drücke ich für ein halbes Jahr wieder die Schulbank, um mich fit für „Corporate Communications“ zu machen. Ein grossartiges System, welches eben auch Menschen ohne Uni-Abschluss ermöglicht, sich beruflich in anspruchsvollen Positionen zu verwirklichen.

Wie steht es mit der Betriebszugehörigkeit in der Schweiz und der Loyalität in Zeiten der Generation Y?

Das ist eine interessante Frage, die ich gerne etwas provokativ beantworte. Ich glaube, dass die Generation Y-Frage überbewertet wird. Ich mache diese Hypothese an der Beantwortung Ihrer Frage nach der Betriebszugehörigkeit fest. Man könnte oder sollte ja meinen, dass die angeblich ja so illoyale Generation Y die Fluktuationsrate nach oben treibt. Dem ist aber nicht so, selbst im Alterssegment der 15-24 Jährigen bleibt ein Anstieg der Wechselwilligkeit bislang aus. Das bestärkt mich in den Beobachtungen mit meinen beiden 19- und 22-jährigen Töchtern mache. Die ticken nämlich verdammt ähnlich wie der Alte (lacht…). Deren Träume sind so unterschiedlich nicht wie meine damals. Ein eigenes Auto, bald einmal eine eigene Wohnung. Mit den Kolleginnen etwas unternehmen. Reisen. Vielleicht einmal eine Weiterbildung, einen hübschen Freund (okay, hier gibt es einen kleinen Unterschied). Und im Beruf eine abwechslungsreiche, interessante Arbeit. Geregelte Arbeitszeiten. Nette Arbeitskollegen und ein guter Chef. Das kommt mir nicht wahnsinnig fremd vor, mir war das damals auch schon wichtig. Also, was soll dieser Hype? Danke, lieber Herr Buckmann, für das sehr informative, offene und detailreiche Gespräch.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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