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“Sie waren ja auf der gleichen Grundschule wie ich!” Wenn Personalauswahl zu menschlich wird

Mich verfolgen zwei HR-Traumata. Meinen ersten Job hatte der Intervention einer Sekretärin zu verdanken. „Die sieht nett aus, lad die ein“ – so “steckte” man mir, nötigte diese ihren Chef. Für mich eine persönliche Beleidigung, die ich nie ganz verwunden habe. Trauma Nr. 2: Wenige Jahre später stellte ich selbst jemand ein – weil sie irgendwie nett wirkte. Die junge Dame lernte später einen Kollegen kennen; zumindest der Mann ist mir 20 Jahre danach immer noch dankbar.
Unter Personalauswahl-Gesichtspunkten war das alles höchst unprofessionell. Damals hatte ich keinen blassen Schimmer vom Recruiting, hielt aber große Stücke auf meine Intuition. Zwischenzeitlich habe ich mich in die Theorie gekniet, um das empfundene Manko der reinen Praxislastigkeit halbwegs auszugleichen. Und so weiß ich es nach geschätzten 50.000 Seiten teils äußerst langweiliger Lektüre – theoretisch – inzwischen besser. Wie man professionelle Vorstellungsgespräche führt und wie nicht, darüber schrieb ich gestern bei Kollege Jochen Mai in der Karrierebibel. Man fragt z.B. nicht nach dem Lieblingstier oder danach, wie viele Katzen in Deutschland leben. Überhaupt fragt man keinen Blödsinn, wenn man die Antworten nicht deuten kann. Auch aus Employer-Branding-Sicht sollten Fragen zumindest schlau rüberkommen, damit der Bewerber einen guten Eindruck bekommt. Sonst erzählen diese Bewerber das Karriereberatern wie mir, und irgendwann machen die ein Buch daraus. Oder bloggen.
Neulich habe ich bei Alexa gesehen, dass meine Blogleser zu 90% ein Hochschulstudium haben. Deshalb denke ich, nein, mehr noch, deshalb bin ich überzeugt, dass Sie aufgrund dieser langen Einleitung und auch sonst die Selbstironie erkennen, wenn ich jetzt – künstlerisch verfremdet und mit unkenntlich gemachten Absender -, Ausschnitte aus Vorstellungsgesprächen präsentiere, die mir im letzten Monat zugetragen wurden.
Aber Sie werden zugeben, falls Sie HRler oder Führungskraft sind: für den Bewerber changiert das irgendwo… zwischen naiv und unprofessionell:
• „Ich habe meine Lehre auch bei X gemacht, deshalb haben wir Sie eingeladen.“
• „Wir wollten sehen, warum sich jemand wie SIE bei UNS bewirbt.“
• „Sie waren an der gleichen Grundschule wie ich.“
• „Sie hatten eine so schöne Handschrift.“
• „Hihi, die Firma, bei der der Sie das Praktikum gemacht haben, die kenne ich.“
Nur ausgemachte Alphatiere geben zu („meine Intuition, darauf ist Verlass“), dass sie sich ohne Fragebogen ins Gespräch setzen und ohne sich vorher genau überlegt zu haben, was er/sie überhaupt überprüfen will. Geschätzte 50 Prozent aller Arbeitgeber und Personaler führen deshalb unstrukturierte Gespräche nach Gutdünken. Und manchmal hilft auch der Fragebogen nicht. Da erliegt man dem Charme eines Bewerbers und denkt: das passt. Ist mir neulich auch wieder passiert. Man muss nur irgendwie pfiffig rüberkommen und „sympathisch“ (in meinem Sinn) sein, schon hat man mich eingewickelt. Ein durchschaubares Beuteschema. „Halo-Effekt“, jaja, ich weiß. Intuition ist nichts als die Summe von Erfahrungen (auch der, die man nicht gemacht hat, weil man der Selbstbestätigungstendenz unterliegt, die einem laufend sagt „ich lag ja richtig“): Theoretisch – alles klar.
Man kann es auch so sehen: Die Tatsache, dass oft nicht so sehr auf Qualifikationen geschaut wird, sondern auf alles andere, gibt einigen Menschen eine Chance, die sie so nie bekommen würden.
Aber auch so: Dieser Vorteil ist auf der Seite der mindestens durchschnittlich aussehenden, schlanken und kommunikativen Menschen. Äußerlichkeiten, auch das ist erwiesen, machen Karriere. Die deutschen Manager sind durchschnittlich drei Zentimeter größer als ihre Mitarbeiter. Sie kommen weit überwiegend aus bürgerlichen Familien. Die mittelalte Frau mit den schiefen Zähnen, die nicht eloquent ist, aber durchaus intelligent – ihr wird automatisch ein geringerer IQ unterstellt werden.
Das ist der Grund aus dem ich entschieden für Computer in der Personalauswahl bin. Algorithmen sollten die Bewerber auswählen, keine Menschen. Es müssen natürlich kluge Algorithmen sein, die nicht nur Abiturnoten vergleichen. Pro Job könnte festgelegt werden, worauf es wirklich ankommt. Das kann mal der IQ sein, mal bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, mal Kenntnisse, mal von allem ein bisschen. Der Vorteil wäre, dass man sich vorher auf etwas festlegen müsste, was ein wesentlicher Schritt zur Professionalisierung wäre.
Neulich traf ich eine Kollegin, die immer wieder die falschen Bewerber aussuchte und mit ihnen durchweg Schiffbruch landete. Warum? Sie suchte nach jemand, der so war wie sie dachte, dass man sein müsste (im Grunde also ein bisschen wie sie). Der Computer sucht sich nicht selbst. Das macht computergesteuerte Auswahl zu einer echten Option.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Ich kannte einen Chef, der hat die Fotos der Bewerber auf DIN A4 vergroessert und dann seiner Frau zur Beurteilung vorgelegt….