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Wie erkennt man eigentlich Talente, etwa den “kreativen Querdenker”?

Veröffentlicht: 15. Juli 2017Kategorien: Human Ressources

Unternehmen suchen Talente. Talent Management hat Hochkonjunktur. Das Recruiting jagt. Aber was meinen eigentlich die, die Talente suchen? Wonach fahnden sie genau? Ein Talent ist jemand, der etwas besser kann als andere. In der digitalisierten Welt hat sich das Bild vom Talent verändert. War es früher der fleißige Einserkandidat, stellen sich jetzt vieke geniale Entwickler und kreative Neudenker vor. Ich habe bei Indeed „Querdenker“ eingegeben: Über 600 Ergebnisse in Stelleninseraten. Im Vergleich dazu wird nur rund 200 mal ein überdurchschnittlicher oder sehr guter Studienabschluss gefordert.

Ich kann es nicht beweisen, aber ich würde wetten, dass vor 10 Jahren kein einziger Querdenker gesucht wurde und öfter nach dem überdurchschnittlichen Abschluss gesucht wurde. Bei Xing habe ich auch eine Stichprobe gemacht. Jede Menge Personalberater suchen da ebenfalls Querdenker. Da stellen sich mir zwei Fragen, zu denen ich im Folgenden Hypothesen bilden will:

  1. Ist es ein wirkliches Indiz, wenn jemand sich selbst als Querdenker bezeichnet? These: Das ist überwiegend Selbstmarketing, Querdenker ist ein Modewort.
  2. Kann man diese Talente mit den herkömmlichen Auswahlinstrumenten überhaupt finden? These: Nein, denn Querdenker haben keine klassischen Lebensläufe und sind auch nicht mit Tests identifizierbar.

Ist es ein wirkliches Indiz, wenn jemand sich selbst als Querdenker bezeichnet? These: Das ist überwiegend Selbstmarketing, Querdenker ist ein Modewort.

Ich habe die ersten drei Ergebnisseiten durchgeklickt: Da war kein einziger Angestellter, der Querdenker ist. Lauter Selbstständige. Die meisten kenne ich entfernt. Man könnte sagen: Die üblichen Verdächtigen, zu denen ich auch gehöre. Ich würde behaupten, all diese Leute sind nicht ohne Grund selbstständig. Querdenken und angestellt zu sein passt nicht wirklich zusammen. Querdenken heißt schließlich, dass jemand gegen das bisherige Denken „andenkt“. Warum holt man sich Querdenker meist nur als Impulsredner?

Querdenker haben bezogen auf den Persönlichkeitstest Big Five meist zwei Eigenschaften, die für Unternehmen ausgesprochen anstrengend sind: Sie haben eine hohe Offenheit für neue Erfahrungen – verbunden mit Fantasie, Forschungsgeist und meist interdisziplinären Interessen – und eine niedrige Verträglichkeit, was sich in einer gewissen Kantigkeit zeigt, die auch die Fähigkeit erhöht, sich als Unternehmer am Markt durchzusetzen. Mit Blick auf die Motive – das sind psychologisch gesehen „Treiber“ für Handeln – haben sie entweder ein überdurchschnittliches Macht-Einfluss- oder ein hohes Leistungsmotiv, oft beides. Menschen mit diesen Eigenschaften und Motiven werden in Unternehmen nicht lange bleiben, wenn sie an Grenzen stoßen und nichts bewegen.

Unternehmen suchen also etwas, was in die meisten Systeme nicht passt, Ausnahme sind kleinere Firmen und sehr flexible Kontexte. Aber in Konzernen bleiben diese Menschen maximal für zwei Jahre. Sie entwickeln dann gute Ideen. Aber ziemlich sicher werden diese wieder plattgemacht, wenn das alte System den Boden zurückerobert. Ich habe das oft gesehen, wenn agile Einheiten oder Think Tanks heim zu Muttern sollten.

Fragen Sie sich: Was wollen Sie eigentlich genau? Was erlaubt Ihr System? Welche Leute können sich überhaupt sozialisieren? Ist es nicht besser, erst einmal die Denk- und Handlungslogik des Unternehmens zu ändern bevor man nach Talenten schreit? Möglicherweise sind mehr davon im eigenen Unternehmen als man glaubt. Nur sind diese vielleicht bisher nicht weitergekommen. Jedes Unternehmen hat „geheime“ Beförderungsregeln. Zum Beispiel setzen sich die gut vernetzten, Dominanten durch. Oder die freundlichen Kooperativen. Aber die mit den guten Ideen? Genau, die versetzt man oft auf die Plätze.

