Anschreiben sind überflüssig, höre ich oft, vor allem von Personalern. Die meisten, die viel rekrutieren, lesen diese individuell geschriebenen Briefe gar nicht. In Deutschland scheint es einen Trend „oben ohne“ zu geben – CV pur, ohne Anschreiben. Ärgerlich für alle, die sich Stunden Mühe geben und Gedanken machen. Und besonders frustrierend, wenn sie sich zuvor stundenlang mit der Erstellung von PDF-Mappen und dem mühsamen Hochladen von Dokumenten in Online-Formulare herumgeschlagen haben…

Will keiner Anschreiben, weil sie so furchtbar öde sind?

Aber hat das Anschreiben wirklich ausgedient, weil es überflüssig ist? Spricht man mit Managern und Fachverantwortlichen, so ist die Welt mindestens zweigespalten. Da gibt es die, die „erst mal nur aufs Anschreiben“ schauen und jene, die  Personaler-like den Lebenslauf bevorzugen. Bei den Anschreiben-Freaks kann man mit guten Schreiben immer punkten. Die Lebenslauf-Asketen kann man möglicherweise überzeuge, wenn man es ganz anders macht… Wenn man das Anschreiben anders aussagekräftiger schreibt, ungewöhnlicher. Schmerzvoller für die Adressaten?

Seit etwa einem Jahr lese ich immer wieder von Pain Lettern. Ja. Richtig gehört: Pain Letter. Das sind also Briefe, die schmerzen sollen, den Finger in die Wunde legen. Was soll das beinhalten? Die Antwort: Hier handelt sich um eine Art von Anschreiben, die den eigentlichen Ansprechpartner adressiert und in den Fokus nimmt, also weg geht vom Ich kann, ich habe, ich biete. Das ist für uns allerdings nichts Neues. Wir vermeiden solche Anschreiben seit jeher.

Der Pain Letter laut der Empfehlung einiger Experten an der Personalabteilung vorbei, andere wollen damit auch den Hiring Manager ansprechen. Das Vorbei-an-HR kenne ich als Zielgruppenkurzbewerbung und habe solche Zielgruppenkurzbewerbungsprozesse auch häufig schon erfolgreich begleitet.

Das Vorbei-an-HR-Prinzip gilt schon bei der CEO-Bewerbung

Mein Fazit für Deutschland: In größeren Unternehmen reichen die angesprochenen Manager die Briefe zu 90% zurück an die Personalabteilung. Mit etwas Glück verbunden mit der Maßgabe, Kontakt aufzunehmen, oft aber ohne diese. Das gilt auch für Bewerber auf den Ebenen 2 und 3, also durchaus auch für höherkarätige Führungskräfte. Das Vorbei-an-HR gelingt jedoch einfach oft nicht. Man muss sich dafür extrem viel Mühe geben und mit Tricks und Kontakten arbeiten. Das kann nicht jeder.

Das Prinzip des Vorbei-an-HR ist im deutschsprachigen Raum in der Zielgruppenkurz- oder auch CEO-Bewerbung umgesetzt. Im Vergleich zum Pain Letter sind diese “deutscher”. So stehen da mehr Zahlen drin, Qualifikationsbelege und insgesamt mehr Fakten. Das entspricht dem deutschen Einstellungsverhalten, das Qualifikation mitunter höher bewertet als Erfahrung und Erfahrung höher als “Attitude”.

Aber mit Qualifikationen beeindrucken – genau das will der Pain Letter nicht. Die Muster, die ich gesehen habe, packen vielmehr verbal das Problem an, das der Entscheider hat. Er muss zum Beispiel in einem Jahr auf das Doppelte wachsen und die IT darauf anpassen. Er muss Geld einsparen, oder Prozesse verschlanken. Typisch amerikanisch empfiehlt die Pain-Letter-Expertin Liz Ryan zunächst einmal zu loben und dann erst mit der Tür, äh dem Thema ins Haus zu fallen. Aber auch das geschieht amerikanisch-indirekt, richtige “Schmerzauslöser” sind die Muster nicht, dafür sind sie zu sanft.

Ein Beispiel aus einem Pain-Letter-Muster:

“I wouldn’t be surprised to hear that those opportunities are taxing your talented Marketing team as well.” (ich wäre nicht überrascht zu hören, dass diese Situationen Ihr talentiertes Marketingteam ganz schön fordert).”

In Deutsch könnte es etwas direkter, klarer sein: „Es würde mich nicht überraschen, wenn ihre Mitarbeiter unter der Last dieser Aufgabe ganz schön ächzen.“

Danach folgt eine Erklärung, wie man das Problem bereits woanders erfolgreich gelöst hat. Das soll den Leser scharf machen: Aha, es gibt eine Lösung. Der Bewerber als Lösungsanbieter – auch nichts Neues, zumindest in der Theorie. Bei der Umsetzung tun sich Bewerber jedoch schwer. Von 100 Anschreiben ist vielleicht eines in dieser Form gelungen, wenn überhaupt.

