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Work-Life-Bilanz: Kranke Karrieristen, frustrierte Teilzeitmuttis und gut gelaunte Unabhängige
„Gibt es das wirklich?“ werde ich oft gefragt. Menschen, die entschieden „nein“ sagen, wenn ein Unternehmen ihnen den Wunsch nach 4-Tage-Woche nicht einräumt. Die einfach wechseln, wenn es ihnen nicht gefällt.
Ja, das gibt es. Genauso wie das andere: Menschen, die alles für die Karriere geben, sich gegenseitig mit Anwesenheiten übertreffen, nachts an der Theke ausharren, bis der Vorstand das letzte Bier getrunken hat – und die Frauen mit Kindern die Karrierechancen absprechen.
Ich sehe alle Varianten in unserem Büro, letztere Gruppe oft erst, wenn es nicht mehr geht, nach Burnouts und anderen Katastrophen. Und so wundert es mich nicht, dass die Antwort auf die Frage, warum es so viele verschiedene Haltungen und so widerspruchsvolle Einstellungen zu Leben und Arbeit gibt, so mannigfaltige Realitäten, mit verschiedenen soziologischen Milieus zu beantworten ist. Von den Sinus-Milieus war hier schon die Rede. Diese teilen die Konsumenten in Gruppen. Jetzt gibt es auch die Work-Life-Milieus, die sehr viel mehr Aussage treffen als etwa die Einteilungen der Berufsorientierung nach Lutz von Rosenstiel (der drei Orientierungen feststellte: freizeitorientiert, alternativ orientiert und karriereorientiert), die mir nicht mehr zeitgemäß erscheint.
Denn sind es wirklich die “alten” Freizeitorientierten in der Definition von Rosenstiel, die sich in den so genannten „Vereinbarern“ spiegeln? Ich glaube nein. Die neuen Vereinbarer sind der Schrecken der alten Führungsriege: jung, gut ausgebildet, wollen sie ihr Leben nicht nur mit Arbeit verschwenden. Die Bereitschaft, Freunde zu vernachlässigen und die Gesundheit aufs Spiel zu setzen, liegt je gerade mal bei 5%. In diesem Blog habe ich schn öfter über die Generation Y geschrieben, die die Denkweise der Vereinbarer prägen. 22% von ihnen sind jünger als 30 Jahre. Unter den Erwerbstätigen machen die Vereinbarer 30% aus, all das Ergebnis der Studie „Leben und Arbeiten in Deutschland“, die die FTD in Zusammenarbeit mit der GFK letzte Woche vorlegte. 30% – ignorieren fällt da schwer.
Was die Studie nicht beantwortet: ob es sich bei diesen Vereinbarern überdurchschnittlich oft um Beamte und Verwaltungsangestellte handelt; das wären die typischen Freizeitorientierten nach Lutz von Rosenstiel. Zu vermuten ist: nein.
Ich sehe diese Gruppe in den privatwirtschaftlichen Unternehmen angekommen – und zwar in gefragten Berufen, wo sie durchaus nicht mehr Dienst nach Vorschrift machen, sondern etwas leisten wollen – aber in 41 Stunden, so die Studie, im Durchschnitt. Das scheint mir ein entscheidender Wertewandel. Freizeit geht nicht einher mit einer Dauer-Hängematte auch bei der Arbeit, sondern mir herausfordernden Tätigkeiten UND Leben. Oder anders: Die Arbeit ist nicht mehr da, um die Freizeit zu ermöglichen; sie braucht einen eigenen Sinn.
Ich bin nach der Studie eine Unabhängige (24%). Die sind optimistisch und machen sich keine Sorgen um Arbeitsplatz und Einkommen. Sie haben wie keins oder ein Kind und sind mit 51% überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem Job. Auch sind sie meist älter.
Von dieser Zufriedenheit der Unabhängigen können die Familienorientierten nur träumen: 40% sind unzufrieden. Die Gruppe ist überwiegend katholisch und an Karriere gar nicht interessiert. Zu 64% sind es Frauen.
Deren Männer finden sich vermutlich in großer Zahl unter den Berufsorientierten (61% männlich), mit deren Gesundheit es nicht zum Besten steht und die auf Familie, Partner, Gesundheit und Freizeit verzichten, nur weil im Job Anwesenheitspflicht zu gelten scheint. Sie reiben sich auf und ackern für den Job. Und siehe da, in dieser Gruppe, finden sich die meisten Führungskräfte und auch Selbstständige. Meines Erachtens sind die Selbstständige eines alten Typs, aber über die Art der Selbstständigkeit gibt die Studie keinen Aufschluss.
Gestern habe ich ein Interview mit dem neuen RWE-Chef Peter Terium im Stern gelesen. Er sagte, Führungskräfte, die ihren Burnout demächst schon mit 36 Jahren statt mit 46 haben, könne man nicht mehr gebrauchen.
Er selbst habe umgelernt, achte jetzt auf sich und gehe jetzt immer vor 24 Uhr ins Bett. Ein Fortschritt, der zeigt:
- Erstens: Auch Berufsorientierte lernen dazu.
- Und zweitens: Milieus sind nicht starr – man kommt wieder raus. Oder man entwächst ihnen einfach.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.
Unabhängig, selbstständig, 1 Kind, gute Balance zwischen Job und freie Zeit – glücklich
nicht immer, scheint aber öfter mal der Fall zu sein 😉
Großartiger Artikel, vielen Dank dafür! Der Beobachtung eines Wertewandels kann ich voll und ganz zustimmen. Selbst knapp über dreißig, unabhängig und mit starkem Fokus auf sinnvolle Freizeitgestaltung ist Karriere für mich nicht das Wichtigste – aber Spaß machen soll der Job natürlich trotzdem! Eine gute Stellung in einem interessanten Unternehmen habe ich kürzlich abgesagt, weil Überstunden und Wochenendarbeit dort gang und gäbe waren. Eine ähnliche Haltung bemerke ich auch in meinem Freundeskreis, und ich bin wirklich froh darum. Zu starke Karriereorientierung ist meiner Meinung nach nicht gesund und macht unglücklich, das Leben ist so viel mehr als nur Arbeit!
Ich sah in der Selbständigkeit die beste Möglichkeit, eine Vereinbarerin zu sein. Hab mein Unternehmen als alleinerziehende Mutter dreier halbwüchbsiger Kinder aufgebaut. Voraussetzung dafür war allerdings, dass ich meine Kunden und Klienten im regionalen Umfeld hatte und ich auch Halbtagesseminare durchführen konnte. So war ich mittags zu Hause, wenn die Kinder aus der Schule kamen. Weitere Voraussetzungen: externe Hilfen (putzen, bügeln, Frostgemüse) eine konsequente Arbeitsteilung mit den Kindern und stark heruntergeschraubte Ansprüche in Bezug auf Haushaltsführung, Feste…
In der ersten Zeit, das gebe ich zu, war nur wenig Zeit für Freunde und eigenen Spaß, aber je besser es lief und je älter die Kinder wurden, desto mehr davon passte wieder ins Leben. Ich bereue diesen Weg nicht. Mit einem Chef wäre das nicht gegangen.