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Denker oder Lenker? Welche Rolle spielt Persönlichkeit beim Coachen oder Beraten?

Veröffentlicht: 12. Februar 2014Kategorien: Karriere und Beruf
Wer das Abstrakte mag, hat oft Fantasie. MS Office

Wer das Abstrakte mag, hat oft Fantasie. MS Office

Jeder Coach und Berater kocht mit demselben Wasser? Mit gleichen Methoden kommt man zum gleichen Ergebnis? Da bin ich nicht sicher. Klar, unterschiedliche Ergebnisse würden auch bedeuten: eine Beeinflussung findet statt. Es ist mehr als nur Beziehungsebene hergestellt ja/nein. Es kann also nicht sein, was strenge Systemiker und Konstruktivisten postulieren, nämlich dass der Coach im Grunde austauschbar ist, weil ja nur freigesetzt wird, was ohnehin im Coachee liegt.

Die Beeinflussung durch die Persönlichkeit des Coachs fängt im Grunde schon vor der Kontaktaufnahme statt. Ob im Unternehmen oder privat: In der Regel sucht sich der Coachee seinen Coach aus. Und er wird es nach Bauch oder Prinzip tun – in einem gedanklichen Regelkreislauf, mal mehr mit dem Fokus auf das eine oder andere, aber relativ sicher am Ende mit System 1, begründet durch ein Schein-System 2 (System 2: ist früher Führungskraft gewesen, kennt die Branche. System 1: hat ein Kind = versteht mich).

Das Alter kann eine Rolle spielen, meist ist höheres ein Plus. So höre ich öfter „ich wollte jemand etwa in meinem Alter“ oder auch „ich suchte jemand mit deutlich mehr Erfahrung als ich habe.“ Unterschwellige Botschaften der Persönlichkeit spielen eine Rolle. „Ihre Website hat mich angesprochen“, ist etwa eine häufige Aussage. Da sich Persönlichkeit in der Website spiegelt – hoffentlich die des Beraters und nicht die eines Texters – erhält er eine Ahnung von dessen Eigenschaften.

Ist mein Wunsch-Berater kreativ? Hat er viel Wissen? Man sieht es in der Wortwahl, in den Bildern, dem Stil. So mögen intuitive, fantasievolle Menschen oft visuelle Reize, die nicht eindeutig sind: Eine Plastikflasche im Dunkeln auf nasser Straße. Dieses Foto hängt bei mir im Büro, ich liebe es. Aber es gibt Menschen, die verstehen es nicht. Die fragen: Was soll das? Ist doch keine Aussage drin! Ist doch nicht konkret! Ich sag “was soll ich mit dem Konkreten, da kann man doch nichts rein projizieren – das hänge ich mir doch nicht an die Wand.”

Glauben Sie´s oder nicht: Die visuellen Vorlieben sagen einiges, dazu komme ich noch, wenn ich über den Test VIQ spreche, der komplett visuell funktioniert. Doch wie ist es in der Praxis? Vermutlich wird ein Berater mit hoher Offenheit für neue Erfahrungen nicht nur Abstraktes mögen, sondern womöglich auch eher in der Lage sein, Strategien mit seinem Klienten zu entwickeln – schlicht weil er höchstwahrscheinlich visionärer ist (denn das kommt ja aus der Vorstellung, und die ist nie konkret.)

Anderes Beispiel: Jemand mit hohem Kompetenzanspruch wird vermutlich eher darauf achten, sein eigenes Wissen regelmäßig zu überprüfen – das spricht die einen an und die anderen nicht. Manchmal passt da auch was nicht zusammen, was erst später bemerkt wird (wenn es überhaupt je explizit wird, oft bleiben diese Dinge diffus): Ein ehrgeiziger und leistungsorientierter Berater wird Mühe haben, sich auf die Bedürfnisse von Menschen einzustellen, die ein moderates bis unteres Leistungsniveau anstreben – jedenfalls dauerhaft (2,3 Stunden kann man das zurückstellen, aber ich bin relativ sicher, da ist was spürbar). Ein extrovertierter Berater wird Wert auch auf persönliche Beziehungen legen und “Beziehungsebene” anders interpretieren (was der Introvertierte möglicherweise gar nicht so mag).  Ein Introvertierter wird Distanz einhalten (was der Extro als Ablehnung seiner Person empfinden könnte). Und so weiter.