Lernen vom Pain Letter

Bei allem altem Wein in neuen Schläuchen, können Sie als Bewerber aus dem Pain Letter-Schreiben noch etwas lernen:

  • Sich in die Perspektive des Lesers zu versetzen
  • die aktuelle Unternehmens- und Abteilungssituation aufgreifen
  • auf einen Aspekt hinzuschreiben, nicht auf mehrere
  • Ich-Blabla runterfahren (ich will, ich kann…)
  • Lebenslaufwiederholungen im Anschreiben komplett vermeiden

Der Pain Letter schließt wie auch die Zielgruppenkurzbewerbung mit einem Call-to-Action. Aus Liz Ryans Muster stammt dieser Satz, der eins zu eins auch von einem deutschen Bewerber übersetzbar wäre.

“If you have time for a telephone call or email correspondence to see where we might have an intersection of interests, I’d be delighted to learn more and share a bit of my background with you.”

Ziel: Lass uns reden

Ziel des Call-to-actions im Pain Letters ist, dass ein Gespräch entsteht, durch das der Entscheider animiert werden soll, sich erstmal unverbindlich auszutauschen. Meine Erfahrung ist, dass ein Schreiben sehr gut sein muss, damit es diesen Impuls auslöst. Es muss ins Mark gehen, genau das aktuelle Bedürfnis ansprechen – und das ist wahrlich nicht leicht. Man kann herausfinden, wie die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens ist, welche Themen es bedrohen und vor welchen Herausforderungen es steht. Aber das aktuelle Bedürfnis ist oft ein anderes und weniger sichtbar. Hinzu kommt: Nicht immer steht das Wohl des Unternehmens im Vordergrund und deshalb werden auch konsequent nicht die besten Mitarbeiter für eine Problemlösung ausgesucht, sondern diejenigen, die am leichtesten sozialisierbar sind.

Am Ende ist ein Pain Letter also nichts als ein zielgruppenzentriertes Anschreiben, das konzipiert ist wie ein gutes Direktmailing. Es muss einen Must-know-Effekt auslösen: “Wie zum Teufel hat der Kerl das geschafft? Das will ich wissen!”

Damit das erreicht wird, empfehle ich:

  • Das Schreiben darf nur neugierig machen, sollte aber nichts Konkretes verraten. Beispiel: “Wie ich ein Firmennetzwerk mit heute bis zu 200 Partnern aufgebaut habe, erläutere ich gern im persönlichen Gespräch.”
  • Sie sollten nicht zu willig rüberkommen. Also besser “Sie erreichen mich diese Woche noch unter…” als “ich stehe jederzeit zur Verfügung”.
  • Sie sollten sich nicht unbedingt immer sofort bewerben, sondern erst einmal einen Kontakt aufbauen, um vorzufühlen und ins Gespräch zu kommen. Das können Sie dann z.B. so formulieren “Gerne stehe ich für einen unverbindlichen Austausch zur Verfügung.” Aber Vorsicht: Locken Sie keine Informationsshopper – auch wenn der Austausch zustande kommt, verhalten sein mit zu viel konkretem Input.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

3 Kommentare

  1. Persoblogger Stefan Scheller 17. Februar 2016 at 16:30 - Antworten

    Vielen Dank Frau Hofert für diesen Einblick zum Thema “Pain Letter”. Mir war der Begriff bisher so nicht bewusst, auch wenn ich solche Anschreiben bereits gesehen habe.

    Was ich allerdings nicht verstehe, ist Ihr Tipp 3: “(…) Also besser “Begreifen Sie dies bitte nicht als Bewerbung, sondern als Gesprächsangebot an Sie” als “ich freue mich über Berücksichtigung.” (…)”.

    Wenn mir jemand schreibt, dass wir das nicht als Bewerbung verstehen sollen, würde ich den Kandiaten als Bewerber absagen und denken, es gehe um eine Art (kostenpflichtige) Beratung. Auch klingt “Gesprächsangebot” wie nach einem Streit, wenn eine Partei sich “gesprächsbereit” zeigt.

    Ohne es genau zu wissen, ist es vielleicht sogar rechtlich fraglich, ob die Daten von jemandem, der bewusst sagt, dass er KEIN Bewerber ist, überhaupt entsprechend der Datenschutzregeln für Bewerber aufbewahrt werden dürfen.

    So oder so, mag das sprachlich spitzfindig und vielleicht auch gewandt erscheinen – ich persönlich würde von so einem Tipp aber Abstand nehmen.

    • Svenja Hofert 17. Februar 2016 at 16:39 - Antworten

      Hallo Herr Scheller, recht haben Sie, wenn es an HR geht und eigentlich eine Bewerbung gemeint ist. Meine Erfahrung ist es aber, dass es bei “umgehe die HR”-Bewerbungen sinnvoll ist, sich wirklich erst mal gar nicht zu bewerben (also echt), sondern einen Kontakt aufzubauen. Das hat oft funktioniert, ist aber hier bei mir missverständlich formuliert. Pass das gerade noch mal an. LG SH

  2. Persoblogger Stefan Scheller 17. Februar 2016 at 21:32 - Antworten

    Alles klar, jetzt verstehe ich das. Vielen Dank für die Klarstellung.

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