Systemisches Denken und Handeln hilft hier sehr, vor allem Metakommunikation. Je mehr Unternehmen Paradoxien kommunizieren und auch im Einstellungsgespräch auf den Tisch bringen, desto größer die Chance Menschen zu gewinnen, die wenig Interesse haben, ihre Überzeugungen gegen Sicherheit oder Zugehörigkeit einzutauschen.

Wer Talente sucht, sollte sich darüber als erstes klarwerden und dabei das eigene System im Blick halten.

Kann man diese Talente mit den herkömmlichen Auswahlinstrumenten überhaupt finden? These: Nein, denn Querdenker haben keine klassischen Lebensläufe und sind auch nicht mit Tests identifizierbar.

Diese Woche hat Marcel K. Reif den sehr schönen Artikel „mit den schlechten Noten von damals verdiene ich heute mein Geld“ veröffentlicht. Tatsache ist, dass Menschen, die eher unangepasst sind, meist keine graden Lebenswege haben. Gute Noten in der Schule und im Studium sind nicht nur Folge von Intelligenz, sondern auch von Anpassungsbereitschaft. Wer Anerkennung durch andere sucht, ist lernbereiter. Nun ist eine Stärke kreativer Köpfe die innere Souveränität. Zwar mag jeder Anerkennung, jedoch suchen Querdenker diese seltener im Außen als viel mehr in sich. Man konzentriert sich eher auf Themen, die einen selbst begeistern als auf etwas, das man lernen muss. Die Folge ist, dass es für dieses Talent keine oder nur wenig offizielle Belege gibt.

Helfen Tests? Bei den Big Five sind es wie im vorherigen Abschnitt beschrieben die beiden Eigenschaften Verträglichkeit und Offenheit, die übrigens auch für Unternehmer spezifisch sind. Aber deren ausgeprägtes Vorhandensein macht noch keinen Querdenker.

Tests wie der MBTI®  sind aus meiner Sicht völlig untauglich, da sie Verhalten überhaupt nicht vorhersagen können. Relevant ist dagegen die Ich-Entwicklung, da eine spätere Phase die Fähigkeit erhöht „querdenkerische“ Ideen so zu platzieren, dass diese auch von anderen angenommen werden können. Der Grund ist einfach: Ja später die Ich-Entwicklung, desto mehr Aspekte kann jemand in seine Gedanken einbeziehen und desto mehr ist das „Ich ein Objekt“ („self as an object“ nach Kegan). Dieses Objekt kann sich immer wieder neu definieren. Feedback kann angenommen werden, ohne dass es Grundfeste erschüttert. Das Selbst-Bewusstsein steigt und damit auch die Fähigkeit eigene Ideen zu platzieren, aber auch die von anderen anzunehmen. Die Ich-Entwicklung lässt sich mit den klassischen Tests nicht erfassen, sie moderiert das Auftreten von Eigenschaften jedoch erheblich.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Wie erkennt man Talente?

  • Definieren Sie so konkret wie möglich, was Sie suchen. Beschreiben Sie keine Eigenschaften, sondern Verhalten („die Person sollte XY tun“).
  • Weg vom Blick auf den Einzelnen, der immer noch dominiert! Entscheidend ist das Team und dessen Funktionalität. Dieses kann besser querdenken lernen als es jeder einzelne könnte.
  • Dosieren Sie Talent. Mehr Talent macht Teams nicht schlauer. Unserer Erfahrung nach kann ein High Performer in einem Team von Normalos mehr bewirken als 10. Denn der Team-IQ ist ungleich des IQs von Einzelnen.
  • Legen Sie Ihr Augenmerk auf informelle Qualifikationen. Bei Talenten ist meist das interessant, was nicht im normalen Bildungsbetrieb erworben wurde, sondern stattdessen oder parallel dazu.
  • Lassen Sie eine gewisse Ungleichheit zu. Talente wollen einen Sonderstatus und können diesen auch bekommen. Neid entsteht nur, wenn die Kultur das Normale abwertet. Die Wahrheit ist aber: Das Normale trägt die Alltagsarbeit, die Routine, das Unternehmen. Das braucht man auch. Psychologische Diversität muss mehr ins Blickfeld geraten.
  • Suchen Sie nach Talenten, die in ihrem System auch andocken können. Zu „schräge Vögel“ werden von den anderen Mitarbeitern schnell ins Abseits gedrängt. Allerdings sollte auch nicht immer mehr vom gleiche gesucht werden.
  • Achten Sie bei der Einstellung auf eine spätere Ich-Entwicklung, denn diese Menschen können leichter mit unterschiedlichem Denken umgehen.
  • Erkennen Sie die Paradoxien, mit denen ein „Talent“ konfrontiert sein wird und thematisieren sie das offen. So erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, das gewonnene Talente auch bleiben.