Natürlich sind die meisten Coachs und Berater mit ihren Eigenschaften irgendwo in der Mitte einer Skala, da wo eben Zweidrittel zu verorten sind. Aber die eine oder andere Tendenz wird es geben. Möglicherweise gibt es „nur“ einen Punkt, der deutlicher ausgeprägt ist bei Ihnen. Bauen Sie Ihr Beratungsmodell auf diesem Punkt auf, sofern Sie selbstständig sind, denn hier werden Sie am leichtesten Stärken entwickeln. Werden Sie sich dieses Punktes bewusst, sofern Sie angestellt agieren. Wenn Sie im Hier und Jetzt leben und eher einen Gegenwartsblick haben (eine geringere Offenheit für Erfahrungen), sind Sie nicht der/die richtige für das Kundenbedürfnis „mal rumspinnen und Ideen entwickeln“ – aber möglicherweise für eine sehr konkrete Problemanalyse. Machen Sie Ihre Persönlichkeit zum Ausgangspunkt für Ihr Angebot: Sehr mutige und abenteuerlustige Berater können andere Angebote schnüren als ängstliche (Coaching auf der Bergspitze versus Yoga-Coaching).

Einen kurzen Test dazu können Sie in den nächsten 14 Tagen hier durchgehen. Dieser Test ist sonst einer von mehreren Teilen des Kexpa-Selbstlernkurses „Coach werden“. Noch viel mehr solcher netter Tools und vor allem auch Hintergründe sind in meinem Buch “Meine 100 besten Tools”.

Hier die Übersicht der Big Five-Ausprägungen:

Berater/Coachs mit (eher) hoher Offenheit

Sie haben viele Ideen und können sich eine Menge vorstellen. Sie werden vermutlich danach streben, nichts „abzukupfern“, sondern sind bemüht, Ihr eigenes Ding zu machen und zu finden. Sie dürften sehr gut mit anderen offenen Menschen klar kommen, haben aber möglicherweise Schwierigkeiten, sich auf weniger offene Kunden einzustellen (zu erkennen etwa an einer starken  Jetzt-Orientierung und wenig Vorstellungskraft). Wahrscheinlich müssen Sie darauf aufpassen, solche Klienten nicht zu überfordern, da sie nicht so schnell mitkommen wie sie denken. Ihre Themen sind im strategischen Bereich gut aufgehoben: Weil Sie sich Dinge vorstellen können, können Sie auch gut in die Zukunft blicken, Berufe finden, Visionen entwickeln usw. Sie brauchen flexible Konzepte, da Sie dazu neigen, die Dinge immer wieder neu und anders zu machen – vor allem gilt das, wenn eine hohe Flexibilität (oder auch: niedrige Gewissenhaftigkeit) dazu kommt. Ihr Entwicklungsthema liegt darin, andere mitzunehmen, die nicht so weit denken können und wollen wie Sie – und auch mal konkret im Jetzt zu bleiben. Mehr über Offenheit für neue Erfahrungen in den Big Five.

Berater/Coachs mit (eher) niedriger Offenheit

Ihnen fällt es nicht leicht, Ideen aus dem hohlen Bauch zu entwickeln. Sie brauchen konkrete Anknüpfungspunkte. Ideen entwickeln sie, indem sie sich an anderen orientieren und das „Entdeckte“ für sich adaptieren und variieren. Möglicherweise arbeiten sie lieber mit bereits etablierten Tools als neue zu erfinden. Sie halten sich weitgehend an Prozesse und einmal gemachte Erfahrungen und Lehren. Ein bewährtes Konzept werfen sie nicht so leicht um, sondern sie schleifen und verbessern es. Suchen Sie nach guten und etablierten Angeboten und lernen Sie aus Erfahrungen. Sie sind gut aufgehoben mit Themen, in denen der Klient ohne Impuls von außen zur Lösung kommen kann und bei Inhalten, die eine hohe inhaltliche und zeitliche Stabilität aufweisen. Ihre Entwicklungsthemen sind Fantasie und zukunftsorientiertes Denken.

