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An der Fachkräfteangel: Wie Personaler im Trüben fischen

Veröffentlicht: 6. September 2012Kategorien: Karriere und Beruf

© Dron – Fotolia.com

Während sich die technische Welt dreht und dreht, bleibt die Welt der Wertvorstellungen bei vielen im 20. Jahrhundert stecken. Damals gab es Bewerber, die froh waren, überhaupt einen Job zu haben. Die nicht auf die Idee kamen, Fragen zu stellen, von eigenen Forderungen ganz zu schweigen. Der Arbeitgeber war wie der gestenge Vater, der die Regeln vorgibt, dafür aber auch den familiären Schutz gewährt, inklusive Sicherheitsversprechen. Diesen Schutz kann heute kein Arbeitgeber mehr geben, selbst wenn er wollte. Die Folge, die wir gerade sehen: Bewerber sehen sich mehr und mehr als gleichberechtigte Partner. Das Problem: Unternehmen können damit nicht umgehen. Einzelpersonen verändern sich schneller, Organisationen langsamer.

Deshalb sind Bewerber im Kopf oft weiter als ihre Gesprächspartner, die  als Teil einer Organisation noch mehr im “alten” feststecken; damals als sie dem Bewerber die Angel hinwarfen und entschieden, ob sie den Fisch mitnehmen oder zurück in den Bewerberteich werfen.

Da ich viele Veränderungsprozesse begleite, bekomme ich leider die unschönen Seiten dieses Missverhältnisses mit. Zum Beispiel den Personalchef, der den Bewerber allen Ernstes fragte: „wie, Sie haben noch Fragen?“, als dieser solche anmeldete, um die genauen Umstände und Bedingungen der Tätigkeit zu ergründen. Der Personaler sei regelrecht entsetzt gewesen, sagt mein Klient. Wie kann es einer wagen, Fragen zu haben und dann auch noch zu den genauen Umständen der Aufgabe, etwa zu der “unwichtigen” Frage, wo man denn genau arbeiten würde?

Sie können sich vorstellen, wie das erst aussieht, wenn jemand Forderungen stellt, z.B. den Arbeitsvertrag sehen will, bevor er unterschreibt – und dann auch noch darüber sprechen möchte. Da gibt es einige Personaler und Fachverantwortliche, die ziehen allein aufgrund solcher “Frechheit” ein Arbeitsangebot zurück.

Dennoch kann ich Bewerbern, die nicht jeden Job wollen, sondern einen guten, nur raten: Weiter so! Fragt, fordert, verbiegt euch nicht! Je öfter einer zu fragen und zu fordern wagt, desto mehr werden sich die Organisationen daran gewöhnen müssen. Ja, liebe Personaler und Unternehmenschefs, der Bewerber von heute ist kein Bittsteller mehr. Er möchte nicht jeden Mist machen. Und er muss auch nicht, wenn er ein gutes Profil hat. Der Bewerber von heute reagiert sensibel, wenn etwas komisch läuft und veräppeln lässt er sich auch nicht.

Doch einige Personaler nutzen veräppeln derzeit als Recruitingmethode gegen den Fachkräftemanagel. Lange war ich der Meinung: Wenn der Bewerber klar sagt, was er will, kann er nicht auf etwas vollkommen anderes besetzt werden. Das war ein Stück naiv von mir; es gibt Unternehmen die ganz bewusst falsche Tatsachen vorspiegeln, um auf diese Weise Fische, äh, Bewerber aus dem Fachkräfteteich zu angeln.  „Wenn der erst mal da ist, wird er das schon machen“, denken die schlauen Rekrutierer dann. Muss ja dafür umziehen, da kündigt der doch nicht! Und schwupps macht jemand zu 100% Kaltakquise, der eigentlich einen Projektmanager-Job versprochen bekam.

Was tun? Ich muss sagen, dass ein großes Unternehmen einen gewissen Schutz gegen solche unglaublichen Fouls, die nicht anders als mit roter Karte geahndet werden können, bietet. Aber auch aus dem Konzern-Umfeld hört man trotz angenehmer und steigender Professionalisierung bei der Personalauswahl Erschreckendes.  Meist ist es die Schnittstelle zur Fachabteilung, an der es hakt: Personaler fortschrittlich, Führungskraft rückschrittlich und von den neuen Anforderungen vollkommen überfordert. Da will die HR beispielsweise einen perfekten Experten, doch der entscheidungsbefugte Manager vergrault diesen, z.B. weil er auf die Frage nach Sinn in der Arbeit antwortet mit „in welcher Welt leben Sie denn?“ …. Oh Gott, mögen die Personaler denken und an die Tischkante beißen. Es tut uns leid, weinen sie dem Bewerber gegenüber und sagen “der XY ist aber auch ein Böser”.  Doch der Experte denkt sich: Mit so einem Typen will ich auf keinen Fall arbeiten, trotz netter HR – und sucht weiter.

Richtig so! Gebt nicht auf! Suchen Sie lieber länger, als den erst- oder zweitbesten Job zu nehmen. Sie haben nur ein Arbeitsleben, das muss keiner in Burnout und Frust verbringen. Es ist ein mühsames Spiel, die Guten zu finden, aus meinen Prozessbegleitungen würde ich ableiten, dass 70% aller Unternehmen  noch nicht auf dem Stand sind, auf dem Bewerber sie erwarten. Ganz oft, und das empfinde ich als besonders mieses Spiel, werden bewusst Menschen engagiert, die zwei Eigenschaften haben: Sie sind unsicher (wie fast alle jungen Leute und mehr Frauen als Männer) und leistungsbereit, suchen Bestätigung in der Arbeitsbeziehung. Und sie sind damit hochgradig burnout-gefährdet.

Manchmal hilft ein Burnout, sich endlich mit sich zu beschäftigen, eigene Bedürfnisse zu sehen und sich abzugrenzen. Von da zu der Fähigkeit, eigene Fragen zu formulieren und auch mal “nein” zu sagen, ist es nur ein kleiner Schritt.

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

  1. […] Hofert: An der Fachkräfteangel: Wie Personaler im Trüben fischen Startup-Erfolg: Die „Ja, das mach ich auch“-Krankheit Karriere Bibel: Vorstellungsgespräch […]

  2. Markus Baldauf 9. Dezember 2012 at 13:09 - Antworten

    Ich bin komplett Ihrer Meinung. Viele Firmen geben sich einfach mit dem Besten der Schlechten zufrieden nur um die Stelle zu besetzen und keinen Mehraufwand oder Mehrkosten zu haben. Wenn man bedenkt, was ein Mitarbeiter pro Jahr inkl. Nebenkosten dem Unternehmen kostet, finde ich es schon sehr bedenklich einfach “einen” Mitarbeiter zu nehmen anstatt den Besten.

    Mir ist klar, dass es nicht einfach ist den Besten zu finden, aber es gibt immer Mittel und Wege!

    Markus Baldauf
    IT Personalberatung</a

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