Foto © eyetronic – Fotolia.com

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

6 Kommentare

  1. Silvia 15. Juli 2017 at 18:22 - Antworten

    hi Svenja,
    “Talent zu haben” und “Talent zu nutzen” sind für mich zwei Dinge. Nicht jeder, der talentiert ist, kann dies auch für sich nutzen. Wichtig sind noch der Wille, sein Talent zu nutzen bzw. auszubauen. Ob man Querdenker ist oder nicht, hängt auch vom Team bzw. dem Umfeld ab. Je heterogener Teams zusammengesetzt sind, desto besser arbeiten sie zusammen.

  2. Jessica Wahl 19. Juli 2017 at 13:37 - Antworten

    Ein schöner Artikel! 🙂

  3. Christine 24. Juli 2017 at 13:08 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert,
    seit einigen Jahren lasse mich von Ihrem Blog sozusagen “querdenkerisch” inspirieren. Nun möchte ich aber zu diesem Artikel hier anmerken, dass es auch Leute gibt, die von sich behaupten Querdenker zu sein, jedoch OHNE es als modischen Ausdruck zu betrachten. Vielmehr ist es ein Fluch von Jobbörsen und Karrierenetzwerken allgemein, dass man nur gefunden wird, wenn man möglichst viele Schlagwörter mit anderen Personen gemeinsam hat und Recruiter u.ä. nach diesen Worte auch suchen. Waren es in den vergangenen Jahren noch “Kreativität” und “Teamplayer”, sind es heute eben “Agiltät” und “Querdenker”. Schade um diejenigen, die wirklich quer denken (mit Absicht ist das auseinandergeschrieben) und mit in der “Modeschublade” landen. Und solange immer noch eher nach speziellen Begriffen in einem Lebenslauf geschaut wird anstelle auf die Entwicklung, die dahintersteckt, werden solche Schlagworte leider von Bedeutung sein.
    Viele Grüße
    Christine

    • Svenja Hofert 24. Juli 2017 at 14:28 - Antworten

      danke, liebe Christine, fürs treue Mitlesen. Und ja, es gibt Leute, die das Attribut nutzen ohne modische Gedanken daran. LG Svenja Hofert

  4. StudHilfe 25. Juli 2017 at 9:58 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert, vielen Dank für so einen interessanten Artikel.
    Ich kann nicht sagen, dass ich mit Ihnen völlig einverstanden bin, hauptsächlich mit dem Punkt über Ausbildung. Studium in der Hochschule konzentriert sich meistens auf die richtigen für die Arbeit Fähigkeiten.
    Bedeutet es nicht, dass die Menschen, die gute Noten in der Universität hatten, bereits talentiert sind?

  5. Alexander Gerber 3. November 2017 at 5:25 - Antworten

    Hi *,

    “Talent is overrated”.

    Das Gute an Digitalisierung und zunehmender Automation ist, dass es immer weniger Anpassung im Prozess und immer mehr Anpassung des Prozesses bedarf.

    Anders ausgedrückt:
    empfindet sich der Mensch im System als Instrument des Systems oder ist das System das Instrument des Menschen?
    #haltungsschaden?

    Talent hilft sicherlich bei der Bewältigung täglicher Herausforderungen.
    Mehr noch helfen Erfahrungen, die als angenehm und hilfreich wahrgenommen werden.
    Sie legen das Grundgerüst für weitere Handlungen, die diesem Beispiel folgen.
    Das ist die Reproduktionsmechanik der Evolution.

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