Berater/Coachs mit (eher) hoher Gewissenhaftigkeit

Sie sind sehr genau, man könnte sagen: perfektionistisch. Sie streben eine hohe Leistungsebene an und sind nicht schnell zufrieden mit sich. Ihre Gewissenhaftigkeit kann sich auf Genauigkeit und/oder Kompetenz- und Leistungsehrgeiz erstrecken. Falls beides der Fall ist, streben sie danach, in ihrer Disziplin richtig gut zu sein oder zu werden. Suchen Sie sich ein Feld, in dem das möglich ist, weil sich z.B. das Wissen dort vertiefen und erweitern lässt. Fachberatung liegt Ihnen oft mehr –  oder Sie perfektionieren Methodenwissen und erfinden Dinge neu (wenn Offenheit dazu kommt). Ihre Entwicklungsthemen sind das Loslassen, die Entdeckung des Weniger-ist-mehr und des „mit 80%“ zufrieden sein. Mehr über Gewissenhaftigkeit.

Berater/Coachs mit (eher) niedriger Gewissenhaftigkeit

Sie sind flexibel und stellen sich perfekt auf die jeweilige Situation ein, ohne etwas zu planen. Soweit, so bewundernswert. Im Umkehrschluss bedeutet niedrige Gewissenhaftigkeit aber auch, dass sie vieles nicht durchziehen und nicht zuende machen. Kleine und überschaubare Projekte liegen Ihnen mehr. Sie gehen Impulsen nach und reagieren unmittelbar auf das, was gerade ist. Dadurch folgt Ihre Aufmerksamkeit stark dem Kunden: sich auf den Moment einstellen zu können, ist eine Ihrer Stärken. Es ist aber auch möglich, dass Sie darüber den roten Faden verlieren.  Ihr Entwicklungsthema ist das Planen, Dranbleiben und Zuendemachen.

Berater/Coachs mit (eher) hoher Extraversion

Sie tanken auf, wenn Sie mit Menschen zu tun haben. Der Kommunikationsanteil an einem Tag darf gerne hoch sein. Möglicherweise mögen Sie auch Gruppen und Situationen mit vielen Menschen, etwa Events und Netzwerke. Im Coaching kann es sein, dass sie manchmal „sprudeln“ möchten und sich selbst zurückhalten müssen, vor allem wenn Sie stille Menschen vor sich haben. Wahrscheinlich arbeiten sie aber ohnehin nicht so gern ausschließlich in Einzelsettings. Ihr Entwicklungsthema liegt darin, Zurückhaltung zu entwickeln, je nach Ausprägung der Extraversion vielleicht auch darin, sich ruhiger zu bewegen und nicht so schnell zu sein.

Berater/Coachs mit (eher) niedriger Extraversion

Sie sind jemand, der sich gern im Hintergrund hält und oft lieber fragt, als selbst viel zu erzählen. Small Talk ist meist nicht so Ihr Ding. Es kann sein, dass Sie besondere Stärken in der Einzelberatung entwickeln, da Sie sich zurücknehmen können und Ihr Redebedürfnis moderat ist. Ihr Entwicklungsthema könnte der Small Talk sein oder das Reden mit mehreren Personen und Gruppenarbeit. Mehr über Extraversion.

Berater/Coachs mit (eher) hoher Verträglichkeit

Sie sind sehr auf Ihr Gegenüber eingestellt und nehmen sich selbst nicht wichtig. Es geht Ihnen mehr um den anderen als um sich selbst. Deshalb werden sie wahrscheinlich als warmherzig empfunden und angenehm. Ihr Entwicklungsthema sind der gesunde Egoismus´ und das Eintreten für eigene Bedürfnisse. Ihnen fehlt möglicherweise auch Konkurrenzdenken, weshalb es schwer fällt, sich gegen andere (und auch den Markt) durchzusetzen. Mehr über Verträglichkeit.

Berater/Coachs mit (eher) niedriger Verträglichkeit

Sie haben Ihren eigenen Vorteil im Blick und die eigene Zielerreichung. Im Zweifel ist Ihnen das wichtiger als eine gute Beziehung oder Harmonie. Sie können sich durchsetzen und auch streiten. Das wird sich auf Ihre beruflichen Themen niederschlagen, wahrscheinlich neigen Sie zu Geschäftsmodellen, in denen Sie selbst auch eine große Rolle spielen. Kommt Extraversion dazu, zieht es Sie auch auf die Bühne. Ihr Entwicklungsthema ist die Kundenbeziehung. Es kann sein, dass Sie nicht so sehr darauf achten.

Berater/Coachs mit (eher) hohem Neurotizismus

Sie machen sich viele Sorgen und sind sehr vorsichtig – aber Sie sind auch jemand der die Höhen des Lebens intensiv spürt. Im Zweifel gehen Sie auf Nummer sicher. Das kann sich in der Beratung niederschlagen: Ein vorsichtiger Mensch wird anderen eher selten zu risikoreichem Verhalten raten (und sie auch nicht dahin coachen). Ihr Beratungsthema ist deshalb vermutlich nicht „so werden Sie schnell reich“, sondern liegt in etwas, das mehr mit menschlichen und persönlichen Themen zu tun hat. Ihr Entwicklungsthema ist der Mut – für sich und andere. Mehr über Neurotizismus.

Berater/Coachs mit (eher) niedrigem Neurotizismus

Sie sind bereit, Risiken einzugehen und alles andere als ängstlich. Womöglich schätzen Sie den Kitzel sogar, der entsteht, wenn etwas Neues und Unbekanntes auf Sie zukommt. Es kann sein, dass Sie die Ängste und Nöte neurotischerer Klienten nicht immer nachvollziehen können – oder dass Sie diesen vorangehen und sie besonders gut ermutigen können. Ihr Entwicklungsthema liegt im tieferen Nachsinnen und einer höheren Vor-, möglicherweise auch Rücksicht.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

2 Kommentare

  1. Matthias Schubert 1. Juni 2014 at 10:38 - Antworten

    Buum da gibt es ja viele Nuancen … ab jetzt werde ich genauer hinsehen wenn ich mir wieder einen Coach gönne! Danke für den Imput.

  2. Stephan Stockhausen 30. November 2014 at 16:23 - Antworten

    Ihre Einstiegsfrage ist m. E. ganz einfach zu beantworten: eine große Rolle.
    Die Persönlichkeit eines jeden Coaches spiegelt sich in seinen Prozessen, also in seinen Entscheidungen. Die beziehen sich auf Themen, Interventionen, Fragen und auf Unterlassen.
    Unsere eigenen intuitiven Muster prägen Verhalten, Professionalität im Coaching zeichnet sich durch Bewusstsein für diese Muster aus. Manche sind uns als Coach wohl bekannt (wenn wir gut ausgebildet sind und regelmäßig Supervision nutzen) andere eher nicht. Professionelle Coaches wissen um Themen/Persönlichkeiten usw. die sie aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit meiden sollten, damit kein Schaden für den Kunden entsteht.
    Sich als Persönlichkeit kennenzulernen ist ein lebenslanger Prozess und jedes Coaching gibt uns Impulse dazu. Eine gute Coachingausbildung sollte daher aber neben dem reinen Werkzeugkoffer mit den angehenden Coaches ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln und ein reichliches Mass Persönlichkeitsentwicklung beinhalten.

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